Siebzehntes Kapitel.

Noch verbarg die Frau von Wessen, von Aerger, Gramm und Angst bedrängt, ihre besten Geräthschaften, als ein Trupp feindlicher Husaren in den Hof sprengte, zum Willkommen mit Pistolen in die Fenster schoß und den angespannten Wagen umringte.

Die Baronin saß bereits, der Töchter gewärtig, in diesem, Julius stand mit ihrem Staub-Mantel in der Hand vor Augusten, eine Kugel schlug zwischen beyden hindurch. Schnell gefaßt warf er das leichte Mädchen auf den Arm und stürzte mit ihr durch die Gartenthür den Hügel hinab. Sie wieß zum nahen Walde, nach einem Fußpfad hin, der tief in den Forst zu der Wohnung eines Wildhüters führte. Bergab, bergauf schlang sich der unwegsame Pfad und bald verschwanden Kraft und Odem. Die schöne Bürde glitt am Fuß einer Eiche von seinem Arm, er sank erschöpft an ihre Seite. Das Bedenken, mit einem solchen Manne und von ihm verpflichtet in dieser Wildniß allein zu seyn, ging in dem Gram über das Schicksal der Mutter, über die höchst gewisse Plünderung des Schlosses, über das unselige Verhängniß ihrer Zukunft unter. Schrecklich brauste jetzt der Donner des Geschützes durch den Hayn. Auguste raffte sich verstummend auf und eilte fort. Er stürzte der Besinnungslosen nach und immer dunkler ward der Wald; die Sonne sank, man kam zur Wildhütte. Der alte Jäger erstaunte, die Tochter seiner Herrschaft hier zu sehen, erquickte die Hinsinkende mit Brot und Milch und versprach, bewegt von des Fräuleins befehlender Bitte und dem Golde das ihm Julius verhieß, sich nach dem Einbruche der Nacht auf die Wessenburg zu schleichen, und wo möglich die dort Verlassenen ihnen nachzuführen. Er füllte die Lampe mit Oehl, schloß die Thüre hinter den Einsamen zu und ging davon. Auguste sah umher, sah dem lauschenden Gefährten in’s Auge, untersuchte das Thürschloß, schlich weinend auf und ab und warf sich jetzt auf ihre Kniee nieder. Sie sprach mit Gott. Laut betete das schmerzerfüllte Mädchen und unwillkührlich falteten sich die Hände des Hörers. Ihr Angesicht verklärte sich; ein leises Amen flog, wie Geister Säuseln, von den Lippen der Beterin.

Julius faßte, als sie sich jetzt mit freudigem Muth erhob, bis zu Thränen gerührt, ihre Hand.

Wie ist Ihnen denn? fragte sie, voll zärtlicher Theilnahme und trocknete die Perlen des heiligen Mitgefühls von seinen Wangen.

Wie dem Gerechten! entgegnete er. Ich glaubte den himmlischen Gespielen wieder zu sehn, der einst die seligen Träume des Knaben verschönte — Den Engel der in des Kindes Glauben lebte, und mit des Jünglings Unschuld floh. Sie haben da eine Kirche vor mir aufgethan, in der ich, unrein wie der Zöllner stand.

Den fürcht’ ich nicht! erwiederte Auguste und setzte sich vertrauend an seine Seite. Julius pries, um diesem Vertrauen zu entsprechen und ihre Besorgnisse durch ein ernstes Gespräch zu zerstreuen, den Heilquell des Glaubens. Er sprach von seinem wohlthuenden Einfluß auf die Bildung des Herzens; gedachte der väterlichen Lehren, des mütterlichen Vorbildes, der Fluth der Sinnlichkeit die seine Gelübde und die reiche Saat der elterlichen Mühe verschlang. Plötzlich „fuhr er fort, denn sie hörte ihm mit Andacht zu“ faßte mich eine Hand. Es war die Hand des Todes-Engels, der mich am Sarge meines Vaters mahnte. Fremdlinge und Verwandte umgaben ihn; ihre Klagen, ihre Thränen, ihr Lob weihte seine Asche. Die Feinde selbst ehrten sein geheiligtes Andenken.

Und was würden sie denn am Sarkophag des Sohnes sagen? „fragt ich mich auf dem Wege zu der väterlichen Gruft!“ Wo sind die Opfer die du dem Glauben an die ewige Wahrheit der Tugend gebracht hast? Die Saaten für jene Welt gesät? Die Siege über das thörichte Herz errungen? Jetzt zeige die Wunden auf, die du heiltest, die Keime der Fruchtbäume die du gepflanzt hast! Beschämt, vernichtet, stand ich vor dem innern Richter, wendete den Blick in mein Innerstes und verzweifelte für den Augenblick an der Rettung aus dem verzauberten Schloß, denn an jeden Finger hing sich eine Schooßsünde die mich nicht lassen wollte. Meine Arme lähmte die Unthätigkeit, eine schmeichelnde Vertraute meinen Willen; in jedem Winkel spottete ein Satyr den grämlichen Pedanten aus.

„Still“ sprach das Fräulein zu dem Beichtsohn. Eben klopfte man an den Fensterladen. Auguste bebte, Julius zog die Pistolen hervor, und verbarg das Licht.

„Aufgemacht!“ rief es. Zwar mischte sich ein bittender Ton in die Stimme, aber Satan bat ja schon öfters mit Engels-Zungen um Einlaß. „Ich bin es, guter Jakob!“ versicherte Frau von Wessen.

Julius antwortete an des Wildhüters Statt. Aber die Thür war von innen nicht zu öffnen und der Alte hatte den Schlüssel mitgenommen.

Sie werden doch eine Hand für mich frey haben „entgegnete Julie“ um mir durch den geöffneten Fensterladen herein zu helfen. Er folgte schnell dem Winke und zog die Füllreiche nicht ohne Anstrengung, nach manchem fehlgeschlagenen Versuch hindurch. Vergebens hatte Auguste während dem zu wiederhohlten Mahlen nach dem Schicksal der Mutter gefragt.

Das „sprach die Schwägerin, als sie jetzt wieder auf ihren Füßen stand“ das kann kein Gegenstand für ein so pflichtvergessenes Mädchen seyn, das allen dem was ihr am theuersten seyn sollte, den Rücken kehrt, um mit ihrem Retter davon zu laufen. Verzeihen Sie mein Herr, wenn etwa die verwünschte Dritte den Erguß der feurigen Dankbarkeit unterbrach.

Ihre Verzeihung „fiel Julius ein“ ist um so überflüßiger, da wir vor Gottes Augen wandelten.

Der Wittwe Hohngelächter empörte ihn. Vor Gottes Augen! „wiederhohlte er“ wir dürfen keck die bösen Geister Lügen strafen.

Was kümmert’s mich! „entgegnete sie“ Laß uns Friede machen und Entschlüsse fassen, denn diese Nacht dauert nicht ewig und meine Kräfte sind erschöpft. Rund um erleuchten feindliche Wachtfeuer den Himmel, nur gegen Osten hin scheint mir der Weg noch frey zu seyn.

Auguste warf sich schluchzend an ihren Hals. Sage mir „flehte sie“ wie und wo Du die Mutter verließest, denn eine furchtbare Ahnung bedrängt mein Herz.

Quälle mich nicht „entgegnete Julie“ Und wenn Dich nun vorhin jemand beschworen hätte, ihm zu sagen wo die vermißte Schwägerin blieb, was hättest Du denn zu erwiedern vermocht?

Konnt’ ich Dich aufsuchen? versetzte Auguste — Dem nahen, sichern Tod entflohen wir und tief im Wald erst kam mir die Besinnung wieder.

Das ist auch mein Fall. Mich aber nahm kein beschützender Mann an sein Herz. Mir selbst überlassen mußte ich Rettung suchen, und nur die Schrecken der Nacht, nur die grause Furcht vor Ungeheuern, nur der Gedanke an Woldemars Schicksal begleitete mich. Ueber mir rauschten die Wipfel wie der Fittich des Würgengels, aus jedem Dickicht sah bald ein weißer Geist, bald eine blutige Gestalt hervor und während dem Du hier in schöne Augen sahst, hat mir kein Stern geglänzt, sah ich nur Bilder des Entsetzens.

Auguste drückte die Hand der Schwägerin an ihre Lippen. Arme Schwester „sagte sie“ Ich hab auch recht für Dich gezittert und gebetet.

Dann hat mir freylich nichts begegnen können „entgegnete diese und lächelte wegwerfend.“

Wie? „fragte Julius“ Sie könnten die Vorsprache eines so himmlischen Gemüths verschmähen? Die geheime, durch tausend Erfahrungen bewährte Kraft eines feurigen Gebets bezweifeln? Ich für mein Theil muß zur Ehre des guten Geistes bekennen, daß ihn mein Herz in bangen, schrecklichen Stunden, in Lagen die ich für die äußersten, in Augenblicken die ich für meine letzten hielt, nie vergebens um Licht und Rettung anrief.

Ich für mein Theil „erwiederte Julie“ gestehe dagegen, daß mir bis jetzt der gute Geist der Besonnenheit noch immer viel sicherer als ein feuriges Gebet aus der Noth half, aber selbst das eiserne Fatum hat seine Günstlinge und ich zählte Sie schon beym ersten Anblick unter diese. So macht mich denn zur Genossin des Lichts und des Raths den diese Bethstunde vom Himmel herablockte. Mir scheint es ganz ohne Zuthun einer Schicksals-Macht höchst gerathen noch vor Tages Anbruch der nächsten Station zuzueilen, und falls sich da um keinen Preis Pferde vorfänden, auf gutes Glück mit der geschlagenen Armee fortzuziehen. Hat ihre Niederlage sie nicht um allen Rittersinn gebracht so wird er sich gewiß zu Gunsten junger Damen äußern, die aus verweinten Augen sehen.

Julius und Auguste entgegneten einstimmig daß man für’s erste die Rückkehr des alten Wildhüters abwarten müsse, dem es bey seiner Kenntniß aller Schliche gewiß gelingen werde, die Baronin aus dem Schloß und in ihre Arme zu führen. Deine Zweifel aber an der Thätigkeit einer höhern, leitenden und erhebenden Hand „setzte Auguste hinzu“ sind bereits durch die Fassung mit der Du ganz wider Erwarten die Sage von Woldemars Unglück hinnahmst und durch das Wunder, welches Dich durch die Nacht und die Feinde und den unwegsamen Wald in unsere Mitte brachte, widerlegt.

Schnell erglühend sagte Julie „Ich fand noch eben Kraft genug in mir, den Triumph der schadenfrohen Mißgunst durch Gleichmuth und Entsagung zu verkümmern, und unter diesen Umständen in der Nachricht von des Hauptmanns Schicksals den besten Trost.“

Julius setzte sich bereits zurecht, der erklärten, unversöhnbaren Widersacherin die Spitze zu bieten, als der alte Jäger in das Stübchen trat und Augusten ein Billet von der Baronin überreichte.

Geliebte Tochter „las das Fräulein mit zitternder, von Furcht und Hoffnungen bewegter Stimme“ ich melde Dir daß sich Deine Mutter zwar, gleich dem Daniel in der Löwen-Grube befindet, doch gleich wie er, ganz unversehrt daraus hervorzugehn gedenkt. Es liegt bereits ein feindlicher Oberster in dem Gast-Zimmer dessen Ankunft allem Unwesen schnell ein Ende macht. Ich kann die Güte mit der er hier verfährt, nicht beschreiben und rathe Euch deshalb sogleich zurückzukommen, da er nicht allein meine vorgehabte Entfernung gut geheißen sondern sich selbst erboten hat, uns in dem zugestandenen Wagen bis über die Vorposten begleiten zu lassen etc.

Auguste schlug hoch erfreut in ihre Hände, und Julius bot ihr den Arm. Lassen Sie uns eilen „sprach er“ denn leicht könnt vor Abends noch ein Unhold an die Stelle des menschlichen Schutzgottes treten.

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