Fünf und zwanzigstes Kapitel.

Julius fand bey seinem endlichen Eintritt in Herminens Asyl, Theresen in Thränen, seine Auguste der weißen Rose gleich und die Kranke noch bettlägerig. Jene sah nicht ohne tiefen Schmerz, die theure vielgeliebte Schwester allmählig vergehen, diese sah den Freuden der Mutter entgegen, Hermine duldsam und ergeben in das offene Grab. Der Geist des Geliebten war seit jenem Abend gewichen, selten nur gedachte sie seiner und auch dann nur wie die Erinnerung eines längst verschiedenen Jugend-Gespielen gedenken mag. Auguste hatte nach dem Ergusse der ersten Begrüssungen nichts wichtigeres als ihren herzgeliebten Gatten von allem was sie hier erfuhr, empfand und leistete, von Herminens Zustand und der Erscheinung jener Nacht zu unterhalten. Welchen Zuwachs „fuhr sie fort“ meine natürliche Bänglichkeit unter diesen Eindrücken und Umgebungen erleiden mußte und unter welchen Empfindungen ich in jener Schreckensstunde nach der Gardine hinsah, wirst Du selbst fühlen. Aber denke Dir auch jetzt mein Entsetzen, als der Vorhang nun aufrauschte und ein bleiches Gespenst durch die Scheibe sah. Der Sturmwind hob ihm die verwilderten Haare gen Berge, sein Stöhnen zerriß mein Ohr, mein Auge ward von bekannten Zügen festgehalten und als ich der Sinne wieder mächtig ward, hatten die Bedienten bereits den Garten durchsucht, hatten ein halb erstarrtes, in Lumpen verhülltes Schreckbild unter dem Fenster aufgefunden, und den Unglücklichen in das Gewächshaus gesperrt. Noch lag Hermine sprachlos da und zeugte zu der Kirche hin. Wir sandten nach dem Geistlichen. Er hörte mit Erstaunen was uns begegnet sey, vernahm die Bedienten, ließ sich in das Gewächshaus führen und bereitete mich nach der Rückkehr aus diesem, auf das Daseyn meines todt geglaubten, beweinenswerthen Bruders vor, den er sofort für den Augenblick bey sich aufnahm. Julius faßte voll Erstaunen ihre Hände. Eine Wunde „fuhr Auguste fort“ deren Narbe sich über die Scheitel bis in den Nacken hinabzieht, ist die wahrscheinliche Quelle seines Wahnsinns, denn bis jetzt nur wenig lichte Augenblicke unterbrachen. Er vertraute dem Pastor während eines solchen, daß er schon halb begraben, durch das Mitleid einer Bäuerin gerettet, geheilt, in das Innere Frankreichs abgeführt worden sey; daß ihm der heilige Gregor erschienen, ihm zur Flucht behülflich gewesen sey; daß sein Aussehn, sein Zustand und das Geleite des Heiligen ihm den Weg gebahnt habe. Er will zuerst auf der Wessenburg gewesen, dort nicht eingelassen worden und von den Hirten hierher gewiesen worden seyn. Auch hier fertigt der Gärtner den sinnlosen, scheinbar wilden Mann vor der Thür ab, er aber steigt bey Nacht über die Garten-Mauer, schleicht zu dem erleuchteten Fenster hin und veranlaßt die schrecklichste aller Scenen.

Gern, ach, gern „setzte die Baronin unter herzlichen Thränen hinzu“ wär ich längst an seinen Hals geflogen und hätt’ ihm die gesuchte, lang entbehrte Schwester finden lassen, aber der Pastor gestattet es nicht und besteht auch darauf, die Mutter in dem Glauben an seinen Tod zu erhalten. Darum verschob ich die Mittheilung dieser erschreckenden Neuigkeit bis auf Deine Herkunft, und Du wirst Dir nun leicht erklären können warum wir, trotz des Dranges Deiner Geschäfte, und der Triftigkeit Deiner Gründe auf dieser bestanden.

Julius säumte nicht, sich von dem Daseyn eines so merkwürdigen als Schrecken erregenden Verwandten zu überzeugen, fand ihn tief im Stroh vergraben das er dem einladendsten Bette vorzog und den Leibes- wie den Seelen-Arzt an seiner Seite. Jener erklärte ihn, kraft den Folgen der Wunde welche das edlere Gehirn verletzt habe, für unheilbar, und man kam überein, den Unglücklichen einer nahen Versorgungs-Anstalt zu übergeben. Tief bewegt kehrte der Baron jetzt an Herminens Bett zurück die ihm mit Innigkeit ihre brennende Hand reichte, ihm ihr liebliches Kind an das Herz legte, und den Freund mit süßen, tief eindringenden Worten bat, das nahe Weihnachts-Fest in ihrem Hause zu begehen.

Gern will ich das! „sprach Julius, ergriffen von Erinnerungen“ nur geloben Sie mir auch dagegen, es mit Heiterkeit zu feyern, und Ihren Gram in den Strom der ewigen Liebe zu versenken welche diesen Tag vor allen zum Freudenfest weihte. Mit einem schmerzlichen Lächeln versetzte sie „Bald, theurer Julius, bald wird mich dieser Strom umfangen.“

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