Drey und zwanzigstes Kapitel.

Hermine hatte in den folgenden Abenden genau um dieselbe Stunde dieselbe Vision und versank darauf jedes Mahl in einen tiefen Schlaf, ohne sich beym Erwachen des Vorgangs bewußt zu seyn. Augusten faßte allgemach das Grauen, wenn die bleiche Dulderin oft mitten unter traulichen Gesprächen nach irgend einem dunkeln Winkel des Zimmers hinwies und getäuscht von Sehnsucht und Phantasie den Gatten ihres Herzens im leeren Raum sah. Der Arzt verschrieb, demonstrirte, tröstete und unterhielt die Damen mit ähnlichen Beyspielen die sie immer noch furchtsamer machten und Therese kehrte bereits in der Stille zu dem verworfenen Glauben an die Möglichkeit sogenannter Ahnungen zurück und sah von Tage zu Tage einer Trauerpost entgegen.

Eben nahte sich der Zeiger eines Abends der Geister-Stunde als Hermine die Schlummernden mit angsthafter Stimme bey ihren Nahmen rief und sie bat die Gartine des Fensters aufzuziehen, denn es hat „setzte sie unter Schauern hinzu“ zu wiederhohlten Mahlen leis’ und seltsam an die Scheibe geklopft. Beyde Freundinnen eilten an ihr Bett hin, sprachen ihr zu und hörten beyde jetzt an der bezeichneten Stätte dasselbe Klopfen.

Ich wache schon seit einer Stunde „entgegnete Hermine“ bin ohne Fieber und habe mit Entsetzen, leise, klägliche Seufzer vernommen, die dem Klange der Scheibe vorangingen. Fürchtet Ihr Euch so ruft die Wärterin, denn daß ein Mensch oder ein Geist vor ihm lauscht, ist außer Zweifel. Die Wärterin, welche in der offen stehenden Kammer schlief und von dem Gespräch erwacht war, kam jetzt herein, glaubte, vertraut mit Herminens Zustand, die Kranke durch Erfüllung ihres Willens zu beruhigen, zog die Gardine rasch empor und fuhr mit einem Angst-Geschrey zurück. Ohnmächtig sank Auguste am Bette nieder, Therese verbarg ihr Gesicht in den Kissen der Schwester, Hermine aber wendete sich erbleichend nach der Wandseite und lispelte — „Er hat vollbracht.“

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