XXIII. Der Seidenspinner.

Außer der Honigbiene kommt unter allen Insekten wirtschaftlich nur noch der Maulbeer-Seidenspinner (Bombyx mori) als wichtiges Nutztier des Menschen in Betracht. Und zwar steht er in Ostasien schon so lange unter der Fürsorge des Menschen, daß er im Gegensatz zur Biene sich im Laufe der Zeit zu einem echten Haustier umbildete und deutliche Einwirkungen der Domestikation erkennen läßt. Ja, er ist unter der Pflege des Menschen so unselbständig geworden, daß seine Raupe nicht mehr ihr Futter selbst findet, wenn sie nicht von jenem daraufgesetzt würde. Raupen, die im Freien aufgezogen werden und vom weißfrüchtigen Maulbeerbaum (Morus alba), ihrer ausschließlichen Futterpflanze, herunterfallen, finden den Weg zu den beblätterten Zweigen nicht mehr. Sie klettern nicht wie andere Raupen den Stamm hinauf, um zu ihrem Futter zu gelangen, sondern irren planlos umher und verhungern schließlich. So sehr sind sie durch ungezählte Generationen hindurch gewöhnt worden, von ihrem Pfleger auf die beblätterten Zweige gesetzt zu werden, daß sie den angeborenen Instinkt der wildlebenden Vorfahren verloren haben. Die lange Dauer der Domestikation und namentlich die Aufzucht in geschlossenem Raume ist auch anderweitig nicht ohne Einfluß auf den Seidenspinner gewesen. Das Geschlechtsstadium, der Schmetterling, hat viel von seinem Flugvermögen eingebüßt; er schwirrt mehr statt zu fliegen, während die meisten Verwandten sehr fluggewandt sind. Neben größeren Formen sind auch Zwergformen gezüchtet worden und solche mit einer doppelten Generation im Jahr, während das Tier ursprünglich nur eine Generation jährlich aufwies. Auch zeigen die Kokons sowohl in der Größe wie in der Färbung erhebliche Unterschiede; es gibt unter ihnen weiße, goldgelbe und grüne Farbennuancen.

Der unscheinbare Falter von 4–5 cm Spannweite ist an Körper und Flügeln schmutzigweiß mit drei gelbbraunen Wellenlinien über letzteren und gekämmten schwarzen Fühlern in beiden Geschlechtern. Die Vorderflügel erscheinen am Außenrand wie ausgeschnitten und haben gegen die Spitze zu sichelartige Fortsätze. Die Neigung der Falter, sich bald nach dem Ausschlüpfen aus der Puppe zu paaren, deutet darauf hin, daß der kurzlebige Imagozustand lediglich die Aufgabe hat, für die Erhaltung der Art zu sorgen. Nahrung wird in demselben nicht aufgenommen, womit die geringe Entwicklung der Mundwerkzeuge im engsten Zusammenhange steht. Das dickleibige, größere Weibchen läßt sich unschwer vom schmächtigen Männchen unterscheiden. In ihm sind die Eier in den paarigen, jederseits aus vier langen Eischläuchen bestehenden Eierstöcken perlschnurartig aufgereiht. Im Herbst legt das Weibchen durchschnittlich 500 mohnkorngroße Eier, von denen 1450 auf 1 g gehen. Sie sind erst strohgelb, verfärben sich später und werden schiefergrau. In der Regel kommt jährlich nur eine Generation zur Entwicklung. Aus den überwinterten Eiern schlüpfen im Frühjahr, sobald der weißfrüchtige Maulbeerbaum junge Blätter treibt, die kleinen nackten, anfangs dunkelbraunen, später weißlichgrauen Raupen aus, welche am zweiten und dritten Ringe merklich aufgetrieben sind und namentlich wegen ihres Hornes am Leibesende, am elften Ringe, große Ähnlichkeit mit einer Schwärmerraupe haben. Sie verfügen wie alle Raupen über einen sehr guten Appetit und fressen, wie die Chinesen behaupten, an einem Tage das zwanzigfache ihres Gewichtes an Maulbeerblättern. Man rechnet, daß 10000 Raupen während der 32 Tage ihres Raupenlebens etwa 200 kg Maulbeerblätter verzehren. Die Nahrung wird rasch umgesetzt und außer zum Wachstum zur Aufspeicherung von Reservestoffen für die Verwandlung in den Falter verwendet. Die rasch wachsende Raupe wechselt ihr Chitinkleid wiederholt, und bis zur Verpuppung erfolgen fünf Häutungen. Die erste Häutung erfolgt nach fünf, die zweite nach weiteren vier, die dritte nach weiteren sechs und die vierte nach weiteren sieben Tagen. Die letzte Hülle wird erst innerhalb des Gespinstes vor der Verpuppung abgestreift. Jedesmal vor der Häutung setzt sie mit dem Fressen aus und gibt sich der Ruhe hin; nach absolvierter Häutung beginnt sie wieder zu fressen und setzt diese Arbeit so lange fort, bis ihr das Kleid zu eng geworden ist und sie eines weiteren bedarf, was durch erneute Häutung bewerkstelligt wird.

Die Raupe des Seidenspinners ist wohl die vollendetste aller Spinner. Die außerordentlich entwickelten Spinnschläuche liegen neben dem Darm und bilden das Hauptorgan in der Leibeshöhle. Im spinnreifen Zustande schimmern sie durch die dünne Chitindecke des Leibes hindurch und erreichen im ausgestreckten Zustand eine Länge von 3⁄4 m. Die fein ausgezogenen Spinnschläuche münden auf der Unterlippe und ermöglichen es der Raupe aus ihrem zähflüssigen, gelblichen Inhalt einen feinen Seidenfaden von etwa 3000 m Länge zu spinnen. Derselbe ist völlig strukturlos und besteht aus 66 Prozent stickstoffhaltiger Seidensubstanz, Fibroin genannt, und 33 Prozent Bast, einer Sericin genannten leimartigen Substanz, die die Farbe enthält und die Seide rauh, hart und steif macht. Beginnt die Raupe das Gespinst anzulegen, so drückt sie die Unterlippe gegen eine Unterlage, etwa einen dargereichten Zweig, und zieht mit eigentümlichen Kopfbewegungen den zähen, an der Luft sofort erhärtenden Spinnstoff aus den Röhren heraus, wobei der Faden natürlich doppelt wird. Erst wird ein lockeres Gespinst von sogenannter Flockseide angelegt, später der feste Kokon in regelmäßigen Achtertouren gesponnen. Die braune Puppe ruht in der seidenen Hülle, die sie zum Schutze gegen Feinde und schädigende äußere Einflüsse in etwa 31⁄2 Tagen um sich herum gesponnen hat, 14–18 Tage lang, um sich während dieser Zeit zum geflügelten Geschlechtstier, der Imago, zu entwickeln. Sobald der Schmetterling fertig ausgebildet ist, reißt er an einem Pol die vorher durch ein verdauendes Ferment aufgeweichte Puppenhülle durch, schlüpft aus und läßt die Flügel erstarren, ohne aber Flugversuche zu unternehmen. Doch so weit läßt es der Mensch in der Regel gar nicht kommen, außer wenn er die Gewinnung von Eiern, sogenannten Grains, zur Fortpflanzung des Seidenspinners beabsichtigt. Da die Kokons abgehaspelt werden müssen, um die Seidenfäden, auf die es der Mensch abgesehen hat und deretwegen er das Tier überhaupt in Pflege genommen hat, zu gewinnen, so wird das Ausschlüpfen des Falters verhindert, indem man die Puppe durch Anwendung von Hitze oder dem giftigen Schwefelwasserstoff tötet.

Bevor der Mensch die Seidenspinnerraupe zur Gewinnung von Seide selbst züchtete, sammelte er deren Kokons auf den Bäumen, von deren Blättern sie sich ernährte. Später trieb er eine wilde Zucht, indem er die Raupen auf bestimmten, in der Nähe seiner Wohnung zu diesem Zwecke gepflanzten Bäumen ansiedelte und hegte, um dann nach deren Einpuppung Ernte zu halten. Diese wilde Zucht wird noch im Norden Chinas, besonders aber in Indien betrieben, in welch letzterem Lande sie noch wichtiger als die häusliche Zucht ist, bei welcher die Raupen in geschlossenen Räumen gehalten und mit vom Maulbeerbaume gepflückten Blättern gefüttert werden. Diese engere Zucht ist in China zuerst eingeführt worden und hat sich von da über zahlreiche Länder der Erde verbreitet. Sie ist jedenfalls in jenem Lande eine uralte, da dort schon im hohen Altertum vom Kaiser und seinem Hofe wie auch von den Vornehmen seidene Gewänder neben den älteren wollenen und leinenen getragen wurden. Nach der Sage soll die Gattin des Kaisers Huang-li im 26. Jahrhundert v. Chr. als erste die Seidenraupe genährt und nach deren Einpuppung mit ihren Fingern, d. h. ohne Zuhilfenahme einer Maschine, die Seidenfäden von den Kokons abgehaspelt haben. In Peking ist ihr ein innerhalb des verbotenen, vom Kaiser und seinem Hofe bewohnten Stadtteils gelegener Tempel geweiht und dort werden ihr alljährlich einmal von der Kaiserin und ihrem ganzen Hofstaat Opfergaben dargebracht. In feierlichem Aufzuge begiebt sie sich dahin. Im Tempelgarten schneidet sie eigenhändig mit einer goldenen Schere Blätter des weißfrüchtigen Maulbeerbaums ab, während die sie begleitenden Hofdamen dies mit silbernen Scheren besorgen. Damit werden dann die Seidenraupen im Innern des Tempels gefüttert. Dann werden der Kaiserin und deren Hofdamen von den Priestern Kokons dargereicht, von denen sie mit den Fingern die Seide abzuwickeln versuchen. Und wie in der Hauptstadt durch die Kaiserin, so wird in den Provinzialstädten durch die Frauen der betreffenden Mandarine, die der Stadt vorstehen, ein solches Fest zu Ehren der vergöttlichten Gattin des Kaisers Huang-li, der Schutzgöttin der Seidenraupenzucht, gefeiert. Bis vor kurzem zog auch die Kaiserin mit ihren Hofdamen, wie auch die Prinzessinen, Seidenraupen. Heute geschieht dies allerdings nicht mehr. Gleichwohl ist bis auf den heutigen Tag die Aufzucht der Seidenraupe überall in China eine Beschäftigung der Frauen, während der Ackerbau Sache der Männer ist.

Die beste chinesische Seide wird in der Provinz Tsche-kiang hergestellt. Die Hauptstadt derselben, Hang-tschou, ist gleichzeitig das Handelszentrum für Seidenbau und Fabrikation von Seidenstoffen, wie heute Lyon für Europa. Die Seidenraupenzucht wird dort von den Bauern im kleinen betrieben. Wie unsere Bauern ihre eigenen Kartoffeln und Rüben auf ihren Äckern pflanzen, so pflanzt auch jeder Bauer in der Provinz Tsche-kiang seinen Reis und Tee und zieht seine Seidenraupen, die ihm nicht nur zur Lieferung von Seide, sondern auch zur Nahrung dienen. Sind nämlich die Kokons abgebrüht und die Seidenfäden abgewickelt, so werden die durch das Brühen getöteten Puppen als leckere Speise verzehrt. Für die Zucht der Seidenraupe werden natürlich immer nur die größten und vollkommensten Kokons verwendet. Schon am ersten Tage, nachdem sich der Falter durch die seidene Hülle des Kokons gebohrt hat und ans Tageslicht getreten ist, legt er nach erfolgter Paarung — oft aber auch ohne diese — auf einen großen Bogen groben Papiers, auf den man ihn gesetzt hat, seine gegen 500 winzige Eier ab. Diese Papierbogen werden nun sorgfältig in reines Wasser getaucht und auf horizontalen Bambusstangen zum Trocknen aufgehängt. Dort bleiben sie den Sommer und Herbst über bis zum Dezember und werden dann in einem reinen, staubfreien, sonnigen Zimmer auf den Boden gelegt. Im Februar werden die Eierbogen nochmals dadurch gewaschen, daß man sie eine Zeitlang mit warmem Wasser übergießt. Dies geschieht wohl auch deshalb, um ein möglichst gleichzeitiges Auskriechen der Raupen zu erzielen. Sobald die jungen Räupchen ausgekrochen sind, bekommen sie Maulbeerblätter, die alle 2–3 Stunden neu gestreut werden. Sie dürfen aber weder vom Regen noch vom Tau naß sein. In den Raupenzimmern legt man die Blätter auf Papierbogen oder Matten auf Hürden, wobei man nach der ersten Häutung das Lager mit den Exkrementen und unverbrauchten Blattresten täglich entfernt. Zu dem Zwecke legt man Netze oder durchlöchertes Papier auf die Raupen. Sehr bald kriechen sie hervor und können auf neue, saubere Hürden übertragen werden. Das alte Lager wird aufgerollt und hinausgeschafft. Mit dem Größerwerden der Raupen müssen ihnen natürlich immer größere Räume zur Verfügung gestellt werden. Am 32. Tage nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei, wenn die Raupen aufhören zu fressen und man sieht, daß sie sich zum Verpuppen vorbereiten, hängt man in den Raupenhäusern lose Strohbündel auf und setzt auf jedes derselben 70–80 Raupen. Die Strohhalme geben ihnen den nötigen Halt, um sich einzuspinnen. Nach spätestens fünf Tagen haben sie sich aus den zarten Seidenfäden ihre Kokons gesponnen. Alsbald werden diese von den Strohhalmen abgelöst, auf Bambusmatten gelegt und der Hitze von Kohlenfeuern ausgesetzt, welche die Puppen tötet. In großen Betrieben benutzt man dazu backofenartige Kammern, in denen die erhitzte Luft das Töten der Puppen besorgt. Nun werden die Kokons sorgfältig sortiert und in flachen Körben in heißes Wasser gelegt, um das Seidengespinst zu lockern und die Fäden abhaspeln zu können. Nach dem Erweichen in Wasser von 90–100° C. bringt man sie in solches von 60–70° und schlägt sie mit einer von Hand oder in größeren Betrieben in Europa durch einen Exzenter auf und ab bewegten Bürste, um die oberflächliche Flockseide zu lösen und die Anfänge des Seidenfadens zu gewinnen. Hierauf gelangen sie in einen Trog mit Wasser von 50–60° und werden nach Vereinigung mehrerer Fäden zu einem Rohseidenfaden abgehaspelt. Während in China die Seidenfäden mit den primitivsten Mitteln gewonnen werden, benutzt man dazu in den Kulturländern Europas, die sich mit Seidenzucht abgeben, großartige maschinelle Einrichtungen. Die Rohseide wird dann auf besonderen Maschinen gezwirnt, indem man mehrere, meist 5–7 Fäden durch Zusammendrehen vereinigt. Von den 3000 m Seidenfaden, aus denen ein ganzer Kokon besteht, gewinnt man nur etwa 300–600, ausnahmsweise auch 900 m brauchbare Seide. Dabei wiegen 500–600 Kokons 1 kg und etwa 10 kg derselben liefern 1 kg gesponnene Seide, die an Haltbarkeit jede Pflanzenfaser übertrifft. Da nun aber diese Rohseide hart, steif und ohne Glanz ist, wird sie durch Kochen mit Seifenlauge zur Entfernung des Bastes „entschält“; dadurch wird sie nicht nur glänzend und weiß, sondern auch leichter und besser färbbar.

Von allen Städten Chinas ist das in einer tief sich ins Land hinein erstreckenden Bucht an der Küste südlich von Schang-hai gelegene Hang-tschose durch seine Seidenindustrie am berühmtesten. Ganze Quartiere werden hier von Seidenwindern und -spinnern eingenommen, die Tag für Tag ohne Unterbrechung ihrem Gewerbe obliegen und sich nur an 3 oder 4 Tagen im Jahr, am Neujahrsfest, Ruhe gönnen. Der größte Teil der Erzeugnisse dieser Stadt wird im Inlande abgesetzt, da die reichen und vornehmen Chinesen sich von jeher mit Vorliebe in Seidengewänder kleiden, die sehr kunstvoll mit prächtigen Stickereien hergestellt werden. Die gesamte Ausfuhr der Provinz Tsche-kiang beläuft sich nur auf 400 Pikuls (= 25000 kg) jährlich im Werte von 1⁄4 Million Taels (= 11⁄2 Millionen Mark). Am meisten Seide wird aus Han-kau, im Herzen Chinas am Yang-tse-kiang oder blauen Flusse gelegen, ausgeführt. Hier erreicht ihr Wert etwa 24 Millionen Mark im Jahr. Ebenso viel exportiert Kau-tau, dann folgen der Reihe nach Tschi-fu und I-schang. Der Gesamtexport Chinas beträgt im Jahre etwa für 150–160 Millionen Mark.

In den nördlichen Provinzen Chinas sowie in der Mandschurei werden die Seidenraupen nicht mit Maulbeerblättern, sondern mit Eichenlaub, bei uns in Europa auch mit den Blättern der Schwarzwurzel (Scorzonera hispanica), großgezogen. Man läßt dort die Raupen auf den Bäumen, wo sie sich selbst ernähren. Hier bleiben sie ohne Pflege und besonderen Schutz, bis sie sich eingesponnen haben. Die Frühjahrkokons werden nicht eingeheimst; man läßt aus ihnen die Falter auskriechen und sich vermehren. Erst die Herbstkokons werden geerntet und auf Seide verarbeitet. In diesen nördlichen Provinzen, wie auch im Stromgebiet des Yang-tse-kiang, sind die Krankheiten der Seidenraupe, welche in Frankreich und Italien so große Verheerungen anrichten, unbekannt; dagegen sind sie in Tsche-kiang schon aufgetreten. Trotzdem liefert China unzweifelhaft auch heute noch die meiste Rohseide; und wollten die Chinesen endlich die bewährten europäischen Erzeugungsmethoden annehmen, so würde es ihnen leicht werden, den sich in letzter Zeit äußerst stark geltend machenden japanischen Wettbewerb aus dem Felde zu schlagen und ihre schon jetzt so großen Einnahmen zu verdoppeln. Daß dies in verhältnismäßig naher Zukunft der Fall sein wird, daran ist nicht im geringsten zu zweifeln.

Wie die Chinesen den Seidenspinner zum eigentlichen Haustier erhoben, haben sie auch die Seidenraupenzucht im Altertum als ihr ausschließliches Monopol eifersüchtig gehütet. Dieses Monopol wurde zum erstenmal, soweit wir wissen, im Jahre 140 v. Chr., durch eine chinesische Prinzessin durchbrochen. Solche wurden schon damals als Opfer der Politik zur Einleitung freundschaftlicher Beziehungen oder zur Befestigung bestehender Bündnisse gewissermaßen als Ehrengeschenke Fürsten der angrenzenden Länder gegeben. Eine solche brachte die Zucht der Seidenraupe aus dem Herzen Chinas nach der uralten Kulturoase Chotan am nördlichen Abhange des Kuen-lün oder Himmelsgebirges. Von Kind auf mit der Aufzucht dieses Tieres vertraut, wollte sie es als teure Erinnerung an die ferne Heimat mitnehmen. Das durfte sie aber nur ganz im Verborgenen tun, und so schmuggelte sie Eier des Seidenspinners in ihrem Kopfputz verborgen über die Grenze.

Schon lange vorher waren Kleidungsstücke und Stoffe von in China bereiteter Seide als wertvolle Tauschmittel nach dem Auslande gebracht worden, zumal nach dem reichen Indien, wo solche früher schon an den Höfen und bei den Vornehmen einen beliebten Schmuck bildeten. Über den Umweg Indien oder auch direkt kam solcher Seidenstoff schon im Altertum auch in die Kulturländer am Mittelmeer, wo man sich allerdings von dessen Gewinnung teilweise sehr abenteuerliche Vorstellungen machte. So spricht der römische Dichter Vergil (70–19 v. Chr.) in seiner Georgica „von den Wäldern des Negerlandes, die weißgraue Wolle tragen — er versteht darunter offenbar die Baumwolle — und von der feinen Wolle, welche die Serer von Blättern kämmen“. Unter der Bezeichnung Serer verstand das klassische Altertum die Chinesen im fernsten Asien, und deshalb kann unter dieser von Blättern gekämmten Wolle nur die Seide, die bereits damals bei den Vornehmen Roms gebräuchlich war, verstanden worden sein. Auch der ältere Plinius (23–79 n. Chr.) sagt in seiner Naturgeschichte: „Die Serer sind berühmt durch die Wolle ihrer Wälder (also die Seide); sie begießen die weißgrauen Haare der Blätter und kämmen sie ab. Unsere Weiber müssen die Fäden wieder abwickeln und von neuem weben. So mühsam ist die Arbeit, durch die unsere Damenkleider hergestellt werden, so weit her holt man ihren Stoff“.

Tafel 59.

Seidenraupenzucht in Japan. 1. Die aus den Kokons ausgeschlüpften Schmetterlinge werden auf Papierbogen ausgebreitet, auf denen sie ihre Eier legen.

2. Fütterung der Seidenraupen mit Blättern des weißfrüchtigen Maulbeerbaums.

Tafel 60.

3. Eingesponnene Seidenraupen (Kokons).

4. Die Seide wird von den Kokons abgehaspelt.

Die Behauptung, daß die Seide in Form von Haaren auf Blättern wachse, ist zweifellos daher entstanden, daß man eine dunkle Ahnung davon hatte, daß gewisse Blätter zu deren Gewinnung nötig seien. Daß aber eine Raupe von diesen Blättern lebt und aus der Blattsubstanz Seide erzeugt, das wußte man noch nicht allgemein. Doch hatten schon einige besser unterrichtete Griechen Kunde davon. So spricht schon der gelehrte Erzieher Alexanders des Großen, Aristoteles (384–322 v. Chr.), von der Gewinnung einer Art Seide durch einen in Griechenland einheimischen Spinner. Er schreibt nämlich in seiner Naturgeschichte: „Aus einem großen Wurme, der eine Art Hörner hat und sich von andern unterscheidet, wird zunächst durch Verwandlung eine Raupe, dann ein bombylios (Kokon) und später eine Puppe; alle diese Verwandlungen macht er in sechs Monaten durch. Von diesem Tiere haspeln manche Weiber das Gespinst (ta bombýkia) ab und weben es dann. Pamphila, die Tochter des Plates, soll zuerst auf der Insel Kos (in der Nähe der Karischen Küste) diese Webekunst ausgeübt haben.“ Diese Stelle des Aristoteles bringt der ältere Plinius mit geringen Veränderungen und sagt dann, daß aus den Kokons eines Spinners (bombyx) als bombycine bezeichnete Gewebe verfertigt würden, aus denen man Kleider für prachtliebende Damen mache. Die Kunst, diese Fäden abzuhaspeln und dann zu weben, habe eine Frau von Koos, Pamphila, erfunden. Späterhin fährt er fort: „Auch auf der Insel Koos soll eine Art Spinner (bombyx) entstehen, indem sich die vom Regen abgeschlagenen Blüten der Cypressen, Terebinthen, Eschen und Eichen durch den Hauch der Erde beleben. Zunächst sollen daraus kleine, nackte Schmetterlinge (papilio) entstehen, welche bald gegen die Kälte einen schützenden Haarüberzug erhalten und sich dann gegen die Rauhigkeit des Winters eigene Kleider verfertigen, indem sie mit den Füßen den feinen Haarüberzug (lanugo) der Blätter abkratzen. Diesen krämpeln sie dann mit den Nägeln, breiten ihn zwischen den Ästen aus und ordnen ihn wie mit einem Kamme, worauf sie sich in das Ganze wie in ein bewegliches Nest einhüllen. Hierauf nimmt man sie ab, legt sie in lauwarme irdene Geschirre und füttert sie mit Kleie. Daraufhin bekommen sie Federn (pluma). Nun läßt man sie wieder frei, damit sie ihre Arbeit aufs neue beginnen können. Die schon begonnenen Gewebe werden in der Feuchtigkeit zähe und werden dann mit einer aus Binsen gemachten Spindel in dünne Fäden gezogen. Selbst Männer tragen solche leichte Kleider während der Sommerhitze, denn vom Panzer wollen unsere Weichlinge, die kaum noch ein leichtes Kleid zu tragen vermögen, nicht mehr viel wissen. Doch den assyrischen Bombyx überlassen wir noch den Damen“. Unter letzterem scheint die echte Seide verstanden worden zu sein, die vorzugsweise von den vornehmen Damen Roms zur Kaiserzeit getragen wurde; denn der römische Geschichtschreiber Tacitus (54–117 n. Chr.) schreibt in seinen Annalen, der Senat habe unter der Regierung des Kaisers Tiberius (14–37 n. Chr.) beschloßen den Aufwand einzuschränken und verbot Speisen in Gefäßen von massivem Gold aufzutragen, wie auch den Männern das Tragen seidener Kleider. Unter dem Gespinst von Kos muß aber das Erzeugnis eines anderen Spinners, der dort vielleicht in wilder Zucht kultiviert wurde, verstanden worden sein, wenn man nicht annehmen will, daß die aus gekrämpelten Fäden hergestellte Floretseide irrtümlicherweise von einer auf Kos lebend angenommenen Bombyxart abgeleitet wurde. Letzteres scheint sehr wahrscheinlich zu sein, denn man sollte doch denken, daß, wenn auf der Insel Kos tatsächlich eine Art Seidenspinner gezogen worden wäre, man über diese Zucht noch weitere Angaben bei antiken Schriftstellern finden sollte, was aber durchaus nicht der Fall ist.

Weit besser als die bisher genannten Autoren war der griechische Geschichtschreiber und Geograph Pausanias, der zwischen 160 und 180 n. Chr. einen Reiseführer durch die Kulturländer am Mittelmeer schrieb, über die Herkunft der chinesischen Seide orientiert. Allerdings war auch sein Wissen mit zahlreichen Irrtümern gespickt. Er schreibt nämlich in seiner Periegesis: „Im Lande der Serer lebt ein Tierchen, welches die Griechen sér nennen, während es bei den Serern selbst anders heißt. Es ist doppelt so groß wie der größte Käfer, übrigens den Spinnen gleich, hat auch acht Beine. Diese Tiere halten die Serer in eigenen Gebäuden, die für den Sommer und Winter eingerichtet sind. Das Gespinst dieser Tiere ist zart und sie wickeln es mit ihren Füßen um sich herum. Vier Jahre lang werden sie mit Hirse gefüttert; im fünften aber, und man weiß, daß sie nicht länger leben, bekommen sie grünes Rohr (kálamos) zur Nahrung. Dieses schmeckt ihnen unvergleichlich gut; sie fressen sich davon so dick und voll, daß sie platzen und sterben. Man findet alsdann in ihrem Innern noch viele Fäden.“

Wenn nun auch die alten Römer nicht recht wußten, was für ein Erzeugnis die Seide sei, so wußten sie doch, daß die von ihnen Serer genannten Chinesen im fernen Osten Asiens diesen kostbaren Stoff gewannen und in den Handel brachten. Der römische Geschichtschreiber Ammianus Marcellinus (geboren 330 zu Antiochia in Syrien, diente zuerst im Heer, lebte später in Rom, wo er in lateinischer Sprache eine „Römische Geschichte von 96–378“ in 31 Büchern schrieb und nach 390 starb) weiß uns zu erzählen: „Die Serer sind ruhige, sich nie mit Waffen und Krieg befassende Leute. Sie leben in einer gesunden Gegend, die reich an ziemlich lichten Wäldern ist, holen von den Bäumen, nachdem sie dieselben tüchtig mit Wasser bespritzt haben, eine Art Wolle, die, mit der Flüssigkeit gemischt und dann gekämmt, einen äußerst feinen Stoff liefert, der gesponnen die Seide gibt. Früher trugen nur vornehme Leute solche Kleider, jetzt tragen sie selbst die gemeinsten ohne Unterschied. — Kommen Fremde zu den Serern, um Fäden (d. h. Seide) zu kaufen, so legen sie ihre Ware aus und der Handel wird geschlossen, ohne daß ein Wort dabei gewechselt wird.“

Wenn auch nach diesem Autor im 4. Jahrhundert n. Chr. selbst die gemeinen Leute seidene Kleider trugen, so war dies zu Ende der Republik und zu Anfang der Kaiserzeit durchaus noch nicht der Fall. Damals waren Seidenstoffe etwas überaus Kostbares, deren Anschaffung sich nur sehr Reiche leisten konnten. So schreibt der römische Geschichtschreiber Dio Cassius: „Um einen Begriff von der verschwenderischen Pracht zu geben, welche der Diktator Julius Cäsar (es war in den Jahren 46–44 v. Chr.) entfaltete, so bemerke ich, daß er, wie einige Schriftsteller erzählen, im Theater seidene Stoffe zum Schutze gegen die Sonne über den Zuschauern ausbreiten ließ. Die Seide ist ein für Üppigkeit bestimmtes Gewebe, das eigentlich zum Gebrauche vornehmer Damen eingeführt wird. Die Zuschauer im Theater, welche bis dahin bei jeder neuen Szene laut über unvernünftige Verschwendung Cäsars geschrieen hatten, ließen sich die seidenen Tücher (Velarien) zur Abhaltung der Sonne ruhig gefallen; die Soldaten aber, welche sich ärgerten, daß das Geld nicht lieber für sie selbst verwendet worden war, machten einen entsetzlichen Lärm und konnten nicht eher zur Ruhe gebracht werden, als bis Cäsar einen von ihnen mit eigener Hand packte und hinrichten ließ.“

Außer zu Kleidern für vornehme Damen und Velarien für Theater und später auch Zirkus, wurde für alle möglichen Zwecke ein ausgedehnter Gebrauch von Seidenstoffen gemacht. So spricht Properz (45 v. bis 22 n. Chr.) in seinen Elegien von mit Seide geschmückten Wagen, von in arabischer Seide glänzenden Mädchen, von bunten Seidengeweben, die gegen Kummer nicht helfen. Horaz (65–8 v. Chr.) schreibt in einer seiner Epoden von „Büchern, die auf seidenen Kissen liegen.“ Ovid (43 v. bis 7 n. Chr.) sagt in seinem Amores, die über den Rücken herabwallenden Haare der Geliebten seien so zart wie Seide und so fein wie Spinnengewebe. Quintilian berichtet von einer aus Seide gewebten Toga, also dem Männerüberwurf. Martial spottet: „Galla ist alt und häßlich, schmückt sich aber mit seidenen Kleidern.“ Und der ältere Plinius schreibt in seiner Naturgeschichte: „Kränze sind schon seit langer Zeit bei den Römern im Gebrauch; jetzt aber hat es die Üppigkeit der Weiber so weit gebracht, daß man diejenigen Kränze für die besten hält, die mit bunten Seidenbändern durchflochten sind und von Salben triefen.“

In der späteren Kaiserzeit wurde der Luxus mit den kostbarsten Dingen, darunter auch mit Seidengeweben, immer weiter getrieben. Stark darin war der halbverrückte Kaiser Commodus. Nach dessen Ermordung im Jahre 192 fand der zum Imperator ausgerufene Stadtpräfekt in Rom, Pertinax, nach dem Berichte des Julius Capitolinus die Finanzen in einem verzweifelten Zustande, der durch die unsinnige Verschwendung seines Vorgängers Commodus verursacht worden war. Er sah sich daher, um hierin Ordnung zu schaffen, genötigt, alles zu verkaufen und zu Geld zu machen, was derselbe an verkäuflichen Dingen hinterlassen hatte, so z. B. Hofnarren, liederliche Dirnen, zahlreiche kostbare Kleider, deren Aufzug aus Seide, der Einschuß aber aus Goldfäden bestand, dann Waffen und Schmuck aller Art aus Gold und Edelsteinen, zahlreiche Gefäße, die aus Gold, Silber, Elfenbein oder kostbarem Holz der Sandarakzypresse aus dem Atlasgebirge (citrus) gearbeitet waren, Prunkkarossen usw. Bis dahin waren die Gewebe meist noch nicht ganz aus Seide hergestellt, sondern nur der Aufzug war von Seide, der Einschuß aber aus Wolle, Leinen, Baumwolle oder Gold, wie sie Commodus trug. Erst nach seiner Zeit ist von ganzseidenen Gewändern (stola holoserica — Stola war das bei den Römern über der Tunika getragene lange Frauengewand, das unter der Brust zu einem weiten Faltenbausch aufgegürtet wurde) die Rede, die als besonders üppig, weil sehr teuer, galten. Und Älius Lampridius schreibt in seiner Biographie des Kaisers Heliogabalus: „Kaiser Heliogabalus (regierte von 218–222 n. Chr.) soll der erste Römer gewesen sein, der ein ganzseidenes Kleid (holoserica vestis) trug; bis dahin hatten römische Männer nur halbseidene (subserica) getragen. — Er ließ sich Stricke aus purpur- und scharlachroter Seide flechten, um sich damit erhängen zu können, wenn sein letztes Stündlein geschlagen hätte. Um die Wahl zu haben, hielt er auch in hohlgeschliffenen Edelsteinen Gifte vorrätig, baute auch einen sehr hohen Turm und ließ an dessen Fuß den Boden mit Gold und Edelsteinen pflastern, um sich gegebenenfalls recht großartig auf dieses Prachtpflaster zu stürzen und so ganz glorreich den Hals brechen zu können. Aber alle diese schönen Plänchen wurden vereitelt; denn Hofnarren und Soldaten jagten ihn in einen Abtritt, schlugen ihn da tot, schleiften ihn durch allen möglichen Dreck und warfen ihn zuletzt mit einem Stein am Halse, damit er nicht begraben werden könne, in den Tiberstrom.“

Im Gegensatz zu diesem an den größten orientalischen Luxus gewöhnten Kaiser sagt der Geschichtschreiber Flavius Vopiscus von Kaiser Aurelian (ward 270 nach Claudius II. Tod von den Truppen in Mösien zum Kaiser ausgerufen, machte 272 der Herrschaft der Zenobia in Palmyra ein Ende, besiegte den gallischen Gegenkaiser Tetricus, fiel aber 275 auf dem Zuge gegen die Perser durch Meuchelmord): „Kaiser Aurelian hatte weder selbst ein ganzseidenes Kleid, noch schenkte er jemandem eins. Als ihn seine Gemahlin um die Erlaubnis bat, wenigstens ein pupurfarbiges seidenes Kleid tragen zu dürfen, antwortete er: „Nein, bewahre! Die Seide darf nicht mit Gold aufgewogen werden.“ Damals aber stand ein Pfund Gold einem Pfund Seidenstoffes an Wert gleich.“ Und vom Kaiser Tacitus, der 275, im Alter von 75 Jahren vom Senat zum Imperator gewählt, treffliche Absichten hatte, aber schon 276 auf einem Zug gegen die Goten in Kleinasien von seinen eigenen Soldaten ermordet wurde, hebt sein Biograph Flavius Vopiscus rühmend hervor, er habe allen Männern das Tragen ganzseidener Kleider verboten, da er solche Sitte als allzu verweichlichend für unpassend fand. Sein Verbot hatte aber nur vorübergehend Geltung und wurde unter seinen Nachfolgern bald aufgehoben. Ungescheut trugen auch die Männer jene üppigen Seidenstoffe aus dem fernen Asien. Erst später, als das Tragen solcher Gewandung in breitere Volksschichten überging, kamen die einsichtsvolleren Männer Roms wieder davon ab. Und der ums Jahr 400 n. Chr. lebende Schriftsteller Claudius Claudianus berichtet, daß es zu seiner Zeit Stutzer gab, denen selbst das seidene Kleid zu schwer war. Derselbe Autor spricht in seiner Lobschrift über den Vandalen Stilicho, der 395 Vormund des Kaisers Honorius und Regent des weströmischen Reiches ward, von seidenen Zügeln. Als dieser Stilicho 408 von einem Römer ermordet worden war, drang der Westgotenkönig Alarich mit seinem Heere, das jener 403 bei Pollentia und Verona geschlagen hatte, abermals plündernd in Italien ein und eroberte die Stadt Rom am 24. August 410. Bei der Übergabe dieser Stadt stellte dieser Germanenfürst, der bereits auf seinem Raubzuge durch Griechenland 395 die Annehmlichkeit des Tragens seidener Kleidung kennen gelernt hatte, nach dem Berichte des Geschichtschreibers Zosimus die Bedingung auf, daß ihm die Römer außer andern Kostbarkeiten 4000 seidene Gewänder abliefern sollten, was denn auch geschah. Daß dies möglich war, beweist, daß die Seide damals in jener üppigen Hauptstadt des weströmischen Reiches etwas ziemlich Gewöhnliches war.

In jener Zeit hatte die Zucht der Seidenraupe vom Gebiet von Chotan aus durch ganz Turkestan so weite Verbreitung gefunden, daß um die Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. Dizabul, ein Herrscher der Turkvölker, mit Umgehung des dazwischenliegenden Reiches der Sassaniden mit dem oströmischen Kaiser Justinian I., der 527 seinem Onkel Justinus I. in der Herrschaft folgte und bis 565 regierte, Unterhandlungen über die Einfuhr von Seidenstoffen anknüpfte. Dieses Anerbieten Dizabuls lehnte aber Justinian ab, da inzwischen die Oströmer selbst die Seidenraupenzucht erhalten hatten. Im Jahre 551 hatten nämlich nach dem Geschichtschreiber Procopius zwei syrische Mönche die ersten Eier des Seidenspinners und eine gründliche Kenntnis der ganzen Zucht desselben von Turkestan nach Konstantinopel gebracht. Da die Todesstrafe auf der Ausfuhr von Eiern der Seidenraupe stand, schmuggelten sie diese in hohlen Stöcken auf oströmisches Gebiet hinüber, wo man mit diesem kostbaren Geschenk sehr wohl zufrieden war. Dort lernte man bald die Seide selbst gewinnen und daraus Seidengewebe herstellen. So konnte Justinian mit Umgehung der in Syrien ansässigen Seidenhändler aus der Seide in seinem eigenen Lande ein Monopol machen. Und dieses wurde in der Folge bis ins 12. Jahrhundert streng aufrecht erhalten. Späterhin wurde besonders die Insel Kos durch ihre Seidenkultur berühmt.

Erst als man die Seidenraupenzucht im eigenen Lande hatte, korrigierte man die falschen Anschauungen, die bis dahin über die Herkunft dieser Art Gewebe im Abendlande geherrscht hatten. Doch gab es gleichwohl noch genug Leute, die darin nicht recht Bescheid wußten und bei den althergebrachten falschen Ansichten blieben. So schreibt noch der 636 als Bischof von Hispalis (Sevilla) verstorbene Isidorus in seiner Biographie des Origines: „Die Seide heißt sericum, weil sie zuerst aus dem Lande der Serer kam. Dort sollen Würmchen (vermiculi) leben, welche die Fäden auf Bäumen ziehen; solche Würmer (vermes) werden von den Griechen bómbykes genannt.“

In Persien, Syrien und Kleinasien war die Seidenzucht schon zu Muhammeds Zeiten (571–632) stark verbreitet, und obschon dieser einflußreiche Prophet seinen Anhängern drohend zurief: „Wer hier Seide trägt, wird dort keine tragen,“ konnte der seit dem Altertum hier getriebene orientalische Luxus an kostbaren Webereien und Stickereien unmöglich auf dieses neue hervorragende Material verzichten. So erdachten sich die schlauen Anhänger des Propheten einen Kompromiß zwischen den allzustrengen Geboten Muhammeds und den Bedürfnissen des täglichen Lebens, und erklärten nur reinseidene Gewänder und Gewebe für verboten, während Seide, die in anderes Gewebe eingewebt, eingestickt oder eingenäht wurde, erlaubt sein sollte. Jedenfalls ist die Seidenzucht in allen muhammedanischen Ländern bald zu großer Blüte gelangt und hat besonders auch unter den gewerbetüchtigen Mauren in Spanien eine große Bedeutung erlangt, indem der Export von kostbaren Seidenstoffen von dort nach Europa ein nicht unwichtiger war. Aber nicht von Spanien, wo die Mauren nur Seidenstoffe, nicht aber die Seidenraupe selbst außer Land gaben, sondern von Sizilien aus wurde die Seidenzucht zunächst nach Italien und dann nach Südfrankreich verbreitet. In Siziliens Hauptstadt Palermo hatten die Araber seit dem 10. Jahrhundert eine auch von ihren Nachfolgern, den Normannen, nach der Eroberung der Insel im Jahre 1072 beibehaltene staatliche Fabrik für Seidengewebe, die unter anderm auch die normannischen Krönungsgewänder lieferte. Diese kamen durch Konstantia, die Erbin des sizilischen Königs Wilhelm II., mit der sich Kaiser Friedrichs I. Barbarossas Sohn Heinrich IV. 1186 vermählte, in den Besitz der Hohenstaufen und wurden durch sie zu den deutschen Reichskleinodien gemacht. Daher kommt es, daß der Mantel und die Strumpfbänder, mit denen der Kaiser des heiligen römischen Reichs deutscher Nation bei der feierlichen Krönung bekleidet wurde, arabische Inschriften von Goldstickerei auf purpurfarbiger Seide tragen. Ersterer, der im Jahre 1133 für Roger II. hergestellt wurde, welcher sich drei Jahre zuvor in Palermo zum Könige von Sizilien und Apulien, das er 1127 erbte, hatte krönen lassen, trägt außerdem das echt arabische Motiv der Darstellung eines Löwen, der unter einer Dattelpalme ein Kamel würgt.

In Italien breitete sich dann in begünstigten Gebieten die Seidenzucht ziemlich rasch aus. So empfingen die Fabriken Norditaliens ein wichtiges Produkt für ihre Weberei. Besonders zeichnete sich Lucca, Bologna und Florenz aus; aber auch sie suchten daraus ein Monopol zu ihren Gunsten zu machen, indem sie die Ausfuhr des Seidenspinners und seiner Nährpflanze, des weißfrüchtigen Maulbeerbaumes, aus ihrem Gebiete aufs strengste untersagten. Solches Verbot mußte aber nur umsomehr die Begehrlichkeit der Nachbarn reizen. So ließ Ludwig XI., der von 1461 an Frankreich regierte, in seinem Lieblingssitze Plessis-les-Tours durch einen Kalabresen eine Seidenzucht einrichten, die aber erfolglos blieb. Erst einem seiner Räte gelang diese Einführung, indem er zuerst die Nährpflanze der Seidenraupe, den weißfrüchtigen Maulbeerbaum, in Südfrankreich anpflanzte und dann erst Eier des Seidenspinners zur Aufzucht der Raupe einführte. In der Folge wurde die südfranzösische Seidenzucht von den Königen Frankreichs in hohem Maße begünstigt, so daß schon unter Heinrich IV. der Altmeister der französischen Landwirtschaft, Olivier de Serres, sie als blühend hervorhob. Seit der Zeit des prachtliebenden Ludwigs XIV. nahm dann Lyon in der Fabrikation aller Seidenstoffe eine führende Stellung ein, gegen die die oberitalienischen Städte, selbst Mailand, wohin sie 1550 eingeführt wurde, zurücktreten mußten.

Während in Süditalien und Sizilien die vormals blühende Seidenweberei im 14. Jahrhundert verschwand, behielten diese Länder in der Folge nur die Erzeugung des Rohmaterials, während sich die dem damals überaus mächtigen und reichen Herzogtum Burgund angegliederten Niederlande einen großen Teil der Herstellung der allerkostbarsten Seidenzeuge, speziell Brokate, aneigneten. In Deutschland bildete sich im Jahre 1670, und zwar in Bayern, die erste Seidenbaugesellschaft. Von 1764 an bis zu seinem 1786 erfolgten Tode führte König Friedrich II., der Große, den Seidenbau in Preußen ein und begünstigte ihn in so hohem Maße, daß Krefeld versuchen konnte, es mit Lyon aufzunehmen. Doch verfiel in der Folge die ganze Unternehmung, weil es der Seidenraupe hier zu kalt war, so daß Krefeld, um weiter bestehen zu können, das Rohmaterial aus überseeischen Ländern, wie auch später Lyon infolge der Muscardine, beziehen mußte. Dadurch erhielt die Zucht der Seidenraupe im subtropischen Gebiet einen neuen Anstoß, zugleich aber wurde die Seidenindustrie des Orients, die sich bis dahin, wenn auch in geringerem Maße, in alter Weise erhalten hatte, durch die Entziehung des Rohmaterials aufs empfindlichste betroffen. Jetzt ziehen Persien, Kleinasien und Mazedonien die Seide für die französischen Fabriken, und China und Japan exportieren zunehmend rohe Seide. Auch die indische Seide geht jetzt fast ganz in die europäische Fabrikation über. Rußland hat die alte Seidenkultur Zentralasiens an sich gerissen, wie Frankreich diejenige Algeriens.

Am Kap der Guten Hoffnung wurden im Jahre 1730 ohne Erfolg Seidenraupen gezogen; auch in Mexiko, Argentinien und Chile blieben die diesbezüglichen Versuche bedeutungslos. Asien dagegen ist heute noch die Hochburg der Seidenzucht. Während in Indien bis nach Indo-china hinein die wilde Zucht die zahme weit überwiegt, wurde letztere von China aus schon frühe weiter ostwärts verbreitet. So kam sie zu Beginn des 2. Jahrhunderts in Korea auf und im Jahre 195 wurde sie durch den Prinzen Koman, einen Sproß des chinesischen Kaiserhauses, nach Japan, wo er sich niederließ, eingeführt. Sein Sohn ließ dann eine große Schar aus China herübergebrachter Seidenweber über das ganze Land verteilen, um das japanische Volk in dieser Kunst zu unterweisen. Man erzählt sich, das 50 Jahre später der damalige japanische Kaiser seine Gemahlin veranlaßt habe, die Häuser der Seidenraupenzüchter und Seidenweber zu besuchen, um sie in ihrer Tätigkeit zu ermutigen. Ja, im Jahre 462 ließ Kaiser Yurgake als ermunterndes Beispiel für das ganze Volk seine Gemahlin höchst eigenhändig Seidenraupen züchten und sie mit den Blättern des Maulbeerbaums füttern. Von dieser Zeit an wurde die Seidenkultur nach dem Berichte der japanischen Annalen, wie in China, ein Gegenstand von größter nationaler Bedeutung, so daß wie dort Seidenstoffe von allen besser Situierten getragen und an Stelle anderer Bezahlung als Steuer auch von den Staatsbeamten angenommen werden.

Heute werden alljährlich 24 Milliarden Kokons des Seidenspinners zur Gewinnung von Seide verbraucht, obschon neuerdings auch Kunstseide aus nitrierter Cellulose oder Schießbaumwolle hergestellt wird. Durch die vielhundertjährige Zucht in geschlossenen Räumen zeigen die Seidenraupen eine verminderte Widerstandsfähigkeit gegen Infektionen und sind den verschiedensten Krankheiten ausgesetzt, die große Verheerungen unter ihnen anrichten. Von den durch Spaltpilze angerichteten Krankheiten, den sogenannten Mykosen, ist zunächst die Schlaffsucht hervorzuheben, von den Franzosen flacherie und den Italienern flaccidezza genannt. Sie trat in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit ungewöhnlicher Heftigkeit auf und vernichtete einen starken Prozentsatz der Zuchten. Die Krankheit macht sich meist kurz vor der Verpuppung bemerkbar und nimmt einen sehr raschen Verlauf. Die Raupen zeigen dann verminderte Freßlust, werden schlaff und verenden schließlich. Das Innere derselben verfließt schon nach 1–2 Tagen zu einer schwarzbraunen Jauche, in welcher sich viele Spaltpilze befinden. Eine andere Mykose verursacht die Kalksucht, von den Franzosen muscardine, von den Italienern dagegen calcino genannt. Sie wird durch den Pilz Botrytis bassiana hervorgerufen, dessen Mycel das Innere des Raupenkörpers durchsetzt, wobei die absterbende Raupe zuerst wachsartig, später aber wie mit Kalk begossen erscheint, indem sie sich über und über mit den Sporenträgern bedeckt, die durch Verstreuen der rasch in die gesunden Raupen eindringenden Sporen andere Individuen anstecken. Die Seuche ist seit 1763 bekannt und gewann zu Beginn des vorigen Jahrhunderts besonders in Frankreich eine große Ausdehnung, ist aber seit 50 Jahren fast ganz verschwunden. Die Fleckenkrankheit oder Pebrine zeigt sich zuerst in verminderter Freßlust, dann erscheinen auf der Haut dunkle Flecken und das Schwanzhorn der Raupe verschrumpft meist. Doch können schwach infizierte Raupen noch einen Kokon spinnen und sich zu einem Schmetterling entwickeln. Der Erreger dieser Fleckenkrankheit ist ein Nosema bombycis genannter Spaltpilz, der ebenfalls leicht übertragen wird und großen Schaden anrichtet. Ebenfalls verderblich sind die Fett- oder Gelbsucht und die Schwind- und Schlafsucht.

Wie der Mensch Schläge der Seidenraupe mit strohgelbem, goldgelbem, grünlichem oder weißem Kokon gezüchtet hat, hat er auch größere und kleinere Rassen, wie auch solche mit ein und zwei Generationen im Jahr gezogen. Ganz verwildert ist dieses Haustier nirgends, immerhin gab es nach Aldrovandi im Jahre 1623 eine halbverwilderte Zucht in Kalabrien, indem man dort die Raupe auf dem Maulbeerbaume selbst ansiedelte und von diesen die Kokons sammelte. Der Haupthinderungsgrund des Gedeihens einer solchen Zucht im Freien sind vor allem die insektenfressenden Vögel, gegen die auch die Südasiaten ihre halbwilde Zucht durch Netze schützen müssen. Wahrscheinlich sind auch diese Feinde der wehrlosen Raupe die Ursache gewesen, daß man die Zucht dieses Tieres mehr und mehr ins Haus zog. Da in allen zur Seidengewinnung verwendeten Kokons die Tiere getötet werden müssen, wird die Seidenzucht nur durch die große Fruchtbarkeit des Schmetterlings ermöglicht. Durch Ausziehen des klebrigen, dickflüssigen Inhalts der Spinndrüsen kurz vor dem Verpuppen erzielt man in China und Japan ein sehr festes Material zum Anbringen der Angel an der seidenen Schnur.

Als wilde Stammform des Seidenspinners hat man den in dem östlichen Himalajagebiet vorkommenden Bombyx huttoni ansehen wollen, den der Engländer Hutton wildlebend auf dem wilden weißfrüchtigen Maulbeerbaum antraf. Jedenfalls muß er dem echten Seidenspinner sehr nahe verwandt sein, da er sich mit ihm kreuzen läßt, wobei die Nachkommen einer solchen Kreuzung fruchtbar sind. Ist dieser wilde Seidenspinner tatsächlich die Stammform des zahmen, so muß früher sein Vorkommen, das jetzt auf das östliche Himalajagebiet beschränkt ist, weiter östlich über Yünnan nach Südchina gereicht haben, wo eben der Wildling durch Zähmung zum Verschwinden gebracht wurde.

Doch ist dieser Spinner durchaus nicht der einzige, der verspinnbare Seide liefert. So beherbergt Ostasien noch einige andere Spinner, deren Kokons ebenfalls eine für den Menschen brauchbare Seide erzeugen. Als zu Beginn der 1850er Jahre unter den Seidenraupenzüchtern Südfrankreichs die als Pebrine erwähnte verheerende Epidemie ausbrach, deren parasitäre Natur Louis Pasteur feststellte, sah man sich, als sie den Züchtern schwere Verluste beibrachte und ihre ganze Existenz in Frage stellte, nach andern Spinnern um, die sich in Europa züchten ließen. Schon 1740 hatte der Missionar Pater d’Incarville über einen südasiatischen Spinner berichtet, der 20 Jahre später von Daubanton als „Halbmond“ in seinem Atlas abgebildet wurde und 1773 von Drury seinen wissenschaftlichen Namen erhielt. Es war der Ailanthusspinner (Saturnia cynthia), in Assam Erya genannt, der als Ersatz des Maulbeerspinners 1856 von Pater Fantoni aus China nach Frankreich eingeführt wurde. Seine Raupe, die auf dem Götterbaum (Ailanthus glandulosa) und der Rizinusstaude (Ricinus communis) lebt, entwickelt sich so rasch, daß in einem Jahre bequem dreimal frische Kokons erzielt werden können, die eine vorzügliche Seide liefern. Ja, Sir W. Neid, der Gouverneur von Malta, züchtete in der Zeit vom 2. Dezember bis zum folgenden November sogar viermal vollkommen gesunde Falter. Durch die künstlichen Zuchtversuche ist der schöne gelbbraune Schmetterling in Italien, Südfrankreich, bei Straßburg im Elsaß, wo er 1878 ausgesetzt wurde, bei Frankfurt am Main, im Tessin, bei Trient, in Istrien, bei Laibach, bei Wien und im östlichen Nordamerika heimisch geworden. Leider treiben die beiden genannten Futterpflanzen, die sonst in Deutschland ganz gut gedeihen, zu spät Blätter, um eine Zucht im großen ohne Treibhaus lohnend erscheinen zu lassen. Daher sahen die Akklimatisationsvereine sich nach anderen Seidenspinnern um, die mit einheimischen Pflanzen gefüttert werden können.

Bald wurden aus China und Japan zwei große Falter eingeführt, die in ihrer Heimat schon längst ihrer vortrefflichen Seide wegen gezüchtet wurden und allen Wünschen zu entsprechen schienen. Beide lassen sich bei uns leicht mit Eichenblättern ernähren. Es sind dies erstens der chinesische Eichenseidenspinner (Saturnia pernyi). Dieser in seiner Grundfarbe ledergelbe Schmetterling liefert in China zweimal jährlich Kokons, nämlich im Juni und Oktober. Drei Tage nach der Paarung, die 40–50 Stunden dauert, werden 150 bis 230 große, braune Eier gelegt, die nach etwa acht Tagen die anfangs schwarzen, nach der ersten Häutung aber grünen Raupen liefern. Setzt man ihnen saftiges Eichenlaub vor und bespritzt man dieses samt den Raupen einige Male mit Wasser, so gedeihen sie sehr gut und spinnen sich nach 50 Tagen zwischen den Blättern ihrer Futterpflanze ein. Die im Herbst erzielten Kokons überwintert man im Keller, damit die Raupen im April nicht früher auskommen, als frisches Eichenlaub zu ihrer Fütterung vorhanden ist. In China zieht man diese Raupen im Freien auf Eichengebüsch unter Aufsicht von Wärtern, die die Vögel zu verscheuchen und die Raupen von einem kahl gefressenen auf einen belaubten Busch zu setzen haben. Die großen, braunen Kokons werden zuerst auf Bambushürden über dem Feuer geröstet, um die darin befindlichen Puppen zu töten, dann zehn Minuten lang in kochendes Wasser gelegt, dem man einige Hände voll Buchweizenasche hinzufügt. Dadurch löst sich der das Gespinst verbindende Klebestoff auf, so daß sich die Seide bequem abhaspeln läßt. Diese ist fester und billiger als diejenige des Maulbeerspinners und bringt den Chinesen reichen Ertrag.

Zweitens der japanische Eichenseidenspinner (Saturnia yama mayu, d. h. Bergkokon). Dieser ist dem chinesischen sehr ähnlich, jedoch hat der Falter mehr goldgelbe Flügel mit rötlichen Rändern. Auch die Raupen sind fast gleich, doch haben diejenigen dieser Art einen grünen, die der andern dagegen einen braunen Kopf. Bis 1856 war die Ausfuhr seiner Eier in Japan mit der Todesstrafe bedroht; doch gelang es Duchesne de Bellecourt, dem französischen Generalkonsul und Bevollmächtigten in Tokio, Eier desselben an die Société d’acclimatisation in Paris zu schicken. Trotz sorgfältigster Pflege lieferten aber die mit Eichenlaub gefütterten Raupen nur einen einzigen Kokon. Nun wurde Eugène Simon, der landwirtschaftliche Kommissar der französischen Republik für China und Japan, beauftragt, Eier dieses Eichenseidenspinners zu beschaffen, und mit Hilfe seines Freundes, des holländischen Marinearztes Pompe van Meerdervoort, wurden heimlich wieder einige Eier nach Europa gebracht. Mit diesen erzielten die französischen Raupenzüchter guten Nachwuchs und konnten 1863 die Fachausstellung in Paris mit Kokons und gehaspelter Seide beschicken. Marquis de Riscal züchtete diesen Falter mit Erfolg im Freien, doch ist er in Europa nirgends heimisch geworden. Die Aufzucht dieser empfindlichen Raupe ist übrigens auch nicht so lohnend, da aus den überwinternden Eiern nur eine Brut im Jahre zu erzielen ist. Sie spinnt je einen großen, hellgrünen Kokon.

Auch der in China und Ostindien heimische Atlasspinner (Saturnia atlas), der größte Schmetterling der Erde, der 25 cm breit und 18 cm hoch wird und rotbraun, mit wie Atlas glänzenden weißen, schwarz umsäumten Flecken verziert ist, liefert einen großen Kokon reich an Seide. Seine Raupe ähnelt derjenigen des Ailanthusspinners, häutet sich aber einmal mehr als die meisten Spinnerraupen, nämlich fünfmal. Sie wird bei uns am besten mit Berberitzenlaub gefüttert, doch ist ihre Aufzucht in Europa zu schwierig, um für die Seidengewinnung irgendwie in Betracht zu kommen. Wie der Leib dieses riesigen Falters nur etwa 4 cm lang ist, sind auch Raupe, Gespinst und Puppe verhältnismäßig klein. Die Zucht der schwerfälligen Raupe, die sich nur bewegt, wenn sie frißt, ist sehr langweilig. Diese Trägheit hat aber das Gute für sich, daß sie niemals, wie andere Raupen, von der Futterpflanze herabfällt. Ihre ganze Entwicklung nimmt bei uns etwa 40 Tage in Anspruch.

Endlich ist in Südchina der Spinner Saturnia pyretorum heimisch, dessen Raupe sich von den Blättern des Kampfer- und Amberbaums ernährt und dessen Gespinst zur Herstellung von Angelschnüren gebraucht wird. Letztere kommen auch nach Japan in den Handel und werden dort unter dem Namen tegusu seit langer Zeit von den Fischern als sehr dauerhaft benutzt. Neuerdings ist dieser Spinner durch die Japaner auf Formosa eingeführt worden, wo die große Häufigkeit der Kampferbäume Gelegenheit zur Zucht ihrer Raupe gibt. Die Seide wird dadurch künstlich von ihr gewonnen, daß sie nach der Reife in Essig getaucht wird, worauf man aus ihrem Körper goldgelbe Fäden von 2 bis 2,5 m Länge zieht.

Auch Nordamerika hat drei Seidenspinner, die für die Seidengewinnung benutzt werden könnten. Der wichtigste derselben ist die schön braunrote Saturnia polyphemus mit auffallendem, schwarzgelbem Augenfleck. Deren prächtig grüne Raupen sind fleischfarbig gestreift und nach ihrer letzten Häutung mit 48 silber- und 8 goldglänzenden Flecken geschmückt. Von der Sonne beschienen erscheinen sie wie mit Diamanten übersät. Ihre schöne starke Seide ist schneeweiß, so daß sie zu der lichtgrünen von S. yama mayu und der hellbraunen von S. pernyi einen prächtigen Gegensatz bildet. Etwa gleich groß ist Saturnia promethea, deren beide Geschlechter auffallend verschieden gefärbt sind. Das Männchen ist schwärzlich und das Weibchen rotbraun. Die Raupe ist aber nicht leicht zu züchten, da sie in bezug auf Futter sehr wählerisch ist. Sie frißt in ihrer Heimat die Blätter des Benzoe-, Sassafras- und Tulpenbaums, also von Bäumen, die bei uns nicht überall angepflanzt werden. Bedeutend größer und schöner ist Saturnia cecropia, die an Schönheit noch den Atlasspinner übertrifft. Die ebenfalls wunderschöne Raupe ist leicht zu ziehen, da sie fast jedes Laub annimmt. Sie braucht 7 bis 9 Wochen zu ihrer Entwicklung und liefert einen recht großen Kokon, dessen Seide technisch gut verwendbar ist. Ebenfalls hervorragend schön ist die bedeutend kleinere Saturnia ío aus Nordamerika, die zwar keine Seide liefert, aber wegen ihrer Schönheit mit Vorliebe gezüchtet wird. Die auf Eichenzweigen leicht zu ziehenden Raupen sind dicht mit grünen Härchen überzogen, die beim Anfassen ärger brennen als Nesseln. Sie häuten sich fünfmal und brauchen 10–15 Wochen zu ihrer Entwicklung.

Außer in Ostasien wird nur noch auf Madagaskar seit alter Zeit eine Seide gewonnen und zu Geweben verarbeitet. Hier ist der Lieferant der starken Seide der Spinner Bombyx rhadama, der in manchen Dörfern in größerer Menge gezogen wird und dessen Gespinst zu den durch ihre Schönheit ausgezeichneten und sehr dauerhaften Seidenlambas verarbeitet wird, die nicht nur von den wohlhabenden Eingeborenen als Überwürfe getragen werden, sondern auch einen Exportartikel von allerdings beschränkter Bedeutung bilden. Dann stellt auch in einzelnen Teilen von Nigeria die Bevölkerung aus den Kokons von Anaphe infracta einen somyan genannten Seidenstoff her. Die davon gewonnene Rohseide ist braun oder gelblichbraun. Daneben gibt es dort auch eine rein weiße Seide, die aus den Distrikten Bauchi und Bornu im Innern nach dem Handelsplatz Ibadan gebracht wird. Man nennt sie Gambari- oder Haussaseide. Offenbar ist sie ein Fabrikat gleichen Ursprungs mit der gelblichen Rohseide, nur daß sie von anders behandelten Kokons hergestellt wird. Die Eingeborenen sammeln die betreffenden Raupen von den Bäumen, wenn sie gerade im Begriffe sind, sich einzuspinnen. Ein Londoner Züchter hat Versuche mit der Züchtung dieser Raupe gemacht und gefunden, daß, wenn man sie im Dunkeln aufzieht, sie stets rein weiße Kokons statt der braunen hervorbringt. Da nun die Eingeborenen beim Einsammeln der Raupen zum Zwecke der Gewinnung von Gambariseide die Gewohnheit haben, die Tiere in ihren dunkeln Hütten aufzubewahren, erklärt es sich leicht, daß dieses Produkt von rein weißer Farbe ist.

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