XVII. Die Taube.

Wie die verschiedenen einheimischen Entenvögel, so haben auch die verschiedenen einheimischen Wildtauben von jeher als Wildbret die Beachtung des Menschen gefunden. Unter ihnen ist die Felsentaube (Columba livia) die Stammform sämtlicher Haustauben. Sie hieß bei den alten Griechen peleiás, und der Pluralis peleiádes diente diesen zur Bezeichnung der Sternwolke des Siebengestirns, die ihnen wie ein Schwarm wilder Felsentauben vorkam. Daraus ist dann unsere Bezeichnung Pleiaden entstanden. Häufig spricht Homer von peleiádes, worunter er stets wilde Tauben versteht. Sie sind ihm das Sinnbild des Flüchtigen und Furchtsamen. So entzieht sich Artemis der Göttermutter Hera, die ihr den Köcher geraubt hat:

„Weinend aber entfloh sie zur Seite sofort, wie die Taube,

Die vom Habicht verfolgt in den Spalt des zerklüfteten Felsens

Schlüpft — nicht wars ihr beschieden des Räubers Beute zu werden.“

Hektor flieht vor Achilleus wie die „scheue, flüchtige“ Taube vor dem Falken:

„Wie im Gebirge der Falk, der geschwindeste unter den Vögeln,

Leicht im Schwunge des Flugs der schüchternen Taube sich nachstürzt.

Seitwärts flüchtet sie bang; dicht hinter ihr stürmt er beständig

Nach mit hellem Geschrei und brennt vor Begier sie zu fangen.“

Auch im Sagenkreis der Argonauten erscheint die Taube als der schnellste Vogel. Das Schiff Argo war, wie der Name sagt, wunderbar schnell, und als es auf seiner Fahrt zwischen zwei zusammenschlagenden Felsen hindurchfahren sollte, sandten die Schiffer auf den Rat des greisen Sehers Phineas zuvor eine Taube aus; wenn diese unverletzt hindurchflog, hofften die Helden ebenfalls unversehrt durchzukommen. So verderblich seien diese Felsen, heißt es in der Odyssee, daß selbst die geschwinden Tauben ihnen nicht immer entgehen und Vater Zeus, dem sie Ambrosia bringen, die verlorenen durch andere ersetzen muß. Daß nun die Schiffer Tauben bei sich hatten, um sie von ihrem Schiffe aus fliegen zu lassen, beweist, daß man also schon im hohen Altertum solche gefangene und noch nicht gezähmte Tiere zur Bestimmung des nächstgelegenen Landes oder als Opfer mit sich nahm. Solches taten wie die Griechen so auch die Phönikier, wie wir u. a. auch aus der später zu würdigenden Tatsache von den weißen Tauben auf der Flotte der Perser unter Xerxes wissen, die nach deren Scheitern am Vorgebirge Athos freikamen und von den Anwohnern eingefangen wurden.

In der Ilias wird das böotische Thisbe und das lakedämonische Messe als taubenreich, wie bei Äschylos die Insel Salamis als taubennährend, bezeichnet. Bei den Spielen bei der Beerdigung seines Freundes Patroklos läßt Achilleus eine lebendige, an die Spitze des Mastbaums gebundene Taube als Ziel aufstellen. Nach diesem schießt zuerst der gefeierte Bogenschütze Teukros; da er aber vergessen hatte, dem Apollon sein Gelübde zu tun, trifft er nur die Schnur, und die nun befreite Taube strebt kreisend zum Himmel empor. Da ergreift Meriones schnell den Bogen, betet und holt den flüchtigen Vogel mit dem Pfeil aus der Höhe herunter.

Außer der Felsentaube peleiás unterschieden die alten Griechen von Wildtauben noch die Hohltaube oinás, die Ringeltaube pháps und die Turteltaube trygṓn, während sie die später erhaltene Haustaube als peristerá bezeichneten. Demgemäß nannten sie das Taubenhaus peristereṓn oder peristerotropheíon, wie uns der gelehrte Varro berichtet. Dieser Name der Haustaube tritt uns erst in der späteren attischen Sprache entgegen, während die Dorier fortfuhren, peleiás zu sagen. Wie kamen nun die Griechen zu diesem Haustier, das erst gegen das Ende des 5. vorchristlichen Jahrhunderts in Athen eine gewöhnliche Erscheinung wurde?

Die wilde Felsentaube ist in Westasien in Verbindung mit dem Kult der Liebesgöttin allmählich in die Abhängigkeit des Menschen geraten und zum Haustier erhoben worden. Bevor wir uns klar zu machen suchen, wo dies vermutlich geschah, wollen wir das freilebende Tier in seinen Lebensgewohnheiten kennen lernen. Die Felsentaube bewohnt die Felsküsten der Mittelmeerländer und ganz Westasien, von Kleinasien und Syrien bis Indien und China; sie geht tief nach Afrika hinein bis Abessinien und reicht östlich bis zu den Kapverdischen Inseln im Süden und Schottland im Norden. Auf diesem ungeheuren Gebiet hat sie als Ausdruck ihrer Anpassungsfähigkeit eine große Anzahl von Lokalformen gebildet, wodurch sich die Spaltung in zahlreiche Rassen nach ihrer Domestikation begreifen läßt. Überall in ihrem Verbreitungsgebiet ist sie Standvogel und nistet stets in dunkeln Felslöchern, niemals auf Bäumen, wie Hohl-, Ringel- und Turteltauben. In Färbung des Gefieders, Lebensweise und Betragen weicht die Felsentaube wenig von unserer primitiven Haustaube, der sogenannten Feldtaube, ab. Sie ist auf der Oberseite hell aschgrau, auf der Unterseite mohnblau, der Kopf hell schieferblau, der Hals bis zur Brust dunkel schieferfarben, oben hell blaugrün, unten purpurfarben schillernd. Die Lendengegend ist weiß; doch ist dieses Merkmal nicht so konstant wie die beiden ziemlich breiten schwarzen Querbinden auf den Flügeln. Die Flügel sind aschgrau, der Schwanz ist dunkel mohnblau, am Ende schwarz; die äußersten Federn desselben sind weiß. Das Auge ist schwefelgelb, der Schnabel schwarz, an der Wurzel lichtblau, der Fuß dunkel blaurot. Die beiden Geschlechter sind in der Färbung wenig verschieden, die Jungen aber dunkler als die Alten.

Die Felsentaube ist gewandter, namentlich behender im Fluge als ihre domestizierten Abkömmlinge, die Feldtauben, und sehr menschenscheu. Sie geht nickend, fliegt klatschend ab, durchmißt mit pfeifendem Geräusch etwa 100 km in der Stunde, steigt gern empor und kreist oft längere Zeit in dicht geschlossenen Schwärmen; denn sie liebt die Geselligkeit im Gegensatz zu der nur in einzelnen Pärchen lebenden und nie sich zu größeren Schwärmen zusammenfindenden baumbewohnenden Ringel-, Hohl- und Turteltauben. Beim Nahrungsuchen läuft sie stundenlang auf dem Boden herum; beim Trinken watet sie bisweilen ein bischen ins Wasser hinein. Sie lebt von allerlei Sämereien und nistet dreimal im Jahre. Mit Beginn des Frühlings wirbt der Tauber sehr eifrig rucksend unter allerlei Bücklingen und Drehungen um ein Weibchen, dem er die größte Zärtlichkeit bekundet, während er gegen andere Genossen zänkisch und unverträglich ist. Erwidert sie seine Gefühle und ist damit die Ehe zustandegekommen, so sammelt er allerlei trockene Pflanzenstengel und dürre Halme, mit denen die Täubin das Nest baut, in das sie zwei glattschalige, rein weiße Eier legt. Beide Geschlechter brüten, die Täubin von 3 Uhr nachmittags bis 10 Uhr vormittags ununterbrochen, der Täuberich dagegen in den übrigen Stunden. Nachts schläft letzterer in der Nähe des Nestes, immer bereit, die Gattin zu beschützen, und duldet nicht einmal, daß sich ihr eine andere Taube nähert. Nach 16–18 Tagen schlüpfen die äußerst unbehilflichen, blinden Jungen aus, die in der ersten Zeit von beiden Eltern mit dem im Kropfe gebildeten Futterbrei ernährt werden, um dann später erweichte, endlich härtere Sämereien nebst Steinchen als Reibemittel für den muskulösen Kaumagen zu erhalten. Schon nach vier Wochen sind sie erwachsen, schwärmen mit den Alten aus, machen sich in wenigen Tagen selbständig, und die Eltern schreiten alsbald zur folgenden Brut. Jung aus dem Neste genommene Felsentauben benehmen sich ganz wie Feldtauben, befreunden sich mit dem Menschen, sind aber nicht so untertänig wie Haustauben.

Da es zahlreiche Rassen der Haustaube gibt, die im einzelnen sehr starke Abweichungen in der äußeren Erscheinung erkennen lassen, so war unter den Züchtern früher die Annahme allgemein verbreitet, daß mehrere wilde Stammarten angenommen werden müssen. Indessen haben die umfassenden Untersuchungen von Charles Darwin diese Frage endgiltig gelöst und festgestellt, daß sie alle von der Felsentaube abstammen, die schon im Freileben so veränderlich ist, daß man, wie gesagt, mehrere geographische Rassen von ihr unterscheidet. Er führt eine Reihe von Gründen an, die ausschlaggebend für die Abstammung aller unserer Taubenrassen von der Felsentaube sprechen. Wenn auch unsere Haustauben in Einzelehe leben, haben sie wie die wilde Stammart einen starken Hang zur sozialen Lebensweise, vermeiden es wie diese auf Bäume zu fliegen oder gar ihre Nester auf denselben anzulegen, sondern verlangen vielmehr für ihre Nistplätze halbdunkle, unzugängliche Orte. Alle Haustauben betragen sich wie die Felsentaube und legen wie diese je zwei Eier. Bei allen Rassen derselben treten gelegentlich mohnblau wie die Wildform gefärbte Individuen mit dem charakteristischen Metallschimmer am Halse und den schwarzen Flügelbinden auf. Darwin hat ausgedehnte Kreuzungsversuche bei verschiedenen Haustaubenrassen gemacht und dabei häufig bei den Nachkommen schwarze Flügelbinden auftreten sehen, auch wenn die Zuchttiere keine Spur davon erkennen ließen. Durch Kreuzung mancher Schläge, die durchaus kein Blau in ihrem Gefieder besaßen, erhielt er Nachkommen von blauer Färbung und Zeichnung, die als vollständige Rückschläge in die Felsentaube erschienen. Die Felsentaube kreuzt sich fruchtbar mit den Haustaubenschlägen und letztere kreuzen sich unter sich, was ebenfalls für die Felsentaube als gemeinsame Ausgangsform hindeutet. Schon bei den wilden Felsentauben tritt gelegentlich Leucismus auf, der dann bei manchen der vom Menschen gezüchteten Schläge überwiegt.

Dieses Auftreten der weißen Farbe hält Ed. Hahn für sehr wichtig, indem Tauben dadurch zuerst die Aufmerksamkeit, den Schutz und später die Pflege des Menschen erworben haben sollen. Er sagt in seinem Buch über die Haustiere und deren Beziehungen zum Menschen: „Bei keinem Tier ist es so deutlich, daß seine Einführung mit religiösen Momenten zusammenhängt, und bei keinem Tier lassen sich so leicht die ursprünglichen Bedingungen der Einführung feststellen. Grotten und Felshöhlen, aus denen vielleicht noch ein starker Quell entspringt, gehören zu den ursprünglichsten Heiligtümern; dies sind Stellen, die die Taube mit besonderer Vorliebe bewohnt, und so scheu sie sonst ist, oft mit merkwürdiger Nichtachtung des menschlichen Verkehrs auch trotz aller Störungen innebehält. Jede Gottheit nimmt die Tiere, die sich ihr freiwillig anvertrauen, in ihren Schutz. Fanden sich nun einmal unter den Tauben einige Albinos, so war die weiße, lichtglänzende Verkörperung der Gottheit von selbst gegeben, und daß die Taube mit ihrer äußerst verliebten Natur der Göttin der Liebe geweiht wurde, ist ebenso selbstverständlich. Ich glaube sogar sagen zu können, daß die Taubengestalt in so alter Zeit sich mit der Vorstellung, unter der man sich die Gottheit des weiblichen Prinzips verkörpert dachte, verband, daß sie von sehr bedeutendem Einfluß auf die Ausgestaltung dieses weiblichen Prinzips selbst gewesen ist; bekanntlich wurde Semiramis, die nur eine spezialisierte Form der großen Göttin darstellt, aus einem großen Ei am Ufer des Euphrat von den Tauben ausgebrütet (Diodor II, c. 4; später flog sie als Taube gen Himmel, c. 20). Schon in ältester Zeit hat die Taube sich als heiliger Vogel der Göttermutter durch den ganzen Orient verbreitet. Die Phönizier brachten sie so weit sie den Kult ihrer Götter trugen, z. B. nach dem Berge Eryx in Sizilien, und mit der Leichtigkeit, mit der sich der heilige Vogel wieder an anderen Stellen festsetzte, gab er dann seinerseits Grund zu neuen Heiligtümern der Venus. An eine Benutzung des Vogels, etwa zur Speise, war in solchen Fällen natürlich nicht zu denken, stand er doch unter dem unmittelbaren Schutz der Göttin. Erst sehr viel später lernte man den Vogel auch als Braten schätzen; hier waren es wohl die Römer zuerst. Doch ging die Idee des Zusammenhangs des Vogels mit der Venus nicht gleich ganz verloren; das beweist uns Martial (der in einer seiner Xenien sagt: ‚Nicht soll diesen Vogel essen, wer geil zu sein begehrt‘).“

In der dargestellten Weise mag irgendwo in Westasien die wilde Felsentaube vor allem in gewissen albinotischen Individuen als heiliges Tier der großen Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit unverletzlich erklärt und dann sogar in menschliche Pflege genommen worden sein, bis sie sich schließlich an ihre Beschützer gewöhnte und zum Haustier wurde. Und was zunächst nur einigen auserwählten Individuen zuteil wurde, das erstreckte sich später auf das ganze Geschlecht, so daß die Felsentaube überhaupt für ein unverletzliches, heiliges Tier galt. So war seit den ältesten geschichtlichen Zeiten die Felsentaube der großen Göttermutter und Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, Astarte, heilig und wurde überall in Vorderasien bei ihren Tempeln in größeren Scharen gehegt. Auch mag da und dort ein Taubenpärchen in den Höhlen, die als älteste Kultorte dienten, später auch an dunkeln Orten der Steintempel genistet und sich so an den Umgang mit dem Menschen gewöhnt haben. Dies gab vielleicht dem betreffenden Kultorte ein besonderes Ansehen, so daß dann künstlich von den Priestern Tauben dort angesiedelt wurden, wodurch die Zähmung beschleunigt wurde.

Als der Grieche Xenophon im Jahre 400 v. Chr. im Heere des jüngeren Cyrus mit anderen griechischen Söldnern Syrien durchzog, fand er, daß die Einwohner die Fische und Tauben als göttliche Wesen verehrten und ihnen kein Leid anzutun wagten. Nach Pseudo-Lucian waren in Hierapolis oder Bambyce die Tauben so heilig, daß niemand eine derselben auch nur zu berühren wagte. Wenn dies jemandem wider Willen widerfuhr, dann trug er für den ganzen Tag den Fluch des Verbrechens; „daher leben auch,“ fügt der Verfasser hinzu, „die Tauben mit den Menschen ganz als Genossen, treten in deren Häuser ein und besetzen weit und breit den Erdboden.“ Ganz dasselbe berichtet der Jude Philo von Askalon, wo auch ein berühmter Tempel der Göttin Astarte — der Aphrodite uraniḗ. wie die Griechen sich ausdrückten — war. Er schreibt nämlich: „Ich fand dort eine unzählige Menge Tauben auf den Straßen und in jedem Hause, und als ich nach der Ursache fragte, erwiderte man mir, es bestehe ein altes religiöses Verbot, die Tauben zu fangen und zu profanen Zwecken zu verwenden. Dadurch ist das Tier so zahm geworden, daß es nicht bloß unter dem Dache lebt, sondern ein Tischgenosse des Menschen ist und dreisten Mutwillen treibt.“

Als der Dienst der semitischen Göttin Astarte durch die der Schiffahrt kundigen Vertreter dieses Stammes weiter westlich im Mittelmeer verbreitet wurde, zog selbstverständlich ihr heiliges Tier, die zahme Taube, mit und wurde an ihren Heiligtümern in halber Wildheit gehalten, wie dies heute noch überall im Orient auch unter den Mohammedanern der Fall ist. Allgemein bekannt sind die Tauben der Göttin in Paphos auf Zypern, die paphiae columbae der Römer, die im Tempel ein- und ausflogen, ja sich selbst auf das Bild der Göttin setzten. Von Zypern gelangte der Dienst dieser orientalischen Liebesgöttin schon vor der Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zu den die Küsten des Ägäischen Meeres und die Inseln nebst Kreta bewohnenden Mykenäern. Dort sind ihre auf uns gekommenen Darstellungen stets von Tauben umgeben. So fand man im dritten Grabe der Burg von Mykenä zwei einst auf Kleider genähte Goldbleche mit dem Bildnis einer jedenfalls sie darstellenden weiblichen Gottheit, auf deren Haupt eine Taube sitzt. Im einen fliegt außerdem von jedem Arme eine Taube aus. Fünf andere Goldbleche aus dem 3. und 5. Grabe stellen ein von Tauben umgebenes Gebäude dar, das wohl an den Astarte-Aphroditetempel von Paphos erinnern soll. Dann sind auf einem elfenbeineren Spiegelgriff aus mykenischer Zeit zwei weibliche Gottheiten dargestellt, von denen jede eine Taube mit ausgebreiteten Flügeln und ausgestrecktem Hals auf dem einen Arm hält.

Zu Beginn des letzten vorchristlichen Jahrtausends waren es besonders die Phönikier, die zugleich mit ihrer Kolonisation den Astartekult und die damit zusammenhängende Pflege ihres heiligen Tieres verbreiteten. So brachten sie denselben u. a. auch nach ihrer Pflanzstadt Korinth. Allerdings ist später im Kulte der Aphrodite der Griechen zunächst vom heiligen Tiere ihrer phönikisch-semitischen Vertreterin keine Rede; es muß nicht direkt mit jenen von ihnen übernommen worden sein. Auch in den alten homerischen Hymnen auf sie finden sich die Tauben als ihr heilige Tiere nicht erwähnt. Es wird dort berichtet, wie die Göttin ihren duftenden Tempel auf der Insel Zypern betritt, wie sie von den Chariten mit dem unsterblichen Öle gesalbt, mit herrlichen Gewändern bekleidet und mit goldenem Geschmeide geschmückt wird und sich dann, Zypern verlassend, hoch durch die Wolken nach dem quellenreichen Ida schwingt.

Die älteste Erscheinung der Haustaube stammt, wie schon Darwin festzustellen vermochte, aus der Zeit der 5. ägyptischen Dynastie (2750 bis 2625 v. Chr.) zur Zeit des Alten Reiches. Damals wurde sie schon auf manchen Gehöften in Scharen gehalten und vom Menschen gefüttert. Im Alten Testament wird sie zur Zeit des Exils (586–536 v. Chr.) im Pseudo-Jesaias 60, 8 angeführt. Nach Ohnefalsch-Richter hat man auch, besonders auf Zypern, hoch ins letzte vorchristliche Jahrtausend hinaufreichende Abbildungen kleiner Tempel und Kapellen ausgegraben, die wie die heutigen Bauernwohnhäuser in Syrien und Ägypten als Taubenschläge eingerichtet sind. Alles dies beweist das hohe Alter der Taubenzucht in der Ostecke des Mittelmeers.

Von dorther gelangte die Haustaube jedenfalls schon vor dem 5. Jahrhundert v. Chr. zu den Griechen. Wenn nun der griechische Geschichtschreiber Charon von Lampsakos, der Vorgänger des Herodot, in seinen Persiká schreibt: „Zu der Zeit, da die persische Seemacht unter Mardonios (492 v. Chr.) — zwei Jahre vor der Schlacht bei Marathon — bei der Umschiffung des Vorgebirges Athos zugrunde ging, seien zuerst die weißen Tauben im Lande erschienen,“ so will er damit nicht sagen, wie die meisten Autoren schließen, damals sei die Haustaube überhaupt zum erstenmal nach Griechenland gekommen, sondern er meint damit offenbar nur Haustauben edler Rasse, die wir wohl mit dem Kulte der orientalischen Liebesgöttin in Verbindung setzen dürfen. Noch viel später lesen wir bei einigen griechischen Schriftstellern von der „weißen Taube Aphrodites“. Es haben sich also beim Schiffbruche der persischen Flotte am Berge Athos zahme weiße Tauben des Astartedienstes aus den scheiternden Fahrzeugen ans Land gerettet und fielen den Einwohnern in die Hände, die diese auffallenden Gäste hegten und an ihre Landsleute weitergaben. Ein halbes Jahrhundert später war unter den Athenern, die mit Thrakien in lebhaftem politischem und Handelsverkehr standen, die zahme, — wohl vielfach weiße — Taube unter dem Namen peristerá, der vielleicht aus jener nördlichen Gegend stammt, ein verbreitetes Haustier, das gelegentlich, wie im Orient, zu schnellen Botschaften gebraucht wurde. So sandte der um diese Zeit lebende Äginet Taurosthenes seinem Vater durch eine Taube Botschaft von seinem Siege in Olympia, und diese soll noch an demselben Tage nach Ägina gelangt sein. Die wörtliche Schilderung dieses Vorgangs erzählt uns Älian folgendermaßen: „Als Taurosthenes von Ägina den Sieg zu Olympia errang, gelangte die Nachricht von seinem Glücke noch selbigen Tags an seinen Vater nach Ägina. Er hatte nämlich eine Taube mitgenommen, deren Junge noch im Nest saßen, und ließ sie, sowie er gesiegt hatte, mit einem angehängten roten Läppchen davonfliegen.“ Als der Aphrodite heilige Vögel wurden sie dieser Göttin als Weihgeschenke dargebracht, um ihre Tempel in halber Freiheit gehalten und dort regelmäßig gefüttert. Nach den Darstellungen auf Münzen muß besonders Sikyon eine Hauptstätte des Aphroditekultes, wie auch der Taubenzucht gewesen sein.

Nach Italien kam die Taube durch die Vermittlung der süditalischen Griechen, nachdem diese wohl durch den auf die Phönikier zurückgehenden Tempel von Eryx in Sizilien zuerst Bekanntschaft mit jenem heiligen Vogel gemacht hatten. Zog nun die dort verehrte Göttin Astarte an einem bestimmten Tage des Jahres nach Afrika fort, so sollten ihr nach Älian alle Tauben dorthin folgen. „Sind neun Tage verflossen, so sieht man, wie die Leute behaupten, eine wunderschöne purpurfarbige Taube von Libyen aus über das Meer nach Eryx fliegen und dieser folgt dann eine ganze Wolke gewöhnlicher Tauben. Ist der Zug angelangt, so wird (wie bei ihrem Auszug das Abschiedsfest) ein anderes Fest, das Rückkehrfest, gefeiert.“ In der Zeit zwischen beiden mochten wohl die Tempeltauben durch die Priester in ihren Kammern verschlossen gehalten werden. Den Vogel nannten die sizilischen Griechen, als sie ihn an jenem uralten phönikischen Heiligtum an der Nordwestspitze Siziliens kennen lernten, kólymbos, woraus dann die Römer columbus oder columba machten. In Italien wurde die zahme Taube dann allmählich bekannt und ihre Zucht in Angriff genommen. Der gelehrte Römer Varro zu Ende der Republik sagt, daß sie sonst ohne Unterschied mit columba Männchen und Weibchen der Haustaube bezeichnet hätten und erst später, da der Vogel bei ihnen gewöhnlich ward, columbus von columba (als Männchen und Weibchen) unterschieden. Er unterscheidet genau zwischen der Feldtaube — dem halbwilden Abkömmlinge der Felsentaube — und der zahmen Haustaube, und beschreibt Taubenhäuser, in denen bis 5000 Stück gehalten wurden. „Man pflegt zwei Arten von Tauben zu halten: die Feldtaube, welche andere auch Felsentaube nennen. Sie ist scheu, wohnt in den Türmen und andern hohen Teilen des Landhauses und fliegt von da nach Belieben auf das Feld, um sich ihr Futter selbst zu suchen. Dann Haustauben, die zutraulicher sind und sich mit dem zu Hause gereichten Futter begnügen. Diese sind meist weiß, während die Feldtauben nirgends weißes Gefieder haben. Es paaren sich auch beide Arten von Tauben miteinander, wodurch eine dritte Sorte entsteht. Das Taubenhaus hat eine gewölbte Decke, eine enge Tür und mit Netzwerk überzogene Fenster, durch welche Licht einfällt, aber weder eine Schlange noch sonstiges Ungeziefer eindringen kann. Die Innenwände macht man glatt, ebenso die Außenwände, damit weder Mäuse noch Eidechsen hinein können; denn die Tauben sind sehr furchtsamer Natur. Für jedes Paar wird eine besondere Zelle hergestellt, inwendig drei Spannen breit und lang mit einem zwei Spannen langen Brett am Eingang. Es muß reines Wasser ins Taubenhaus fließen, das zum Trinken und Baden dient; denn diese Vögel sind sehr reinlich. Auch muß der Taubenwärter das Haus in jedem Monat mehrmals fegen. Der Taubenmist ist von großem Wert für die Landwirtschaft und wird für den besten gehalten. Der Wärter muß auch die kranken Tauben kurieren, die gestorbenen beseitigen und die zum Verkaufe passenden jungen herausnehmen; dann muß er die Habichte wegfangen, indem er ein Tier, nach welchem dieser Raubvogel zu stoßen pflegt, anbindet und Leimruten so um dasselbe steckt, daß sie sich über ihm wölben.

Ihr Futter bekommen die Tauben in Trögen, welche im Innern des Taubenhauses an den Wänden stehen und von außen durch Röhren gefüllt werden. Sie fressen gern Hirse, Weizen, Gerste, Erbsen, Bohnen, Linsen. Kauft man Tauben, so müssen sie das richtige Alter haben und die Zahl der Männchen muß der der Weibchen gleich sein. Kein Tier übertrifft die Taube an Fruchtbarkeit. Innerhalb 40 Tagen legt, brütet und erzieht sie ihre Brut von jeweilen zwei Jungen, und das geht das ganze Jahr hindurch. Wer junge Tauben zum Verkaufe mästet, sperrt sie ab, sobald sie ganz befiedert sind, und stopft sie dann mit gekautem Weißbrot; diese Fütterung geschieht im Sommer täglich drei-, im Winter nur zweimal. Will man die Jungen im Neste von den Alten mästen lassen, so zerbricht man ihnen die Beine und gibt reichliches Futter. Das Paar alter, schöner Tauben kann in Rom gewöhnlich für 200 Sesterzien (= 30 Mark) verkauft werden; ein ganz ausgezeichnetes Paar kostet auch bis 1000 Sesterzien (= 150 Mark). Als neulich ein Kaufmann ein solches Paar vom Ritter Lucius Axius kaufen wollte, antwortete dieser, sie wären unter 400 Denaren (= 240 Mark) nicht feil.“

Sehr ausführlich schildert der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte die Haustaube und deren Lebensgewohnheiten. Am Schlusse seiner Ausführungen sagt er: „Es gibt viele, die vor lauter Taubenliebhaberei wie verrückt sind. Sie erbauen ihnen Türme auf ihren Dächern und wissen von einer jeden nachzuweisen, woher sie stammt und wie edel ihre Abkunft ist. Schon vor dem pompejanischen Bürgerkriege (49 und 48 v. Chr.) verkaufte der römische Ritter Lucius Axius einzelne Paare, wie Varro erzählt, für 400 Denare (= 240 Mark). In Kampanien sind sie vorzüglich groß, und dieses Land ist in dieser Hinsicht berühmt. Die Tauben sind auch schon in wichtigen Angelegenheiten als Botschafter gebraucht worden, wie denn z. B. Decimus Brutus, als er in Mutina (dem heutigen Modena) belagert wurde, ihnen Briefe an den Beinen befestigte und sie ins Lager der Konsuln schickte. Was konnte da dem Antonius sein Wall, seine Wachsamkeit, der durch Netze gesperrte Fluß helfen, da der Bote durch die Luft flog?“ Übrigens sei hier bemerkt, daß man im Altertum gelegentlich auch Schwalben statt wie hier Haustauben zu raschen Überbringerinnen von Botschaften auf große Entfernungen benutzte. So schreibt der ältere Plinius in seiner Naturgeschichte: „Cäcinna, ein Ritter aus Volaterra, der zu öffentlichen Wettrennen bestimmte Wagen besaß, pflegte Schwalben mit nach Rom zu nehmen, bestrich sie, wenn er gesiegt hatte, mit der Farbe des Sieges (rot), ließ sie fliegen und sie überbrachten, indem sie ihrem Neste zueilten, bald seinen Freunden die Botschaft. Auch erzählt Fabius Pictor in seinen Jahrbüchern, daß man, als eine römische Besatzung von den Ligustinern belagert wurde, ihm eine von den Jungen genommene Schwalbe zuschickte, damit er ein Fädchen an ihre Füße binden und durch Knoten die Zahl der Tage angeben könne, nach deren Verlauf er zum Entsatze da sein würde. Die Besatzung sollte dann einen Ausfall machen.“

Auch allerlei Aberglauben knüpfte sich bei den Römern an die Taube, wie an zahlreiche andere Vögel; so berichtet Dio Cassius: „Dem Macrinus wurde der Verlust der Schlacht und sein darauf erfolgender Tod dadurch prophezeit, daß, während sein erster Brief, worin er verkündete, Kaiser geworden zu sein, im Senat vorgelesen wurde, eine Taube sich auf seine Bildsäule, die in dem Versammlungssaale stand, niederließ.“ Als großer Tierfreund hat besonders der Vetter, Adoptivsohn und Nachfolger des Heliogabalus, einer der besten Fürsten seiner Zeit, Alexander Severus, der 222 14jährig die Regierung antrat, 231 siegreich gegen den Perserkönig Artaxerxes focht und 235 unweit von Mainz von aufrührerischen Soldaten ermordet wurde, große Geflügelhöfe und Tausende von Tauben gehalten. So berichtet der Geschichtschreiber Älius Lampridius von ihm: „Nach Heliogabals Tod übernahm ein herrlicher Mann, Alexander Severus, die Regierung des Römischen Reichs. Dieser duldete während der Mahlzeit die bei den Römern üblichen Unterhaltungen durchaus nicht, sondern hatte Spaß daran, wie kleine Hündchen und Kätzchen mit Spanferkelchen spielten und Vögel um ihn herumflogen. Überhaupt waren die Vögel seine Hauptfreude. Er hatte eigene Anstalten für Pfauen, Fasanen, Haushühner, Enten, Rebhühner, die größten aber für Tauben, deren er 20000 gehabt haben soll. Um nun dem Staate nicht durch die Fütterung der ungeheuren Menge von Geflügel lästig zu fallen, mußten seine Angestellten die Eier, die Küchlein, die jungen Tauben verkaufen und von dem daraus gelösten Gelde das Futter kaufen.“

Aus diesen Stellen kann man entnehmen, wie populär auch bei den Römern der späteren Kaiserzeit die Taubenzucht war. Noch ums Jahr 400 n. Chr. spricht Palladius von Taubentürmen, die man auf dem Herrenhause baue und so einrichte, daß alle Nester inwendig seien. Dabei müßten alle Eingänge so klein sein, daß sich kein Raubvogel hineinwage. Dabei weiß er noch allerlei von uns allerdings sehr skeptisch aufgenommene Ratschläge zu erteilen, so sagt er: „Um die Tauben vor Wieseln zu sichern, wirft ein Mann ganz heimlich, ohne daß es jemand sieht, einen blattlosen Dornbusch oder einen Haufen altes Spartgras in das Taubenhaus. Um sie vor dem Tode zu schützen und damit sie nicht in andere Taubenschläge übersiedeln, hängt man in alle Eingänge etwas von dem Strick, mit dem ein Mensch gehängt wurde. Die Tauben bringen sogar noch fremde mit, wenn man sie fleißig mit Kümmel füttert.“ Heute rät man zu letzterem Zwecke Anisöl in die Taubenschläge zu bringen, für das die Tauben tatsächlich eine große Vorliebe hegen.

Auch bei den Römern, die als Realisten sich nicht scheuten, die Tauben trotz ihrer althergebrachten Heiligkeit zu verspeisen, waren sie der Liebesgöttin Venus geweiht. Man dachte sich ihren Wagen von weißen Tauben gezogen, wie schon die Griechen erzählten. Es sei hier nur an die Ode an Aphrodite erinnert, die die berühmteste Dichterin des Altertums, die aus vornehmem lesbischem Geschlechte stammende Sappho zu Beginn des 6. vorchristlichen Jahrhunderts verfaßte und die in Geibels Nachdichtung folgendermaßen beginnt:

„Die du thronst auf Blumen, o schaumgeborene,

Tochter Zeus, listsinnende, hör mich rufen,

Nicht in Schmerz und bitterer Qual, o Göttin,

Laß mich erliegen.

Sondern huldvoll neige dich mir, wenn jemals

Du mein Flehn willfährigen Ohrs vernommen,

Wenn du je, zur Hilfe bereit, des Vaters

Halle verlassen.

Raschen Flugs auf goldenem Wagen zog dich

Durch die Luft dein Taubengespann, und abwärts

Floß von ihm der Fittiche Schatten dunkelnd

Über den Erdgrund.

So dem Blitz gleich stiegst du herab und fragtest,

Sel’ge, mit unsterblichem Antlitz lächelnd:

‚Welch ein Gram verzehrt dir das Herz, warum doch

Riefst du mich, Sappho?‘“

Wie bei den Griechen diente auch bei den ihnen so vieles entlehnenden Römern der Name Taube, wie Spätzchen und Häschen, als Kosewort; so heißt es bei Plautus u. a.: mea columba. Eine besondere Rolle spielte dann die Taube in der christlichen Kirche. Man findet sie in den ältesten christlichen Katakomben Roms häufig abgebildet. Als reiner, frommer Vogel diente sie früh als Ausdruck der neuen Religion und der damit verbundenen Seelenstimmung, und man glaubte, daß beim Tode des Gläubigen sich dessen Seele als Taube zum Himmel hinaufschwinge, wie einst in ihrer Gestalt der heilige Geist auf die Erde herniederkam. Als der Frankenkönig Chlodwig im Jahre 496 nach Besiegung der Alamannen mit 3000 Franken in Reims zum Christentum übertrat und sich taufen ließ, brachte eine Taube dem Bischof Remigius, wie Hinkmar im Leben des Heiligen erzählt, das Ölfläschchen zu dessen Salbung vom Himmel herab. Seit der Zeit der Kirchenväter herrschte ein allgemeiner Glaube in der Christenheit, daß die Taube keine Galle habe und deshalb so sanft und ohne Falsch sei; daher kommt es, daß schon der St. Galler Mönch Ekkehard in seinen Benediktionen, den Tischgebeten, den heiligen Geist bittet, sein Tier, die „Taube ohne Galle“ für das Verspeisen zu segnen. Gleicherweise preist Walter von der Vogelweide die schöne, sanfte Griechin Irene von Byzanz, die Gemahlin des am 21. Juni 1208 von Otto von Wittelsbach in Bamberg ermordeten deutschen Königs Philipp von Schwaben, als ein rôs âne dorn, ein tûbe sunder gallen.

Wie der Papst besonders verdienten Christen die goldene Tugendrose verschenkte, so verlieh er ihnen auch als Auszeichnung gelegentlich das Bild der Taube, das Symbol des heiligen Geistes. Den Germanen war einst, wie allen Indogermanen, die graue wilde Taube ein düsteres Geschick und den Tod ansagender Vogel. Nicht anders war es bei den Römern, bei denen, wie wir sahen, durch das Herbeifliegen einer Haustaube der bevorstehende Tod des Kaisers Macrinus angekündigt worden sein soll. Ihr trat nun, wie dem Heidentum das Christentum, die anmutige und zärtliche, zutraulich mit dem Menschen lebende und aus seiner Hand das Futter nehmende weiße, fremdländische Taube gegenüber, in deren Gestalt der heilige Geist auf die Erde gekommen sein sollte. Schon letztere Tatsache gab ihr einen Heiligenschein und machte sie in Anknüpfung an altorientalische Vorstellungen zu einem Gegenstand religiöser Verehrung. So werden in Moskau und den übrigen Städten des weiten Rußland Scharen von meist weißen Tauben von den Gläubigen unterhalten und ernährt, und einen der heiligen Vögel zu töten, zu rupfen und zu essen wäre eine große Sünde und würde dem Täter übel bekommen — ganz wie einst zur Zeit Xenophons und Philos in Hierapolis und Askalon. Noch heute wohnen auf den Kuppeln der Markuskirche und auf dem Dache des Dogenpalastes im halbgriechischen Venedig Schwärme von Tauben, die, von niemandem beunruhigt, auf dem Markusplatz ihr Wesen treiben und zur bestimmten Stunde auf öffentliche Kosten ihr Futter gestreut erhalten.

In den beiden letztgenannten Städten sind schon bedeutende orientalische Einflüsse bemerkbar. Im heutigen, mohammedanischen Morgenland hat die Taube durch die Jahrhunderte den Stempel der Heiligkeit bewahrt und wird als Gegenstand religiöser Verehrung in halbwildem Zustande um die Moscheen gehalten. Schon im frühen Altertum geschah dies, wie wir sahen, in den Tempeln der Liebesgöttin. Aber auch sonst stand die Taube in einem gewissen Verhältnisse zum Menschen. Wie in der Genesis erscheint im altbabylonischen Sintflutbericht die Taube (samâmu-summatu) neben dem Raben als Sendling Schamaschnapischtims, des babylonischen Noah, um das nächste Land auszukundschaften. Auf solche Weise haben auch die alten Phönikier und Griechen, wenn sie sich ausnahmsweise einmal aus der Sehweite der Küste entfernten, durch das Aussenden von Tauben das nächste Land erkundet, wie dies die nordischen Wikinge mit gefangen gehaltenen Raben machten. Auch anderwärts wird die Taube in Keilinschriften erwähnt; so heißt es auf einer Tontafel medizinischen Inhalts: „Die Krankheit des Kopfes fliege davon, wie eine Taube in ihren Schlag.“

Wie in Mesopotamien und Syrien wurde auch im alten Ägypten die Felsentaube als Haustier gehalten. Schon zur Zeit der ältesten Dynastien finden wir sie, wie erwähnt, unter dem Hausgeflügel abgebildet, doch trat ihre Zucht damals gegenüber derjenigen der dort einheimischen Nilgans stark zurück. So ist auf einem Grabe eine vom Menschen gefütterte Schar Tauben dargestellt. Auf einem andern heißt es zwar: „Die Taube holt sich Futter“, während daneben steht: „Die Gans wird gefüttert“ und „die Ente erhält zu Fressen.“ Mit dieser sich selbst das Futter holenden Taube ist sehr gut die Feldtaube charakterisiert, die heute noch im Niltale, wie im Morgenlande überhaupt, in halbwildem Zustande auf alten ruhigen Gebäuden, Tempeln und in für sie errichteten Türmen gehalten wird. Zum Nisten dienen ihr hoch übereinandergeschichtete eiförmige Töpfe, die mit Nilschlamm oder Mörtel miteinander verbunden wurden. Jeder Topf ist an dem nach außen gekehrten Ende etwas durchbrochen, um Luft und Licht durchzulassen. Der Eingang für die Taube befindet sich aber an der innern Seite. Von hier aus wird auch alljährlich der angesammelte Mist als das einzige von den Tieren Benutzte zusammengekratzt, um als wertvoller Dünger besonders für die Melonenkulturen verwendet zu werden. Dieser Taubendünger ist für den Orientalen deshalb so wertvoll, weil in dem holzarmen Lande der Mist der pflanzenfressenden Haustiere als Brennmaterial benutzt wird. Der verstorbene Ägyptologe Brugsch Pascha berichtet von seiner Reise nach Persien, daß die berühmten Melonen von Isfahan in Persien wesentlich dem reichlichen Taubendünger, den sie erhalten, ihre Vorzüglichkeit verdanken. Schon im Altertume gab es übrigens da, wo wir solchen noch heute begegnen, derartige Taubentürme. So werden sie schon im Alten Testament bei Pseudo-Jesaias 60, 8 erwähnt, der sagt: „Wer sind die, welche fliegen wie die Wolken und wie die Tauben in ihren Wohnkammern?“ Auch auf der späteren Königsburg in Jerusalem, die im Jahre 70 n. Chr. im allgemeinen Brande unterging, waren nach Josephus „viele Türme mit zahmen Tauben.“

Nach der Sage wurde die Taube für die Mohammedaner deshalb ein heiliger Vogel, weil eine solche, die sich durch seinen Eintritt in die Höhle, in der sie brütete, nicht stören ließ, den Propheten Mohammed auf seiner Flucht vor der Gefangennahme durch die ausgesandten Häscher schützte. Deshalb wird sie überall in der mohammedanischen Welt in halber Wildheit gehalten, ohne irgend welchen Nutzen aus ihr zu ziehen. Einzig ihr Mist wird, wie oben gesagt, als Düngmittel verwendet. Von den ebenfalls halbwilden, auf öffentliche Kosten oder von den Gläubigen ernährten Tauben des Kreml in Moskau und der Markuskirche in Venedig wird nicht einmal dieser verwendet. Ebenso ist es in den mohammedanischen Moscheen und in den siamesischen Pagoden. „Taube der Moschee“ zu heißen, ist ein lobendes Prädikat für einen frommen Moslem. In Indien und China hat sich ohne allen europäischen Einfluß schon in alter Zeit eine namhafte Taubenliebhaberei entwickelt, die früh zur Züchtung verschiedener Kulturrassen führte. So wird vom mächtigen Eroberer mohammedanischen Glaubens, dem Großmogul Akbar dem Großen, der von 1556 bis 1605 regierte, berichtet, daß er sich persönlich mit ihrer Zucht abgab und an seinem Hofe über 20000 Tauben hielt. Um seine Arten zu vermehren, ließ er sich von den Herrschern in Iran und Turan seltene Rassen senden. So besaß er schließlich bereits 17 verschiedene Taubenrassen. In Syrien soll es heute noch mehr Taubenfreunde und -Züchter geben als selbst in England, das in der Zucht dieses Haustieres Großes geleistet hat. Auch die Chinesen haben Freude an der Taube und halten sie gern. Dabei schützen sie ihre Taubenschwärme durch das Anbringen kleiner Pfeifen aus Bambus, die dann beim Fliegen durch schwirrende Töne die Raubvögel abhalten sollen. Dieser Gebrauch ist auch bei den Japanern üblich, die dieses Haustier, wie so vieles andere, von den Chinesen übernahmen.

Während auch die Ostasiaten als Feinschmecker junge Tauben gern essen, tun dies die christlichen Abessinier nicht aus religiöser Scheu, da die Taube als Sinnbild des heiligen Geistes bei ihnen als heiliges Tier gilt. Man findet sie deshalb in jenem Lande häufig in der noch dort geübten byzantinischen Kunst abgebildet. Die abessinischen Juden müssen für ihre vorgeschriebenen Opfer wilde Tauben fangen, wie das in der älteren Zeit im Judentum auch bei den Turteltauben der Fall war. Auch in den Haussaländern ist sie geschützt wie in allen dem Islam huldigenden Ländern. Durch die Araber wurde sie dann den Negern Ostafrikas gebracht, die sie teilweise willig annahmen. So werden sie in Unjamwesi in großen Schlägen aus Rindenschachteln gehalten, worunter auch viele weiße. Bis zum Jahre 1883 hatten sie sich bis in das Herz des schwarzen Kontinents, zum Flusse Lulua, verbreitet.

Mit den Europäern gelangte die Taube natürlich auch nach Amerika und Australien, wo sie vollständig eingebürgert wurde. An zahllosen Stellen ist die Taube verwildert und hat mehr oder weniger die Färbung ihrer wilden Vorfahren angenommen, so besonders in den Mittelmeerländern und auf vielen ozeanischen Inseln. Auf den Azoren flossen bei den verwilderten Tauben die weißen Flügelbinden zusammen. Das gab den Ornithologen Gelegenheit, eine neue Unterart aufzustellen, wie deren durch künstliche Auslese und zielbewußte Zucht zahlreiche durch den Menschen willkürlich geschaffen wurden.

Schon im Altertum entstanden die Stammformen der meisten heutigen Taubenrassen im Morgenlande, um dann nach dem Abendlande verbreitet zu werden. So war schon im Mittelalter die Zahl der in Europa bekannten Taubenrassen beträchtlich. Man züchtete damals bereits in den Niederlanden eigene Rassen, zu denen durch die Einfuhr aus dem Orient stets neue hinzukamen. Von den Niederlanden, die im 15. Jahrhundert das kultivierteste Volk Mitteleuropas besaßen, verbreitete sich die Taubenzucht im 16. Jahrhundert über Deutschland, England, Frankreich und die diesen benachbarten Länder. Schon vor dem Jahre 1600 waren die Hauptrassen unserer Haustaube vorhanden; seither gingen einzelne wieder verloren, während andere eine Umbildung erfuhren. In seiner Ornithologie führt der Italiener Ulysses Aldrovandi die um 1600 in Europa gezüchteten Taubenrassen auf, die damals immer noch vorzugsweise in den Niederlanden gezüchtet wurden. Es gab dort besondere Vereine von Taubenzüchtern, die Anregungen in diesem Wirtschaftszweige zu geben bestrebt waren. Trotz der einheimischen Zucht hat aber die Einführung orientalischer Taubenrassen noch nicht aufgehört; denn wie früher ist noch immer das Morgenland das Hauptzuchtgebiet der Taube.

Von der in Westasien zuerst gezähmten Felsentaube sind so zahlreiche Rassen hervorgegangen, daß es schwer hält, sie alle einzureihen. Der wilden Stammform am nächsten stehen die im wesentlichen nur durch ihre Färbung und Zeichnung von ihr verschiedenen Feldtauben, deren Hauptverbreitungsgebiet das westliche Europa ist. Sie haben in ihrer Lebensweise eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt, indem sie von ihrem Nistplatze aus aufs Feld fliegen, um ihr Futter selbst zu suchen. Nur im Winter werden sie gefüttert. In der Regel sind sie glattköpfig, d. h. ohne Haube, und ohne Federhosen an den Beinen. Als Nutzvögel stehen sie wegen ihrem Fleischwert obenan.

An die Feldtauben schließen sich die zahlreichen Spiel- oder Farbentauben an, die durch eigenartige Färbungen und Zeichnungen von konstantem Charakter ausgezeichnet sind. Die meisten von ihnen gehen wie die Feldtauben aufs Feld; doch ist ihre Abhängigkeit vom Menschen größer. Man unterscheidet bei ihnen Lerchen-, Star- und Storchtauben, Schwalben- und Gimpeltauben, Weißschwänze, Weißschläge, Farbenbrüster, Latztauben, Mohren- und andere Farbenköpfe. Die in mehreren Farbenvarietäten auftretende Eistaube besitzt ein wie bereift erscheinendes hell lichtblaues Gefieder. Die gelbliche bis bräunlichrote Mondtaube ist durch eine halbmondförmige Zeichnung auf der Brust charakterisiert. Nahe mit ihr verwandt ist die fahlgelbe Elbe oder Schweizertaube. Die Maskentaube ist ganz weiß mit dunklem Schwanz und halbmaskenartigem Stirnfleck. Dabei ist der Kopf glatt oder mit Haube versehen, die Beine sind glatt oder befiedert.

Die Trommeltauben weichen im Äußeren nicht auffallend von den Feldtauben ab, sie zeichnen sich aber durch ihre Stimme aus, die kein abgesetztes Rucksen, wie die anderer Tauben, sondern ein fortgesetztes Fortrollen ist, wobei das stillsitzende Tier den Kropf etwas aufbläht und mit den Flügeln zittert. Manche Trommeltauben sind am Kopf mit einer Haube und an der Schnabelbasis mit einer Federnelke geziert. Die Füße sind glatt oder befiedert. Die Färbung ist sehr verschieden. Häufig erscheint die Zeichnung gescheckt, auch blau, wie bei der Altenburger Trommeltaube, die besonders in Sachsen sehr beliebt ist. Als der beste Trommler gilt die etwas schwerfällig gebaute russische Trommeltaube, die meist einfarbig schwarz mit stahlblauem, bronzeschimmerndem Halse ist und am großen Kopf Muschelhaube und Federnelke trägt, welch letztere Augen und Schnabel bedeckt.

Bei den Lockentauben erscheint das Gefieder gelockt oder struppig. Das Gefieder ist weich und flaumig und die Deckfedern sind nicht abgerundet, sondern in eine Spitze auslaufend, welche zu einer Locke umgebogen ist. Das Gefieder ist blau bis fahlrot; der Kopf bald glatt, bald mit Haube versehen und die Beine nackt oder befiedert. Am stärksten gelockt ist die österreichische Lockentaube. Weniger hoch sind die Locken bei der holländischen Lockentaube, die fast stets eine Muschelhaube besitzt.

Die Perückentauben sind Tauben mit kurzem, kleinem Kopf, flacher Stirn und eigentümlicher Perücke oder Kapuze, die in der Weise zustande kommt, daß die verlängerten Federn unten am Hals regelmäßig gescheitelt sind, so daß ein Teil die Schultern bedeckt, die Hauptmasse aber sich nach vorn und oben richtet, so daß sie den Kopf hinten vollständig umschließen. Diese Perücke ist eine übermäßige Weiterentwicklung der Kopfhaube, die wir bei vielen Formen antreffen. Sie sind teils einfarbig blau oder weiß, teils „gemöncht“, indem aus der roten, gelben oder schwarzen Grundfarbe der weiße Kopf hervorsticht. Flügel und Schwanz weisen ebenfalls weiße Federn auf. Im allgemeinen sind die Vertreter dieser Rasse durch die gesättigten Töne der Grundfarbe bemerkenswert. Das Wesen dieser Vögel ist auffallend ruhig; sie fliegen nur wenig umher.

Eine kleine, zierliche Rasse, die bei den Taubenliebhabern stark bevorzugt wird und ein sehr weites Verbreitungsgebiet besitzt, sind die Mövchen. Der kleine Kopf mit kurzem Schnabel ist bald glatt, bald behaubt. Vom Kinn verläuft ein faltiger Kehlsack gegen die Brust und der Vorderhals ist mit strahlig angeordneten, abstehenden Federn verziert. Von den zahlreichen Varietäten sind hervorzuheben: das deutsche Schildmövchen mit spitzer Haube, Schildzeichnung und etwas schleppenden Flügeln, dann die durch schöne Haltung, gewölbte Brust, hohe Beine und etwas aufgerichteten Schwanz ausgezeichneten italienischen Mövchen. Die milchblaue Varietät derselben gilt als besonders schön. Sehr geschätzt sind neben den ägyptischen auch die chinesischen Mövchen, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa eingeführt wurden, deren eigentliche Heimat aber nicht sicher ermittelt werden konnte, jedenfalls aber irgendwo in Asien zu suchen ist. Hals und Brust tragen bei dieser Spielart eine sehr umfangreiche Federrosette; außerdem ist oben am Hals noch eine deutliche Krawatte, welche den Kopf umgibt. Die kurzschnäbligen und mit befiederten Füßen versehenen Satinetten oder Atlasmövchen besitzen eine weiße Grundfarbe mit braunroten, schwarz umsäumten Flügeldeckfedern. Sie gehören mit zu den schönsten Tauben und sollen aus dem Orient stammen.

Eine ebenfalls alte Rasse von offenbar ostasiatischer Abstammung sind die nach ihrem pfauenartig aufgerichteten Schwanz so genannten Pfauentauben, die schon vor dem Jahre 1600 in Indien gehalten wurden. Während normalerweise die Zahl der Schwanzfedern bei der Taube 12 beträgt, ist sie bei den heute noch in Asien gezüchteten Pfauentauben auf 14 bis 24, bei den in Europa gezüchteten jedoch auf 28 bis 40 gesteigert worden. Diese sind breit, am Bürzel in 2 bis 3 Reihen angeordnet und werden fächerförmig aufgerichtet getragen, während die Flügel hängen, so daß sie unter den Schwanz zu liegen kommen, ohne sich zu kreuzen. Der lange Hals ist gebogen, so daß der Kopf weit nach hinten zu liegen kommt. Das Gefieder ist verschieden gefärbt, häufig einfarbig blau, weiß oder schwarz.

Die auffallende Gestalt schätzt man an den Kropf- und Huhntauben. Die Kropftauben haben einen gestreckten Körper mit langen Federn meist auch an den Beinen und Füßen. Sie sind durch die Fähigkeit ausgezeichnet, den Schlund enorm aufzublasen und ihn beliebig lange in diesem Zustande erhalten zu können. Auch sie sind offenbar aus Asien zu uns gelangt, sind aber schon lange in Europa eingebürgert, da sie bereits Aldrovandi im Jahre 1600 erwähnt. Als Stammform der besonders in Zentraleuropa und in den Küstenländern der Nord- und Ostsee, nicht aber in den Mittelmeerländern stark verbreiteten Kropftauben gilt die deutsche Kropftaube, die eine bedeutende Körpergröße erlangt und deren Kropf beständig sehr stark aufgeblasen ist. Die hauptsächlich in der Normandie, dann auch im übrigen Nordfrankreich gehaltene französische Kropftaube hat einen fast kugeligen, vom Rumpf abgesetzten Kropf und lange Beine. Ihr Gefieder ist häufig einfarbig weiß, blau oder gelb, auch fahlrot mit braunen Binden. Dagegen niedriggestellt in den Beinen und überhaupt zwergartig ist die holländische Ballonkropftaube, deren Kopf wie bei den Pfauentauben zurückgebogen ist. Deren ballonartiger Kropf nimmt im aufgeblasenen Zustande die Hälfte der Taube ein. In der äußeren Haltung und Bewegung dem Huhn ähnlich, auch durch bedeutende Größe ausgezeichnet, sind die Huhntauben. Am gedrungenen, vorn gerundeten Rumpf mit kurzen Flügeln und kleinem, aufrecht getragenem Schwanz sitzt auf langem, kräftigem, gebogenem Hals der stets unbehaubte Kopf mit kurzem Schnabel. Ihr Steiß ist dicht mit Flaum besetzt. Diese Taubenart ist der Pfauentaube nahe verwandt und stammt vermutlich wie die letztere aus Ostasien. Eine typische Rasse ist die Maltesertaube, die in Vorderindien stark gezüchtet wird und dort heimisch ist, vermutlich aber über Malta zu uns gelangte. Ihre äußere Erscheinung ist etwas vierschrötig, die Brust voll und der sehr kurze Schwanz steil aufgerichtet. Ihr nahe verwandt ist der Epaulettenscheck, ebenfalls ein Produkt südasiatischer Zucht, das ziemlich früh nach Europa gelangte. In Italien wurde sie unter dem Namen Tronfo bekannt. Sie trägt meist dunkles Gefieder mit weißer Zeichnung an Kopf und Flügeln.

Ebenfalls südasiatischer Herkunft sind die Tümmler- oder Purzlertauben, so genannt, weil sie die seltsame Gewohnheit angenommen haben, sich während des Fluges durch die Luft rückwärts zu überschlagen. Daneben gibt es auch solche Typen, die auf dem Boden purzeln. Ein guter Tümmler überschlägt sich schon beim Aufsteigen und führt seine eigentümliche Bewegung in der Weise aus, daß er die Flügel über dem Rücken zusammenschlägt, sich rückwärts überwirft und dann mit einem kräftigen Flügelschlag wieder in die frühere Flugrichtung einlenkt. Auch beim Kreisen wird das Purzeln ausgeführt, doch zeigt der Vogel seine Kunst nur bei Wohlbefinden. In der Mauser oder in entkräftetem Zustande versagt er, ebenso an fremdem Ort, bis er sich genügend eingelebt hat. Ganz gute Vögel tümmeln zwei- bis dreimal in rascher Aufeinanderfolge. Meist sind die Tümmler von geringer Körpergröße mit kleinem, zierlichem Kopf und langem, mittellangem oder kurzem Kopf und befiederten oder glatten Füßen. Hinsichtlich der Zeichnung sind Weißschwanz-, Elster- und Scheckzeichnung häufiger als bei anderen Rassen. Von charakteristischen Tümmlern mögen die gehaubten Kalotten und Nönnchen, die preußischen Weißkopftümmler, die Kopenhagener Elstern, die englischen Baldheads, die kurzschnäbeligen Barttümmler und die Königsberger Mohrenkopftümmler hervorgehoben werden.

Die Warzentauben sind kräftig gebaute, meist einfarbige Tauben mit einer warzenartigen Wucherung an der Schnabelbasis und oft auch noch am Augenring. Der Kopf ist in der Regel ohne Haube, die Füße sind glatt, die Farben gesättigt, doch die Neigung zu Gefiederzeichnung gering. Die Rasse stammt aus dem Orient und die einzelnen Schläge werden häufig unter dem Sammelnamen „türkische Tauben“ zusammengefaßt. Sie heißen auch Bagdette, weil sie in Bagdad zuerst gezüchtet worden sein sollen oder wenigstens von dort zu uns kamen. Von den bekannteren Schlägen ist zunächst die französische Bagdette zu nennen. Bei ihr ist der gedrungene Körper mit knapp anliegendem blauem, weißem oder geschecktem Gefieder bedeckt. Die Haltung ist aufrecht. Der starke Schnabel ist etwas gekrümmt, die rosenrote Schnabelwarze ist sehr umfangreich. Die kräftigen Beine sind karminrot. Trotz dem Namen wird diese Rasse in Frankreich selten gehalten. Auch die Nürnberger Bagdette ist wenig verbreitet. Der glatte Kopf trägt einen langen, stark gekrümmten Schnabel, an dessen Basis ein mäßig umfangreicher Warzenhöcker sitzt. Zu den geschätztesten englischen Zuchttauben gehört die englische Bagdette oder Carrier. Die Stammrasse ist im Orient weit verbreitet und wurde vor etwa 200 Jahren in Europa importiert und von englischen Züchtern veredelt. Die Färbung ist schwarz, braun, blau oder weiß, der Schnabel lang und gerade, die Schnabelwarze enorm, bis zur Größe einer Walnuß entwickelt, daneben sind die warzigen Augenringe sehr umfangreich. Die Indianer- oder Berbertaube ist schwarz, braun oder gelb, selten blau befiedert, der Schnabel kurz, das große Auge mit weißer Iris von einem mächtigen, rotgefärbten Warzenring umgeben. Auch sie stammt aus dem Orient und wurde von Nordafrika aus nach England, Holland und Deutschland eingeführt. Durch Pinselhaare am Hals ist die in Italien stark verbreitete römische Taube ausgezeichnet. Diese wird wegen ihrer bedeutenden Größe auch Riesentaube genannt. Zu dieser Gruppe gehören auch die Korallenaugen, die Syrier, Kurdistaner und andere, deren Name schon auf die orientalische Herkunft hinweist.

Ebenfalls aus dem Morgenlande wurden die Brieftauben bei uns eingeführt, die triebartig stets zu ihrem heimatlichen Schlage zurückkehrt und denselben auch dank ihrem hochentwickelten Orientierungsvermögen auf sehr große Entfernungen hin mit Sicherheit findet, wobei sie per Minute einen Kilometer zurücklegt. Selbst längere Internierung an einem fremden Orte schränkt ihren Heimatstrieb nicht ein; so vermag sie selbst nach sechs Monaten wieder ihren heimatlichen Schlag zu finden. Diese Eigenschaft, die durch ihre außerordentlich scharfen Sinne bedingt wird, hat ihr eine wichtige Rolle im Kriegsdienst gesichert, weil sie, wenigstens vor der Zeit der drahtlosen Telegraphie, oft das einzige Mittel zur Besorgung des Nachrichtendienstes bot. Auch von der hohen See aus kann sie Meldungen nach dem Lande überbringen. In wichtigen Fällen wird man, wenn sie zum Depeschendienst verwendet wird, mehrere Brieftauben mit denselben Nachrichten, die man in leichten Federspulen an der Schwanzbasis befestigt, absenden, da Raubvögel gelegentlich solche Tauben wegfangen und man so sicherer ist, seinen Zweck zu erreichen. Neuerdings hat man sie auch zu photographischen Aufnahmen des feindlichen Geländes benutzt, indem man ihr einen leichten Photographenapparat mit selbsttätigem Belichter um die Brust hing. Von den in Europa weiter gezüchteten Schlägen sind am bekanntesten und geschätztesten die Antwerpener, Lütticher und Brüsseler Brieftaube. Ihr Gefieder ist vorwiegend blau mit dunkeln Flügelbinden.

Außer der Felsentaube ist nur noch eine Taubenart, eine Lachtaube (Columba risoria), ebenfalls in Asien zu einem Hausvogel erhoben worden. Indessen gibt es außer den Hauslachtauben, die den wilden Lachtauben sehr ähneln und die große Mehrzahl bilden, nur noch weiße Lachtauben; aber auch sie tragen das schwarze Genickband des wilden Stammes. Der Leucismus dieser Vögel beweist, daß sie schon längere Zeit in des Menschen Pflege sein müssen. Erst im 17. Jahrhundert kamen sie aus China oder Indien nach Europa, wo sie jedoch nur beschränkte Verbreitung fanden. In ihrer Heimat Asien aber scheinen sie ihres angenehmen Wesens wegen vielerorts gezüchtet zu werden. Der Lieblingsaufenthalt dieser Vögel sind dürre Steppen, in denen sie ihr Lachen und Girren aus fast jedem Busche hören lassen. Doch haben sie sich trotz ihrer angeborenen Scheu teilweise auch schon an den Menschen gewöhnt. So genießen Lachtauben in Konstantinopel das Privilegium, von jeder Kornladung ihren Tribut in Anspruch nehmen zu dürfen.

Von den übrigen Taubenarten ist keine einzige in Abhängigkeit vom Menschen geraten. Zwar haben schon die alten Römer wilde Ringel- und Turteltauben gefangen und gemästet, um sie als leckeren Braten zu verzehren; aber zu Haustieren sind sie damals nicht erhoben worden. Seit der ältesten Zeit haben die Dichter die durch Vorderasien und das gemäßigte Europa verbreitete Turteltaube (Columba turtur) wegen ihres klangvollen Rucksens und der ehelichen Zärtlichkeit, mit der Männchen und Weibchen aneinander hängen, besungen. Weil sie auch leicht zu fangen und in Gefangenschaft zu erhalten war, ist sie auch zu allen Zeiten und überall vielfach gehalten worden; aber sie scheint sich in der Gefangenschaft nicht fortgepflanzt zu haben, so daß sich ihrer Haustierwerdung erhebliche Schwierigkeiten entgegenstellten. In halber Freiheit aber pflanzt sie sich willig fort, und so haben sie schon die alten Römer gehalten. So berichtet Varro in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts v. Chr.: „Für Turteltauben baut man auch ein besonderes, demjenigen für Haustauben bestimmten ähnliches Gebäude, gibt ihnen aber offene Nester und füttert sie mit trockenem Weizen. Sie ziehen zur Erntezeit viele Junge und diese lassen sich schnell mästen.“

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