IX. Das Lama.

Die südamerikanischen Schafkamele (Auchenia, d. h. Halstier), welche gleichsam eine Miniaturausgabe der stattlichen altweltlichen Kamele darstellen, sind in zwei Formen, dem Lama und Alpaca, zu Haustieren gemacht worden. Und zwar gehören sie zu den wenigen Arten, welche von den Indianern aus eigener Initiative gezähmt wurden. Damit hat dann der Mensch Gebirgsregionen der Kultur erschlossen, die ohne diese Gehilfen auf die Dauer nicht zu bewohnen gewesen wären. Deshalb begreifen wir sehr wohl, daß sie in ihrer Heimat eine Kultbedeutung erlangt hatten. Wie die ältesten spanischen Chronisten berichten, verwendete man sie zu Totenopfern und aß ihr Fleisch zur Versöhnung des betreffenden abgeschiedenen Geistes. So findet man Köpfe und sonstige Knochenüberreste dieser Tiere in vorspanischen Gräbern von Peru.

Noch heute leben zwei Arten von Schafkamelen in vollkommen wildem Zustande, nämlich das Guanaco (Auchenia huanaco) und das Vicuña (Auchenia vicuña). Beide bewohnen, wie auch die aus ihnen gezähmten Nachkommen, das Lama und Alpaca, das Hochgebirge der Anden vom Feuerland bis zum nördlichen Peru. Das Guanaco ist namentlich im südlichen Teile des Gebirges häufig. Es lebt gesellig in Rudeln, die gewöhnlich aus zahlreichen, von einem Männchen angeführten Weibchen bestehen. Die Männchen erreichen die Größe eines Edelhirsches, die Weibchen sind kleiner. Beide sind von einem ziemlich langen, aber lockern Pelz von schmutzig rotbrauner, an Brust und Bauch weißlicher Farbe bedeckt, das aus kürzerem, feinerem Wollhaar und dünnerem, längerem Grannenhaar besteht. Der dünne lange Hals ist nach vorn gekrümmt und trägt einen seitlich zusammengedrückten Kopf. Die raschen und lebhaften Tiere klettern sehr gut und laufen gemsenartig an den steilsten Gehängen und Abstürzen dahin, selbst da, wo der geübteste Bergsteiger nicht Fuß fassen kann. Dabei hält der leitende Hengst einige Schritt vom Rudel entfernt Wache, während seine Herde unbekümmert weidet. Bei der geringsten Gefahr stößt er ein lautes, wieherndes Blöken aus, worauf alle Tiere den Kopf erheben, scharf nach allen Seiten ausschauen und sich dann rasch zur Flucht wenden.

Kleiner und zierlicher als das Guanaco, auch weniger weit verbreitet, ist das Vicuña mit dem durch seine Feinheit berühmten ockerfarbigen Vließ und den langen, weißen Schulterbüscheln. Es steigt weniger hoch als jenes und weidet mit Vorliebe auf den Grasmatten der Anden. Da es weiche Sohlen hat, zieht es sich, auch verfolgt, niemals auf die steinigen Halden zurück. Im Februar wirft jedes Weibchen ein Junges, das schon gleich nach der Geburt eine große Schnelligkeit und Ausdauer entwickelt, also mit seiner Mutter leicht zu fliehen vermag. Als Weibchen bleibt es, auch erwachsen, bei der Herde; als Männchen jedoch wird es durch Beißen und Schlagen fortgetrieben und vereinigt sich dann mit seinesgleichen zu einem besonderen Rudel.

Jung eingefangen lassen sich Guanaco und Vicuña leicht zähmen und schließen sich bald zutraulich an ihren Pfleger. Mit zunehmendem Alter aber werden sie tückisch und speien dann den Menschen bei jeder Gelegenheit an, was gerade keine angenehme Gewohnheit ist. Zudem gebärden sie sich unbändig und sind nicht zur Paarung zu bringen. Gleichwohl sind die Guanacos schon in vorgeschichtlicher Zeit von den Indianern auf den Anden Perus gezähmt und in den Dienst des Menschen gestellt worden. Da nun die kurze und straffe Wolle des wilden Guanaco minderwertig ist, stellte man ihm viel weniger nach als dem äußerst feinwolligen Vicuña, das von den Europäern planlos abgeschossen wurde, so daß es stark dezimiert erscheint und seine Wolle kaum mehr zu haben ist. Man stellte einst daraus wertvolle Decken her, die, weil ungefärbt, niemals bleichten. Aus der französischen Bezeichnung des Tieres bildete sich die auch im Deutschen übliche Benennung vigogne für solche Gewebe. Die sehr teure echte Vigognewolle dient jetzt bei uns hauptsächlich dazu, der Oberfläche unserer feinen Filzhüte ihren seidigen Glanz zu verleihen.

Den Gegensatz zu diesen Wildformen bilden das Lama und das Alpaca, die nur in zahmem Zustande bekannt sind. Ersteres ist durch Domestikation aus dem Guanaco hervorgegangen, letzteres dagegen ist wahrscheinlich ein Kreuzungsprodukt beider Arten, das besonders zur Erlangung einer feinen Wolle gezüchtet wurde. Wahrscheinlich hat es aber weit mehr Lama- als Vicuñablut, so daß es manche Autoren als eine zu speziellen Zwecken verändertes Lama betrachten. Ganz sicher läßt sich indessen die Abstammung nicht bestimmen, da beide Formen sich beim Eindringen der Spanier in Südamerika als fertige Züchtungsprodukte vorfanden. 1541 gab Pedro de Cieza, dann wiederum 1615 Antonio de Herrera eine gute Beschreibung der beiden zahmen Schafkamele mit ihren besonderen Eigenarten.

Bei den alten Peruanern spielten Lama und Alpaca im Leben eine wichtige Rolle. Die Zähmung beider Haustierarten wurde von ihnen in das früheste Zeitalter menschlichen Daseins verlegt, als noch Halbgötter auf Erden lebten. Und zwar geschah sie zunächst auch nicht aus praktischen Gründen, sondern aus Gründen des Kultes, um nicht etwa in Notfällen in Verlegenheit wegen Opfertieren zu kommen.

Überall im Lande trafen die Spanier große Herden dieser Tiere an, die die wichtigsten Nutztiere der Peruaner bildeten, indem sie dieselben nicht nur zum Transport über die hohen Pässe der Anden benutzten, sondern auch Fleisch, Fell und Haare derselben verwendeten.

Das Lama, eigentlich Llama (Auchenia lama), wird heute noch wie einst vorzugsweise in Peru gefunden und gedeiht am besten in der verdünnten Luft der Hochebenen. Es wird etwas größer als das Guanaco, aus dem es hervorging, und zeichnet sich durch Schwielen an der Brust und an der Vorderseite der Handwurzelgelenke aus. Als altes Haustier tritt es in den verschiedensten Farbenvarietäten auf: weiß, gescheckt, fuchsrot und dunkelbraun bis schwarz. Auch schwankt die Wolle bei den verschiedenen Abarten in bezug auf Länge, Dichte und Feinheit. Am kürzesten behaart sind die Arbeitstiere, von denen nur die Männchen zum Tragen von Lasten verwendet werden, während die Weibchen außer zur Zucht zur Fleisch- und etwa noch zur Milchgewinnung benutzt werden. Mit einer Warenlast von 50 kg und darüber beladen marschiert, von einem Treiber geleitet, ein Tier hinter dem andern sichern Schrittes an den steilsten Abhängen vorbei über die höchsten Pässe der Kordilleren. Stevensohn schreibt: „Nichts sieht schöner aus als ein Zug dieser Tiere, wenn sie mit ihrer etwa einen Zentner schweren Ladung auf dem Rücken, eins hinter dem andern in der größten Ordnung einherschreiten, angeführt von dem Leittiere, welches mit einem geschmackvoll verzierten Halfter, einem Glöckchen und einer Fahne auf dem Kopfe geschmückt ist. So ziehen sie die schneebedeckten Gipfel der Kordilleren oder den Seiten der Gebirge entlang, auf Wegen, auf denen selbst Pferde oder Maultiere schwerlich fortkommen möchten; dabei sind sie so gehorsam, daß ihre Treiber weder Peitsche noch Stachel bedürfen, um sie zu lenken und vorwärts zu treiben. Ruhig und ohne anzuhalten schreiten sie ihrem Ziele zu.“ Ihr Mist wird von den Indianern gesammelt und überall als das fast ausschließliche Brennmaterial auf den Markt gebracht. Das Einsammeln desselben wird dadurch erleichtert, daß die Lamas, wie auch ihre Verwandten, die Gewohnheit haben, für die Ablagerung ihrer Exkremente gemeinsame Plätze aufzusuchen. Zum Reiten wurde das Lama niemals verwendet, da es dazu zu schwach ist. Seine grobe Wolle spielt als Gespinnstmaterial keine bedeutende Rolle. Dazu wird vielmehr das lange, feine Vließ der zweiten domestizierten Form, des Alpacas, verwendet.

Tafel 45.

Lama im Tierpark Hellabrunn zu München.
(Nach einer Photographie von M. Obergaßner.)


GRÖSSERES BILD

Tafel 46.

(Copyright Underwood & Underwood in London.)

Norwegische Renntierherde in Hardanger, mißtrauisch die Ankunft von Fremden abwartend.


GRÖSSERES BILD

Das Alpaca oder Paco (Auchenia pacos) ist kleiner und gedrungener als das Lama und gleicht äußerlich einem Schafe, hat aber einen längeren Hals und einen zierlicheren Kopf. Sein langes und ausnehmend weiches Vließ erreicht an den Seiten des Rumpfes eine Länge von 10–12 cm. Die Färbung ist meistens ganz schwarz oder ganz weiß; es gibt aber von ihm wie vom Lama buntscheckige Individuen. Die Alpacazucht wird besonders auf den Hochebenen des südlichen Peru und nördlichen Bolivia stark betrieben, geht aber nicht so weit hinunter wie die Zucht des Lamas. Hier leben diese Tiere in halbzahmem Zustande in großen Herden in 4000–5000 m Höhe das ganze Jahr über im Freien. Zur Gewinnung ihrer sehr geschätzten Wolle werden sie gewöhnlich nur alle zwei Jahre geschoren. Dazu treibt man sie in der warmen Jahreszeit in die Hütten, wobei sie sich allerdings sehr störrisch benehmen. Wird ein Tier von der Herde getrennt, so wirft es sich auf die Erde und ist weder durch Schmeichelei, noch durch Schläge zu bewegen, wieder aufzustehen. Einzelne können nur dadurch fortgeschafft werden, daß man sie den Herden von Lamas und Schafen beigesellt. Aus ihrer Wolle werden seit uralter Zeit Decken, Mäntel und Kleiderstoffe verfertigt. Sehr schön gemusterte Proben der altperuanischen Textilkunst besitzt namentlich das Berliner Völkermuseum. Doch züchtet man das Alpaca außer der Wolle wegen auch zur Gewinnung des höchst schmackhaften Fleisches. Zum Lasttragen wird es nicht verwendet, wozu es auch etwas zu schwach wäre.

Wiederholt hat man versucht, Lamas und Alpacas auch außerhalb ihrer hochgelegenen Heimat zu akklimatisieren; doch schlugen bis jetzt alle diesbezüglichen Versuche fehl. So werden sie nur etwa in zoologischen Gärten gehalten. Das erste Lama, das man in Europa zu sehen bekam, war noch vor der Eroberung Perus durch Pizarro, als er bei Karl V. um Hilfe bat, gezeigt worden. Im Jahre 1643 sollte Admiral Brouwer bei seiner mißglückten Expedition gegen Chile das Vicuña im damals holländischen Nordbrasilien einführen. 1799 hatte man weiße Vicuñas nach Buenos Aires gebracht; 1808 sah Bory de St. Vincent einen kleinen Lamabestand in Cadiz. Das waren wohl die Tiere, die Karl IV. hatte kommen lassen. Dann schenkte auch Kaiserin Josephine welche; aber alle diese Ansiedelungsversuche verliefen völlig erfolglos. In Australien hat man, nachdem 1852 der erste Versuch verunglückt war, 1856 256 Tiere meist gemischten Blutes angesiedelt, aber trotz der ausgesetzten Prämie von 250000 Franken kein Glück damit gehabt; ebensowenig in Kuba trotz anfänglichen Gelingens. Teilweise ist eine als Caracha bezeichnete ansteckende Krankheit daran schuld, die besonders die Alpacas ergreift und an ihnen eiternde Wunden an den Vorderbeinen und den Geschlechtsteilen hervorruft, woran sie häufig eingehen.

Alpaca und Lama können leicht miteinander gekreuzt werden. Die Mischlinge, die unter dem Namen Guarizos oder Machorras bekannt sind, bieten aber durchaus keine Vorteile vor jenen. Als Lasttiere lassen sie sich ebensowenig gebrauchen als die Alpacas; auch erben sie die feine Wolle der letzteren nicht. Übrigens findet das Lama in Peru seit der Einführung des Maultiers und des Pferdes viel weniger Verwendung als Lasttier im Vergleich zu früher, da es noch ausschließlich als solches verwendet wurde. Zur Zeit der spanischen Eroberung gab es namentlich im südlichen Peru ungeheure Herden davon. Damals wurden nicht selten Züge von 500 oder selbst 1000 Stück angetroffen, alle mit Silberbarren beladen und unter Obhut weniger Männer ihres Weges ziehend. Für die Wegschaffung der Minenerzeugnisse von Potosi sollen zu jener Zeit allein über 300000 Lamas gebraucht worden sein. Der Spanier Acosta berichtet darüber: „Ich habe mich oft gewundert, diese Schafherden mit 2000–3000 Silberbarren, welche über 300000 Dukaten wert sind, beladen zu sehen, ohne eine andere Begleitung als einige Indianer, welche die Schafe leiten, beladen und abladen, und dabei höchstens noch einige Spanier. Sie schlafen alle Nächte mitten im Felde, und dennoch hat man auf diesem langen Wege noch nie etwas verloren; so groß ist die Sicherheit in Peru. An Ruheplätzen, wo es Quellen und Weiden gibt, laden die Führer sie ab, schlagen Zelte auf, kochen und fühlen sich, ungeachtet der langen Reise, wohl. Erfordert diese nur einen Tag, so tragen jene Schafe 8 Arrobas (92 kg) und gehen damit 8–10 Leguas (29 bis 36 km); das müssen jedoch bloß diejenigen tun, welche den armen, durch Peru wandernden Soldaten gehören. Alle diese Tiere lieben die kalte Luft und finden sich wohl im Gebirge, sterben aber in Ebenen wegen der Hitze. Bisweilen sind sie ganz mit Eis und Reif bedeckt und bleiben doch gesund. Die kurzhaarigen geben oft Veranlassung zum Lachen. Manchmal halten sie plötzlich auf dem Wege an, richten den Hals in die Höhe, sehen die Leute sehr aufmerksam an und bleiben lange Zeit unbeweglich, ohne Furcht oder Unzufriedenheit zu zeigen. Ein anderes Mal werden sie plötzlich scheu und rennen mit ihrer Ladung auf die höchsten Felsen, so daß man sie herunterschießen muß, um die Silberbarren nicht zu verlieren.“ Meyer schlägt die Wichtigkeit des Lamas für die Peruaner ebenso hoch an wie die des Renntieres, von dem alsbald die Rede sein wird, für die Lappländer.

Neuerdings beabsichtigt die preußische Regierung, das überaus genügsame Tier, dessen Fleisch einen sehr zarten Geschmack besitzt, in den sonstwie wenig brauchbaren Ländereien, so zunächst auf der Lüneburger Heide, einzuführen. Ob ihr die Akklimatisation gelingen wird, ist allerdings höchst fraglich, da diese Tiere im Tiefland nicht gedeihen.

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