Zwey und zwanzigstes Kapitel.

Da siehst Du nun „sprach Therese, und hob die Wiege vor das Bett der tief bewegten Mutter hin“ wie wenig Glauben auch die bängste Ahnung verdient. Wir zitterten, von Deinem Beyspiel angesteckt, vor der entscheidenden Stunde; aber sie nahm unsern Kummer mit, und gab uns diesen Liebes-Gott. O Hoffnung, o Geduld! Ihr seyd die Perlen unsers Kranzes.

Auguste weihte den Knaben mit stillen Segnungen, Therese ihn mit lauten Küssen, Hermine mit heiligen Thränen ihr Ebenbild.

Zwar „sprach Auguste“ sind die Männer die begünstigten Schooßkinder des Himmels, aber wiegt wohl ihr höchster Genuß, ihr süßester Rausch, ihr schönster Gedanke das Entzücken einer Mutter auf?

Die Männer „fiel Therese ein“ sind wilde Bäume, und höchstens nur zum Rauschen gut, bis sich die Dryas naht und sie begeistert.

Potz tausend! „rief Auguste“ das ging hoch.

Aber vom Herzen! Ist auch das Bild gesucht so paßt es doch und der Himmel verzeihe jeder die ihnen zu viel thut. Ich glaube, das hält schwer. Die Undankbaren! Mit einem hoffärtigen „Ich danke dir Gott!“ sehn sie auf unsere Kinderstuben nieder und in dem sanften, wachenden, erhaltenden Schutzengel des Hauses nur die gebrechliche Dienerin ihrer Begierde. Des Heldentods der schmerzenreichen Mütter wird kaum gedacht; weder der Ruhm noch ein Ehrensold vergilt unsere Entbehrungen und unsere Opfer — Geräuschlos bringen wir die größten dar; ruhmredig prahlen Sie mit den kleinsten. Fast immer folgt ihnen die Vergeltung auf dem Fuß, wir werden fort und fort an eine andere Welt verwiesen.

„Dein Eifer, Mädchen, hat das Kind erweckt“ schalt Auguste und legt’ es an der Mutter Brust. Hermine versank in dem Anschaun des Lieblichen und vergab sich jetzt die schwache Stunde. Wie hold du bist „sprach sie den Schmerz vergessend.“ Wie diese Augen glänzen — die Lippe lächelt schon! Als hätt’ ihn mir die gute Fee gebracht.

Die Freundinnen stimmten bey; der Kleine ward, wie einst Latonens Sohn von den Göttinnen, bewundert, geliebkost und gewiegt. Ich wollte „sagte jetzt Therese, um die erschöpfte Schwester einzuschläfern“ daß es noch Feen gäbe, das Leben wäre dann um eins so schön. Meine Gräfin hatte ein altes Buch voll solcher Mährchen, es war bey weitem besser als manch Dutzend unserer Zauber-Romane — Die Fingerzeige der weisen und mächtigen Balsamine haben mich oft mit dem Schicksal versöhnt und mein Herz von der Sucht der Wünsche, von dem Verlangen nach den scheinbaren Gütern des Lebens geheilt. So spricht sie unter anderm einst, nach der Feen Weise, als altes Mütterchen, Fräulein Amanden um ein Almosen an. Amanda, welche eben in Thränen schwimmt, begabt sie reichlich und wird nun in aller Demuth gefragt, warum sie denn die Rosen und Lilien ihres lieblichen Angesichts mit dieser Perlen-Fluth bethaue? Die Herzlichkeit der Alten erweckt Vertrauen. Eines Liebhabers wegen! sagte Amanda. Ist er denn unbeständig? Treu wie Gold! Eifersüchtig? So will sie ihn — Arm? Unglücklich? Gefährlich krank? Mit nichten! gesund und reich, und ganz wie er seyn soll, aber alle diese Vorzüge werden von seiner Häßlichkeit verdunkelt. Zwar bin ich ihm „versichert sie“ dem ohnbeschadet vom Herzen gut, doch die Schwestern und Freundinnen werden nicht müde meines Geschmacks zu spotten, und lächeln schadenfroh so oft er mich die Seine nennt. Wag’ ich es dann, der Lieblosigkeit zum Trotz, ihm unter mehr als vier Augen ein schönes Wort zu sagen, oder wohl gar einen Kuß auf seinen ungebührlich großen Mund zu drücken, so greift die eine nach ihrem Tuch, die andere kichert hinter ihren Fächer, die dritte lacht ihr Strickzeug an und meine Schammröthe verwundet sein Innerstes.

Balsamine schlich jetzt zum nahen Kreuzweg hin, pflückte dort nach langer Wahl ein grün und gelbes Blümchen, kam zurück und sprach: das Gute war immerdar heilbringender als das Schöne und ein reizloser Mann viel reizender als zehn Werthlose; doch wächst für den gedachten Uebelstand ein wundersames Hausmittel am Wege das Du nach Belieben gebrauchen magst. Hat dein unlieblicher Freund zu dreyen Mahlen an dies Blümchen gerochen, so wird er schnell genug der Schönste aller Schönen werden. Amanda glaubte sich gefoppt und suchte die Vorlaute durch einen wegwerfenden Blick zu entfernen, Balsamine aber legte das grün und gelbe Wunder-Blümchen auf ihren Schooß und sagte — „Nur siehe zu, was Du thust, denn manches Uebel ist ein Gut. Schon mancher warf mit der stinkenden Muschel die köstliche Perl weg und den Kern statt der Schale. Treuherz folgt in Noth und Tod, aber Schönlieb ist aller Mädchen Schatten.“ Das Fräulein sprach „Es ist schon gut, sie kann nun gehn.“ Die Alte ging, Amanda sah ihr nach und ihren Amatus in der Allee herabkommen. Die Schwestern haben Recht! „gestand sie sich“ er wird von Tage zu Tage garstiger. Kein Ziegeuner kann bräuner, keine Mohren-Nase stumpfer, kein Juden-Kinn verletzender seyn. Amatus sah von Ferne schon die Falten ihrer Stirn, die hängende Unterlippe, den starren, auf ihre Arbeit gehefteten Blick und setzte sich seufzend an ihre Seite. Sie seufzte auch und schob die Thränen, die sich unaufhaltsam in ihre himmelblauen Augen drängten, auf Rechnung eines heftigen Schnupfens. Er suchte sie durch die Versicherung daß sich jedes heftige Uebel in der Regel am schnellsten erschöpfe, zu erheitern, spielte mit ihrer Busen-Locke und langte bald darauf auch nach dem seltsamen Blümchen das noch auf ihrem Schooße lag. Wollte Gott, dachte sie und sprach im Scherze „Riech ein Mahl!

Es riecht nach gar nichts! „versetzte er, und drückt’ es tief in die häßliche Stumpfnase“ es kriebelt nur!

Ists möglich? „rief Amanda in ihre Hände schlagend“ Ja, ja, sie wächst! Ich seh’s genau; die Nase streckt sich! Mehr verlang ich nicht! Aber schon verschmolz der schwarze Stachelbart in blaue Schatten, die weit geschlitzten Lippen schlossen sich zum Rosenkelche, des Herzens sanfte Flamme strahlt’ aus dem verklärten Augen-Paar, und als ihm die Ungenügsame das Blümchen zum dritten Mahl hart vor die umgeschaffene Nase hielt, wich das Mulatten-Gelb dem herrlichsten Inkarnat der je einen Feen-Günstling verlieblichte, wurden die röthlichen Lichtspieße zu goldenen Locken, formte sich der vieleckige Scheitel zum Apollons-Kopf um.

O Du Göttlicher! rief das Fräulein, erfreute ihn mit feurigen Küssen und beschwor den Verwunderten sie heute auf den Ball zu begleiten.

Amatus war entzückt den Dämon ihrer Laune so schnell entfliehen zu sehn und gab Amanden stracks den Arm. Ihm war als hab er immer so ausgesehn und allen Freundinnen und Bekannten als hab ihnen nur von der Häßlichkeit des engelschönen Mannes geträumt — Jetzt lächelte, statt der Spottsucht, das Verlangen aus diesen; jetzt hatte jede die sonst auf alle Tänze versagt war, die besten für ihn aufgehoben, und die ihn gestern noch wie einen Unhold flohn, suchten den unstäten heute mit allen ihren Zauberkünsten fest zu halten —

Leiser! „bat Auguste“ sie schlummert sanft.

„So schlafen wir auch!“ entgegnete die Erzählerin und setzte sich, erschöpft von Nachtwachen zurecht, um nun ein wenig auszuruhn. Die Baronin aber, der das Mährchen gefallen hatte, versicherte, sie werde sich durch diesen unzeitigen Schlaf die Nacht verderben, und auch Hermine schlug jetzt die sanften Augen auf, und erbat sich die Fortsetzung.

Wenn Ihr es denn befehlt, gnädige Frauen! „sprach Therese,“ so will ich in der wunderseltsamen Geschichte des grünen und gelben Blümchens fortfahren und wünsche nur, daß mein ungeschicktes Bestreben, Eure Nachsicht verdienen mögen.

Auguste nickte lächelnd, Hermine warf ihr einen Kuß zu und diese sprach —

Ihr könnt glauben, daß sich Amanda vor Freuden nicht zu fassen wußte, wenn die Eine sie die beneidenswertheste Braut nannte, die Andre nicht müde ward ihr jeden seiner Reitze vorzuzählen; wenn eine Dritte, Vierte und Fünfte bey jeder Liebkosung die er Amanden brachte, aus Mißgunst theils und theils aus Mitgefühl erröthete. Aber die Freude der Eigensucht ist ein flüchtiger Wildfang. Er fliegt am Arm der eitlen Hore fort und keine Fessel bindet ihn.

Immer hatte der Vielgetreue sonst, von den Grazien gemieden, des Winkes seiner Braut gewärtig gestanden, jetzt mußte sie oft Stundenlang den zarten Hals verlängern um ihn im dichten Mädchen-Kreise auszuspüren. Sonst labte er sie während der Tänze mit Thee, kredenzte ihr bey Tafel den Wein und den Kühltrank, jetzt trank er diesen, erhitzt vom Walzer selbst, und hatte dann soviel mit seiner Mühmchen-Schaar und ihren Nachbarinnen zu verkehren, daß die Vergessene oft voll Ingrimms in den Fächer biß.

Sonst pries er sich selig sein gewaltiges Haupt auf dem Halse einer Huldgöttin wiegen zu dürfen, jetzt scheinen diese Wiegen im Preise gesunken und Hände, die ihm sonst im Pfänderspiel bald Schnippchen schlugen, bald in die Wade stachen, lockten den verwandelten Amatus jetzt, der Taube gleich, mit sanften Flügel-Schlägen. Bald schwindelte ihm der Apollons-Kopf, die Weibergunst blies ein Licht seines Verstandes nach dem andern aus; nur wie zur Frohne schlich er nun mit dem getheilten, erkälteten Herzen zu der schmollenden Braut. Die fromme Gutmüthigkeit, die reine Treue, die sittliche Güte, der schöne Kranz seltener Vorzüge, über dem Amanda früher oft die vermißte Blume der Körper-Schönheit vergessen hatte, war bis auf die letzte Spur verschwunden.

Die getäuschte Braut verwünschte ihre Uebereilung, sah täglich nach allen Winden hin der alten Bettlerin entgegen und in jedem Spital-Weibe Balsaminen. Aber diese ließ sich weder hören noch sehen.

Als endlich das zerfallene Paar eines Abends wieder in finsterer Zwietracht auf der Rasenbank saß, fiel Amanden am Schluß ihrer Gesetz-Predigt, die, gleich allen Predigten, wo nicht ungehört, doch unbeachtet blieb, der Kreuzweg in’s Auge. Sie gedachte des Störenfrieds welchen das Mütterchen dort gepflügt hatte, sammelte von einem Gedanken überrascht, die ganze Flora dieses Platzes in ihre Schürze, tratt vor den schweigenden Flattergeist hin und sprach — Wie kräftig! Riech ein Mahl! Spöttisch warf er den Kopf in die Höhe, Amanda aber flehte jetzt so liebevoll und hob ihr Schürzchen so hoch empor, daß Amatus endlich der unschuldigen Bitte nachgab, zu ihrer Verzweiflung immer noch schöner ward, und nach öfterm Gähnen plötzlich davon ging. Sie sah ihm hoffnungslos, wie damahls Balsaminen nach, und o Himmel, da kam die Fee ganz unverhofft am Krückenstabe in der Allee herab. Amanda griff zu ihrer Arbeit und that als habe sich kein Wässerchen durch ihre Schuld getrübt.

Guten Abend, schönes Fräulein! „sprach das Mütterchen“ ich seh ihr weint nicht mehr, und werdet mir nun um so williger eine Gabe reichen.

Ich wollte alles was ich habe, darum geben „entgegnete Amanda“ wenn mein Liebster noch häßlicher als zuvor, und wieder der Alte wäre. Euer verwünschtes Blümchen hat nichts als Unheil angestiftet, und wenn Ihr mich lieb habt und Euch mein Unglück zu Herzen geht, so sorgt dafür daß er künftig nur mir gefalle, denn wenn auch seine Nase den Kunstsinn nicht befriedigte, so würde ich ihn doch viel lieber ganz ohne diese, als in einer so hoch stehenden sehen; auch zieh ich jetzt ein Auge, das liebevoll an meinen Winken hängt, und wäre es grau und schielend, den schönsten Sternen vor, die ohne Auswahl allen leuchten.

Ihr hättet bedenken sollen „sprach die Fee“ daß es auf Erden keinen Gewinn ohne Verlust, kein Licht ohne Schatten geben kann, und daß die reichsten Geschenke der Natur, in der Regel, durch die häßlichsten Fehler verdunkelt oder aufgewogen werden. Die Vollkommenheit, schönes Fräulein, erscheint hienieden, gleich dem Silberblick edler Metalle, nur wie ein flüchtiges Meteor, und der Phönix ist kein Spielzeug für Kinder die noch, wie Ihr, dem unscheinbaren Kleinod einen rothbäckigen Hampelmann vorziehn.

Das Fräulein gab ihr in allem Recht, bat aber flehentlich um irgend ein anderes Blümchen, das den unseligsten aller Zauber zu lösen, und ihren Amatus wieder so häßlich, aber dabey auch wieder so gut als zuvor zu machen vermöge. Euer nächster Kuß „erwiederte Balsamine“ wird, wenn es Euch anders Ernst damit ist, die Wirkungen des Blümchens aufheben, nur sehet, zu was ihr thut, denn wer nach dem Unvergänglichen strebt, darf kein Opfer scheun, und den Götzen nicht schonen, wenn er die Götter versöhnen will. Am Ende könntet Ihr mich wohl wie gestern verwünschen und ich würde dann ganz unfähig seyn ein so bestandloses Herz zum dritten Mahle zufrieden zu stellen. Aber seht, dort kömmt Euer Ungetreuer mit einer ganzen Schaar lockender Jungfrauen in der Allee herab. So lebt denn wohl, armes Fräulein und fortan in der festen Ueberzeugung, daß nur ein bösartiges Gemüth den Menschen entstellt, ein edles hingegen auch über die entschiedenste Häßlichkeit einen gewinnenden Zauber verbreitet.

Amanda vernahm diese Worte kaum und bemerkte das plötzliche Verschwinden der Fee um so weniger, da ihre gefährlichste Nebenbuhlerin an seinem Arme wandelte und die andere ihm ein Liedchen vorsang, daß die Sehnsucht des liebekranken Herzens aussprach. Sie rauschte einer Windsbraut ähnlich, nach der Allee hin. Amatus ließ, von dem Anblick bestürzt, den Arm der Begleiterin aus dem seinen fallen und fühlte seine Lippe mit tausend gierigen Küssen bedeckt. Der Mädchen-Kreis schlich spöttelnd und beschämt abseits, sie aber lachte laut als das Antlitz des Geküßten plötzlich in die frühere, abschreckende Form zurückschnellte. Sie lachte zu früh.

O Himmel „rief jetzt Amatus“ wie siehst Du aus? Was ist meiner Amanda begegnet? Welcher schadenfrohe Zauberer hat Dich Arme in einen Spiegel verwandelt der mein abstoßendes Ebenbild zurückwirft? Erblassend warf Amanda einen Blick in den Bach der zu ihren Füßen wallte, und sank bewußtlos an ihm nieder, denn Amatus hatte Recht.

Ermahne Dich! „bat er, als das frische Wasser mit dem er die Verwandelte bespritzte, sie aus dem Scheintod des Entsetzens erweckte“ Wir wollen nun recht glücklich seyn! Mir ist aus der Götterlehre bekannt wie es dem Häßlichen erging als es sich mit dem Schönen vermählt hatte, und welche Rolle dem armen Vulkan an der Seite der Liebesgöttin zu Theil ward. Dieser Sorge seh ich mich jetzt auf immer überhoben und Ergebung in das unbeugsame Schicksal wird Amanden in meinen Augen viel reitzender als vorhin machen.

Die Unglückliche beweinte jetzt ihr thörichtes Beginnen und fast ging ihr der doppelte Verlust ihres schuldlosen Freundes mehr noch als der eigene, verschuldete zu Herzen. Der Bräutigam aber war nie fröhlicher gewesen und die junge Frau bereits seit Jahr und Tag mit dem Schicksal versöhnt, als ein engelschönes Kind sie für das mannigfache, aus dem Verkehr mit der Fee erwachsene Unheil entschädigte. Kaum hatte Amanda den Kleinen an ihr Herz gedrückt als sie plötzlich wieder schöner denn je ward; kaum neigte sich der gerührte Gatte zu dem Engel nieder als ihm dasselbe wiederfuhr. Das liebende Paar umarmte sich, still entzückt, über dem Kinde und ich Ungeliebte bitte die gütige und weise Balsamine, daß sie meine gnädigen Frauen sowohl als diesen kleinen Fee-Sohn in ihren freundlichen und mächtigen Schutz nehme.

Allerliebst! „sprach Auguste“ und Dir bescheere sie einen Amatus.

Hermine, die zu schlummern schien, richtete sich plötzlich auf und sprach — Es ist nicht gut daß Ihr es wagtet mich so plötzlich, so ohne alle Vorbereitung zu erfreuen. Aber, warum zaudert Er denn? Führt ihn doch näher — Her an mein Herz! Ach, Du Geliebter!

Auguste und Therese sahen sich betroffen an und nach der Thüre hin an der Herminens Augen fest hingen, dort aber ließ sich nichts erblicken und die Kranke sank mit geschlossenen Augen in das Kissen zurück.

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