Neunzehntes Kapitel.

Woldemar war indeß von einer gefährlichen Krankheit genesen und sah noch immer, von jeder Nachricht aus der Heimath abgeschnitten, entblößt von Geld und allen Gütern, die das Leben versüßen, der Auswechslung entgegen. Nacht für Nacht erschien ihm Hermine, bald im Glanze der Unschuld, bald als eine weinende, reuige Sünderin. Bald auch täuschten die Entzückungen der Weih-Nacht den Schläfer, oder die glühende heiß umfangende Julie ward vor den Augen des Erwachenden zur Stroh-Garbe des Lagers auf dem ihn die gaukelnde Phantasie hohnneckte. Immer öder und leerer ward sein Inneres. Tage lang sah er, gedankenlos hinstarrend, in den Strom der an dem Kloster das die Gefangenen barg, vorüberrauschte, und sein Gemüth erlag unter der Bürde der Schwermuth. Sterben! Schlafen! „rief er mit Hamlet aus“ das ist eine Vollendung der brünstigsten Wünsche werth.

Vielleicht auch träumen! „sprach Gregor, sein Schlaf-Geselle“ nur bette Dich gut! Wenn selbst das Leben, wie unsere Weisen sagen, ein Traum ist, so wird es Pflicht sich immer die angenehmsten zu bereiten. Der Verdruß über diese närrische Welt, die Schaam über dieß thörichte Herz, der Gram über Mangel und Unfälle, haben früher den besten Theil meines Daseyns verkümmert und selbst die kleinen, unvermeidlichen Uebel zu erdrückenden Lasten gemacht. Endlich erschien mir, spät genug, ein heilsamer Tröster. Er schlug das schwarze Buch der Wirklichkeit vor mir zu, und führte mich in sein Freudenreich. Bist Du elend? Hat Dich die Freundschaft verrathen? Die Liebe betrogen? Dein Feuer-Eifer in Händel verwickelt? Dein Sinn für Recht und Wahrheit die Menschen gegen Dich empört? Nun, so flieh aus der Jammer-Höhle und folge mir nach.

Ich weiß ja wohl „versetzte Woldemar“ daß Deine Kopfwunde bedeutendere Folgen als die meine hatte.

Fürchte das nicht! „entgegnete Gregor“ Tiefer als diese — ach, ganz unheilbar sind die Wunden meines Herzens, doch eine Wunderthäterin verbindet sie. Welcher Unsterblichen „frag ich mit dem Dichter“ soll der höchste Preis seyn? — Der Phantasie! In ihrem Reiche lag das Paradies; in ihm liegt Elisium. Dort sind die Blüthen-Bäume meiner Jugend gereift; dort lebt das Weib, dort stirbt der Freund für mich! Lob sey der Göttin! Ihr Nektar begeistert ohne zu berauschen, ihr Kuß berauscht ohne zu entzaubern; ewig säuselt des Lenzes Hauch durch den Hesperischen Hayn und Kühlung um des Wallers Schläfe.

So sage denn endlich was Du mit diesem Pathos gesagt haben willst? Könnte die Einbildungs-Kraft den Essig des Lebens in Honig, den Kerker zum Faul-Bett, die Geißel des Schicksals zur sammtenen Hand der Charis umschaffen, so wollt ich heute noch jeder bessern Geisteskraft absterben.

Wer von dem Farbenspiele seines Gemüths spricht „versetzte Gregor“ wird der Mißdeutung nie entgehen. Zerfallen mit der Gegenwart anticipirt mein Herz das Heil der Zukunft und lebt schon jetzt im Geist auf bessern Sternen.

Eine Dame rollte pfeilschnell, im Phaeton, an dem vergitterten Fenster vorüber.

O Himmel! „rief Woldemar“ Meine Braut! —

„Mein Weib!“ rief Gregor und rieb sich, wie aus einem Traum erwachend, Stirn und Augen „Ja — Ja! ich wache, sehe, lebe noch und das war Julie.“

Julie von Wessen! „fiel der Hauptmann ein“ die Wittwe eines Officiers.

Wittwe? sagte dieser — O, wollte Gott!

Woldemar blickte ihm starr in’s Gesicht. Jenes Geschwätz, und diese Aeußerungen schienen auf heimliche Verrücktheit hinzudeuten, und dennoch sah ein ruhiger, besonnener Geist aus seinen Augen. Deine Braut! rief Gregor mit einem seltsamen Lächeln.

Die auf jeden Fall einer von uns verkannt hat.

Du nanntest sie bey ihrem Nahmen. Sie trägt den meinen.

Armer Gregor!

Sag: Aermster Wessen — So nenn’ ich mich.

Woldemar schüttelte zweifelhaft den Kopf. Dein Erstaunen „fuhr jener fort“ beweist daß Du sie kennst und daß sie mich zu den Todten warf. Auch lag ich bereits unter diesen. Eine mitleidige Bäuerin, welche die Opfer des Schlachtfeldes verscharren half, fand noch Spuren des Lebens in dem Verscheidenden und entriß mich dem sanften Erlöser. Ich ward in ihre Hütte getragen, verbunden, gepflegt und kam nur allmählich aus dem finstern Gebiete des Nichtseyns zurück. Man hatte mich Unbekannten, zur Ehre des Schutzheiligen meiner Weckerin, Gregor genannt. Ich ward unter diesem Nahmen in das Haupt-Spital, und späterhin mit mehrern genesenden Gefangenen in das Innere abgeführt. Mein Zustand verschlimmerte sich von neuem. Was ich auch, nach der endlichen Herstellung zu meinem Besten that und sagte, ward als ein Hirngespinnst des Wahnsinns belächelt, da man mich nackend, ohne Kennzeichen meines Ranges unter den Leichnamen hervorzog, und ich mich späterhin nur mit diesem Kittel bedeckt fand.

Thränen stürzten jetzt aus seinen Augen. Noch leidet freylich mein Kopf „fuhr er mit fallender Stimme fort, und bedeckte mit der Hand die tiefe Narbe“ doch mein Gemüth leidet noch mehr. Ich habe eine zärtliche Mutter verlassen. Sie wird bitterlich um mich weinen. Eine traute Schwester — Tief und herzlich wird sie um den Verlohrnen trauern. Ein treulos Weib! — Es wird den Schmerz erheucheln wie einst die Liebe. Schnell ergriffen sprang er auf. „Sagtest Du nicht daß sie hier sey?“

Mit nichten! „erwiederte Woldemar und drückte ihn auf sein Lager zurück“ Doch Deine fromme Mutter lernt ich kennen und diese Schwester ward mir werth. Ermanne Dich nur! Die Rückkehr des Verlohrnen wird diese Thränen überschwenglich vergelten und alles schnell zum Besten kehrn. Aber Gregor vernahm des Trösters Stimme nicht. Er starrte bewußtlos vor sich hin, und vergrub sich tief in sein Stroh.

Woldemar stand noch, von den schmerzlichsten Empfindungen bewegt, vor dem Unglücks-Gefährten, als der Aufwärter in die Zelle trat und ihm ein geöffnetes Paquet übergab, daß seiner Aeußerung zu Folge ein eben durchreisender Officier für ihn mitgebracht habe. Er erkannte auf den ersten Hinblick die Hand des Julius und ein freundlicher Sonnenstrahl fiel durch die Nacht der Schwermuth in sein Herz.

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