Die Würfelverdoppelung.

Würfelverdoppelung (Delisches Problem).

Dies Problem, das sogen. erste Delische Problem, ist eins der drei grossen Probleme: Würfelverdoppelung, Winkel- oder Bogenteilung (Kreisteilung), Quadratur des Zirkels, an deren Bewältigung sich die Hellenische Mathematik zu ihrer bewundernswerten Höhe entwickelt hat. Die beiden ersten Probleme sind von den Pythagoräern und ihren Ausläufern, unmittelbar nachdem sie durch die nach Pythagoras genannte Satzgruppe die Probleme, welche auf Gleichungen zweiten Grades führen, bewältigt hatten, in Angriff genommen worden. Diese Tatsache liefert einen klaren Beweis, dass der eigentlich leitende Gesichtspunkt der Hellenen der arithmetische war und dass die Griechen schon zu jener Zeit klar den Satz des Vieta erkannten, dass mit der Vervielfältigung des Würfels und der Trisektion des Winkels die Gleichung dritten (und vierten) Grades allgemein gelöst sei.

In drei aufeinanderfolgenden Programmen von Linz hat Ambros Sturm 1895, 96, 97 eine vortreffliche Geschichte »des Delischen Problems« geliefert, im Anschluss an Montuclas Quadrature du cercle. Über den Ursprung unseres Problems berichtet ein Brief das Eratosthenes (s. u.), den Eutokios, Bischof von Askalon, geb. 480 n. Chr., in seinem Kommentar zu Archimedes Kugel und Zylinder überliefert hat.

»Eratosthenes wünscht, dass es dem Könige Ptolemaios wohlergehe. Es wird erzählt, dass ein alter Tragiker, den Minos eingeführt habe, der dem Glaukos ein Grabmal erbauen lassen wollte, und als er dabei bemerkte, dass es nach allen drei Dimensionen 100 Fuss mass, soll er gesagt haben:

Zu klein hast du des Königs Grab mir angelegt,
Drum dopple es, doch nicht vergiss der schönen Form,
Verdopple jede Kante schnell des Grabs.

Er schien aber sich geirrt zu haben, denn durch Verdopplung der Seiten wird das ebene Feld vervierfacht, der Raum verachtfacht. Seitens der Geometer wurde nun geforscht, wie man einen Körper unter Beibehaltung seiner Gestalt verdoppeln könne und man nannte dies Problem die Würfelverdopplung (κυβου διπλασιασμός), denn vom Würfel ausgehend suchten sie diesen zu verdoppeln. Während aber alle lange Zeit nicht aus noch ein wussten, wurde es zuerst dem Hippokrates von Chios klar, dass der Würfel verdoppelt werden würde, wenn zwischen zwei Strecken, von denen die grössere das Doppelte der kleineren ist, zwei mittlere Proportionalen in stetiger Proportion gefunden wären. So verwandelte er diese Schwierigkeit in eine andere nicht geringere.

Nach einiger Zeit sollen einige Delier, welche durch einen Orakelspruch zur Verdoppelung eines Altars gedrängt wurden, in dieselbe Verlegenheit geraten sein. Und sie sollen die Geometer aus der Umgebung des Platon in der Akademie gebeten haben das Gesuchte zu finden. — Die letztere Version war im ganzen Altertum verbreitet, z. B. Theon von Smyrna (aus einer andern nicht weiter bekannten Schrift des Eratosthenes »Πλατωνικός« (Ambros Sturm), Plutarch an 2 Stellen »De genio Socratis« VII; De ει apud. Delphos VI, Joh. Philopömos, (Commentator des Aristoteles; Προλεγόμενα της πλάτωνος φιλοσοφίας), Vitruv, Valerius Maximus. Wir sehen hier einen der deutlichsten Beweise für den Zusammenhang der hellenischen Mathematik mit der indischen, nur dass die Inder, entsprechend der früheren Entwicklungsstufe die Fläche verdoppeln, d. h. sich mit der quadratischen Gleichung begnügen, während die Pythagoräer, das kulturelle Problem von den Indern aufnehmend, das Volumen verdoppeln, d. h. zur Gleichung 3. Grades fortschreiten.

Archytas.

Die älteste Lösung zufolge Eutokios Bericht aus Eudemos (nach P. Tannery aus Sporus, der etwa um 300 n. Chr. Eudemos benutzt hat) ist die des Archytas aus Tarent, den Horaz in der Ode 28 des Buch I erwähnt »te maris et terrae numeroque carentis arenae mensorem cohibent, Archyta«, der etwa 430 bis 365 zu setzen ist, wo er durch Schiffbruch am Kap Matinum den Tod fand. Platon hatte bei seiner ersten Reise nach Sizilien die Bekanntschaft des als Staatsmann, Philosoph und Mathematikers gleich ausgezeichneten Pythagoräers gemacht, und stand mit ihm in Briefwechsel. Archytas soll seinerseits den Platon in Athen wiederbesucht haben. Von den Schriften, die unter seinen Namen auf uns gekommen sind, ist fast alles als unecht erwiesen. Seine Lösung des Delischen Problems, die bedeutendste von allen, zeigt ihn als erstklassigen Mathematiker. Ich gebe den Wortlaut (s. Figur).

ΑΛ und Γ mögen die beiden gegebenen Strecken darstellen, verlangt zwischen ΑΛ und Γ zwei mittlere Proportionalen zu finden. — Um die grössere, nämlich ΑΛ, möge der Kreis ΑΒΛΖ beschrieben werden und ihm werde die Γ gleiche [Sehne] ΑΒ eingefügt, und ausgezogen soll diese mit der in Λ berührenden [Linie] des Kreises in Η zusammentreffen. Neben [παρά d. h. parallel] ΗΛΟ möge ΒΕΖ geführt werden, auch ein Halbcylinder ersonnen werden senkrecht auf den Halbkreis ΑΒΛ und ein senkrechter Halbkreis auf ΑΛ, welcher in dem Parallelogramm (dem Achsenschnitt) des Cylinders liegt.

Wird nun der Halbkreis herumgeführt in der Richtung von Λ nach Β, während der Endpunkt Α des Durchmessers fest bleibt, so wird er die cylindrische Fläche schneiden und in ihr eine Linie einzeichnen. Und wenn wiederum herumgedreht wurde [und zwar] bei beharrender [Linie] ΑΛ das Dreieck ΑΒΛ, in dem Halbkreis entgegengesetzter Bewegung, wird es für die Strecke ΑΗ eine Kegelfläche erzeugen. Und diese wird bei der Drehung die Linie auf dem Cylinder in einem gewissen Punkte treffen, und zugleich wird auch [Punkt] Β einen Halbkreis in der Kegelfläche beschreiben. An dem Orte des Zusammentreffens der Linien habe nun der bewegte Halbkreis eine Lage wie etwa Λ'ΚΑ, das entgegengesetzt gedrehte Dreieck die von ΑΗ'Λ, und der Punkt des besagten Zusammentreffens sei Κ. Und der von Β beschriebene Halbkreis sei ΒΜΖ und sein Schnitt mit ΒΛΖΑ sei die [Sehne] ΒΖ. Und es werde von Κ auf die Ebene des Halbkreis ΒΛΑ das Lot gezogen, so wird es auf die Peripherie des Kreises fallen wegen des Senkrechtstehens des Cylinders. Es falle also und sei ΚΙ und die von Ι an Α geknüpfte Linie treffe ΒΖ in Θ, und ΑΗ' den Halbkreis ΒΜΖ in Μ. Es möge auch ΚΛ', ΜΙ, ΜΘ gezogen werden. Da nun jeder der Halbkreise ΛΚΑ und ΒΜΖ senkrecht steht zur Grundebene, so steht auch ihr gemeinsamer Schnitt senkrecht zur Ebene des Kreises, daher steht auch ΜΘ senkrecht auf ΒΖ, das heisst das Rechteck aus ΘΑ und ΘΙ ist gleich dem Quadrat über ΜΘ. Folglich ist das Dreieck ΑΜΙ jedem der Dreiecke ΜΙΘ, ΜΑΘ ähnlich, und ist rechtwinklig. Aber auch das Dreieck Λ'ΚΑ ist rechtwinklig; folglich sind die [Linien] ΚΛ' und ΜΙ parallel, und es wird das Verhältnis bestehen wie ΛΑ zu ΚΑ, ebenso ist ΚΑ zu ΑΙ und so auch ΙΑ zu ΑΜ wegen der Ähnlichkeit der Dreiecke, also sind die 4 (Strecken) ΛΑ, ΑΚ, ΑΙ, ΑΜ der Reihe nach in Proportion und ΑΜ ist gleich Γ, da sie gleich ΑΒ ist. Zu den beiden gegebenen ΑΛ und Γ sind also die beiden mittleren Proportionalen gefunden worden ΑΚ u. ΑΙ.

Analytisch geometrisch ist diese Konstruktion, welche ein glänzendes Zeugnis von dem Können des Archytas ablegt, sehr leicht zu verifizieren. Wählt man ΑΛ als Abscissenaxe, Α als Anfangspunkt, und die Tangente in Α an den Kreis ΑΒΛ als Ordinatenaxe, so ist, wenn Κ { x, y, z; ΑΛ = a und Γ = ΑΒ = b gesetzt wird, da Κ auf Zylinder, Kegel und Wulst liegt:

1) x2 + y2 = ax (Gleichung des Cylinders); 2) x2 + y2 + z2 = a2b2x2 (Gleichung des Kegels durch doppelten Ausdruck des Cosinus des konstanten Öffnungswinkels) 3) x2 + y2 + z2 = ắ√x2 + y2 (Gleichung des Wulstes). Daraus für Punkt Κ: ắ√ax = a2x2 : b2 und a3x = a4x4 : b4; x3 = b4 : a; x = b ·3√b : a, √x2 + y2 = ΑΙ = 3√ab2 und √x2 + y2 + z2 = ΑΚ = 3√a2b, also ΑΛ : ΑΚ = ΑΚ : ΑΙ = ΛΙ: ΑΒ.

Dass Archytas seine Konstruktion analytisch d. h. von der gelösten Aufgabe aus rückwärts gehend gefunden, unterliegt keinem Zweifel und ebensowenig die Ansicht Bretschneiders, dass er vom rechtwinkligen Dreieck ΑΚΛ' ausging und ΑΙ auf ΑΚ projizierte.

Die Lösung des Archytas wird bestätigt durch den oben besprochenen Brief des Eratosthenes, durch Vitruv und Diogenes Laërtios (200 n. Chr.). Wir sehen hier wie hoch etwa um 400 die Kenntnisse der Pythagoräer stehen; der Potenzsatz (der zweite Hauptsatz vom Kreise), die Sätze vom rechtwinkligen Dreieck und ihre Umkehr, die Ähnlichkeitslehre, die Anwendung der Bewegung zur Konstruktion, allerdings nach dem Vorgang des Hippias von Elis und seiner Quadratrix (s. u.)

Der Satz: »Stehen 2 Ebenen auf einer dritten senkrecht, so steht ihre Schnittgerade auch auf dieser senkrecht«, die Kenntnis und Benutzung der geometrischen Orte; Schnitt eines Cylinders und eines Kegels, und damit die erste Raumkurve, der Wulst und sein Schnitt, die erste von Proklos »spirische« benannte Linie, und überhaupt so grosse stereometrische Kenntnisse, dass es klar wird, dass die Pythagoräer, vor allem Archytas die Lehrer des Platon gewesen sind, und nicht umgekehrt, wie das ja die oben zitierte Stelle der Gesetze bestätigt.

Eudoxos.

Die nächste Lösung führt uns auf den grössten Mathematiker und Astronom zur Zeit des Platon, auf Eudoxos von Knidos, dessen Ruhm durch den des Platon lange verdunkelt ist und den die zusammenfassende Geschichte der Mathematik bisher zu stiefmütterlich behandelt hat. Die Programme von H. Künssberg, Dinkelsbühl 1888–90, der Astron., Math. und Geograph E. v. Knidos, werden ihm gerecht. Eudoxos auf allen drei Gebieten und auch auf dem der Gesetzgebung gleich bedeutend, ist etwa um 410 zu Knidos, einer dorischen Stadt in Karien, an der Küste von Kleinasien, aus armer Familie hervorgegangen, früh kam er in das ebenfalls dorische Tarent und genoss dort in Mathematik und Astronomie den Unterricht des grössten Pythagoräers, des Archytas. Etwa 23 Jahre alt ging er nach kurzem Aufenthalt in Athen, wo er Platon gehört haben soll, nach Ägypten, vermutlich als Begleiter eines Arztes Chrysippos, mit Empfehlung des Sparterkönigs Agesilaos an Nektanebos (Necht-Harebhēt). Die Reise fällt gegen 380, da etwa von 394–380 Nektanebos den Aufruhr seiner Ägypter bekämpfen musste. Dort verkehrte er in Heliopolis mit den Priestern insbesondere mit dem Priester Chonuphis und indem er völlig ihre Sitten annahm (ξυρομενος τε ιβην και οφρυς, geschoren am Scham und Augenbrauen) bekam er Einblick in das riesige astronomische Beobachtungsmaterial und dort schrieb er seine Octaëteris etwa um 375, vergl. A. Boeckh: Über die vierjährigen Sonnenkreise der Alten 1863. Die Octaëteris ist eine 8jährige Periode zum Ausgleich des Mond- und Sonnenjahres. 8 · 354 + 3 · 30 = 2922 = 8 · 3651/4.

Etwa um 370 in der Akme gründete er in Kyzikos in Mysien (Panorma am Marmorameer) eine Hochschule, die rasch zu grosser Blüte gelangte, aber schon nach wenigen Jahren trieb ihn sein rastloser Bildungseifer in die Weite. Zunächst zog er nach Athen und führte eine grosse Anzahl seiner Schüler dem Platon zu, darunter die bedeutendsten Mathematiker der Akademie, wie Menaichmos, den eigentlichen Entdecker der Kegelschnitte, Dinostratos, der den Nutzen der Kurve des Hippias von Elis für die Quadratur des Zirkels erkannte und ihr den Namen Quadratrix, τετραγωνίζουσα, verschaffte, Athenaios, Helikon etc. Von Athen zog er nach Sizilien und studierte dort unter dem italischen Lokrer Philistion, vermutlich auch ein Pythagoräer, Medizin. Dann kehrte er von Knidos zurück, mit grossen Ehren empfangen, und schuf für die Stadt neue Gesetze.

Unsere fast einzige Quelle über Eudoxos ist Diogenes Laertios, die sich aber auf gute Autoritäten wie Kallimachos, Sotios, Nikomachos, Eratosthenes stützt. Sonst haben wir nur eine kurze Notiz in der Ethik des Aristoteles 172, b. 15, wonach er Hedoniker etwa im Sinne Demokrits war und in dem bekannten Lexikon des Suidas, der zwar die drei sehr gelehrten Töchter des Eudoxos mit Namen nennt, aber über ihn selbst so gut wie nichts sagt. Doch gibt Aristoteles seinem Charakter ein günstiges Zeugnis. Aber über die wissenschaftliche Bedeutung des Mannes war das ganze Altertum einig, und ich kann dafür auf Cicero verweisen, den ich, wie sehr Sie auch sein Cato major, sein Lälius, seine Officien gelangweilt haben mögen, als Historiker nicht zu unterschätzen bitte. Diogenes Laertios berichtet, dass er in Knidos statt »Eudoxos« in »Endoxos« umgetauft wurde, d. h. der Anerkannte und Eratosthenes nennt ihn, den Astronomen, Mathematiker, Geographen, Philosophen, Mediziner, Staatsmann, der an die »Allmenschen« des Cinquecento an Leonardo da Vinci und Michelangelo erinnert, den »Göttergleichen« in dem Epigramm: »θεουδεος Ευδοξοιο καμπυλον εν γραμμαις ειδος.«

Auch Platon hatte die höchste Achtung vor Eudoxos als Mathematiker, wie aus seiner 13. Epistel hervorgeht und aus der Angabe bei Plutarch, dass er die Delier an den Eudoxos verwiesen habe. Er starb 53 Jahre alt um 356.

Lösung des Delischen Problems von Eudoxos.

Seine Lösung des Delischen Problems übergeht Eutokios, die kurze Andeutung bei Eratosthenes war ihm unverständlich, und die ihm vorliegende Lösung fehlerhaft überliefert. Eratosthenes sagt in dem zitierten Briefe: »Während nun diese (die Geometer der Akademie) sich arbeitsfreudig drangaben und zu zwei gegebenen zwei mittlere zu fassen suchten, soll sie Archytas der Tarentiner mittelst des Halbcylinders gefunden haben und Eudoxos von Knidos mittelst der bogenförmig (καμπύλον) genannten Linien. Das Wort Kampylos bedeutet »gekrümmt« insbesondere gekrümmt nach Art des Kriegsbogens der Griechen Symbol, den Homer stets mit diesem epitheton ornans bezeichnet.

Es ist P. Tannery gelungen (Sur les solutions du problème de Delos par Archytas et par Eudoxe, Mém. de Bordeaux Ser. 2, T. II Paris 1878 p. 277), die naturgemäss eng an Archytas anschliessende Lösung des Eudoxos wiederherzustellen, dadurch dass er erkannte die Kurve müsse ein dem griechischen Kriegsbogen ähnliches Aussehen haben und daraufhin, nicht wie V. Flauti, Geom. di sit. Napol. 1842, 3. Aufl. die Projektion der Schnittkurve des Wulstes und des Kegels auf die zx Ebene, sondern auf den Grundkreis, auf die xy Ebene, untersuchte.

Eudoxos betrachtete die Schnittkurve des Wulstes und des Kegels, d. h. also er sah zunächst davon ab, dass Punkt Ι der Figur[*] auf der Peripherie des Grundkreises liegt, immer ist: ΑΘ2ΑΜ2 = ΑΙ2ΑΚ2 = ΑΙΕΔ oder I: ΑΘ2 = b2aΑΙ.

[*] In der Figur ist Θ durch Q, ξ durch ζ, und Ι durch S ersetzt.

Dadurch ist die Projektion eines Punktes Κ der Schnittkurve und damit ihre Projektion auf die xy Ebene, die Ebene des Grundkreises, definiert. Sowohl ihre Gleichung wie ihre Konstruktion ist nun ohne weiteres klar, sobald man noch nachgewiesen, dass Αξ = ΑΘ, wo Αξ die Abscisse x von Ι (und Κ).

Es ist: ΑΘΑΕ = ΑΙΑξ oder ΑΘ . x = ΑΕ . ΑΙ = b2a . ΑΙ also nach Ι x = ΑΘ also die Gleichung der Kurve ΑΙ2 = x2 + y2 = a2x4b4 d. h. also eine durch die Substitution ξ = x2, η = y2 transformierte Parabel, welche Tannery analytisch untersucht hat. Ihre geometrische Konstruktion ist äusserst einfach vergl. die Fig. 1 und das richtige Ι der Punkt wo diese Kurve den Halbkreis schneidet.

Es ist nach Konstruktion: ΑΘ1 = Αξ1 und ΑΙ1Αξ1 = ΑΘ1ΑΕ, oder ΑΘ'2 = ΑΙ' . ΑΕ und da ΑΒ2 = a . ΑΕ so ist ΑΘ'2 = ΑΙ' b2a somit Ι' ein Punkt des Ortes.

Mechanische Lösung von Eudoxos (Platon).

Vom Eudoxos rührt m. E. auch die Konstruktion her, welche Eutokios dem Platon zuschreibt. ΑΒ und ΒΓ, s. Fig., seien die gegebenen Strecken; man verlängere sie nach Δ und Ε, so dass ΑΕΔ und ΓΔΕ rechte Winkel sind, dann ist nach der Satzgruppe des Pythagoras ΓΒ : ΒΔ = ΒΔ : ΒΕ = ΒΕ : ΑΒ.

Die Punkte Δ und Ε lassen sich auf mechanischem Wege leicht finden mittelst zweier aufeinander verschiebbarer rechten Winkel (Winkelhaken); es wurde ein eigenes Hilfsinstrument (siehe Figur) angefertigt, durch einen beilförmigen Einschnitt β in die Lineale (κανών, Kanon) wurde dafür gesorgt, dass sich ΚΔ nur parallel zu ΗΘ bewegen konnte, die nähere Beschreibung siehe man bei A. Sturm l. c. p. 50. Die ganze Konstruktion ist so unplatonisch wie möglich, wir wissen dass gerade auf Platon die strenge Beschränkung der geometrischen Hilfsmittel auf Zirkel und Lineal zurückgeht, dass er die sogenannte Neusis, die Einschiebung von Strecken auf mechanischem Wege verpönte. Ausserdem berichtet Plutarch ganz ausdrücklich Quaest, conv. VIII p. c. 1: Platon tadelte Eudoxos, Archytas und Menaichmos, weil sie die Verdoppelung eines Körpers auf instrumentale und mechanische Apparate zurückführten. Dagegen passt sowohl die Anwendung des Satzes von der Höhe im rechtwinkligen Dreieck, den auch Archytas anwandte und die Lösung mittelst eines Instrumentes sehr gut auf Eudoxos, der als leidenschaftlicher Astronom mit Apparaten durchaus vertraut war. Ich schliesse hier gleich den Bericht über Eudoxos Gesamtleistungen an. Von Eudoxos rührt fast sicher das ganze 5. Buch der Elemente des Euklid her, die so diffizile Lehre vom Streckenbuch, und zwar wörtlich; man vergl. Proklos, ed. Friedlein p. 68 und s. u. Euklid. Und ein Scholion der lat. Ausgabe der 6 ersten Bücher Basel 1550 zum 5. Buch des »Adelos« und im prächtigen Codex des Euklid aus der Sammlung Mazarin ist von Knoche als von Proklos herrührend erkannt, es heisst da: Einige sagen dass dieses Buch die Erfindung des Eudoxos sei, — und das wird direkt bestätigt durch weitere Scholien (Knoche 1865) und indirekt dadurch, dass Buch 7 der Elemente die Lehre von den Proportionen für ganze Zahlen noch einmal aufnimmt, ohne irgend eine Rücksicht auf das 5. Buch. Von Eudoxos rühren die fünf ersten Sätze des XIII. Buchs samt der Definition von Analysis und Synthesis her, vermutlich auch ein ganzer Teil der weiteren Sätze über die 5 Platonischen Körper. Eudoxos, der als grosser Astronom auf das genaueste mit der Sphärik vertraut war, ist wohl der eigentliche Schöpfer der später von Theodosios bearbeiteten Sphärik.

Für eine Anzahl wichtigster Sätze der Stereometrie haben wir das schwerwiegende Zeugnis des Archimedes, der in seiner Quadratur der Parabel, der ersten grossen Leistung der Integralrechnung, das nach ihm benannte jetzt so viel besprochene Prinzip älteren Geometern vindiziert, welche damit bewiesen, dass Kreise sich wie die Quadrate, Kugeln wie die Kuben ihrer Durchmesser verhalten, ferner dass jede Pyramide der dritte Teil des Prisma von gleicher Grundfläche und Höhe, jeder Kegel der dritte Teil des Cylinders von gleicher Basis und Höhe sei. Alles das haben sie durch Annahme des aufgestellten Lemma bewiesen. Hier wurde Eudoxos Name nicht genannt. Aber in der Einleitung zum ersten Buch seiner Schrift: περι σφαιρας και κυλινδρου. heisst es: »Ebenso verhält es sich mit vielen von Eudoxos über die Körper aufgefundenen Sätzen, die Beifall erhalten haben z. B. dass jede Pyramide etc., jeder Kegel etc. Denn obgleich diese Sätze über diese Gebilde schon früher experimentell bekannt waren, so traf es sich doch, obgleich es vor Eudoxos viele erwähnenswerte Geometer gab, dass sie von keinem begrifflich erkannt und auch von keinem folgerichtig bewiesen wurden.«

Demnach hat Eudoxos auch einen bedeutenden Anteil am XII. Buch der Elemente. Im besonderen sind die wertvollen Beweise XII, 2 — XII, 10 Eigentum des Eudoxos, und indem sie sich eng an die Definitionen und Sätze des 5. Buches anschliessen, geben sie wie L. Ofterdinger bemerkt hat, zugleich einen Beweis für das Eigentumsrecht des Eudoxos auf Buch V. Freilich müssen wir das mathophilosophische Verdienst des Eudoxos jetzt nach dem Ephodion erheblich einschränken. Das Prinzip der Exhaustionsmethode des Euklid ist im Grunde nichts weiter als das unendlich kleine des Demokrit, das Eudoxos den Hellenen mundgerecht gemacht hatte, welche vor der rücksichtslosen Kühnheit, mit der Demokrit seine Differentiale der Masse und des Raumes einführte, scheuten. Es ist so ziemlich derselbe Vorgang, welcher sich in der Neuzeit abspielte, als die Fluxion, das Moment des Newton, das »infiniment petit« des Leibniz von Lagrange durch die Ableitung ersetzt wurde.

Das Weltsystem des Eudoxos.

So gross die Leistungen des Eudoxos auf mathematischem Gebiete waren, so bedeutend er als Geograph war durch seine »γης περιοδος«, eine umfassende Länder- und Völkerkunde, am grössten steht er doch als Astronom da. So leidenschaftlich war seine Liebe zur Sternkunde, dass er wie Plutarch erzählt, geäussert hat »Ich wünschte auf die Sonne zu kommen um die Gestalt und Grösse des Gestirnes kennen zu lernen und wäre es auch um den Preis, wie Phaëton zu verbrennen«. An den verschiedensten Punkten des Orbis terrarum hat er die Sterne beobachtet, noch Strabo wurde seine Warte bei Heliopolis gezeigt, auch eine eigentümliche Sonnenuhr αραχνη (Spinne, wohl von der Ähnlichkeit mit dem Netze einer Spinne) hat er konstruiert. Wir verdanken die Kunde seines Weltsystems, des ersten, das streng mathematisch die Bewegungen der Gestirne zu erklären suchte, Aristoteles in der Metaphysik und besonders dem so wichtigen Commentar des Simplicius zu Aristoteles de coelo, auf den gestützt I. K. Schaubach in seiner klassischen Geschichte der griech. Astron. bis auf Eratosthenes Gött. 1802 und der grosse Chronologe Chr. L. Ideler 1806 und besonders 1828, 29 Eudoxos als Astronom würdigen konnten. Die völlige Aufklärung gab der hervorragende italienische Astronom G. V. Schiaparelli in Le sfere omocentriche di Eudosso, di Calippo e di Aristotele (Mil. 1875), gelesen bei Gelegenheit des 400. Geburtstags des Copernicus zu Mailand 20. Febr. 1875, deutsch von W. Horn im Supplementband des Schlömilch von 1877. Er konnte dabei schon einen von Brunet de Presle aus dem Nachlass des bedeutenden Historikers der Mathematik Letronne in den Not. et extraits des Manscr. de la bibl. imp. T. 18, p. I Par. 1865 veröffentlichten Papyrus des Louvre benutzen, der vermutlich ein aus 190 v. Chr. stammendes Kollegienheft einer alexandrinischen Vorlesung über Astronomie ist. Ich folge hier im Wesentlichen Schiaparelli und Künssberg Th. I 1889.

Das Prinzip von dem Eudoxos ausging, war dasselbe, dem wir Kepler's harmonice mundi verdanken und das bewusst oder unbewusst jeder annimmt, das Prinzip: der Kosmos ist nach einem einzigen allgemeinen Gesetze geordnet. Schiaparelli sagt: »den griechischen Astronomen fehlte das physikalische Gesetz der allgemeinen Schwere, sie mussten sich daher an geometrische Gesetze halten«. Nun aber bot der tägliche Umschwung des Fixsternhimmels eine gleichförmige Kreisbewegung dar und ebenso schienen die monatlichen und jährlichen Bewegungen des Mondes und der Sonne gleichförmig in Kreisbahnen vor sich zu gehen. Die Planeten, besonders die oberen, zeigten zwar grosse Unregelmässigkeiten, sie beschrieben ja ganz verwickelte Schleifenlinien, aber man entnahm aus dem obigen Prinzip das Axiom, es müssten sich alle diese Abweichungen aus dem Zusammenwirken von mehreren gleichförmigen Kreisbewegungen erklären lassen. Dies Axiom soll nach Gemīnos (Géminus), isagoge eis phaenomena Cap. I, von den Pythagoräern herrühren und hat die theoretische Astronomie bis Galilei und Newton beherrscht.

Schiaparelli sagt: »Eine andere Bedingung, der sich die, welche zuerst über den Bau des Universums nachdachten, fügen mussten, war diese, für denselben die grösste Einfachheit und Symmetrie anzunehmen. Da bildeten im System des Philolaos (s. Pythagoräer) die Bahnen der Himmelskörper ein System von Kreisen, die um ein gemeinsames Zentrum beschrieben wurden, und dieselbe Regel oder wenigstens eine ähnliche ist in den verschiedenen Systemen des Platon beobachtet. [Timaios 11]. An dieser Grundanschauung hielt auch Eudoxos fest und stellte sich vor, dass alle seine Sphären konzentrisch um die Erde gleichmässig beschrieben seien, weshalb ihnen später der Name homozentrische Sphären beigelegt wurde. Durch diese Anschauung wurde das Problem viel schwieriger, weil dadurch diesen Sphären jede fortschreitende Bewegung genommen wurde und dem Geometer zur Erklärung ihrer Bewegung nichts anderes übrig blieb als die Kombination ihrer Rotationsbewegung, aber dem Bau der Welt wurde dadurch eine Eleganz bewahrt, von welcher die Konstruktionen des Hipparch [von Rhodos], des Ptolemaios und alle andern, selbst des Copernicus weit entfernt blieben und die bis Kepler ihresgleichen nicht wiederfand.« —

Eudoxos dachte sich ungefähr wie Platon, dass jeder Himmelskörper von einer um zwei Pole in gleichförmiger Rotation drehbaren Sphäre in kreisförmige Bewegung versetzt würde. Er nahm ausserdem an, dass derselbe in einem Punkt des Äquators dieser Sphäre befestigt sei. Zur Erklärung der Planetenbewegung genügte diese Hypothese nicht, Eudoxos setzte deshalb fest, dass die Pole der den Planeten tragenden Sphäre nicht unbeweglich bleiben, sondern von einer grösseren, der ersten konzentrischen getragen würden, welche gleichförmig und mit einer ihr eigentümlichen Geschwindigkeit um zwei von den vorigen verschiedene Pole rotiere. Da auch dies noch nicht genügte, so liess er die Pole der zweiten auf einer dritten konzentrischen grösseren Kugel fest sein; welche wieder ihre besonderen Pole und ihre besondere Geschwindigkeit besass. Und wo drei Sphären nicht ausreichten, nahm er noch eine vierte hinzu, welche die drei ersten umschloss und die zwei Pole der dritten enthielt, und mit eigener Geschwindigkeit um ihre Pole rotierte. Für Sonne und Mond fand er 3 Sphären bei passender Wahl der Geschwindigkeiten, der Pole und der Neigungswinkel genügend, für die 5 anderen Planeten fand er 4 Sphären nötig. Die bewegende Sphäre eines jeden Planeten machte er völlig unabhängig von denen der anderen. Für die Fixsterne genügte eine einzige Sphäre um die tägliche Bewegung hervorzubringen. Für die Sonne hätte er mit zwei Sphären auskommen können, da er die sogen. Anomalie, die ungleiche Dauer der Jahreszeiten, d. h. die Ungleichförmigkeit der Geschwindigkeit nicht berücksichtigte, aber er glaubte an eine geringfügige Veränderung der Sonnenbreite in bezug auf die Ekliptik. Somit hatte er 27 Sphären nötig.

Hier die Figur, das Abbild eines von Künssberg nach Eudoxos konstruierten Planetolabium ist durchaus geeignet das System klar zu machen. Kreis I dient dazu die tägliche, Kreis II die Bewegung in der Ekliptik, Kreis III die Abweichung von der Ekliptik, Kreis IV die Ungleichförmigkeit des Planeten in Bezug auf Geschwindigkeit und Richtung zu erklären. Ich hebe hervor, dass Eudoxos den Neigungswinkel von etwa 5° der Mondbahn gegen die Ekliptik kannte und damit dem Babylonischen Saros von 65851/8 Tagen und dass auch die Reihenfolge der Planeten die Babylonische ist. Ich muss für weiteres auf Schiaparelli und O. Tannery [Note s. le syst. astron. d'Eudoxe, Mém. de Bordeaux, Ser. II T. 1 (1876) und T. 5 (1883)] verweisen, welche beide erklären, dass das System nach der Verbesserung durch Kallippos ebenso gut die Bewegung von Sonne und Mond darstelle, sowie die hauptsächlichen Unregelmässigkeiten der Planetenbahnen wie die Epicykeln des Ptolemaios. Nur noch einige Bemerkungen über die eigentliche Bahn der Planeten, welche durch die beiden innersten Kugeln 3 und 4 hervorgebracht wird, die sogen. Hippopede (Pferdefessel) des Eudoxos, die erste sphärische Raumkurve, welche Schiaparelli sehr richtig als Lemniskate bezeichnet.

Eudoxos hat nur auf die Elementargeometrie gestützt das folgende schwierige Problem gelöst: um zwei feste Pole dreht sich eine Kugel gleichförmig, um zwei Pole auf dieser dreht sich ebenso eine zweite mit derselben aber entgegengesetzt gerichteten Geschwindigkeit, welche Bahn beschreibt ein Punkt des Äquators. Die Kurve ist dadurch ausgezeichnet, dass ihre Bogenlänge wie die der ebenen Lemniskate durch ein elliptisches Integral 2. Gattung dargestellt wird. Die elementargeometrische Behandlung der Kurve wäre eine vorzügliche Übungsaufgabe.

Die grossen Verdienste des Eudoxos um Geographie und Kalender sind neben Schaubach auch von A. Boeckh in der cit. Schrift 1863 voll gewürdigt.

Lösung des Delischen Problems durch Menaichmos.

Ich verlasse Eudoxos, den grössten Mathematiker seiner Zeit, der vermutlich ebenso nüchtern war wie Platon phantastisch war, berichtet doch Cicero in De Divinatione, dass er die Astrologie der Babylonier für Unsinn hielt und dies, obwohl er unzweifelhaft von Babylonischer Astronomie beeinflusst war, wie schon aus seiner Festsetzung des Verhältnisses von Sonnen- und Monddurchmesser hervorgeht und wende mich zum Delischen Problem zurück. Knüpfte Eudoxos an seinen Lehrer Archytas an, so folgte ihm wieder sein Schüler Menaichmos, den er seinerzeit dem Platon zugeführt hatte. Menaichmos, der um die Mitte des 4. Jahrh. lebte, wird von den Alten einstimmig als der Erfinder der Kegelschnitte bezeichnet. Eratosthenes nennt sie in dem Briefe, die Menächmischen Triaden »man braucht nicht die Men. Triaden aus dem Kegel zu schneiden«. Proklos (oder Gemīnos) beziehen sich auf diese Stelle (Friedl. p. 111). Und aus des Eutoxios Excerpt aus Eudemos oder Geminos sehen wir dass die Delische Aufgabe und der Weg des Archytas und Eudoxos den Menaichmos geleitet haben. Es heisst bei Eutokios:

»So wie Menaichmos: Es seien die gegebenen Geraden (die Alten kannten den Ausdruck »Strecke« nicht) Α und Ε, gefordert zwischen Α und Ε zwei mittlere Proportionalen zu finden. Es sei geschehen und sie sollen Β und Γ sein, uns möge die im Punkte Λ begrenzte Grade (d. h. der Strahl) ΛΗ gezeichnet vorliegen [εκκεισθω θεσει.] und bei Λ liege [auf ihr] die Γ gleiche Strecke ΛΖ, und senkrecht [dazu] werde ΘΖ gezogen (als Strahl) und ΘΖ [als Strecke] (s. Figur) gleich Β gemacht. Da nun die drei Geraden Η, Β, Γ, proportional so ist das Rechteck aus Α und Γ gleich dem Quadrat über Β.« Es ist also ΑΓ = Β2 = ΘΖ2 = Α . ΛΖ, folglich liegt Θ auf der Parabel mit dem Scheitel Λ, der Axe ΛΗ und dem Parameter A/2. Da auch das Rechteck ΓΒ oder ΛΖ . ΖΘ gegeben ist, weil es gleich Α . Ε ist, so liegt Θ auch auf der gleichseitigen Hyperbel mit den Asymptoten ΛΚ und ΛΗ, also ist Θ gefunden. Es folgt dann bei Eutokios nach dieser Analyse auch die Synthese, ausdrücklich als solche bezeichnet, und darauf eine zweite Lösung des Menaichmos; von der ich auch nur die Analysis (s. Figur) gebe.

Es seien die auf einander senkrechten Strecken ΑΒ und ΒΓ die gegebenen, ΒΛ und ΒΕ die gesuchten, so dass ΓΒ : ΒΛ = ΒΛ : ΒΕ = ΒΕ : ΒΑ. Man ziehe die Normalen ΛΖ, ΕΖ, so ist ΓΒ . ΒΕ = ΒΛ2 = ΕΖ2, also Ζ auf eine Parabel, deren Achse ΒΕ, deren Parameter 1/2ΓΒ. Da aber auch ΒΑ . ΒΛ = ΒΕ2 = ΛΖ2 ist, so liegt Ζ auch auf der Parabel, deren Axe ΒΛ, deren Parameter 1/2ΑΒ ist.

Die Darstellung ist jedenfalls von Eutokios oder schon von Geminos redigiert, denn die Namen Parabel, Ellipse, Hyperbel sind erst von Apollonios von Pergae (s. u.) im 3. Jahrh. eingeführt, ebenso wie das Wort Asymptote.

Menaichmos, Kegelschnitte.

Den Gedankengang des Menaichmos hat Bretschneider, Geom. und Geometer vor Euklides 1870 p. 156 ff., wiederhergestellt. Derselbe Eutokios erzählt in seinem Kommentar zu des Apollonius Kōnika, dass die Alten den Kegel nur erzeugten durch Rotation eines rechtwinkligen Dreiecks um eine seiner Katheten. Je nachdem nun der Öffnungswinkel spitz, recht oder stumpf war, erhielt Menaichmos Ellipse, Parabel, Hyperbel, wenn er den Kegel durch eine Ebene, welche auf einer Seitenkante senkrecht stand, durchschnitt. Die Ellipse war übrigens als Cylinderschnitt schon den Ägyptern (vergl. die Säulen des Tempels von Luxor) und auch den Hellenen vor Menaichmos bekannt, ihr alter Name war ἡ (γραμμή) του θυρεού. [vielleicht die Schildförmige Linie, das Oval, obwohl das ovale Schild gew. ἀσπίς und nicht θυρεός heisst]. Die Erzeugung des Menaichmos gab sofort die Hauptachsen des Kegelschnitts. Men. erkannte die Verwandtschaft seiner Kurven mit dem Kreise, da er sah dass dieselben Projektionen des Kreises waren, und suchte daher nach einem Analogon zum Potenzsatz, im Anschluss an Archytas und Eudoxos, und fand es auch. Der Begriff der Verwandtschaft gehört zu denen, welche sich den Geometern von selbst aufdrängen, man vergleiche die Ähnlichkeitslehre bei Ägyptern und Indern, wenn auch Theorien der Verwandtschaften als solcher modernen Ursprungs sind. Als Beispiel nehme ich die Parabel, den »Schnitt des rechtwinkligen Kegels« wie sie noch bei Archimedes heisst und sogar noch bei Proklos. Es ist LAD, s. Fig. rechtwinklig bei A, der Schnitt MIDKN normal gegen die Kante AC geführt, also ID || AB. Es ist IGLD = DIAL also gleich IG . HI : LD 2 = IK 2 : DL 2 (Potenzsatz des Kreises). Ferner wenn LMLD, ist MD : LD = LD : AL, LD 2 = MD . AL oder IK 2 : MD . AL = DI : AL, also IK 2 = MD . DI, dies ist die Grundeigenschaft (Gleichung) der Parabel. Analog ist die Herleitung für Ellipse und Hyperbel.

Parabel; Trisektion (Dinostratos).

Da die nächste Lösung, die des Eratosthenes selbst ist, so unterbreche ich hier die Geschichte des Delischen Problems um mit Dinostratos, den Bruder des Menaichmos der ebenfalls Schüler des Eudoxos und Platon ist, auf die beiden andern grossen Probleme, welche die Pythagoräer in die Hellenische Wissenschaft einführten, überzugehen. Zunächst die Trisektion, die Dreiteilung des Winkels. Das Problem ist unzweifelhaft von den Pythagoräern gestellt worden, und geradezu im Zusammenhange mit dem Delischen Problem. Wie die mittlere Proportionale der Natur nach zusammenhing mit der Halbierung des Bogens, so glaubte man würden die beiden Medianen mit der Dreiteilung zusammenhängen und indem man die reinkubische Gleichung lösen wollte, kam man auf die gemischte, es ist also kein Zufall, dass dies Problem das zweite Delische genannt wurde. Dass die Kenntnisse der Pythagoräer zu der Aufstellung der Gleichung ausreichten, ist leicht zu zeigen vergl. Figur. Man muss nur sehen, dass ABC ≅ αβγ ist. Es werde bezeichnet: αβ = AB = z, Aα = 2αγ = y, AD = s, AF = σ, MF = p, BC = u = βγ, dann ist 1) s/y = (y + z)/z, 2) u2 + 1/4y2 = z2, 3) weil MFBABC, 2up = y(σ - z) 4) σ2 + p2 = r2.

Setzt man u = zτ, so ist nach 2) y24 = z2(1 - τ2) und nach 3) gleich z2τ2p2(σ - z)2 also 5) 1 - τ2 = τ2p2(σ - z)2 aus 1) und 3) folgt 6) s(σ - z)2τpz = 2τpσ - z + 1.

Aus 5) folgt σ - z = τp : μ wo μ = √1 - τ2 ist, also z = σ - τp : μ, also geht 6) über in 7) s = (2μ + 1)2μ(σ - τp : μ); s = (2μ + 1)(μs - 2τp) woraus nach leichter Rechnung 4τ3 - 3τ + ps : r2 = 0 und da ps = ηr, wenn die Höhe des Dreiecks AMD von D aus η genannt wird, 8) 4τ3 - 3τ + η/r = 0.

Das ist die bekannte Gleichung für sin φ/3 da η : r = sin φ ist.

Es gewannen also die beiden Delischen Probleme die Bedeutung der Auflösung der kubischen Gleichung, [da sich für y die Gleichung 4. Grades y4 + sy3 - 3y2r2 - 2ysr2 + s2r2 = 0 ergibt, so ist damit zugleich die Lösung der Gleichung des 4. Grades angebahnt].

Hippias von Elis, Dinostratos (Quadratrix).

Das arithmetische Problem vermochten die Pythagoräer nicht zu lösen, und das geometrische nicht mittelst Zirkel und Lineal, d. h. elementar, doch scheuten sie sich wie wir bei Archytas gesehen haben, keineswegs vor Bewegungsgeometrie und so erfand denn der seiner Zeit ziemlich übel berüchtigte Sophist Hippias von Elis im letzten Drittel des 5. Jahrh. eine mechanische Lösung und damit die erste uns bekannte vom Kreise verschiedene nach bestimmten Gesetz erzeugte Kurve, die später vermutlich durch oder doch nach Archimedes, nachdem Dinostratos ihren Gebrauch zur Rektifikation (Streckung) und damit auch zur Quadratur des Zirkels gelehrt hatte, den Namen τετραγωνίζουσα lat. Quadratrix erhielt. Es sind sogar gegen die Autorschaft des Hippias von Elis Bedenken erhoben (Blass, Friedlein) und H. Hankel der genialste Historiker der Mathematik hat sich sehr scharf gegen die Autorschaft des Hippias von Elis ausgesprochen, aber Gründe hat er nicht angegeben und ich muss Cantor beipflichten, der aus der ständigen Gewohnheit des Proklos nur bei der ersten Erwähnung die Herkunft anzugeben und sie später als schon genannt wegzulassen, mit grösster Energie sich für den Hippias von Elis aussprach. Proklos kann nur diesen Hippias meinen und wenn auch der Hippias major des Platon vermutlich unecht, so genügt doch der Hippias minor um zu beweisen, dass Hippias seinerzeit für einen hervorragend tüchtigen Mathematiker galt. Pappos, dem wir die Kenntnis der Kurve verdanken, erwähnt den Namen des Hippias nicht. Die Kurve und ihre Konstruktion finden sich Buch IV prop. 25 p. 253 der Hultschen Ausgabe. Während der Radius αβ, vergl. die Fig., sich gleichförmig um α bis αδ dreht, verschiebt sich ebenfalls gleichförmig βγ bis αδ, unsere Kurve ist der Ort des Schnittpunktes ζ der beiden sich bewegenden Strecken. Die Grundeigenschaft ist: βκαβ = Bogen βεBogen βεδ = Θπ/2. Damit ist nicht nur die Trisektion sondern sogar die Multisection vollzogen, denn nichts hindert αβ oder irgend ein Stück von αβ in beliebig viele gleiche Teile zu teilen. Es folgt: αβ - βκαβ = π/2 - Θπ/2 oder 1) y . π/2 = ⌒εδ, daraus y1 : y2 = ⌒ε1δ : ⌒ε2δ und als Gleichung der Kurve 2) x = y cot yπ/2. Die Proportion 1, kann auch heissen Quadrantr = ⌒εδζυ. Dinostratos, der mit Demokritischen Gedanken vertraut war, bemerkte nun, dass der Bruch rechts auf der Grenze, wenn αε unendlich nahe bei αδ ist, weil der Sektor dann in ein Dreieck übergeht gleich δε' : ηη' = αδ : αη gleich r : x0 ist, womit zwar nicht die Quadratur aber doch die Rektifikation des Kreises mittelst der gezeichnet vorliegenden Kurve vollzogen ist. Der Beweis des Dinostratos den Pappos l. c. mitteilt, rechnet selbstverständlich nicht mit dem Unendlich kleinen, sondern ersetzt die Differentialrechnung durch die Grenzmethode, wie das auch Archimedes selbst noch getan, obwohl wir aus dem Ephodion sehen, wie genau er sich der Tragweite der Infinitesimalrechnung bewusst war. Man braucht ja nur an des Cavalieri »geometria indivisibilium« zu denken, die er umarbeiten musste, weil seine Zeitgenossen an dem nackten Unendlich kleinen und grossen, am Differential und Integral des Volumens, Anstoss nahmen. Newton der Urheber des selbständigen Differentialkalküls hat in den Prinzipien und in seinen geometrischen Werken ängstlich die Methode verschleiert und noch heute gibt es Mathematiker genug, welche vor dem »infiniment petit« scheuen, wie etwa Pferde vor einem Automobil.

Theaítetos und Theudios.

Sind Menaichmos und Dinostratos die produktivsten Mitglieder des Platonischen Kreises, »derer um Platon,« so sind Theaítetos der Athener und Theudios der Magnesier, (wohl in Karien) diejenigen, welche die methodische Seite der Akademie am energischsten vertreten. Von Θεαίτητος, dem schon oft genannten, rührt ein grosser Teil der selbst für uns Heutige nicht leichten Sätze des X. Buchs der Elemente des Eukleides her, das selbst ein Petrus Ramus, obwohl ein genauer Kenner von Proklos' Kommentar zum I. Buch, nicht verstand, und Θευδιος ὁ Μαγνης hat das Lehrbuch der Akademie verfasst. Von ihm sagt Proklos: Er brachte gute Ordnung in die Elemente und verallgemeinerte vieles in den einzelnen Abschnitten (Friedl. p. 67, wenn ὁρικων, was Friedlein bezweifelt, richtig ist, so kann es auch vielleicht besser als »begrenzt« d. h. »zu eng gefasst« übersetzt werden, »er machte die Begrenzungen weiter«).

Aristoteles.

Die Elemente des Theudios gehen denen des Euklid unmittelbar voran, und auf sie beziehen sich die mathematischen Angaben bei Aristoteles.

Zeit bei Platon.

Dieser weltumfassendste Geist nicht bloss des Altertums, der Wissenschaft und Kunst fast 2000 Jahre lang beherrscht hat und die formale Logik sogar bis auf Sigwart, d. h. bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, hat noch weit mehr als Platon die Mathematik nur als Hilfswissenschaft der Philosophie insbesondere für die Lehre vom Schluss und von den Beweisen betrachtet, und allenfalls für die Astronomie, in der er wie Kant den stärksten Beweis des für sein System ganz unentbehrlichen Gottesbegriffes sah. Es steht nicht einmal fest, ob Aristoteles auf der vollen Höhe der mathematischen Bildung seiner Zeit gestanden hat, von höheren Problemen streift er eigentlich nur einmal ganz gelegentlich in de coelo die Quadratur des Zirkels. Dass er die Kegelschnitte nicht beachtet hat, versteht sich von selbst, da sie ja gerade zu seiner Zeit von seinem Mitschüler Menaichmos gefunden wurden. Aber um so grösser ist seine Bedeutung für die Grundbegriffe der Mathematik. Während J. L. Heiberg (Teubner Abh. z. Gesch. der Math. Wiss. Heft 18, 1904) das spez. Mathematische bei Aristoteles gesammelt hat, ähnlich wie Theon Smyrneus die Mathematik bei Platon, ist A. Görland in seiner Dissertation und besonders in dem Werke: Aristoteles und die Mathematik, Marburg 1899 auch der begrifflichen Seite gerechter geworden. Aristoteles ist auch der erste der Hellenen der sich genauer mit dem Begriff Zeit beschäftigt hat. Platon, wie er den Aristoteles an schöpferischer Kraft der Phantasie weit überragt, übertrifft ihn auch in der Erkenntnis gerade der tiefsten Quellen unserer Erkenntnis, aber dass die Zeit auch eine Idee sei, wie das Gute, ist dem Idealisten κατ ἐξοχήν entgangen. Die Hauptstelle findet sich Timäos 366–370. Gott schuf die Welt als Abbild der ewigen Ideen (personifiziert durch die einzelnen Götter), und in der Freude über seine Schöpfung beschloss er sie dem Urbilde noch ähnlicher zu machen und schuf dazu die Zeit als bewegliches, nach Zahlenverhältnissen fortschreitendes, ewiges Abbild. Denn Tage und Nächte und Monate und Jahre gab es nicht, bevor der Himmel geschaffen, sondern damals als dieser zusammengesetzt wurde, bewirkte er zugleich auch ihre Entstehung. Alle diese (die Tage etc.) sind Teile der Zeit, und das »Es war« und das »Es wird sein« sind entstandene Formen der Zeit, die wir unvermerkt auf das ewige Wesen übertragen, und mit Unrecht. Denn wir sprechen von einem »es war, es ist, es wird sein« jener aber kommt in Wahrheit nur das »Es ist« zu, das »war« und das »wird sein« aber ziemt es sich von der in der Zeit sich bewegenden Entstehung auszusagen. Wenn hier auch die transzendentale Idealität der Zeit gestreift ist, so sind doch Zeit und Bewegung nicht scharf geschieden, und insbesondere scheint die Zeit selbst als Dauer aufgefasst zu sein, was schon eine Anwendung der Kategorie Raum auf die Zeit einschliesst.

Aristoteles über Zeit.

Aristoteles hat sich besonders in der Physik mit der Zeit beschäftigt, er hat den Zusammenhang der Zeit mit der Zahl erkannt und im direkten Gegensatz zu Kant die Zeit auf die Zahl zurückgeführt. Im Buch IV der Physik heisst es: die Zeit scheint die Bewegung einer Kugel zu sein, weil durch sie die übrigen Bewegungen (Rotationen) gemessen werden. — Ganz ähnlich heisst es in der Naturphilosophie Lorenz Oken's, des Vorgängers von Darwin, die Zeit ist gleichsam eine fortrollende Kugel, die immer in sich selbst wiederkehrt. — An anderer Stelle nennt er die Zeit die Zahl des Kontinuums, und die Zahl der Bewegung in bezug auf vorher und nachher, Mass der Ruhe und Bewegung. Wichtig ist, dass er Phys. 10 auseinandersetzt, dass die Zeit nicht aus Momenten bestehe und ganz des Aristoteles würdig ist die Stelle Phys. IV Kap. 10: Ob das Jetzt, das Vergangenheit und Zukunft trennt, immer ein und dasselbe sei, oder anderes und anderes, das ist nicht leicht zu entscheiden.

Aristoteles (vita).

Aristoteles, der Stagirite, wie er oft genannt wird, ist 384 in Stageira einer Stadt der athenischen Landschaft Chalcidice geboren. Sein Vater Nikomachos war Leibarzt des Königs Amyntas von Macedonien, des Vaters Philipps der die entzweiten Hellenen unter das Macedonische Joch einte. Im 18. Jahre kam er nach dem Tode beider Eltern als ein wohlhabender und wohlerzogener Hellene nach Athen vermutlich um Platons willen, dessen Schule er bis zum Tod Platons, zwanzig Jahre lang angehörte. Daneben muss der Sohn des Arztes mit dem Fleiss und der ungeheuren Arbeitskraft eines grossen Genius geschafft haben um sich auf naturwissenschaftlichem und politisch-historischem Gebiete das Riesenmaterial von Kenntnissen anzueignen, das in seinen Schriften verarbeitet ist. Zwei Strömungen von ganz ungewöhnlicher Stärke sind in Aristoteles vereinigt, einerseits ist er der erste grosse Biologe, der mit gleicher Sorgfalt das grösste wie das kleinste Lebewesen beobachtet, er hat es ja selbst ausgesprochen, dass es für den Forscher nichts Grosses und nichts Kleines gebe, — andererseits ein Systematiker von extremer Nüchternheit und Klarheit.

Dass der über dreissigjährige Mann in den letzten Jahren seines Lehrers dem Platonismus schon mit kritischem Geiste gegenüberstand, ist an sich im höchsten Grade wahrscheinlich, auch wenn es nicht durch den Klatsch der Schule bezeugt wäre. Insbesondere richtete sich seine Kritik wohl damals schon gegen die Ideenlehre. Aristoteles hat hier wohl von Anfang an dem Schwunge des Dichters nicht folgen können, vermöge einer Schwäche seiner Begabung gerade auf dem Gebiete der Phantasie. Und dann muss gesagt werden, dass Platon selbst seine eigene grossartige Auffassung der Idee, des reinen ewigen Urbilds, die über den Dingen stehend, die Kraft ist, welche die Dinge schafft, mit zunehmendem Alter mehr und mehr verdunkelt und abgeschwächt hat, man vergleiche die »νόμοι«, die Gesetze, auch den Zusatz, die επινομις. So erklärt es sich, dass in der Darstellung des Aristoteles die Ideenlehre in die Zahlenmystik der Pythagoräer überging.

Doch war und blieb er Platoniker, wie schon daraus hervorgeht, dass er unmittelbar nach dem Tode des Meisters Athen für lange Zeit verliess, und zwar in Gemeinschaft mit dem leidenschaftlichsten Verehrer Platons, dem Xenokrates, der nach dem Tode von Platons Neffen Speusippos der Leiter der Akademie war. Aristoteles brachte die nächsten drei Jahre bei seinem Bundesbruder Hermias, dem Fürsten von Atarneos und Assos zu, und heiratete nach dessen Tode die Schwester oder Nichte desselben. Im Jahre 343 (oder 342) übernahm er die Ausbildung des damals dreizehnjährigen Alexander, und diese Verbindung, obwohl sie nur 3 Jahre dauerte, da Alexander schon mit 16 Jahren die Vertretung seines Vaters Philipp in Macedonien übernahm, wurde für beide grosse Männer von höchster Bedeutung. — Aristoteles ging zunächst in seine Heimatstadt Stageira, er blieb aber bis kurz vor Alexanders Tode, bis er durch die Torheit seines Neffen Kallisthenes jenem entfremdet wurde, in innigster Verbindung mit dem Könige. Mit königlicher Freigebigkeit gewährte Alexander die Mittel, welche er zu seinen Arbeiten brauchte, alle fremden Tiere und Pflanzen wurden ihm zugesandt, und die Summen, derer er zu seiner grossen Bibliothek bedurfte, verdankte er wohl auch zum grossen Teil dem Könige. Aristoteles ist der erste Gelehrte, von dem wir wissen, dass er sich eine grosse Büchersammlung angelegt hat, und das war damals ein noch weit kostspieligeres Vergnügen als heute, um so mehr als er auch dafür sorgte, dass die wichtigsten Werke durch Abschriften weiteren Kreisen zugänglich gemacht wurden. Die Sammlung hat er seinem bedeutendsten Schüler, dem Theophrast hinterlassen.

Dreizehn Jahre nach dem Tode Platons kehrte er nach Athen zurück, nahm den Unterricht in der Rhetorik, den er schon bei Lebzeiten Platons sehr erfolgreich geführt hatte, wieder auf, und eröffnete jetzt ebenfalls bei einem Gymnasium, dem Lyceum, eine eigene Philosophenschule und begründete den dazu gehörigen Freundschaftsbund. In den Parkanlagen des Lyceums auf- und abgehend, disputierte er mit seinen Schülern und von dieser Gewohnheit erhielten die Jünger den Namen der »Peripatetiker.« Übermenschliches hat er in den 12 Jahren seiner Lehrtätigkeit geleistet. Abgesehen von einzelnen Dialogen, welche schon zu Platons Zeiten veröffentlicht waren, sind fast alle seine grossen Lehrschriften, die ja im wesentlichen Vorlesungshefte für seinen und seine Schüler Gebrauch waren, hier entweder entstanden oder doch wenn nicht konzipiert, so doch redigiert. Aristoteles starb 332 zu Chalcis auf Euboea, wo er ein Landgut besass, an einem Magenleiden.

Aristoteles, Werke.

Ich erwähne zuerst seine grossartigen naturwissenschaftlichen Werke, als Systematiker beginnt er mit der unorganischen Natur. Zunächst die Physik, φυσικη ακροασις, 8 Bücher, zu denen uns der sehr wichtige Kommentar des Simplicius erhalten ist. Dies Werk hat bis an das 18. Jahrh. heran den Stoff für die Vorlesungen über Physik gegeben. Dann die Astronomie, περι ουρανου de coelo, 4 Bücher (dazu Kommentar des Simplicius). Er kritisiert die Pythagoräer, den Hiketas, den Aristarch von Samos, welche die zentrale Stellung der Erde im Weltsystem aufgegeben; und seine Autorität hat bis auf Kopernikus den Weg zum Fortschritt versperrt. In de coelo β 13, 293 lesen wir: δειν τη γη του μεσου χωραν αποδιδοναι. Man muss der Erde die Stelle des Mittelpunktes wiedergeben: denn χώρα Raum steht bei Aristoteles häufig für τόπος Ort. Weiter nenne ich die Schrift über Entstehen und Vergehen, περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς 2 Bücher, die Meteorologie 4 Bücher, woran sich auch ein Werk über Mathematik im engeren Sinne angeschlossen haben soll, was aber nicht gerade wahrscheinlich ist. Es schliessen sich dann die Werke über die lebenden Wesen an, beschreibende und untersuchende. Zunächst die grossartige Zoologie, περὶ τα ζῷα ἱστορια. 9 Bücher, dann 7 Bücher Anatomie, dann die (physiologische) Psychologie, περὶ ψυχής, Wahrnehmen und Wahrgenommenes, Gedächtnis und Erinnerung, Traum und Wachen. — Ferner über Kurz- und Langlebigkeit, Leben und Tod, und damit verbunden, über das Atmen. Über die Teile der Tiere, die Erzeugung und den Gang der Tiere (wahrscheinlich unecht). — Die 2 Bücher über die Pflanzen sind verloren, weil sie von der reichhaltigeren Schrift des Theophrast aufgesaugt und verdrängt sind, eine im Altertum häufige Erscheinung. — An die Zoologie, welche mit dem Menschen endet, reihen sich dann folgerichtig die grossen Werke über das sittliche Handeln des einzelnen Menschen, und über sein Leben im Staate an, Ethik und Politik. Von den drei Ethiken ist die grosse sog. Nikomachische Ethik unbezweifelt das echte Werk des Aristoteles, während die andere die Eudemische ein Kollegienheft des Eudemos ist, und die dritte, die sog. grosse Moral ein Auszug aus dem Eudemos ist. Die Ethik handelt von dem höchsten Gut, von der Tugend, von der Freundschaft etc. Das höchste Gut sieht sie in der reinen Denktätigkeit; die wissenschaftliche Arbeit um ihrer selbst willen, diese ist göttlich. Ihr zunächst steht im Werte die Tugend, die ethische Tugend ist auf den Willen gerichtet, der lernen muss, um es kurz auszudrücken, die richtige Mitte zwischen zwei Lastern zu halten. Tief empfunden und wahrhaft beredt ist, was Aristoteles über die Freundschaft sagt, ohne die ihm zufolge keine Gemeinschaft bestehen kann.

Von den staatswissenschaftlichen Werken ist uns die Politik erhalten, 8 Bücher, unvollendet, aber wie Zeller sagt, eins von den reifsten und bewundernswertesten Erzeugnissen seines Geistes. Verloren sind bis auf wenige Bruchstücke, die sog. πολιτείαι, eine wahrscheinlich lexikalisch geordnete Sammlung der Verfassung von 158 Staaten oder Städten, anfangend mit Athen. Vor wenigen Jahren ist gerade die Verfassung Athens in der Leichenbinde einer ägyptischen Mumie gefunden und von Keibel und Kiessling meisterhaft übersetzt worden. Sie zeigt uns was wir verloren haben und ist unschätzbar für die Beurteilung des Aristoteles. Während dieser in den exakt-wissenschaftlichen und philosophischen Schriften in Sprache und Form meist trocken, nüchtern und knapp ist, — er hat ja die philosophische Fachsprache, ich möchte sagen, den Jargon geschaffen, der die meisten philosophischen Werke so ungeniessbar macht, — begreifen wir hier wie Cicero sagen konnte, Aristoteles habe die alten Rhetoren »suavitate et brevitate dicendi,« durch Anmut und treffende Kürze der Sprache, weit hinter sich gelassen.

Zugleich aber bekommen wir auch zum ersten Male ein genaues Bild vom alten Athen und sind imstande die Anziehungskraft zu begreifen, welche Athen auf die Hellenen ausübte. Wir sehen hier eine Verfassung von solchem echten Liberalismus und von solcher Humanität, wie sie noch nie zum zweiten Male existiert hat. Selbst die Staatssklaven der Athener erfreuten sich einer Freiheit, die in vieler Hinsicht grösser war als die der heutigen Staatssklaven, der Beamten. Interessant ist auch die Rolle, welche die Erbtochter schon damals spielte.

Die Anschauung des Aristoteles über Kunst kann ich hier nur flüchtig streifen, erhalten ist nur die Poëtik, und auch sie nur als Fragment, aber Sie wissen, welchen langdauernden Einfluss die sog. drei Einheiten, welche Aristoteles für das Drama forderte, die Einheit des Orts, der Zeit und der Handlung, gerade weil die Forderungen missverstanden wurden, insbesondere auf das klassische Drama der Franzosen gehabt haben.

Nun zu den eigentlichen philosophischen Schriften des Aristoteles. Zuerst bereitet er sich den Boden für das Verständnis seiner Gedanken dadurch, dass er die Gesetze, denen unser Denken unterworfen ist, die Lehre vom Schluss und vom Beweise, die formale Logik, als der Erste genau formulierte. Die Logik des Aristoteles zerfällt in 2 grosse Abteilungen, die Topik und die Analytik, zusammengefasst als Organon id est Werkzeug. Ich nenne hier F. Kampe, die Erkenntnistheorie des Aristoteles Leipz. 1870, R. Eucken, die Methode der arist. Forschung Berl. 1872. Von neuen Ausgaben seien die der Berliner Akademie von 1831–70 in 5 Bänden und die auf 35 Bände berechnete der griech. Kommentare hervorgehoben, darunter die Physik des Simplicius von H. Diels 1882 und eben desselben Astronomie von J. L. Heiberg 1894.

Die Grundlagen jeder wissenschaftlichen Arbeit sind im Organon für ewig gelegt. Die Logik wird als wissenschaftliche Technik aufgefasst, er will keine vollständige Erkenntnistheorie geben, etwa wie H. Cohen's Logik der reinen Erkenntnis, sondern zunächst eine Untersuchung über die Formen und Gesetze der wissenschaftlichen Beweisführung. Die Topik beschäftigt sich mit der Dialektik, der Lehre vom Beweisbaren und dem Wahrscheinlichen; von den Analytiken beschäftigt sich die erste mit dem Schlusse, die andere mit der Beweisführung gestützt auf den Syllogismus. Die Syllogistik hat es mit der Erkenntnis derjenigen Denkformen zu tun, denen zufolge mit Hilfe eines Zwischenbegriffs, der im einen Urteil Prädikat, im anderen Subjekt ist, entschieden werden soll, ob ein Begriff unter einem andern subsumiert werden soll, ganz oder teilweise, oder nicht. Aristoteles hat die Urteile nach Quantität und Qualität eingeteilt, und zwar nach Quantität: generelle, partikuläre, singuläre, (allgemeine, besondere, einzelne) und nach Qualität: affirmative und negative (bejahende und verneinende).

Ein Punkt der für Mathematiker besonders wichtig ist muss betont werden. Nicht Schopenhauer hat zuerst die Forderung erhoben: der wahre Beweis muss nicht nur dass etwas ist, sondern warum es ist, aufdecken, sondern Aristoteles hat περι ψυχής II, 2 mit grösster Schärfe das nämliche gefordert.

Aristoteles Philosophie.

An die Logik, die Wissenschaftslehre, schliesst sich die Metaphysik an. Aristoteles setzt die Platonische Philosophie voraus, und indem er sie umbildet, verbildet und fortbildet, ist er der Vollender der Begriffsphilosophie. Die Metaphysik beginnt mit der berühmten Tafel der Kategorien, der irreduzibeln Stammbegriffe der Vernunft, die Grundformen aller Aussagen. Sie sind bei ihm nicht völlig das was ich Konstituenten des Intellekts nenne, Methoden grosse Gruppen von Erkenntnissen zusammenzufassen und zu ordnen.

Aristoteles über Grösse.

Er unterscheidet: 1) Substanz (ουσία, Wesenheit) 2) Grösse, Quantität, ποσόν., 3) Beschaffenheit, Qualität, ποιόν, 4) Beziehung, Relation, πρός τι., 5) Worin, Raum, χώρα., 6) Wann, Zeit, πότε., 7) Lage, θέσις, 8) Haben, ἕξις, 9) Wirken, ποιεῖν, 10) Leiden, πάσχειν. Lage und Haben scheinen nur aufgestellt, um die Zehnzahl der Pythagoräer voll zu machen, er lässt sie im Laufe der Untersuchung fallen. Doch wird die θέσις die Lage von ihm als Grundeigenschaft des Raumes erkannt. Uns interessiert am meisten was er über Grösse sagt. Alles was sich in substantielle Teile teilen lässt, ist eine Grösse (dieselbe Definition gab Weierstrass im Colleg.). Sind die Teile zusammenhängend, so ist die Grösse stetig (συνεχές), die Lehre von der kontinuierlichen Grösse geht wie beinahe jede scharfe begriffliche Untersuchung auf Aristoteles zurück, der auch die recht eigentlichen mathematischen Probleme, die Zusammensetzung und Trennung des Kontinuums erfasst hat. Ausführlicher spricht er sich über Kontinuität in der Physik c. 3, 227 und 10 aus: Es sei etwas stetig, wenn die Grenze eines jeden zweier aufeinander folgenden Teile, in der dieselben sich berühren, ein und dieselbe ist, und sie, wie es auch das Wort bedeutet, (συν zusammen, έχω halten) zusammengehalten werden. Sind die Teile in einer bestimmten Lage, so sind die Grössen extensive oder Raumgrössen, das Ungeteilte oder die Einheit, mit der sie gemessen wird, und die Messbarkeit, dass sie ein Mass hat, ist das unterscheidende Merkmal der Grössen. Auch die für die Ausbildung des Integralbegriffs grundlegenden Probleme der Zusammensetzung und Trennung des Kontinuums sind von ihm gestellt. Und wenn auch περι ατομων γραμμων vielleicht wie Tannery meint, nur ein Schülerheft, so ist doch περι φύσεως unbestritten. Das Argument mit dem Aristoteles bewies, dass Raum und Zeit nicht aus Punkten bestehen (es hätten sonst z. B. Seite und Diagonale des Quadrats gleichviel Punkte und wären gleich) haben die Arabischen Aristoteliker, (wie Averroës), gegen die Mutakallimun (Logiker) gebraucht.

Für die Qualitäten werden zwei Hauptarten unterschieden, diejenigen, welche sich auf einen substantiellen Unterschied und diejenigen, welche sich auf Bewegung und Tätigkeit beziehen. Als ein charakteristisches Merkmal der Qualität wird der Gegensatz des Ähnlichen und Unähnlichen betrachtet; zu bemerken ist hier, dass Kategorien der Anschauung von Aristoteles nicht aufgestellt werden, wie z. B. Abstand, Richtung.

Der wichtigste Stammbegriff ist der der Substanz, der der Träger der Übrigen ist, und so ist es die Untersuchung über das Seiende als Seiendes von der die Philosophie, welche den Zweck hat die Erfahrung zur Einheit zusammenzufassen, ausgehen muss. Ich führe hier als den wichtigsten Satz an das berühmte: το δ' ειναι ουσια ουδενι., der widerspruchsfreie Begriff begründet keine Existenz des Definierten, mit dem z. B. der ontologische Beweis des Daseins Gottes und die Grundlage Spinozas zusammenbricht. Die erste und höchste Philosophie hat die Aufgabe die letzten (A. sagt richtiger die ersten) und allgemeinsten Gründe der Dinge zu erforschen, sie gewährt das umfassendste Wissen, dasjenige, welches am schwersten zu erlangen ist, da die allgemeinsten Prinzipien von der sinnlichen Erfahrung am weitesten abliegen, das sicherste, weil sie es mit den irreduziblen Begriffen und Axiomen zu tun hat, das was am meisten Selbstzweck ist, weil es die Zwecke, denen alles dient, feststellt. Sie muss alles Wirkliche schlechthin umfassen, denn die letzten (πρώτας) Gründe sind nur die, welche alles Seiende als Solches erklären. Andere Wissenschaften, wie Medizin und Mathematik, beschränken sich auf ihr Gebiet, das sie nicht weiter definieren, die Wissenschaft von den letzten Gründen muss die Gesamtheit der Dinge auf ihre ewigen Ursachen und in letzter Instanz auf das Unbewegte und Unkörperliche, d. h. auf Gott zurückführen, von dem alle Bewegung und Gestaltung des Körperlichen ausgeht. Er nennt diese Wissenschaft, die Metaphysik, erste Philosophie auch Theologie. Angesichts des Schwungs der Sprache und der Wucht der Gründe mit denen Aristoteles den Gottesbegriff stützt, wird es begreiflich, wie die Scholastik, wie ein Thomas von Aquino im Gegensatz zu Platon, mehr und mehr sich auf Aristoteles stützen musste, der fast zu einem Heiligen der katholischen Kirche geworden ist. Verbot doch im Jahr 1624 das französische Parlament jeden Angriff gegen seine Autorität bei Todesstrafe.

Aristoteles und die Ideenlehre.

Indem er nun näher auf dasjenige eingeht, was allen Seienden als solchem zukommt, untersucht er den Satz vom Widerspruch, der ja in der Mathematik eine so entscheidende Stelle im indirekten Beweis einnimmt, denken Sie nur an die grosse Menge stereometrischer Sätze, welche sich auf den Widerspruch gegen das Parallelenaxiom zurückführen lassen. Er knüpft an seine Untersuchung den Satz vom »ausgeschlossenen Dritten« (aut est, aut non est, tertium non datur). Ich muss für Aristoteles' Metaphysik auf Bonitz, Windelband, Zeller etc. verweisen, nur seine Gestaltung der Ideenlehre muss ich besprechen, denn in ihr besteht ja seine Emanzipation von Platon. Aristoteles hat die Idee Platons missverstanden, vielleicht weil Platon sich nicht mit Konsequenz dahin ausgesprochen, dass seine Idee auf der Ausschaltung des Zufälligen beruht. Letzteres ist für uns unbefriedigend und indem wir es auffassen als etwas, was sein oder nicht sein kann, verstösst es gegen den Satz vom Widerspruch. Die Platonische Idee, als zeitlose Norm aus wenigen Erfahrungen vermöge eines Grundtriebs unseres Intellekts geschaffen, steht über den Dingen, Aristoteles und vermöge seiner Autorität fast alle Nachfolger fassen sie als neben den Dingen, ἑν παρα τα πολλα., als ausserhalb der wirklichen Welt und in keinem Zusammenhange mit ihr stehend, wie die praestabilierte Harmonie des Leibniz, wo ihre Wirkung dann allerdings unerklärlich ist. Aristoteles fasst die Idee als ἑν κατα πολλα, als in jedem Dinge, jedes Ding existiert eigentlich nur insoweit, als es seine Idee ausdrückt. Man sieht, dass er Platon missversteht, um im Grunde auf ihn zurückzugreifen. Aristoteles unterscheidet die ὑλη, den Stoff, die Materie, die gestaltlos, nur die Möglichkeit, die δύναμις, zum Wirklichen, zur ενεργεια hat, das ihnen allein durch die Idee εἶδος, die Form zugeführt wird. Die Idee ist zugleich die Zweckursache, der gemäss die Wesen sich entwickeln, sie ist die Seele jedes einzelnen Dinges.

Aristoteles, Stoff und Form.

Man darf den aristotelischen Begriff der Form nicht mit unserm Wort verwechseln, ein toter Mensch ist der Idee nach kein Mensch, noch ein gefällter Baum ein Baum. Stoff und Form wechseln, Bauholz ist in Bezug auf den lebenden Baum Stoff, in Bezug auf den unbehauenen Stamm Form, Erz für den Bildhauer Stoff, für den Erzgiesser Form etc. So stellt sich die Gesamtheit alles Seienden als eine Stufenleiter dar, deren unterste Stufe, die erste Materie oder πρωτη ὑλη, unterschiedslos, unbestimmt und formlos, deren oberste eine letzte Idee, der mit gar keinen Stoff behaftete absolute göttliche Geist. Der Gottesbegriff des Aristoteles hat etwas Überwältigendes. Er hat den ontologischen, den kosmologischen, den teleologischen, den moralischen Beweis für das Dasein Gottes geschaffen, er beherrscht die katholische Theologie nicht nur durch das ganze Mittelalter, sondern noch heute und Metaphysik XII finden Sie in einen bei Aristoteles ganz ungewöhnlichen fast dichterischem Schwung die Schilderung des Wesens der Gottheit.

In dem Verhältnis des Stoffs zur Form hat nun Aristoteles die beiden für sein System und für die Mathematik gleich wichtigen Begriffe des Potentiellen und Aktuellen, der δυναμις und ενεργεια (auch εντελεχεια Vollendung), Möglichkeit und Wirksamkeit geschaffen, denken Sie nur an die potentielle und aktuelle (kinetische) Energie der heutigen Mechanik. In der Auffassung der Bewegung als Übergang des Potentiell-Seienden zum Aktuell-Seienden hat er die Schwierigkeit die der Begriff des Werdens seinen Vorgängern machte überwunden; es ist ein und dasselbe Sein, um das es sich handelt, nur auf verschiedener Entwicklungsstufe. Potentiell, κατα δυναμιν ist das Samenkorn ein Baum, der ausgewachsene Baum ist es aktuell, κατ' ενεργειαν. Potentieller Philosoph ist Aristoteles, wenn er schläft, der bessere Feldherr Sieger vor der Schlacht, potentiell ist der Raum ins Unendliche teilbar, die Zahl ins Unendliche zählbar, potentiell ist Alles, was sich gemäss der in ihm liegenden Idee entwickeln kann, wenn möglich zur Vollendung, zur Entelechie, zur vollendeten Darstellung seiner Idee.

Aristoteles, das Unendliche.

Diese beiden fundamentalen Unterschiede des Seins, das Potentielle und das Aktuelle, hat Aristoteles auch im Begriff des Unendlichen hervorgehoben; von ihm rührt die bis auf den heutigen Tag, ich nenne Georg Cantor, herrschende Unterscheidung des infinitum potentia et actu, des Unendlichen im Werden und des Unendlichen im Sein. Es ist unmöglich die Scholastiker oder Cusanus zu verstehen, ohne diese Unterscheidung zu kennen. Aristoteles hat zuerst und bis auf Galilei als der Einzige wissenschaftlich den Begriff Unendlich untersucht. Wohl hat Zeno den Integralbegriff gestreift, Demokrit diesen ganz bewusst benutzt, aber hier handelt es sich um eine logische Untersuchung, denn Unendlichkeitsbetrachtungen sind an sich so alt wie der Mensch. Schon in den Veden kommt die Göttin des Unendlichen, Aditi, vor und Max Müller sagt in seiner ersten Strassburger Vorlesung »alle Religion entspringt aus dem Druck, den das Unendliche auf das Endliche ausübt«. Ich habe l. c. auf den Ursprung des Unendlichkeitsbegriffs aus dem Werkzeug unseres Intellekts: Zeit hingewiesen, bezw, darauf, dass wir uns ein Ende unserer Erlebnisse nicht denken können. Wenn Frege in seinen Grundlagen der Arithmetik von 1884 den Versuch macht die Existenz von (n + 1) mittelst des Schlusses von n auf n + 1 zu beweisen, so halte ich dagegen die Unendlichkeit der Anzahlenreihe für das Prius, das unmittelbar durch den Zusammenhang der Ordinalzahl mit der Zeit gegeben ist. Mit jedem neuen Erlebnis ist eben auch eine neue Einheitssetzung und damit eine neue Ordinal- und Kardinalzahl gegeben. Aristoteles kommt wie Gauss zu dem Schluss, dass das Unendliche im Sein, das infinitum actu oder κατ' ενέργειαν, das ἄπειρον, das wovon es kein Jenseits gibt, in der Natur nicht existiert, ἡ φυσις φευγει το απερον, also als sinnlich wahrnehmbar existiert keine unendliche Grösse. Nur in Gott als der unendlichen Kraft, welche die unendliche Bewegung der Welt hervorbringt, existiert das infinitum actu. Wohl aber gibt er zu, dass es ein infinitum potentia (κατά δύναμιν) gibt. Die Raumgrösse ist unbegrenzt teilbar, aber ein unendlich kleines gibt es nicht, sondern das ἄπειρον ist nur im Entstehen und Vergehen. Und die Zeit und mit ihr die Zahl ist unendlich gross im Werden, aber auch hier ist die Zunahme endlich, die grosse Zahl entsteht und vergeht, und macht der grösseren Zahl Platz, eine unendlich grosse Zahl existiert nicht. Aber dieser grosse Denker streift doch schon die Lösung, er sagt in der Physik Cap. 5, 204: »Vielleicht ist die Untersuchung ob das Unendliche auch in der Mathematik und in dem Denkbaren und in demjenigen was keine Grösse hat, existiere, eine weit allgemeinere.« Die Lösung liegt eben darin, dass das mathematisch Unendliche überhaupt keine Grösse besitzt. Es genüge hier auf B. Bolzano's klassische »Paradoxien des Unendlichen« zu verweisen. Bolzano, auf den Weierstrass und G. Cantor ganz unmittelbar fussen, hat den Hauptanstoss hinweggeräumt, allerdings wörtlich nach Galilei, als er hervorhob, dass der Begriff des Ganzen keineswegs durch alle seine Teile hindurchzugehen braucht. Ich verweise hier auf einen Vortrag im internationalen Kongress zu Rom.

Raum und Zeit.

Mit dem was Aristoteles über das ἄπειρον sagt, hängen seine Betrachtungen über Raum und Zeit und Bewegung eng zusammen. Der Raum kann wohl unbegrenzt verkleinert, aber nicht unbegrenzt vergrössert werden, auch gegen den Demokritischen Begriff des leeren Raumes (und des Atoms) polemisiert er, dagegen nähert er sich der Auffassung Kants und noch mehr der von H. Cohen beträchtlich und führt die Zeit auf die Bewegung des Jetzt (το νύν) zurück und bemerkt, dass sie ohne das erkennende Subjekt nicht existiere. Sehr wichtig ist das, was er vom Zeit- und Raumpunkt sagt: das zeitlich und räumlich nicht mehr Teilbare ist niemals an und für sich (actu) gegeben, sondern nur potentiell in der stetigen Grösse enthalten, und wird nur durch Verneinung d. h. durch negative Prädikate (limitierende Urteil Cohens) erkannt. Und einigermassen erstaunt war ich, als ich die Auffassung der Ruhe als Grenze der sich stetig verlangsamenden Bewegung, welche ich mir vor 30 Jahren ohne noch Leibniz zu kennen gebildet hatte, dem Wesen nach bei Aristoteles fand, der sagt, dass es in einem Zeitpunkt weder Ruhe noch Bewegung gibt, sondern nur einen Übergang und der Körper, wenn er von der Bewegung zur Ruhe übergeht, noch in Bewegung ist.

Aristoteles der heute nach mehr als 2000 Jahren noch lebendig fortwirkt, der auf Christentum, Judentum, ja selbst auf den Islam auf das tiefste eingewirkt hat, — ist doch Moses ben Maimon, der auf Thomas von Aquino so bedeutenden Einfluss übte, durch seine Schule gegangen — der abstrakteste Denker und zugleich der exakteste Beobachter, der grösste Empiriker und zugleich einer der grössten Idealisten, hat eigentlich erst die einzelnen Disziplinen geschaffen. Bis zu ihm gibt es eine Gesamtwissenschaft τα μαθήματα, von ihm ab und durch ihn existieren die einzelnen Disziplinen. Sein Schüler Medon schrieb nach seinem Plan die Medizin »Ιατρικα.«, seine Physik, Astronomie, Zoologie, Psychologie bilden den Inhalt der Universitätsvorlesungen bis in die Neuzeit, Botanik, Meteorologie, ja selbst Chemie wie Rhetorik, Poetik etc. werden selbständig, wie Mathematik und die Philosophie selbst, der er die besondere Aufgabe zuwies, die Erfahrung zur Einheit zusammenzufassen. Und nicht minder die Geschichte, das erste Buch seiner Metaphysik ist die erste und zugleich mit die beste Geschichte der Philosophie und überall hat er Geschichte und Kritik hineingewoben. Von ihm an beginnt eine 500 Jahre andauernde Periode der Einzelforschung, die erst bei den Neuplatonikern zur Zusammenfassung führt.

Aristoteles: Theophrast, Eudemos.

Die beiden bedeutendsten Peripatetiker, Theophrast, der Freund und Schüler des Aristoteles, der die Botanik seiner Zeit kodifiziert hat, und Eudemos der Rhodier haben beide eine Geschichte der Mathematik geschrieben. Die des Theophrast ist spurlos verschwunden, von der des Eudemos sind spärliche Fragmente durch Proklos, Eutokios und Simplicius erhalten, sowie eine Notiz aus dem Buch über den Winkel, περί γωνίας, bei Proklos. Das wichtigste ist das oft erwähnte Mathematikerverzeichnis bei Proklos. Friedl. Prolog II p. 65 ff., das aber Tannery zufolge nicht direkt aus Eudemos stammt, sondern aus einer Verarbeitung des Eudemos durch Geminos im 1. Jahrh. n. Chr. Es endigt unmittelbar vor Euklid.

Euklid, vita.

Von dem Verfasser der »Elemente«, des Werkes, das unter allen mathematischen Werken für die Bildung der Menschheit weitaus das wichtigste gewesen ist, kennt man weder Ort noch Zeit der Geburt und des Todes, γενέσεως και φθοράς. Seinen Zeitgenossen und der nächstfolgenden Generation war Euklid einfach der »στοιχειοτης«, der Verfasser der Elemente und bald ging die Kenntnis seiner Person verloren. Viele Jahrhunderte ist er mit dem Philosophen Euklid von Megara verwechselt worden, der nach dem Tode des Sokrates die Schule zusammenhielt, und dieser Irrtum findet sich schon bei Valerius Maximus um 30 v. Chr. und ist dort aus einer falschen Auffassung einer Stelle bei Geminos (Prokl. p. 60) entstanden. — Das Wenige, was wir von ihm wissen, verdanken wir zumeist Proklos, einem Neuplatoniker und Nachfolger (Diadochos) des Plato in der Leitung der Akademie, d. h. also Rektor der Universität Athen, der um 450 n. Chr. einen Kommentar zum Euklid verfasst hat, von dem uns die beiden Prologe und der Kommentar des ersten Buchs der Elemente erhalten sind. Die Stelle (Friedl. S. 68) lautet: »Nicht viel jünger als diese (Hermotimos, der Kolophoner und Philippos, der Schüler Platons) ist Eukleídēs, der die Elemente [τα στοιχεία] verfasste, wobei er vieles was vom Eudoxos herrührte, in zusammenhängende Ordnung brachte, vieles was Theaitet begonnen, vollendete und ausserdem so manches was früher ohne rechte Strenge bewiesen war, auf unantastbare Beweise zurückführte. Und dieser Mann lebte unter Ptolemaios dem ersten, denn Archimedes, dessen Lebenszeit sich an die des ersten Ptolemaios anschliesst, erwähnt des Euklid [in περί σφαίρας και κυλίνδρου, Heib. I, 2, p. 14] und zwar erzählt er: Ptolemaios frug einmal den Euklid, ob es nicht zur Geometrie einen bequemeren Weg gebe als die Elemente. Jener aber antwortete: Zur Geometrie gibt es für Könige keinen Privatweg [ουκ εστι βασιλικη ατροπος επι γεωμετριαν]. Er ist also jünger als die [direkten] Schüler des Platon und älter als Eratosthenes und Archimedes, denn diese waren Zeitgenossen, wie Eratosthenes irgendwo sagt. Aus Grundsatz war er Platoniker und in der Platonischen Philosophie zu Hause.«

Danach ergibt sich für Euklid etwa 300 v. Chr. als Zeit seines Mannesalters (der ακμή, der Zeit blühendster Körper- und Geisteskraft, welche die Hellenen in das vierzigste Jahr verlegten), und dass er in Athen an der Akademie gehört hatte und dem engeren Kreise der Akademiker angehörte.

Zur Charakterisierung des Euklid haben wir noch eine Stelle bei Stobaios. »Ein Mensch, der bei Euklid Unterricht in der Geometrie zu nehmen begonnen hatte, frug, nachdem er den ersten Satz der Elemente kennen gelernt hatte, was habe ich nun davon, dass ich das weiss? Euklid rief seinen Sklaven und sagte: Gib dem Manne drei Obolen, da er studiert um Profit zu machen.« Und schliesslich schildert ihn Pappos in der Vorrede zum 7. Buch der Kollektaneen wie folgt: Erat ingenio mitissimus et erga omnes, ut par erat, benignus qui vel tantillum mathematicas disciplinas promovere poterant, aliisque nullo modo infensus, sed summe accuratus. »Er war von mildester Gesinnung und wie es sich geziemt wohlwollend gegen jeden, der und wär's noch so wenig, die mathematischen Disziplinen zu fördern vermochte, in keiner Weise anderen gehässig, sondern im höchsten Grade rücksichtsvoll.« Sie sehen, dass Euklid in der Tradition seines Volkes als hochgesinnter, reiner wissenschaftlicher Tätigkeit hingegebener Mann fortlebte.

Gelehrt hat er für reife Leute, ganz in der Weise unserer Universitätsprofessoren, an der Universität (Museum) Alexandria, wie uns l. c. Pappos berichtet. Unter der den Wissenschaften überaus ergebenen Diadochen-Dynastie der Ptolemäer entwickelte sich des grossen Alexander Stadt zur Zentrale des Hellenischen Geisteslebens. Man nennt diese Periode die Hellenistische. Es ist lange Zeit Mode gewesen die Alexandriner zu verspotten als Pedanten, wegen ihrer grammatischen, auf die einzelnen Worte gerichteten Untersuchungen, haben sie doch z. B. die Akzente eingeführt. Aber auf dem Gebiete der exakten Wissenschaften ist die Hellenistische Periode erstklassig. Euklid grade hat den Schwerpunkt von Athen nach Alexandrien verlegt, Archimedes, Apollonios, Eratosthenes sind aus der Alexandrinischen Schule hervorgegangen. —

Euklid, Schriften: die Data.

Die Euklidischen Schriften kennen wir durch die Angaben der Proklos p. 68 f. und Pappos l. c. Von den Elementen abgesehen sind im griechischen Urtext erhalten a) die Data, δεδομενα, »Gegebenes,« mit einer Vorrede des Marinos von Neapolis in Palästina, einem Schüler des Proklos. Die Echtheit des Textes wird durch die Inhaltsangabe bei Pappos (300 n. Chr.) bestätigt, welche im Wesentlichen mit dem Text der Codices übereinstimmt. Die Schrift enthält 95 Sätze (Pappos 90) welche aussagen, dass wenn gewisse geometrische Gebilde gegeben sind, andere dadurch mit bestimmt sind, also eine Art geometrischer Funktionentheorie. Beispiele: Satz 2: Wenn eine gegebene Grösse zu einer zweiten Grösse ein gegebenes Verhältnis hat, so ist die zweite ebenfalls gegeben. Satz 33: In einem gegebenen Streifen ist durch die Winkel, welche eine Querstrecke mit den Grenzen bildet, die Länge der Querstrecke bestimmt. Dem Inhalt nach gehen die »Data« nicht über die »Elemente« hinaus, doch war und ist eine solche Zusammenstellung praktisch im hohen Grade wertvoll für die Anwendung der seit und durch Platon sich immer mehr ausbreitenden analytischen Methode, deren Wesen gerade darin besteht, die durch die gegebenen Stücke mit bestimmten Punkte, Linien, Figuren aufzusuchen, bis man zu einer konstruierbaren Nebenfigur gelangt. Die Data sind daher eine sich eng an die Elemente anschliessende Anleitung zum Konstruieren nach der analytischen Methode, etwa entsprechend Petersen's bekannten »Methoden und Theorien«.

Astronomie.

Erhalten ist unter dem Titel »Phaenomena« eine Schrift über Astronomie (lectio sphaerica) mit den Anfangsgründen der Sphärik. Die Schrift geht bedeutend über die kurz vorhergehende des Autolykos hinaus. Ich bemerke beiläufig, das die lectio sphaerica bis in die Neuzeit hinein der Schrittmacher für die Geometrie gewesen, die sich im Lehrplan der Gymnasien erst aus ihr entwickelt hat. Die Schrift beginnt mit dem Satz: »Die Erde liegt in der Mitte der Welt und vertritt in bezug auf dieselbe die Stelle des Mittelpunkts« (Aristoteles) und schliesst mit dem Satz: »Von zwei gleichen Bogen des Halbkreises zwischen dem Äquator und dem Sommerwendekreis durchwandelt der eine, beliebig genommen in längerer Zeit die sichtbare Halbkugel als der andere die unsichtbare.« Das Wort »Horizont« stammt aus der Schrift, welche von Pappos im 6. Buch seiner Kollektaneen erläutert und ergänzt wurde. (A. Nokk, deutsche Übersetzung Prgr. Freiburg i. Brg. 1850). Heiberg hat nach einer Bemerkung Nokks bewiesen, dass diese Schrift des Euklid einen sehr wesentlichen Bestandteil der für unsere elementare Sphärik grundlegenden Schrift des Theodosios von Tripolis (etwa 100 v. Chr.) gebildet hat (siehe M. Simon, Euklid und die sechs planim. Bücher, Leipzig 1901).

Optik.

Echt Euklidisch sind auch die »Optica«, deren Text Heiberg restituiert hat. Der sonst gebräuchliche Text geht vermutlich auf ein Kollegienheft nach Theon von Alexandrien, dem Vater der Hypatia, der ersten uns bekannten ordentlichen Professorin. Sie ist mutmasslich der Autor unserer Quadratwurzelausziehung und bekannt durch ihre Schönheit und ihr unglückliches Schicksal. Von dem bestialischen christlichen Mönchspöbel Alexandriens zerrissen, wurde sie nach ihrem Tode zu Professorenromanen ausgeschlachtet. Die Schrift Euklids gehörte zu der Sammlung, welche unter dem Titel »μικρος αστρονουμενος,« der kleine Astronom, neben den »Elementen« das Rüstzeug des Astronomen bildete, ehe er an das grosse Lehrbuch des Ptolemaios, die μεγαλη συνταξις (der Almagest) gehen konnte. Die Schrift gibt die Anfangsgründe der Perspektive.

Dagegen ist die andere Schrift über Optik, welche unter Euklids Namen ging, die Katoptrik unecht. Heiberg macht es sehr wahrscheinlich, dass die von Proklos unter diesem Titel erwähnte Schrift des Euklid rasch durch das inhaltreiche Werk des Archimedes über den gleichen Gegenstand verdrängt wurde.

Euklid, Schriften: Musik.

Noch über einen anderen Zweig der angewandten Mathematik haben wir eine Schrift des Euklid, die καταιομη κανονος, die Lehre von den musikalischen Intervallen, 20 Sätze, wissenschaftlich auf dem Standpunkt der Pythagoräer. Eine zweite musikalische Schrift, die Harmonielehre, εισαγωγή ἁρμονική, rührt wie schon Hugo Grotius 1599 erkannte von dem Aristoxenianer Kleonides her. [Aristoxenos, direkter Schüler des Aristoteles als Philosoph, setzte der auf die arithmetischen Intervalle gegründete Harmonielehre der Pythagoräer die Lehre von den harmonischen Sinneseindrücken entgegen].

Über Teilung.

Aus Arabischen Quellen besitzen wir durch Dee 1563 eine Bearbeitung und durch Woepcke 1851 eine Übersetzung der von Proklos zweimal erwähnten Schrift περὶ διαιρέσεων, über Teilungen, welche wertvolle Aufgaben über Flächenteilung enthielt. Dort findet sich die noch heute im Schulunterricht stets vorkommende Aufgabe: ein Dreieck durch Gerade von gegebener Richtung in Teile zu teilen, welche ein gegebenes Verhältnis haben; ferner Teilung von Vierecken, von Kreisen, von Figuren die von Kreisbogen und Geraden begrenzt sind. Euklid zeigt sich hier als sehr gewandter Konstrukteur, er benutzt ausser den Sätzen der Elemente nur solche, welche sich mühelos aus ihnen ergeben.

Euklid, Verlorene Schriften.

Verloren sind die Schriften, welche sich auf die eigentliche höhere Mathese seiner Zeit beziehen. Zunächst die zwei wichtigen Bücher τόποι πρὸς ἐπιϕάνειαν, Oberflächen als geometrische Orte, welche Proklos und Pappos erwähnen. Der Begriff des geometrischen Ortes wird schon von Pappos gerade so wie heute definiert als die Gesamtheit aller Punkte, denen ein und dieselbe bestimmte Eigenschaft (Symptoma) zukommt, und je nachdem diese Gesamtheit eine Linie oder eine Fläche bildete, heissen die Orte Linien- oder Flächenorte. Davon verschieden sind »körperliche Orte« (στερεοι), dies sind Linien, welche durch den Schnitt von Körpern entstehen, wie die Kegelschnitte. Die Schrift des Euklid hat nach Pappos vermutlich Ortseigenschaften der Kugel-, Kegel- und Zylinderflächen behandelt und scheint in der bedeutenderen Arbeit des Archimedes über Konoide und Sphäroide aufgegangen zu sein.

Porismata.

Elemente.

Mehr wissen wir von den 3 Büchern »Porismata«, da Pappos den Inhalt so ausführlich angegeben hat, dass Michael Chasles danach eine Rekonstruktion versucht hat, nach Vorarbeiten von R. Simson, dessen Euklidbearbeitung von 1756 noch heute für England massgebend ist. Allerdings hat P. Breton de Champ zuerst erkannt, dass die 29 Sätze in der Vorrede des VII. Buches bei Pappos ein Résumé der 171 Sätze des Euklid enthalten. Das Wort Porisma selbst bildet noch eine Streitfrage. Es hat 2 Bedeutungen, erstens Zusatz, so kommt es vielfach in den Handschriften der Elemente vor, zweitens bedeutet es ein Mittelding zwischen einem gewöhnlichen Lehrsatz und einem sogenannten Ortssatz, d. h. einem Satz der ausspricht, dass eine bestimmte Kurve eine bestimmte Eigenschaft hat. Als Beispiel diene der Satz: Der Ort der Punkte, deren Abstände von zwei festen Punkten ein festes Verhältnis haben ist der Kreis (des Apollonios) dessen Durchmesser die Strecke zwischen den beiden in diesem Verhältnis zu den gegebenen Punkten harmonischen auf der gegebenen Graden ist. Ein Porisma wäre demzufolge in der Geometrie etwa das, was man in der Arithmetik einen Existenzbeweis nennt, es spräche aus, dass ein bestimmter Ort existiert, ohne ihn direkt zu konstruieren. Die Porismata bildeten vermutlich für die synthetische oder direkte Konstruktionsmethode ein Seitenstück zu den »Data« als Hilfsmittel für die analytische Methode. Nach dem Résumé bei Pappos gingen sie weit über die Elemente hinaus und mit Chasles und H. Zeuthen müssen wir annehmen, dass sie die Grundlagen für die projektive Behandlung der Kegelschnitte enthalten.

Auch über diese zu seiner Zeit höchste Mathematik hat Euklid geschrieben, vier Bücher Konika. Ebenso wie Euklid die Arbeiten seiner Vorgänger insbesondere des Theudios für seine Elemente benutzte und verdrängte, wurden seine Konika nach dem Zeugnis des Pappos von dem grossartigen Werk der 8 Bücher Konika des Apollonios verdrängt, in dessen erste 4 Bücher sie vermutlich vollständig Aufnahme gefunden haben. Sie werden daher auch schwerlich aus arabischen Quellen je wieder zum Vorschein kommen, wenn sie nicht zufällig als Leichenbinde einer Mumie gefunden werden.

Verloren ist auch eine Schrift mathophilosophischen Charakters ψευδαρια, »Trugschlüsse« genannt und zwar sind absichtliche Falschschlüsse gemeint. Proklos nennt die Schrift »καθαρκεικον και γυμναστικον«, reinigend und übend durch Anstrengung d. h. die Schrift war zur Geistesgymnastik der Schüler bestimmt.

Und nun zu dem Werke das den Namen des Euklid unsterblich gemacht hat, zu den Elementen, die »στοιχεία«, wozu ich meine Schrift Euklid etc. von 1901 heranzuziehen bitte.

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