Achtzehntes Kapitel.

Der Wagen stand jetzt wieder, als die Flüchtlinge in den Hof traten, wie gestern, angespannt vor der Thür, und die Baronin reisefertig an demselben. Vor allem „sprach Julie zu dieser“ lassen Sie uns Erschöpfte erst ein wenig frühstücken, mich dann nach meinen, im größten Wirwarr verlassenen Sachen sehen und nebenher auch dem Obersten für seine großmüthige Schonung danken. Damit flog sie singend die Treppe hinauf und an dem Zimmer des feindlichen Gastes vorüber. Begierig das kecke Vöglein zu sehn, welches hier unter der Schärfe des Schwerts noch Sinn für solche Läufer habe, steckte der junge Held den Kopf aus der Thüre und fand sich auf’s Angenehmste überrascht. Frau von Wessen schien erschrocken, trat ihm mit reitzender Demuth entgegen, dankte dem Gütigen in den gewähltesten Ausdrücken seiner Sprache, hoffte, sich als die Wittwe eines gefallenen Soldaten schonender Rücksichten gewürdigt zu sehn und war nach einem viertelstündigen Aufwand ihrer magischen Künste der willkommensten aller Eroberungen gewiß.

So eben „sprach sie zu der ängstlich treibenden Mutter“ hat mir der Oberste noch den großen Rüst-Wagen zugestanden auf den ich alles was wir bereits verlohren gaben, packen lassen und Ihnen dann folgen werde. Seine Husaren und der Verwalter sollen mein Schutz und mein Schirm seyn. Im Zollhaus erwarten Sie mich.

Die Baronin erklärte dagegen, ohne sie nicht von der Stelle weichen zu wollen. Da nun der gedachte Rüstwagen fürs erste einer Ausbesserung bedurfte, so verzögerte sich die Abreise von Stunde zu Stunde, und ward endlich, als sich die Mutter im Gefolge der ausgestandenen Schrecknisse plötzlich von ihren Krämpfen befallen sah, auf einen der folgenden Tage verschoben. Alle außer ihr fanden dabey für den Augenblick ihren Vortheil. Der Oberste hatte nächst dem Ruhm nichts lieber als das Schöne und Frau von Wessen gefiel sich vor allem in der Rolle der Delila. Julius fand in den Offizieren geistreiche, unterrichtete, seinem Sinne zusagende Männer und täglich mehr Veranlassung, der schüchternen Auguste die Einsamkeit in die sie sich, trotz der anziehenden Gäste, zu seiner höchsten Befriedigung vergrub, erträglich zu machen.

Bald darauf lief auch die Bestätigung von Woldemars Gefangenschaft ein. Er hatte, laut eines vertrauten Briefes des Adjutanten, den Erwartungen die sein erstes Probestück erregte und der Rolle zu der ihn seine Beförderung erhob, so wenig entsprochen, sich auf einem Außen-Posten so zweckwidrig benommen, sich späterhin so unvorbereitet überfallen lassen, daß seine Stelle wie billig bereits vergeben und besetzt worden war.

Plötzlich entstand eines Morgens großer Lärm in dem Hofe und dem Hause. Es gab ein Seitenstück zu Woldemars Aufbruch; eine Ordre welche den Genius der Wessenburg zu der Armee des Innern abrief, brachte Freunde und Feinde in Bewegung.

Die Baronin bereitete sich jetzt aufs neue zur Flucht, Julius empfahl dem Obersten auf gut Glück seinen Kriegsgefangenen Freund und benutzte dessen Erbieten, ihn mit Wechseln und Nachrichten zu versehn. Sein Brief sprach um so nachdrücklicher für die Verlassene, da ihm Theresens letzte Zuschrift für immer alle Hoffnung auf die Hand ihrer Freundin benommen hatte.

Alles war zum Aufbruch bereit als Julie in der Mutter Zimmer trat, ihr mit feierlichem Ernst die Hand küßte und sich als die Braut des Obersten auf immer beurlaubte. Zwar „sprach sie“ ist der Schritt gewagt; aber in der Liebe ist ja, nach des Meisters Ausspruch alles nur ein Wagstück — Zwar bin ich Woldemars Verlobte, der aber sitzt an fernen Wasserflüssen und weiß noch immer nicht was er will — Zwar ist mein Bräutigam der feurigste Republikaner, doch wer die Freyheit ehrt, wird auch die Rechte des Weibes achten. Zwar ist er Katholik, doch sind ja seine Götter auch die Meinen und Amor unser Schutzpatron.

Die Mutter stand verstummt und sah mit gefalteten Händen gen Himmel. Ihnen, Herr Baron „fuhr Julie, sich zu diesem wendend, fort“ Ihnen, dessen langweiliger Intrike mein rascher Entschluß über den Graben hilft, wünsch’ ich an Augustens Hand das beste Glück und eine Wildhütte um es auszulassen. Warum erröthest Du, Gustel? Es ist nichts gewisseres als daß er der Deine wird — Ich seh, Ihr steht auf Kohlen. Gleiches mit Gleichem! Oft genug habt ihr mich auf Nesseln gestellt. Gott segne Sie, ma mere, und Ihre Bethstunden, Herr Baron und Dein Ehebett, Fräulein! Damit verschwand sie.

Die Baronin eilte ihr nach. Auguste weinte, tief verletzt, hinter ihrem Tuche, Julius neigte sich liebkosend zu ihr herab und sagte — Möchte der Segen dieser unholden Wahrsagerin ausgehen! ihr böser Wille befördert seltsam genug den schönsten Zweck und ich darf nun keck und ohne Zögerung eines Verhältnisses gedenken das zu den zärtesten des Lebens gehörte. Kein Wort also von Gefühlen und Gelübden die mein Geschlecht so oft zu gewöhnlichen Behelfen herabwürdigt. Sprach Frau von Wessen aus Augustens Seele so wär’ es wohl gerathen, die edle Schaamröthe an meinem Herzen zu verbergen?

Sie schwieg, er schlang den Arm um ihren Leib — „Auguste!“ sprach er leise und zog das Tuch von dem lieblichen Antlitz. Die blauen, thränenschweren Augen bethaueten seine Hand mit warmen Tropfen. Ich fühl es lebhaft „fuhr er fort“ daß die Wildhütte zu meinem Glücke hinreichen, daß sich, an diesem Herzen alle wilden Wünsche des meinen in sanfte Sehnsucht nach den Hütten des Friedens auflösen würden, und was das Ihre fühlt, verräth dies Auge.

Auguste lehnte sich, still entzückt an seine Schulter und lispelte mit bebender Stimme — „Innige Liebe!

Er küßte den Mund der diese Worte sprach, unter freudigen Schauern, und eilte Arm in Arm mit ihr der eintretenden, trostlosen Mutter entgegen.

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