Fünfzehntes Kapitel.

Woldemar hatte indeß das Ziel seiner Bestimmung erreicht, sich gesund gemeldet und eine Masse lästiger Dienst-Geschäfte vorgefunden, die den Unkundigen bey dem Mangel an Rathgebern und Freunden, bey der feindseligen Stimmung die sein frühes Glück veranlaßte, schnell genug mit einem Stand entzweyten an dem ihn doch das eiserne Band der Pflicht und des Ehrgefühls festhielt.

Auf der Wessenburg herrschte jetzt nach langen Stürmen eine Windstille.

Juliens Arzt war der Leichtsinn, Augustens Trost das Bewußtseyn geworden und der himmlische Frühling goß das Füllhorn der Erneuung über sie aus. Eben war die Mutter mit Woldemars Braut auf ein nachbarliches Gut gefahren als sich ein fremder Baron bey dem Fräulein ansagen ließ. Viel lieber hätte die Einsame den unwillkommenen Gast abgewiesen aber es fehlt’ ihr für den Augenblick an einer glaubwürdigen Entschuldigung und so ward er denn angenommen.

Ein junger, blendend schöner Mann trat in das Zimmer. Sein hoher Wuchs, sein Apollons-Kopf, die würdevolle Anmuth seines Benehmens, gewann in voraus ein Gemüth dem der zärteste Sinn für die Gabe der Grazien anhing und der Gegenstand welcher ihn zu Augusten führte, war bedeutend genug ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.

Julius hatte nehmlich nach dem Empfange jener wenigen, nichts sagenden Zeilen welche Frau von Wessen damahls in Woldemars Nahmen schrieb, vergebens einer Antwort auf seine dringende, Herminens Ehre rettende Zuschrift entgegen gesehen; hatte endlich an den Adjutanten geschrieben, und von diesem einige Winke, Weisungen und Aufschlüsse empfangen die ihn zu der Reise nach dem fernen Schauplatz des Kriegs bestimmten. Von den Verhältnissen in denen sein getäuschter Freund hier stand wie von dem Charakter der handelnden Personen unterrichtet, hatte er im Posthause bereits seit Tagen den günstigen Augenblick erwartet, der ihm, Augusten ohne Zeugen zu sprechen, vergönnen würde. Er stellte sich ihr jetzt als Woldemars Vertrauten dar, den der Beruf, viel Unheil zu verhüten, vor ihre Augen geführt habe; bedauerte ihre Langmuth durch Weitläufigkeit erschöpfen zu müssen, unterhielt das Fräulein zuförderst mit Woldemars heimischen Verhältnissen, und von der seltsamen Katastrophe die ihn aus jenen weg, in den Krieg trieb.

Aber es fehlte viel daran daß seine Weitläuftigkeit das Fräulein ermüdet hätte: sie war ganz Ohr, und ihre Theilnahme machte sie von Minute zu Minute liebenswerther.

Herminens Vater „fuhr Julius fort“ hatte als Handlungs-Diener das Glück, der Tochter seines reichen Herrn zu gefallen, und im Gefolge dieser Gunst das Unglück, sich zu einem Schritte zu vergessen, der Theresen das Leben gab. Des Vaters Blindheit und der Beystand der Mutter machten die Verheimlichung möglich, der junge Mann ward nach Holland, das Kind der Liebe in ein entferntes Waisenhaus versetzt und des Kindes Mutter mit größerm Glück als Recht die Gattin eines bedeutenden Wechslers. Er starb im ersten Ehejahr und setzte sie zur Erbin ein. Der frühere Vertraute kam zurück, machte die verjährten Rechte geltend, verloschene Gefühle in dem Herzen der Wittwe wieder rege, und ward ihr Gemahl. Sie gebar ihm Herminen und starb in dem Kindbett. Er folgte ihr nach wenig Monden, vom Schlage getroffen nach, und sein redlicher Bruder nahm den verwaisten Säugling auf.

Falsche Schaam, die Quelle so manches Unheils, hatte es der Verschiedenen ohnmöglich gemacht sich späterhin zu diesem Kinde zu bekennen, doch sorgten die Eltern aus der Ferne für sein Wohl. Des Vaters schneller Tod entriß Theresen die letzte Stütze, denn es fand sich weder ein Testament noch irgend etwas das ihr Daseyn bezeichnet hätte, vor. Die Vorsteher jenes Waisenhauses überließen die heran Wachsende einer Dame, der sie ihre Bildung dankt, als aber diese zufolge einiger verlohrnen Rechtsstreite verarmte, und sie jetzt in die fremde Welt hinaus treten mußte, machten Bildung und Anmuth ihre Lage nur um so kritischer.

Der Thee unterbrach jetzt den Erzähler. Auguste kredenzte ihn; Julius bemerkte mit Wohlgefallen ein Paar der zartesten Hände und die ganz eigene Annehmlichkeit, welche Augustens Gliederspiel über die kleinste ihrer Bewegungen verbreitete.

Hermine „fuhr er fort, und rückte ihr vertraulich näher“ Hermine stört vor kurzem in der Schatulle ihrer Mutter, und trifft da, von dem guten Geist des Zufalls geleitet auf ein geheimes, mit Quittungen und Briefen angefülltes Fach, welches außer dem überraschenden Beweiser der mütterlichen Verirrung sichere Hülfsmittel enthält, die Spur der nie geahnten Schwester aufzufinden. Hermine sieht eine höhere Fügung in dem Ohngefähr, fühlt sich so geneigt als berufen die Verlassene mit ihrem Ueberfluße zu erfreuen, macht den Oheim zum Vertrauten und wird nicht müde ihn um Beystand und Vermittlung anzugehn. Der Onkel untersucht, überzeugt sich, empfiehlt ihr Verschwiegenheit; will erst das Wie und Wo erforschen, sich von dem Werth oder Unwerth der Person unterrichten, und der Wallung eines schönen Herzens durch weise Vorsicht Maß und Ziel setzen. Aber das übervolle hat sich bereits am Busen einer Freundin entladen und diese das Geheimniß unter dem Siegel der Verschwiegenheit ihrem Bruder, Herminens hoffnungslosesten Anbeter mitgetheilt. Armuth, Habsucht und der Groll verschmähter Liebe bestimmen ihn, die Entdeckung zu seinem Vortheil zu benutzen: er durchreist die bezeichnete Gegend und findet nach manchem Kreuzzug die Gesuchte zwischen Hunger und Kummer mitten inne.

Augustens Mädchen rief jetzt das Fräulein ab. Sie kehrte nach wenigen Minuten zurück, entschuldigte ihre Abwesenheit mit der angenehmen Sorge für sein Nachtlager und bat den Baron der ihr für diese Güte den feurigsten Dank sagte, um die Fortsetzung der Geschichte.

Goldne Berge „erzählte Julius“ werden jetzt Theresen gegen eine billige Vergeltung zugesichert, der Beweis ihrer Abkunft so überzeugend geführt, der Umfang ihrer Ansprüche so klar in’s Licht gestellt, daß sie nicht länger zögern mag, diese Kette schmerzlicher Entbehrungen mit dem verhießenen Ueberfluß zu vertauschen. Sie eilt, von den trefflichsten Zeugnissen ihres Wohlverhaltens unterstützt nach der Vaterstadt, erschreckt den Oheim durch die sprechende Aehnlichkeit mit Herminen, die von der plötzlichen Erscheinung überrascht, von diesen Zeugnissen gewonnen, von dem Anblick ihres Ebenbildes erschüttert an des Mädchens Hals fliegt, und die gefundene Schwester feurig willkommen heißt. Therese vernimmt mit Erstaunen, was bereits von hieraus für sie geschah, sieht sich statt der Verläugnung auf die sie gefaßt war, mit den zärtlichsten rein vom Herzen kommenden Liebkosungen überhäuft, und beschließt, in Schaam und Rührung aufgelöst, Gleiches mit Gleichem, die Großmuth durch Mäßigung zu vergelten. Ein seltsamer Wettstreit entspinnt sich nun. Hermine dringt auf eine Theilung der Erbschaft, Therese will sich dagegen nur vor dem Hunger geschützt, nur als eine Hülfsbedürftige geduldet sehen, am wenigsten im Kreise der Familie unter ihrer wahren Gestalt auftreten. Jene trägt ihre besten Kleider zur Auswahl für Theresen herbey, diese wählte sich einen häuslichen, schon getragenen Anzug. — Und so blieb denn das Mädchen meine Haus-Genossin, so verkannte Woldemar, der in diesem Momente weder die unzartere Haut noch das dunklere Haar in Betracht zog, seine schuldlose Braut —

Die ihn „fiel Auguste ein“ mit dem Daseyn einer solchen Schwester, schon um dieser gefährlichen Aehnlichkeit willen hätte bekannt machen sollen —

Ohnfehlbar „entgegnete Julius und das Fräulein erröthete“ schloß ihr nur die zarte Verschämtheit, oder die Achtung für den Ruf und die Asche ihrer Mutter den Mund. Ich bin am Ziele „setzte er mit einer leichten Verbeugung hinzu“ und Tag und Nacht gereist das unseligste aller Mißverständnisse auszugleichen, oder, wenn mir das nicht gelingen sollte, der Gekränkten eine Genugthuung zu verschaffen, die das Gesetz der Ehre vorschreibt.

Auguste seufzte tief und sprach „Am Ende war vielleicht die übereilte Entfernung Ihres Freundes eine unerkannte Wohlthat des Himmels der das edelste Mädchen auf diesem Wege von dem bestandlosen Manne befreyt hat.“

Meynen Sie? fragte er, und sah ihr tief in das blaue Augen-Paar.

Denn Ihrem Woldemar „fuhr sie fort“ weint bereits eine neuere Braut nach.

Man sagte mir das: ich glaubte es nicht. Jetzt — O jetzt muß ich’s fürchten!

Sie sind sein Freund. An Ihnen ist es, ihm den vorgefaßten Argwohn zu benehmen, ihn an ein Herz, das er zerrieß zurück zu führen.

O, nun es so weit ist, sind wir geschieden — der Rächer tritt nun an des Warners Platz.

Nein, edler Mann „sprach sie mit flehendem Silberton“ der Warner muß zum Engel und nicht müde werden bis ihm die gute That gelingt.

Julius küßte von dem Zauber dieser Töne, und von dem Geiste dieses Raths ergriffen, Augustens Hand, als die zurück gekommene Julie hereinrauschte, betroffen stehen blieb und die Gruppe mit blitzenden Augen maß. Das Fräulein stellte ihr in dem Gaste Woldemars Freund vor. Sie erwiederte seinen Gruß mit dem anmuthigsten Lächeln, zitterte bereits im Herzen vor den Zwecken dieses augenscheinlichen Störenfrieds und griff zu den magischen Waffen ihres Zaubers. Aber Julius sah durch den täuschenden Schleyer der Grazie in ein harmvolles Herz, in diesen unstäten Blicken, in dieser leisen, jeden Scherz verkümmernden Angst den regen Argwohn ihrer Schuld — und als er sie jetzt über dem Fräulein vergessen zu wollen schien, da ward die Charis plötzlich zur Ate, der Groll der Mißgunst trat auf ihre Stirn, Auguste aber zog sich mit sanften Erröthen hinter den Heiligen-Schein der Sittlichkeit zurück. Frau von Wessen faßte sich schnell; überschüttete die verstummte Schwätzerin mit Schmeicheleyen, lenkte nun, von dem Spiele seines Humors erheitert, das Gespräch auf den Hauptmann, dessen bis jetzt nur beyläufig gedacht worden war und erschöpfte sich in seinem Lobe. Julius begleitete es mit den Gebehrden des Beyfalls, erbat sich, als Auguste verschwunden war die Erlaubniß eine so theilnehmende Gönnerin seines Vertrauten von dem seltsamen Mißgeschick ihres gemeinsamen Freundes unterhalten zu dürfen und wiederhohlte Wort für Wort die Geschichte. Julie sah ihm erst in’s Auge, dann zum Himmel, von diesem zu Boden. Sie spielte bald mit dem Ridikül, bald mit den Gliedern ihrer Kette, erröthete, verblaßte, und stand eben im Begriff den Erzähler für ihre Ansprüche zu gewinnen, als die Baronin mit einem Brief in’s Zimmer trat. Sie übersah den Fremden in ihrer Bestürzung. Lies! „sprach sie kaum vernehmbar“ die Armee ist geworfen — der Feind im Anzug. Julie verschlang mit feurigen Augen den Inhalt der Nachricht. Er wird vermißt! „rief sie die Hände ringend“ Woldemar ist gefangen oder gefallen!

Der Himmel selbst „erwiederte Julius“ scheint dies Herz an die Entbehrung seines Lieblings gewöhnen zu wollen.

Sie wissen also „entgegnete Frau von Wessen“ daß Woldemar der Meine ist? Aber wissen Sie wohl auch, daß weder ein Mährchen, noch sein Erfinder, weder die Schlauheit einer Neben-Buhlerin, noch die Beredtsamkeit ihres Wortführers, mir ihn entreißen wird?

Ich weiß nur „fiel er ein“ daß der Feind gegen den er dies Schloß vertheidigte, bey weitem nicht sein schlimmster war und daß sein Weg zu Ihnen nur über mich geht. Aber wir streiten vielleicht über die Pflichten eines Todten, und thäten doch, falls diese Nachrichten gegründet sind viel besser, zu packen und zu fliehen.

Julie kehrte ihm tief empört den Rücken und folgte der Baronin, welche taub für den Wortwechsel mit dem Himmel verkehrt hatte.

Julius traf im Fortgehn auf das Fräulein. Werden wir uns widersehn? „sprach er“ und wie, und wenn? Längstens dort! „entgegnete sie“ und so Gott will, an einem schönern Tage.

Er drückte gerührt ihre Hand an die Lippen. Sie müssen fliehen „sprach er“ wer begleitet, wer beschützt Sie denn?

Himmel und Erde „entgegnete sie“ der Mutter Gebet und unser Jäger.

Die Baronin kam in diesem Augenblick herzu. Sie hatte von Julien vernommen wer er sey, sah in dem unerwarteten Gaste einen ihr in der Stunde der Noth gesandten, erbeteten Beystand und bot ihm nach den ersten Begrüssungen den Platz in ihrem Wagen an. Augustens Augen unterstützten mit sanften, beredtsamen Blicken das Erbieten, der Freyherr sagte zu.

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