II. Kapitel. Babylonien — Assyrien.

Ich wende mich nun dem Zuge der semitischen Völkerwanderung folgend nach dem uralten Kulturland, zwischen den grossen Strömen Euphrat und Tigris, zum Zweistromland, dem mâtu Pur Pur, nach Mesopotamien, Babylonien, Assyrien. Hier kam zu den schon für Ägypten fliessenden Quellen noch Berossos hinzu, und die Bibel in weit reichlicherem Masse. Berosus, ein Babylonischer Priester des Bel der im 3. Jahre v. Chr. in griechischer Sprache schrieb, hat sich als mit den Traditionen seines Volkes in Mythos und Geschichte sehr vertraut erwiesen, und es ist zu bedauern, dass von seinem grossen Werke nur Fragmente durch Alexander Polyhistor und danach von Josephus und Eusebios erhalten sind. Verdanken wir doch Berossos die Kunde von dem Babylonischen Weltschöpfungsmythus, die Sintflut eingeschlossen, der Quelle des mosaischen, eine Kunde, welche durch die Funde von Kujundschik-Ninive so glänzend bestätigt und erweitert wurde. Aber auch die Bibel hat sich als eine nicht zu unterschätzende Geschichtsquelle erwiesen, und unter dem Einfluss der Ausgrabungen in den letzten 30 Jahren ist »Babel und Bibel« (P. Delitzsch) zu einem Schlagwort geworden. Aber erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gelang es durch Entzifferung der rätselhaften Keilschrift, die Geschichte Vorderasiens auf urkundliche Grundlage zu stellen. So bedeutend aber die Leistungen der Schüler Eberhard Schraders im letzten Dezennium gewesen sind, so sagt doch einer der berufensten unter ihnen P. Jensen: »Ein jedes Werk von Assyriologen auch der besten ist und wird auf lange noch vergleichbar bleiben einem Feld mit Hopfenstangen, von denen sehr viele zwar annähernd oder durchaus korrekt und gerade, viele aber, nach allen Richtungen hin, schief stehen.«

Im Gegensatz zu Ägypten, wo wir ein und dasselbe Volk bis zum heutigen Tage vor uns haben, sind im Zweistromland zwei der Rasse nach verschiedene Völker zu unterscheiden, die beide langsam kulturell zusammengeschmolzen sind. Vom Nordosten her, möglicherweise vom Altai und dem Pamirplateau kamen als Nomaden in einzelnen Schwärmen die Sumerer, ein Volk, das bis dato für sich steht, die sich vorzugsweise in Südbabylonien in Sumer ansiedelten, vielleicht vom Meere aus in die Mündungen des Euphrat und Tigris eindringend. Vom Nordwesten her in gleicher Weise die Semiten, die sich, zugleich oder früher, vorzugsweise in Nordbabylonien, Accad (Agade) festsetzten. Naturgemäss mussten beide Völker zusammenstossen, und in hin und her schwankenden Kämpfen drangen Sumerer in Accad und Accader in Sumer ein, bis seit Chammurabi die Sumerer endgültig den Semiten unterlagen, die an den Beduinen Arabiens immer frischen Nachschub hatten. Gehörte doch nach Ed. Meyer, welcher sich dabei stützt auf Ranke, Early Babyl. personal names (p. 33, Band VI, 1 des grossen Hilprecht'schen Sammelwerkes über die Amerik. Ausgrabungen in Nippur) und noch mehr auf die Monumente, Chammurabi selbst einem solchen frischen Schwarm Amoriter Beduinen an.

Sumerische Frage.

Die sogen. Sumerische Frage gehörte zu den dunkelsten; während anfangs der Siebziger die Sumerer als die Kulturträger, die Semiten als rohe Nomadenhorden hingestellt wurden, hat später ein so bedeutender Semitologe, wie Halévy, die ganze Existenz der Sumerer geleugnet und ihre Schrift und Sprache für eine Art Stenographie der Semitisch-Babylonischen erklärt. Gestützt auf die genaue Untersuchung der ihm zugänglichen plastischen Denkmäler, hat Eduard Meyer in seiner Abhandlung »Sumerier und Semiten in Babylonien« [Abh. d. Kön. Preuss. Akad. d. W. 1906 phil-hist.] die Frage aufgehellt. An der Existenz der Sumerischen Sprache konnte, wie Meyer mit Fug bemerkt, nach der Auffindung der griechischen Übersetzungen bilinguer Syllabare, das sind Listen von Schriftzeichen mit Angabe ihrer Sumerischen und Assyrischen Silben- und Wortwerte, nicht mehr gezweifelt werden. Man vgl. die Abhandlung von T. G. Pinches in den Proc. Bib. Arch. 24, p. 108 und A. H. Sayce ibid. p. 120, in denen die Aspiration des p, k und t durch die Griechische Übertragung konstatiert ist.

Sumerer und Semiten.

Die Rassenfrage wurde durch die bildlichen Darstellungen im wesentlichen auf Grund der Ausgrabungen de Sarzecs, die von Heuzey vortrefflich ediert sind, und denen von Nippur, die seit 20 Jahren ununterbrochen fortgesetzt sind, unzweifelhaft zugunsten eines selbständigen Volks der Sumerer entschieden, wie es Bezold, Winkler, Hilprecht etc. angenommen hatten. Abgesehen von der Kleidung, dem sumerischen Mantel und dem semitischen bunten Plaid, sind scharfe und stereotype Unterschiede vorhanden. Zunächst zeichnen sich die Semiten wie noch heute durch üppig wucherndes Bart- und Haupthaar aus, während die Sumerischen Köpfe bis auf die Augenbrauen völlig ohne Haar sind. Die Nase ist von der semitischen scharf verschieden, ebenso Mund, Backe und Stirn. Auch die Frauenköpfe aus Tello sehen durchaus nicht semitisch aus. »So lehren die Denkmäler mit unwiderleglicher Evidenz, dass es zwei verschiedene Rassen in Babylonien gegeben hat, eine semitische [vorzugsweise] im Norden, und eine nicht semitische [vorzugsweise] im Süden, [die Sumerer]. Zu diesen beiden Rassen kamen dann als drittes Element die Beduinischen Westsemiten Chammurabis, die das Haupthaar kurz schneiden und die Lippen rasieren.«

Anteil der Sumerer und der Semiten an der Kultur.

Die dritte Frage, die von Meyer naturgemäss nicht so entscheidend, wie die beiden ersten beantwortet wird, ist die Frage nach dem Anteil der beiden Rassen an der Kultur. Da hat nun Meyer nachgewiesen, dass die Sumerer der Zeit Gudeas (etwa um 2600), ihre Götter nicht mit ihrem eignen sumerischen Typus, sondern in Gesichtsbildung, Bart, Haar und Gewandung als Semiten gebildet haben. Danach haben auf religiösem Gebiete die Semiten entschieden die Führung gehabt, wenn naturgemäss auch ihre Religion durch die der Sumerer beeinflusst ist, bis sich eine einheitliche Religion heranbildete. Meyer glaubt die Sagen von Gilgamesch, dem Herkules der Babylonier, der Sintflut etc. den Semiten zuweisen zu können, während besonders die Verbindung der Götter mit den Sternen, insbesondere die Astrologie, der Hexen- und Dämonenglauben sumerisch seien, der sich ja von Babylon aus insbesondere durch das spätere Judentum und das Christentum über die ganze Welt verbreitet hat.

Die Semiten scheinen auch auf dem Gebiet der Kunst die Führenden gewesen zu sein, und sehr früh haben sie eine hohe Stufe der Kunst erreicht, wie die unübertroffene Siegesstele des Naramsin (s. u.) beweist (vgl. Abbildung).

Siegesstele des Naramsin.

Über einen Punkt aber herrscht unter den Assyriologen volle Übereinstimmung, die Erfindung der Babylonischen Schrift, der Keilschrift, ist Eigentum der Sumerer. Zwar ist die von Hilprecht als sumerisch angesprochene vorsargonische Periode Nippurs schriftlos, und wir haben aus der Zeit wo in dieser Stadt, dem uralten Stammesheiligtum der Babylonier, der Sumerische Sturmgott En-lil, dessen Idiogramm später als Bel gelesen wird, seinen Kult hatte, keine Tafeln mit Schriftzeichen gefunden, aber der Beweis liegt darin, dass die semitischen Silbenzeichen ursprünglich sumerische Worte bedeuten. Meyer weist mit Recht darauf hin, dass die Semiten als Erfinder der Schrift, alle Konsonanten ihrer Sprache bezeichnet hätten, und weist auf den entscheidenden Einfluss hin, den die sumerische Schrift und Sprache auf das Semitische der Babylonier für Phonetik und Satzbau geübt hat.

Gudea und die Fürstpriester von Telloh.

Durch die Ausgrabungen de Sarzecs wissen wir, dass nach dem Tode der grossen Semitischen Fürsten Sargon und Naramsin die Sumerer auch in Accad vorübergehend zur Macht gelangten in dem Königreich von Sumer und Accad der Fürsten von Ur; wir kennen durch die so erfolgreichen Ausgrabungen E. de Sarzecs aus wunderbaren Statuen, denen leider der Kopf fehlte (vgl. Abbildung) und einer Reihe von Schriften, genauer Vertonungen ihren König oder richtiger Fürstpriester, pateïssi, denn nie nennt er sich König, Gudea; nach Winkler war er Vasall des Urengur von Ur, König von Sumer und Accad, und Gudeas Vorgänger Urnina, Entemena etc. Ihre Residenz war Schirpurla auch Lagasch, heute Telloh geheissen; und die Urkunden aus jenen ältesten Zeiten sind für die Entwicklung der Schrift ganz besonders wichtig. Der Plan und der Massstab Gudeas (vgl. Abb. S. 62) ist für die Metrologie beinahe unschätzbar; wie die p. 105 besprochene Arbeit Borchardts beweist, ist er zirka 3000 Jahr in Gültigkeit geblieben, und stimmt nach der Borchardt'schen Messung mit Lehmanns Hypothesen (p. 106) vortrefflich.

Gudea mit Plan und Massstab.

Plan der Gudeastatue, 1/2 der nat. Grösse.

Massstab der Gudeastatue, 1/2 der nat. Grösse.

Statuen des Gudea.

Durch einen merkwürdigen Zufall ist uns jetzt auch der Kopf Gudeas bekannt geworden. Der Nachfolger de Sarzecs in den Ausgrabungen von Tello (Sirpurla), der Kapitän G. Cros, fand unweit der Stelle, wo jener einen prächtig gearbeiteten Kopf aus Diorit ausgegraben hatte, eine kleine ganz disproportionierte Statue ohne Kopf, die laut Inschrift als die der Gudea bezeichnet wurde, von ihm seinem speziellen Schutzgott, dem er auch den neuen Tempel in Tello gebaut hatte, dem Ningiszida, dem Sohn des Nin-a-zu (nach Meyer ein anderer Name für den Götterkönig Anu, den Himmelsgott) gewidmet. Léon Heuzey, der ausgezeichnete Leiter der Assyrischen Abteilung des Louvre, bemerkte, dass die Brüche des Kopfes und des Torso zu einander passten, er setzte den Kopf auf den Torso und ohne jeden Kitt sass er fest (vgl. Rev. d'Assyr. Bd. VI, 1907 p. 19). Dadurch besitzen wir jetzt 4 Köpfe des Gudea, darunter der von Hilprecht in seinem Vortrag über die Ausgrabungen im Bêl-Tempel zu Nippur S. 52 wiedergegebene »Marmorkopf von feinster Arbeit«. Die Köpfe tragen sämtlich die sogenannte Kappe der Sumerischen Fürsten, die wir bei Chammurabi (s. u.) wiederfinden, und drei davon den Turban, der also uralt sumerischen Ursprungs ist. Die scheinbare Plumpheit und Disproportioniertheit der Körper der Statuen aus Tello hat Heuzey m. E. sehr zutreffend erklärt. Der Körper diente nur als Sockel für den Kopf, falls der schwer zu bearbeitende Dioritblock für eine ganze Statue zu klein war, und Heuzey bemerkt sehr richtig, dass unsere Büsten mit ihrer abgespalteten Brust den Sumerern, so sonderbar vorgekommen waren, wie uns die ihren.

Kopf des Gudea, Federzeichnung nach dem Funde des Cap. Cros.

Semitische Einwanderung in Vorderasien.

Und von der entgegengesetzten Seite her, wie heute ziemlich feststeht, von Nordafrika her, drangen nomadische Semitenschwärme, in verschiedene Volksstämme, richtiger Clane gespalten in das reiche Zweistromland, und siedelten sich in der 13 Meridian breiten, paradiesisch fruchtbaren Ebene an. Delitzsch versetzt geradezu das Paradies in die Gegend von Babylon, den Euphrat und Tigris nennt die Bibel selbst und die beiden andern Ströme erklärt er für Kanäle, was nicht unmöglich, da die Babylonier für Kanal und Fluss dasselbe Wort nâru haben. An der jetzigen grauenhaften Verödung dieses Paradieses erklärt Delitzsch die Türken für unschuldig, und sicher haben Beduinen und Islam vor den Türken die Versandung der Kanäle und damit die Verödung des Landes auf dem Gewissen. Wir hegen die begründete Hoffnung, dass die deutsche Bagdadbahn und das deutsche Kapital in wenig mehr als einem Menschenalter die jetzige Wüste wieder zu einem grossen Garten umgeschaffen haben wird.

Sargon und Naramsin.

Die Unterwerfung der Sumerer gelang um so leichter, als sie keinen Grossstaat hatten, sondern nur einzelne grosse Städte, in denen sich nach und nach die Semiten ansiedeln. Die Städte standen unter sogenannten Fürstpriestern, Pateissi, die sich gegenseitig unter einander befehdeten, wie wir aus den Inschriften Gudeas erfahren, und aus dem von Cros vor kurzem ausgegrabenen Bericht über die Verwüstung Tellos durch Lugalzaggissi, den Pateissi der Nachbarstadt Gishu, bis sie unter die Oberherrschaft Semitischer »Grosskönige« gerieten, wie Tello unter die des grossen Semitenfürsten Sargon I., Besitzer von Argade (Accad), der von Nordbabylonien, dem Lande Accad aus, auch Südbabylonien (Sumer) unterwarf. Sargons und seines ebenfalls bedeutenden Sohnes Naramsin Existenz war lange sagenhaft, — die Moses-Mythe wird auch von Sargon erzählt — bis Nabonahid und die Funde der Amerikaner in Nippur, dem Sitz eines uralten Tempels des Bêl, ihre historische Existenz bewiesen. Dort ist sogar der Stempel des Sargon (vgl. Abb.) mit seinen altertümlichen Schriftzeichen gefunden worden.

Nabonahid, der letzte König von Babylon, war das, was wir heute einen Romantiker nennen würden, seine Interessen wurzelten in der Vorzeit, er wollte den uralten Dienst des Schamasch, der Sonne, und des Sins, des Mondes, wiederherstellen und geriet so in Konflikt mit der mächtigen Priesterschaft des Marduk-Bel in Babylonien, deren Unterstützung Cyrus mehr für seinen Erfolg verdankte als der Macht seiner Waffen. Im Grundstein des Tempels von Sippar, den Nabonid erneuern wollte, fand er die Urkunde Naramsins, des Sohnes des Sar-u-ukin. Die Gelehrten des Königs berechneten nach den Königslisten die Regierungszeit des Naramsin auf 3200 Jahre früher, wodurch Sargon auf 3800 v. Chr. gerückt wurde, und mit ihm Gudea. Trotz mancher Bedenken, welche gegen dieses hohe Alter geltend gemacht wurden, insbesondere von H. Winkler und C. F. Lehmann, nahm doch noch Bezold 1903 diese Daten als richtig an. Aber der Fund der neuen Königsliste von Nippur, aus dem Ende des 3. Jahrtausend der Schrift nach, durch Hilprecht 1906 im XX. Bd. der Berichte publiziert und interpretiert, bewies, dass Lehmann mit seiner Vermutung, dass die Gelehrten des Nabonid sich um etwa 800 Jahre geirrt hatten, im Recht war und die neue Chronologie von L. W. King (Chronicles conc. early Babyl. kings 2 vol 1907) setzt Sargon von Akkad auf 2500 v. Chr. auf Grund der Arbeiten H. Rankes.

Babylonisch-Assyrische Chronologie.

Über die Chronologie sei gleich hier bemerkt, dass der Hang der Babylonier zum genauen Datieren, insbesondere auch die zahllosen Geschäftsurkunden, die wir von Gudea bis Nabonid besitzen, uns über die Chronologie der Assyrer weit besser als über die der Ägypter unterrichtet haben. In Kürze werden uns die Ausgrabungen, besonders die der Pennsylvania Universität in Nippur bis ins 4. Jahrtausend hinein eine völlig gesicherte Zeitfolge der Geschichte gewähren, von Chammurabi bis Kyros, von 2000 bis 539 steht sie schon jetzt auf sicherem Boden. Vom 15. Jahrhundert bis zum Jahr 1000 können wir uns auf die sogen. synchronistische Geschichte stützen. Nach H. Winkler (die Keilinschr. u. das alte Test. 3. Aufl. 1903 p. 47) ist es ein Dokument, in welchem Adad-nirari III. von Assyrien (812–783) die Vereinigung Assyriens und Babyloniens als im Interesse beider Völker hinstellt, nach Bezold ein Staatsvertrag beider Länder. Jedenfalls wird darin in Kürze die Geschichte beider Länder chronologisch erzählt. Die synchron. Geschichte ist immerhin nicht ganz einwandfrei, sie enthält gewissermassen den persönlichen Fehler Adad-niraris. Von diesen sind für Assyrien die Eponymenkanones, für Babylonien die Königslisten frei. Das Jahr wurde von Adad-nirari II., etwa um 900 an, zunächst nach dem die Regierung antretenden Herrscher und dann der Reihe gemäss, nach den höchsten Beamten benannt, wie in Athen nach den Archonten. Beide Listen sind Chroniken zum Zweck genauer Datierung von Rechtshandlungen. Die Vergleichbarkeit des Kanons mit unserer Zeitrechnung wurde möglich durch Erwähnung der Sonnenfinsternis im Monat Sivan bei Gelegenheit eines Aufstands gegen Assur-daja. Die Astronomische Berechnung ergab den 15. Juni 763. Eine weitere Kontrolle ergab dann der völlig zuverlässige Kanon des grossen Astronomen Ptolemaios (vgl. Hellas), der uns hilft bis zur Seleuciden-Ära (Berossos), deren Beginn zwischen 312 und 311 schwankt und die Arsaciden-Ära von 248, welche neben der Seleucidenära hergeht.

Die Semiten überschwemmten ganz Westasien, längs der Küste des Mittelmeeres zogen die Phönizier, besser Kanaanäer, zu denen die Chabiri, die wir jetzt als Hebräer bezeichnen, gehören, die, wie es scheint, noch im Anfange der historischen Zeit nicht sesshaft waren, und erst zur Zeit Chinatôns ihre Stammesgenossen angriffen.

Arvat, Byblos und vor allem Sydon und Tyrus sind Städte der Phönizier. Die zweite Sammelgruppe der Beduinenschwärme bilden die Aramäer, mit dem Hauptzweig der Syrer, die südlich von den Kanaanäern hielten und sich weit nach Norden und Osten vorschoben. Hier kam es nur in Damaskus, der alt berühmten noch heute blühenden Handelsstadt zu einer Staatenbildung. Am ausgedehntesten war die Wanderung des an Zahl stärksten dritten Zweiges, der Babylonier und Assyrer, die sprachlich und genealogisch nahe verwandt sind. Doch sind nach den Abbildungen die Babylonier weit stärker mit den Sumerern blutgemischt als die Assyrer.

Geschichte der Babylonier und Assyrer.

Die Assyrer sind sprachlich und auch dem Rassentypus nach mit den Babyloniern so nahe verwandt, dass die Annahme ihrer Abzweigung von diesen, etwa um 1150, nach einem siegreichen Einfall der Elamiten, sehr wahrscheinlich ist. Sie waren ein Krieger- und Herrenvolk, das den Priestern einen weit geringeren Einfluss einräumte als die Babylonier. Ihre Kämpfe, wie die der Babylonier, gelten, wie leicht begreiflich ist, dem Bestreben, sich die grossen Handelsstrassen nach Indien und nach dem Kulturzentrum, dem Mittelmeerbecken offen zu halten. Wird ihnen, durch das Aufkommen einer nicht semitischen Grossmacht ein Handelsweg im Westen verlegt, so erkämpfen sie sich einen neuen im Osten. Sehr bald gingen sie gegen Babylonien aggressiv vor, und der grausame aber tüchtige Assurnassirpal bringt Babylon völlig unter seinen Einfluss. Der eigentliche Begründer der Assyrischen Weltmacht Tiglat Pileser III. besteigt dann 744 unter dem Namen Pulu (Phul der Bibel) den Thron Babels und nennt sich König von Sumer und Accad. Diese Glanzzeit Assyriens hält unter Sargon II. und seinem Sohn Sanherib an, aber kurz nachdem Sanherib Babylon zerstört hatte (689) und nach der erfolgreichen Regierung Assurbanipals (Sardanapal) wird auch Ninive, die Residenz seit Sanherib von den Medern unter Kyaxares zerstört und zwar weit gründlicher als Babel.

Bis an die Hochebene Mediens in Nordosten, Elams oder Susa in Südosten, im Süden bis an die Sümpfe der Mündung des Euphrat und Tigris in den persischen Busen drangen die Semiten, auch hier zunächst kein Grossstaat, sondern Städte, die das Stammesheiligtum bargen als Zentren des Kultus, des Marktverkehrs und Sitz der Fürsten. Nach Agade und Sirpurla nenne ich Kis, Ur (deren Fürsten sich seit Urengur Könige der vier Weltgegenden nannten und Nordbabylonien in Abhängigkeit brachten), Nippur, Larsam und Babel, die mehr oder minder zentrale Bedeutung gewannen bis Chammurabi (vielleicht der Amraphel der Bibel) Babel zur Hauptstadt des Grossstaats Babylon machte, der nun Nordbabylonien (Accad) und Südbabylonien (Sumer) durch Eroberung von Larsam im Süden und Absetzung des dortigen Königs einte.

Babel war eigentlich eine Doppelstadt, an einem Ufer Babel — das Tor Gottes, am andern Borsippa (Birs) — die Stadt des Mondgottes Sin, dessen Kult in Sumer, insbesondere in Ur blühte, während in Nordbabylonien der Dienst der Sonne (Schamasch und Marduk) in den Vordergrund trat.

Ḫammurabi empfängt von Schamasch seine Gesetze.

Chammurabi.

Wir kennen Chammurabi wie wenige Fürsten des Altertums, und wenige Regenten dürften ihn in alter und neuer Zeit an Kraft und Weisheit, und wenn wir seinen Gesichtszügen (s. Abb.) und den zahlreichen Rechtsschriften Glauben schenken, auch an Gerechtigkeit und Milde übertroffen haben. Was er für die Stadt Babel getan, berichtet er uns selbst sumerisch und babylonisch: »Chammurabi, der mächtige König, der König von Babylon, der König der vier Weltgegenden, der Begründer des Landes, der König, dessen Taten dem Fleische des Gottes Schamasch und des Gottes Marduk wohltun, bin ich. Die Spitze der Mauer von Sippar habe ich mit Erdreich wie einen Berg erhöht, mit Rohrgeflecht habe ich sie umgeben. Den Euphrat grub ich ab gen Sippar zu und liess einen Damm dafür aufwerfen. Chammurabi, der Begründer des Landes, dessen Taten etc. wohltun, bin ich. Sippar und Babel habe ich auf immerdar zu behaglichen Wohnstätten gemacht. Chammurabi, der Günstling des Gottes Schamasch, der Liebling des Gottes Marduk bin ich. Was seit uralten Tagen kein König dem Herrn der Stadt (dem Schutzgott) gebaut hat, das habe ich für Schamasch, meinen Herrn, grossartig ausgeführt.«

Chammurabi.

Codex des Ḫammurabi.

Hatte C. Bezold in Ninive und Babylon schon Chammurabi in der eben zitierten Weise gewürdigt, so wurde die Gestalt dieses grossen Fürsten in noch weit helleres Licht gerückt durch die Erfolge der französischen Ausgrabung unter G. de Morgan in Susa, der Hauptstadt von Elam. In drei Stücken wurde dort im Dezember 1901 und Januar 1902 die Standsäule mit der Gesetzsammlung Ḫammurabis gefunden, welche 1903 von V. Scheil zum ersten Male ediert und in französischer Sprache erklärt wurde und 1904 von H. Winkler deutsch und von R. Harper englisch ebenfalls 1904, und vom juristischen Standpunkt von J. Köhler und E. Peiser 1904. Der Codex Hammurabis steht auf einer ethischen Höhe, welche dem mosaischen vom Sinai nichts nachgibt, und ist das erste uns erhaltene Corpus juris. Sie genoss, Winkler zufolge, viele Jahrhunderte das höchste Ansehen — wie die Gesetze des Moses sind sie von Gott gegeben, das Bild der Säule zeigt, wie der König die Gesetze von Schamasch empfängt, leider ist das Antlitz des Königs, der Kappe und Stab trägt, verstümmelt, der Sonnengott ist mit Turban und Faltenrock bekleidet — sie hat das griechische Recht, dieses das römische und dieses das unsrige in hohem Grade beeinflusst. Die Strafe ist natürlich wie bei den Hebräern und Römern Vergeltung, bei Sittlichkeitsvergehen Abschreckung. Im Zivilprozess spielt der Eid, grade wie bedauerlicherweise noch heute, eine hervorragende Rolle. Die Sammlung weist der Frau eine rechtliche Stellung an, welche sie noch heute in der Türkei nicht errungen hat, sie schränkt die väterliche Gewalt, ich nenne nur § 168, die Ausweisung des Sohnes betreffend, erheblich ein, und das Erbrecht ist in sehr zu billigender Weise geregelt, denn auch hier ist die Frau und die Tochter geschützt. Das Handelsrecht hat er wohl kaum modifizieren können, denn das war ja zugleich international, aber das sogenannte Sumerische Familienrecht zeigt, dass dieser Schutz der weiblichen Familienglieder so recht dem eigenen Sinn des grossen Königs entsprungen ist. Und so können wir den Worten, mit denen er auf der Säule sich seiner Taten nach orientalischer Sitte rühmt — Einleitung und Schluss — wohl Glauben schenken. Die Stele kam nach Susa als Trophäe zugleich mit anderen wichtigen steinernen Urkunden im 12/11 Jahr v. Chr., als die Elamiten unter Sutruk-Nahunte Sippar und Babylonien erobert hatten. Es sei hier auch erwähnt, dass von dem Kampfe Abrahams zur Befreiung Lots auch eine Urkunde Chammurabis berichten soll. Die Stele mit der Gesetzsammlung zeigt am Anfang das Relief, welches die Übergabe des Codex an den König durch Schamasch schildert, das Relief ist verstümmelt; (Abbild. S. 69) die Legende ist um so deutlicher.

Babylonisch-Assyrische Kultur.

Die Geschichte Babyloniens und Assyriens kann ich hier nicht erzählen, sie ist z. T. in der Bibel und bei Herodot und später bei Arrian, Diodor, und vor allem bei Berossos etc. wenigstens von 2000 ab erzählt; sie ist jetzt bis 4000 v. Chr. so ziemlich aufgehellt; sie wurde in grossen Zügen durch die verschiedenen Schichten der einwandernden nomadischen Semitenschwärme und durch die geographische Lage im einzelnen bedingt. Nach Westen und Südosten Kämpfe mit den Aramäern und weiter nördlich mit den Kanaanäern, Phöniziern und Hebräern, die an dem nahen Ägypten Rückendeckung hatten. Im nördlichen Syrien auch Kämpfe mit dem uralten vermutlich von Kappadocien her eingedrungenen vielleicht indogermanischen Stamm der Cheti oder Hetiter, die sich später mit den Hebräern vermischt haben und mit den Mitani, die noch ziemlich rätselhaft sind. Im Norden, Osten oder Südosten ist es die indogermanische Wanderung, die unausgesetzt das babylonisch-assyrische Reich bedroht; im Norden zusammengefasst als Skythen, im Osten die Meder, in Südosten die Elamiter mit der Hauptstadt Susa. Im Süden wieder hemmten die Chaldäer, die im sogenannten neubabylonischen Reiche nach jahrhundertelangen Kämpfen schliesslich die Herrschaft an sich rissen. Und hinter den Medern und Elamitern wieder Indogermanen, deren bedeutsamster Stamm, die Perser, das ganze babylonische Reich zerstörten.

Grotefend und die Entzifferung der Keilschrift.

Die Erschliessung der babylonisch-assyrischen Kultur verdanken wir in erster Linie dem Lehrer am Gymnasium zu Göttingen: Georg Friedrich Grotefend. Aus den Ruinen von Persepolis, der von Alexander dem Grossen in der Trunkenheit in Brand gesteckten Hauptstadt Persiens, waren im Laufe der Zeit einige Inschriften in eigentümlichen keilförmigen Zeichen bekannt geworden, und Carsten Niebuhr, der Vater des berühmten Historikers hatte 1770 äusserst sorgfältige und ausführliche Kopien mitgebracht, welche die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Keilschrift lenkten; er hatte auch schon bemerkt, dass die Inschriften drei verschiedenen Schriftsystemen angehörten und von links nach rechts zu lesen waren. Zufällig wurde Grotefend auf einem Spaziergang im Juli 1802 veranlasst, sich mit der Entzifferung zu beschäftigen und schon am 4. September 1802 legte er die Resultate seiner Forschung der Göttinger gelehrten Gesellschaft vor. Er ging davon aus, dass die in drei verschiedenen Keilschriften und also auch wohl in drei verschiedenen Sprachen verfassten Inschriften von den Erbauern der Paläste, den persischen Achämeniden Darius, Xerxes, Artaxerxes etc. herrührten; dass also vermutlich die erste der drei Sprachen die persische, dass die Texte wahrscheinlich auch die Namen der Könige enthielten, dass endlich die Schrift des ersten Systems wegen der geringen Anzahl der Zeichen eine Buchstabenschrift sein musste; danach verglich Grotefend die ihm aus der Bibel und den Klassikern und aus der Zendsprache in den heiligen Büchern Zarathustras bekannten Namen dieser Könige auf ihre Länge und die Wiederkehr gewisser Zeichen und kam zu folgendem Schluss: Eine häufig wiederkehrende Gruppe von Zeichen musste König oder verdoppelt König der Könige bedeuten, und in den dieser Gruppe vorangehenden Zeichen war der Name des Königs enthalten; so fand er Darius oder vielmehr die altpersische Form Dārheūsch, und ein zweiter Name liess sich als Xerxes-Khschêrsche, ein dritter als Hystaspes-Gôschtaspähe deuten und ebenso bekam er das Wort Sohn heraus. Die Göttinger gelehrte Gesellschaft verfuhr mit der Abhandlung Gr. ähnlich wie die dänische mit der Kaspar Wessels über die geometrische Darstellung der Complexen Zahlen und die Pariser Akademie mit Abels grösster Arbeit: sie lehnte es ab, die Abhandlung zu veröffentlichen. »Erst neunzig Jahre später (1893) ist seine Originalabhandlung von Prof. Wilhelm Meyer in Göttingen wieder aufgefunden und in den »Gelehrten Nachrichten« der Akademie veröffentlicht worden.« (H. V. Hilprecht, die Ausgrabungen in Assyrien und Babylonien 1904).

Aber die Entdeckungen Grotefends wurden vor dem Schicksal der Wessel'schen und Abel'schen bewahrt, dadurch dass sie Aufnahme fanden in das s. Z. epochemachende Werk von A. Heeren, Ideen über Politik, den Verkehr und den Handel der alten Welt 4. Aufl. I, 2 S. 345. So war die Grundlage geschaffen, auf der dann die anderen, ich nenne Benfey, Hinks, Oppert, Spiegel weitergebaut haben, so dass jetzt die bisher bekannten derartigen Texte, mit voller Sicherheit gelesen werden.

In der zweiten Schrift entdeckten Norris und Oppert eine aus Silbenzeichen und einigen Wortzeichen konstruierte Schrift, in der, wie heute feststeht, die susische oder elamitische Sprache ausgedrückt wurde; sie enthält gegen 100 Zeichen.

Weit grössere Schwierigkeit bot das dritte System, das über 300 verschiedene Keilschriftzeichen enthielt. Die Entzifferung war schwer möglich und sie gelang Grotefend nicht. Da entdeckte James Rich, ein geborener Franzose, aber Resident der ostindischen Kompagnie in Bagdad im Jahre 1820–21 gegenüber der blühenden Handelsstadt Mossul (Musselin) auf dem linken Tigrisufer die Ruinen von Ninive und fand zahlreiche Inschriften des dritten Systems. Bemerkenswert ist es, dass schon im 12. Jahrhundert der spanische Rabbi Benjamin von Tudela den Ort von Ninive bestimmt bezeichnete.

Fast gleichzeitig wurde die sogenannte grosse Dariusinschrift, eine sehr lange dreisprachige Inschrift am Felsen von Behistun, einer 100 Meter steilen Felswand, an der Grenze des alten Mediens gefunden und 1835 von Henry Rawlinson vermittelst hoher Leitern auf ungeheueren Papierabklatschen aufgenommen unter grosser Lebensgefahr —, man nennt die Dariusschrift den Babylonischen Stein von Rosette —. Von nun ab wuchs die Menge der ausgegrabenen Inschriften rapide, besonders durch die Arbeiten von Sir Henry Layard und Rassam, im Auftrage des British Museum, in Nimrud, 25 Kilometer von Mossul, die alte Residenz Kelach.

Die wichtigsten Ausgrabungen.

Im Jahre 1881 entdeckte Hormuz Rassam die Ruinen von Sippar. R. hatte schon 1878 in Balawat, die für die assyrische Kunst- und Kulturgeschichte gleich wichtigen Bronzetüren Salmanassars II. gefunden. Von grösster Bedeutung sind die Ausgrabungen der Franzosen in Tello gewesen, schon dadurch dass die wunderbaren Funde E. de Sarzecs Franzosen, Engländer, Amerikaner, Deutsche, ja selbst die hohe Pforte zu weiteren Arbeiten anspornte. Vor de Sarzec hatten schon im Auftrage der französischen Regierung Botta und Place in Korsabad den Palast Sargons II. gefunden und mit Glück gearbeitet, und den Grund zu der grossen Sammlung im Louvre gelegt.

De Sarzecs »Découvertes en Chaldée« von Léon Heuzey 1868 auf Kosten der Regierung herausgegeben, wie schon die Prachtwerke, welche über Bottas und Places Arbeiten berichteten: Monument de Ninive découvert et décrit par E. Botta, mesuré et dessiné, par E. Flandin, Paris 1846–50 und V. Place, Ninive et l'Assyrie 1866–69, haben der modernen Assyriologie den stärksten Impuls gegeben. Die Franzosen setzen die Ausgrabungen von Tello bis heute fort, daneben hat die Expedition nach Elam (Susa) unter De Morgan, deren Resultate der hochverdiente V. Scheil mitgeteilt hat, u. a. den Kodex des Chammurabi aufgefunden. Die Engländer ihrerseits haben fleissig unter Budge und King in Kujundschik, das Layard seinerzeit den Franzosen weggenommen, gearbeitet. Die Deutsche Orientgesellschaft arbeitet seit 1899 unter R. Koldwey und L. Borchardt mit grossem Erfolg in Babylon und besonders in Assur. Aber mit den Riesensummen, welche der Staat Pennsylvanien und seine Universität Philadelphia auf die Ausgrabungen in Nippur verwandt hat, ist keine Konkurrenz möglich. Von den Leitern J. P. Peters, H. V. Hilprecht, J. H. Haynes ist besonders der Deutsche Hilprecht der eigentliche Assyriologe, unter dessen Leitung die Excavations in Assyria and Babylonia die Resultate der seit 1879 bis jetzt fortgesetzten Ausgrabungen der Mit- und Nachwelt zugänglich machen.

Die Keilschrift.

Es gelang vier grossen Forschern Rawlinson, Oppert, De Saulcy und dem scharfsinnigen Irländer Hinks die dritte Schrift und die Sprache zu entziffern. Die Schrift war eine Verbindung von Wort und Silbenzeichen, die Sprache eine der arabischen und hebräischen nahe verwandte, es war die babylonisch-assyrische Sprache. Die Schrift war ursprünglich eine ziemlich rohe Bilderschrift, zeigt aber schon in ihren ältesten Formen das Bestreben, Bogen durch Striche zu ersetzen, aus denen sich dann die Keilschrift entwickelte. So sind z. B. die ältesten Formen für »Stern«, »Sonne«, »Rohrpflanze«:

Symbol für Symbol, später Symbol

und weiterhin vereinfacht:

Symbol

und analog haben sich aus den Bildern Symbol für Fuss und Weib die betreffenden Keilschriftzeichen entwickelt.

Diese Keilschriftzeichen lassen sich im wesentlichen auf drei Grundelemente: den horizontalen Keil Symbol, den vertikalen Keil Symbol und den schrägen Keil Symbol zurückführen, selten sind die umgekehrten Keile, der Winkelhaken Symbol ist wohl aus Vereinigung zweier Keile hervorgegangen. Die Keile konnten durch Wiederholung, Neben- und Übereinanderstellung und Kreuzung zu den mannigfachsten, oft äusserst komplizierten Gruppen vereinigt, sowohl Worte als Silben im Assyrischen bezeichnen. Dabei zeigte sich aber eine anfangs äusserst rätselhafte Erscheinung, die sogenannte Polyphonie. Dasselbe Zeichen bedeutet sehr oft ein oder mehrere Worte und daneben noch ein oder mehrere Silben. So bedeutet das Zeichen Symbol nicht nur »Stern«, assyrisch Kakkabu, sondern auch Himmel schami und Gott ilu und hatte die Silbenwerte an und il. Das Zeichen Symbol hatte nicht nur die Wortbedeutungen »Land« (matu) »Berg« (schadu), erreichen, erobern Kaschādu; aufgehen (von der Sonne, napāchu), sondern konnte auch ausserdem als Silbenzeichen in seinen verschiedenen Zusammenstellungen mit andern Zeichen noch kur, mad, mat, schad, schat, lat, nad, nat, kin oder gin gelesen werden.

Das Rätsel löste sich mit einem Schlage als Rawlinson aus einer Anzahl sehr alter Keilschrifttexte eine neue Sprache in genau derselben Schrift entdeckte, die Sprache der Sumerer.

Die Beduinenhorden der Babylonier hatten sich mit dem Lande zugleich der Schrift der Sumerer bemächtigt, Symbol der Himmel hiess sumerisch an, hoch und wurde im Babylonischen Zeichen für den Begriff Himmel und für die Lautsilbe an, Wortzeichen und Determinativ für Gott und ebenso wurde Symbol Land; Berg, sumerisch kur als Wortzeichen und Determinativ für Land und Berg und Silbenzeichen gebraucht.

Diese Erklärung wurde später durch die Auffindung einer grossen Menge zweisprachiger Texte, babylonisch und sumerisch, in derselben Schrift bestätigt. (E. Bezold: Ninive und Babylon, Monographien zur Weltgeschichte XVIII 1903.)

Entwicklung der Keilschrift nach Delitzsch.

Über die Entwicklung der Schrift oder den Ursprung der Keilinschriften hat Fr. Delitzsch, dem wir Wörterbuch und Grammatik des Assyrischen verdanken, 1897 ein Werk veröffentlicht, das, mögen auch Einzelheiten verbesserungsfähig sein, die Prinzipien völlig einleuchtend festlegt, nach denen die Sumerischen Priesterfürsten die Schrift als Verbindung von Wortzeichen — Idiogrammen — und Silbenzeichen geschaffen haben. Und wenn die Schrift planmässig mittelst weniger aber wirksamer Grundgedanken aus der Bilderschrift entstanden ist, so wird damit auch meine Ansicht, dass das Zahlsystem eine planmässige und mit Überlegung ausgeführte Schöpfung derselben Gelehrten ist, im höchsten Grade wahrscheinlich. Gestützt auf die Formen der Schrift aus Telloh und die noch älteren aus Nippur, die Geierstele, die Vase Entemenàs, die Vase Lugat-šug-engur, welche sicher bis gegen 4000 (3700) heraufreicht, und, anknüpfend an des grossen 1905 verstorbenen Jules Oppert Expédition en Mésopotamie 1859 Kap. I, schied D. zunächst 37 Urzeichen aus, welche sich aus 21 Urbildern und 16 Urmotiven zusammensetzen. Ich gebe hier die wichtigsten an: Symbol Stern etc., Symbol Sonne, aufgehend, Tag, Licht, hell sein, Symbol untergehende Sonne, schwach werden, niedergehen. Symbol Zunehmender Mond (Horn), zunehmen, voll werden, Symbol schwinden, zurückkehren (abnehmender Mond), Symbol penis = Mann, männlich, Symbol Mann, Diener, Symbol (volva) = Weib, Symbol Auge aus Symbol; Symbol Hand, Symbol (Fuss) gehen, stehen. Symbol Herz, Symbol Ochse, Symbol Werkzeug zum Öffnen, daher öffnen, auflösen, Tod, Symbol Netz, Geflecht, Gefüge, Symbol Umschliessung, Symbol Raum, Symbol Kreis (aus Symbol), Symbol das Richtungsmotiv, dessen Ecken die 4 Kardinalpunkte und dessen Axe die Nord-Südlinie verbildlicht; Symbol oder Symbol Spitze, daher Symbol Gebirge, Symbol Kopf, Symbol Bogen, Kurve etc.

Aus diesen Grundelementen werden dann durch Zusammensetzung gleicher oder verschiedener Zeichen beliebig viele neue Wortzeichen abgeleitet, welche sich häufig als Definitionen der dargestellten Begriffe erweisen und auf die Psyche und die Kultur des Volkes der Sumerer ein so helles Schlaglicht werfen, dass D. daraufhin den Versuch wagen konnte, ihren Kulturzustand zur Zeit der Schrifterfindung zu rekonstruieren.

Die Verdoppelung, im Altbabylonischen auch als Kreuzung sichtbar gemacht, dient zunächst als Pluralzeichen und Iterativum wie das hebräische Piël, dann aber auch zu Neubildungen. Aus Symbol geben wird durch Symbol hinzugeben, addieren tab, dap; aus Symbol gross (nun-rabû) wird Symbol Herr d. i. Grösster (Grossmann der Hottentotten), mit doppelten Zeichen des Umschliessens wird die Summe bezeichnet: Symbol entwickelt zu Symbol. Für die Zusammensetzung ungleicher Zeichen greife ich aus den Beispielen von D. die folgenden heraus: berufen, erwählen = Auge + werfen, König = gross + Mensch, Hirt, Symbol bei Gudea = Stab + Träger. Fügte man in das Zeichen für Mund das Zeichen für Brot ein, so erhielt man: essen, und das eingefügte Symbol (Wasser) ergab trinken und tränken. Die »Schlacht« wird dargestellt als »Handwerk des Kriegers«, der Regen als Symbol gleich Wasser des Himmels, die Tränen als Wasser des Auges Symbol; Vater als Schützer des Hauses zu erklären unter Hinweis auf das entsprechende lateinische pater familias scheint allerdings zweifach fehlerhaft, insofern das Zeichen im Haus den Feind bedeutet und das sanscrit paṭar schützen mit piter Vater gar nichts zu tun hat. Die Verkürzung des a zu i in Jupiter und der Komposition (z. B. suscipio) ist eine ganz spez. lateinische Eigentümlichkeit. Eins der schlagendsten Beispiele ist Mond oder Monat, das durch Tag und 30 bezeichnet wird; Symbol und Symbol also Symbol.

Die Gunierung.

Ein ebenso einfaches wie weittragendes Mittel der Weiterbildung ist die von den Babylonisch-Assyrischen Grammatikern gunû, d. i. Beschwerung, genannte Steigerung. Sie besteht in der Hinzufügung von 4 Strichen oder Keilen, d. h. also Paare von Paaren, die aus Rücksicht auf den Raum mitunter auf drei reduziert werden. So wird aus Symbol Wohnung, Wohnraum durch Gunierung Symbol Palast, Residenz, Grossstadt, und damit das Determinativ für die Sitze der Pateissi. Aus Symbol dem Bilde des Unterschenkels mit Fuss, das zugleich gehen, stehen, stellen etc. bedeutet, wird durch Gunierung Symbol »Fundament«. Zu den von den Babylonischen Grammatikern, insbesondere von dem so äusserst wichtigen Syllabar b der Bibliothek Sardanapals (s. u.) gegebenen hat D. eine ganze Reihe neuer Gunû Idiogramme abgeleitet, von denen ich erwähne das Schwert als grosser Dolch; der Vollmond ist der gunierte Mond, d. h. der grosse, volle, Mond, die Monatsmitte, die vom Neulicht (s. u.) gezählt wurde und dann Mitte schlechtweg, archaisch Symbol, und das Neulicht selbst wird als der grosse Eingang des Tages oder als Anfang einer Tagesreihe guniert geschrieben. Es ist D. gelungen, für einen sehr grossen Teil der Idiogramme meist recht einleuchtende Ableitungen zu geben, auf Grund derer er es eben wagen konnte ein Bild des Kulturzustandes der Sumerer nach Erfindung der Schrift zu geben. Und selbst Erklärung wie die des Zeichen für Mensch Symbol als des auf das Antlitz geworfenen Knechts oder »Hundes« der Götter sind in Anbetracht, dass es Priester waren, welche die Schrift erfanden, nicht unglaubwürdig, und recht einleuchtend ist die Erklärung für Ehemann oder Frau als Verbindung von Symbol und Symbol durch das Vereinigungszeichen Symbol p. 161 (vgl. Abb.).

Die Determinative und das phonetische Komplement.

Die Schwierigkeiten, welche die Vieldeutigkeit der Wort- und Silbenzeichen boten, wurden durch zwei Mittel wesentlich vermindert, erstens durch die Determinative, welche wie im Ägyptischen nicht mitgelesen wurden, und zweitens durch das sogenannte Phonetische Komplement (Delitzsch Grammatik 1907, § 33 a). Die gebräuchlichsten Determinative sind Symbol ilu Gott sum. an, das nur vor An(u) fehlt, dem Himmelsgott, der ja selbst mit an bezeichnet ist, Symbol vor Ländern und Gebirgen, Fluss Kanal Symbol (Euphrat), Baum Symbol, Gerät altertümlich Holz Symbol. Mitunter wurden die Determinative wie bei den Ägyptern nachgesetzt, so hinter Städten Ki und hinter Fischen ḫa.

Das phonetische Komplement besteht in der Hinzufügung einer oder auch zwei Silben »um durch Bestimmung der Schlusssilbe (n) die richtige Lesung zu sichern. Das sumerische Silbenzeichen Symbol für kur bedeutet als Wortzeichen Berg šadu, Land mâtu, erobern kaṣadu etc. Folgt auf kur, u, a, i, plur-e. — Pluralzeichen nachgesetztes Symbol, vielleicht gunierte eins — so sichert dies šadu — a — i, etc., während Kur-ti, Kur plur-ti auf mâti, mâtati (Länder) und Kur-ud auf aksud (ich eroberte) hinführt.«

Babylonisch-Assyrische Ausgrabungen.

In unerwarteter Weise haben wir über die Kultur, der diese Sprache diente, Aufschluss erhalten durch die Ausgrabungen einer ganzen Anzahl von Tempelbibliotheken. Im Jahre 1854 entdeckten Rassam und Layard im Trümmerhügel von Kujundschik, einem Dorf gegenüber Mossul, die Bibliothek Assurbanipals, das ist Sardanapal, in dem Nordpalast dieses vielleicht grössten assyrischen Fürsten zu Ninive, dessen Regierung von 668–626 fällt. Über 22000 sorgfältig gebrannte Tontäfelchen oder Stücke solcher Tafeln sind allein im British Museum geborgen. Es sind Tafeln, deren Fläche von 37 × 22 und 2,4 × 2 variiert bei einer mittleren Dicke von 2,4. Vorder- und Rückfläche, ja vielfach auch die Seitenwände sind mit sorgfältiger Schrift beschrieben; die Tafeln enthalten Löcher zur Aufnahme kleiner Holzpflöcke, mit denen die Tafeln zu Büchern aufgereiht wurden. Die Zusammensetzung ist vielfach dadurch ermöglicht, dass, ähnlich wie bei unsern Akten, das letzte, für sich stehende, Wort einer Tafel das Anfangswort der folgenden ist. Eine Anzahl Tafeln ist durch ein mit Adresse versehenes Kuvert, natürlich aus Ton, geschützt; wir haben hier den Ursprung unserer Briefkuverts. Es ist die älteste eigentliche Bibliothek, d. h. absichtliche Sammlung zur Bewahrung der Literatur und zu wissenschaftlichen Zwecken. Sehr vielfach sind sorgfältige Abdrücke älterer Schriften erhalten.

Die Ausgrabungen von Nippur.

1874 fanden Araber in Babylon mehr als 3000 beschriebene Tontafeln geschäftlichen Inhalts, 1881 entdeckte Rassam die Ruinen von Sepharwaim und fand bei Ausgrabungen des Sonnentempels das Archiv, das aus Tonzylindern und über 50000 allerdings sehr schlecht gebrannten Tontafeln bestand. Und die Ausgrabungen der Pennsylvania Universität Philadelphia von 1889 an haben bereits zwei grosse Bibliotheken in Nippur zutage gefördert, wo das älteste grosse Landes-Heiligtum des Bel matâti, des Herrn der Länder, ekur, das Haus des Berges, stand. Die bedeutendere über 3 Jahrtausende v. Chr. alte, ist durch den schon erwähnten Einfall der Elamiten gewaltsam zerstört, während die jüngere auf schlecht gebrannten Tafeln, neubabylonisch, allmählich in Verfall geraten ist. Über 23000 Tafeln sind geborgen und dabei sind erst 80 Zimmer oder etwa 1/12 der Bibliothek ausgegraben worden. Aus einer Reihe von Anzeichen im Boden schliesst Hilprecht, der Leiter der Ausgrabungen, dass in der untersten Schicht der Hügel noch eine ältere vor Sargon, d. h. vor 3000 entstandene Bibliothek verborgen liegt. Hilprecht bezeichnet die Bibliothek geradezu als Universität, die sogar nach Fakultäten gegliedert war; eine Anzahl Säle enthielt die philologische Abteilung, eine andere die astrologisch-astronomische, wieder eine andere die technische etc. Im untersten Grund des Tempelturmes fand Hilprecht vorzüglich erhalten aus dem 5. oder 4. Jahrtausend v. Chr. eine Kanalisations-Einrichtung, die die unseren beschämt. In mächtigen Tonnengewölben, die noch den Römern unbekannt waren, eingebettet in eine Art Zement, zwei Tonrohrleitungen mit Knie- und T-Stücken, so dass jede Reparatur ohne Belästigung des Publikums vorgenommen werden konnte.

Turm zu Borsippa.

Tempelanlage, Priesterausbildung.

Eine solche Tempelanlage bestand aus dem in Terrassen gelegentlich auch mit Rampen in 7 Etagen aufgeführten hohen Turme; ich erinnere an den Turm zu Borsippa (vgl. Abbildung), zu Babel, den Esagila, auf dessen Höhe der Gott wohnt, in dessen Mitte die Menschen verkehrten und der unten mit der Unterwelt zusammenhing. Daran schloss sich der Palast der Priesterfürsten und die besonderen Gebäude der Unterrichtsanstalten, das Archiv, die Verwaltungsgebäude. Ein solcher Tempel war nicht nur Kultstätte, nationales Heiligtum, Sitz der Fürsten, sondern Landgut und Fabrik, Bank, Archiv und Handelshaus. Die Tempel waren stets nach den 4 Himmelsgegenden genau ausgerichtet, daher bedeutet das Richtungszeichen (s. o.) auch Tempelfundament und das gunierte Zeichen Symbol die Erde selbst als das grosse Fundament, da nach der Babylonischen Weltschöpfungssage die Erde nach den 4 Kardinalpunkten ausgerichtet ist.

Tonnengewölbe der Kanalisation von Nippur.

Wie sorgfältig der Unterricht war, und wie mühsam die Vorbereitung eines jungen Priesters, davon können wir, die über Überbürdung klagen bei unserm bisschen Unterricht, uns kaum eine Vorstellung machen. Schrift und Sprache allein würden kaum von uns heutigen bewältigt; hunderte von Schriftzeichen, die zusammen in mehr denn 12000 verschiedenen Anwendungen gebraucht wurden, die alle den Adepten geläufig sein mussten; das Schreiben selbst schon so viel umständlicher. — Zu den wichtigsten Entdeckungen gehören auch die bei Ägypten besprochenen Funde von Tell Amarna 1888.

Hochrelief Urnina, König von Telloh und seine Familie.

Babylonisch-Assyrische Kunst.

Die Kunst zeigt ganz analoge Entwicklung wie die ägyptische. Von naturalistischen Anfängen wo die Kalamones, das Rohrgeflecht der Euphrat- und Tigrismündung als Vorbild dienten, eine rasche Entwicklung; dann ein Sinken, und wieder ein Emporblühen. Die erste Blütezeit entwickelt sich etwa in 200 Jahren; altsumerisch bezeichnet den Anfang etwa das Hochrelief Urnina, König von Telloh etwas vor 3000, und seiner Familie; der verhältnismässig riesengrosse König, links, trägt auf dem Kopf in einem Korbe Erde zum Bau seines Tempels herbei (vgl. Abb.). Die genauere Erklärung bei E. Meyer l. c. p. 77 ff. Die nächste Stufe wird verdeutlicht durch die berühmte Geierstele (vgl. Abb.), welche den Sieg eines Vorgängers von Gudea, des Eannatum über die feindlichen Nachbarn von Gishu darstellt, vgl. Meyer p. 82. ff. Es wird die Hilfe des Lokalgottes von Telloh, des Ningirsu, verherrlicht, das Relief zeigt grosse Fortschritte, sowohl in der Komposition als in der Technik des Hochrelief. Unter semitischem Einfluss erhebt sich die Kunst zu der Höhe, welche sie unter Sargon und Naramsin erreicht, wofür die herrliche Siegesstele des Naramsin, von den Franzosen unter de Morgan in Susa gefunden, der vollgültige Beweis ist, vgl. Meyer p. 10 ff. Diese Blüte semitischer Kunst beeinflusst auch die sumerische, wofür die Fundstücke aus der Periode Gudeas zeugen. Im Gegensatz zu dem Mangel an Proportionen bei den Sumerern sind die Gestalten schlank und proportional, und die Technik des Relief steht auf grösster künstlerischer Höhe.

Rückseite der Geierstele.

Vorderseite der Geierstele.

Relief von den Bronzetüren aus Balawat.

Diese Blüte hält an bis auf Chammurabi und seine nächsten Nachfolger, die Könige von Sumer und Accad. Aber mit dem Sinken der Macht dieses altbabylonischen Reiches sinkt auch die Kunst, um dann unter der Assyrischen Macht neu emporzublühen, etwa von Nebukadnezar I., von 1150 an, sie erreicht unter Sargon II. und Sanherib ihre Höhe, und hält sich auf dieser bis Sardanapal bis etwa 600. Ich führe als Beispiel hier die Bronzetüren Salmanassar II. aus Balawat (vgl. Abb.), ferner den Urkundenstein Kudurru, aus dem Berliner Museum, der die Belehnung des Magnaten Bel-ache-irbâ seitens des Königs Mardukbaliddin II. 715 darstellt (vgl. Abbildung). Meyer findet in diesem Stein den semitischen Typus am reinsten ausgeprägt. Dazu die Dämonen (vgl. Abbildung), Engel- und Tierkolosse, die wunderbaren Mosaiken der Fussböden in den Palästen von Khorsabad (vgl. Abb.), und vor allem die herrlichen Tiergestalten in bunter Mosaik aus der Zeit Nebukadnezar II., Sargons etc.

Mosaik aus dem Palaste Sargon II.

Babylonisch-Assyrische Wissenschaft.

Wie es mit der Wissenschaft steht, bleibt noch zu untersuchen. Von der Rechtswissenschaft wissen wir, dass sie sich bedeutend entwickelt hatte, insbesondere das Handelsrecht stand auf einer Höhe, die dem römischen nichts nachgibt. Wir kennen die Siegel und Namen grosser Handelsfirmen wie Egibi und Söhne am Euphrat zur Zeit Nebukadnezars und die Firma Maraschi Söhne zu Nippur zur Zeit Ezras und Nehemias. Wir wissen, dass sie Filialen in allen Grossstädten hatten, und dass der Schekverkehr, unsere neueste Errungenschaft, bei den babylonischen Grossfirmen gang und gäbe war.

Belehnung des Belacheirba durch König Mardukbaliddin II.

Medizin, Mathematik.

Aus den Beiträgen zur Kenntnis der assyrisch-babylonischen Medizin von F. Küchler (Assyrische Bibliothek von Delitzsch und Haupt XVIII 1904) sehen wir, dass die Priesterärzte, abgesehen von den üblichen Beschwörungen, Omina etc. über eine sehr ausgedehnte Pharmazie geboten. Es ist bekannt, dass die griechische Heilkunst stark von der babylonischen beeinflusst ist, und auf Hippokrates geht unsere Medizin zurück. Unser altes Apothekergewicht Gran, Skrupel geht auf Babylon zurück (vgl. Küchler S. 84 ši'u). Geht doch auch Stab und Ring unserer Bischöfe auf altbabylonische Götterdarstellungen zurück (Winkler, die Gesetze Hammurabis 1904 p. VI).

Eine neue Ausgabe des Theophrast ist in Vorbereitung und hoffentlich wird man auf dem Umweg über die Griechische einigen Aufschluss über die Babylonische Pharmakologie erhalten.

Wenden wir uns nun zur Mathematik der Babylonier, so müssen wir sagen, dass von reiner Mathematik bis jetzt verhältnismässig wenig entziffert ist. Das wichtigste sind die sogenannten Tafeln von Senkereh (Larsa) aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., de facto eine in zwei Stücke zerbrochene Tafel; die astronomischen Bücher aus der königlich Sardanapalschen Bibliothek und die 1 × 1 Tabellen von Nippur. Hilprecht sagt: »in geradezu staunenswerter Weise wurde das 1 × 1 geübt.«

Dämon mit Flügeln.

M. H. In unserer Kulturgeschichte wird es als hohes wissenschaftliches Verdienst des Petrus de Dacia, Rektors der Sorbonne vom Jahre 1328 gerühmt, das 1 × 1 bis zu 50 × 50 fortgesetzt zu haben, und Hilprecht versichert, dass er in der im 3. Jahrtausend zerstörten Bibliothek Tafeln des 1 × 1 bis 1350 in der Hand gehabt hat. Das kleine 1 × 1 ging bis zur 60 (s. p. 113 ff.).

Bruchstücke der Geierstele, Vorderseite.

Münz-, Mass- und Gewichtssystem.

Uns sind zwei Zahlsysteme bekannt; das eine ist rein dekadisch, das andere, ältere, ist sexagesimal und hängt auf das genaueste mit dem babylonischen Gewichts-, Münz- und Masssystem zusammen, dessen Einteilung uns in der Tafel von Senkereh und in zahlreichen griechischen, römischen und jüdischen Quellen enthalten ist. Es ist ja die Bibel erst nach der babylonischen Gefangenschaft redigiert und zeigt in allen Namen der Masse und Gewichte babylonischen Einfluss. Seit der grosse Philologe August Boeckh das Münz- und Gewichtssystem der Römer erschlossen und in der vergleichenden Betrachtung der Masse ein wichtiges Mittel erkannt hat um den Handels- und sonstigen Verkehr der Völker zu erkennen, haben eine Reihe von Forschern, ich nenne Brandis, Ginzel, Lehmann und vor allen Boeckh selbst dargetan, dass die Wiege der Messkunst in Babylon steht, und die Masse der Babylonier in ausgedehntester Weise bis zum Metersystem Gültigkeit hatten, ja, zum Teil heute noch gelten. (cf. C. F. Lehmann, das altbabylonische Mass- und Gewichtssystem als Grundlagen des antiken Gewichts-, Münz- und Masssystem. 8. intern. Orient. Kongress, Bastiansche Zeitschrift für Ethnologie 1889. Verh. der Berl. anthrop. Gesellschaft 1889. Als selbst. Schrift Leiden 1893.)

Gewicht in Löwenform.

Die Babylonier hatten vor 5000 Jahren ein geschlossenes Masssystem, das in seiner Anlage unserm metrischen System sehr ähnlich war. Wie bei uns das Zehntel des Meters die Kante des Würfels bildet, der ein Liter fasst und der mit destilliertem Wasser von 4° C. gefüllt bei der Wägung das Kilogramm gibt, so ist das Zehntel der babylonischen Doppelelle die Basis des Hohlmasses, dessen Wassergewicht die Mine gibt. Es sind uns künstlerisch geformte Gewichte in Eisen- und Bronzearbeit mit Entenform und Eberköpfen und besonders in Löwenform und ausserdem einige justierte Gewichte erhalten.

a) Früher Eigentum des Dr. Blau: Ein sehr harter dunkelgrüner Stein sehr sorgfältig geglättet, oval, der in altbabylonischer Keilschrift und in sumerischer Sprache (die ja auch idiographisch als babylonisch-assyrisch gelesen werden kann) die Inschrift hat:

12 ma na gina — gal (mulu) dingir igi ma na
Mensch Gott Auge Mine

d. h. 12 Mine richtig, der Diener des Gottes, der das Auge auf der Mine hat.

Metrologie.

Die Masse unterstanden göttlichem Schutz; in Athen waren die Normalmasse auf der Akropolis; in Rom auf dem Kapitol und im Tempel der Juno moneta verwahrt (Generalaichamt).

b) In der Vorderasiatischen Abteilung des Berliner Museums aus demselben Material 16 Mine, Inschrift unentzifferbar.

c) Das Gewicht der amerikanischen Wolfe Expedition 1885 (Americ. Orient. Soc. Proceedings at New York 1885), das die bei den sogenannten Zylindern mit Bau- und Weihinschriften übliche Fässchenform hat, aus gleichem Material, es wiegt fast genau doppelt soviel wie b, ist also 13 Mine und das bestätigt die Inschrift:

1) 13 Ṭu gina, 2) e—kalm Nabû — sum — esir (?), 3) ablim Da—lat (?), 4) .... pāte—is—si ili Marduk

d. i. 13 [Mine in] Schekel [n] [ausgedrückt] Palast des Nab., Sohnes des D., Fürstpriester des Marduk (Lehmann, Verh. der Berl. anthrop. Gesellschaft 1891; J. Oppert, L'étalon des mesures assyr., Extrait du journal asiat. Paris 1875).

Die Gewichte in Entenform sind erheblich ungenauer, aber als Durchschnittsgewicht ergibt sich 491,2 Gramm für die leichte Mine, 982,4 für die schwere. Indem man die Kubikwurzel aus 982,4 zieht, ergibt sich für die 10fache Wurzel, das ist die Doppelelle 992,35 mm. Nun ist die Länge des Sekundenpendels für den 31. Breitengrad 992,35 mm, und nach der Hypothese Lehmanns, welche Helmholtz plausibel erschien, hatten die Babylonier zur Zeit Gudeas den Gedanken Huygens, die Länge des Sekundenpendels als natürliches Längenmass zu verwerten, schon vorweggenommen. Als Bestätigung der von Lehmann gegebenen sogenannten »gemeinen Norm« dient dann eine Ende des Jahres 1893 in Babylon zum Vorschein gekommene ganze Mine, die nach ihrer Legende eine Kopie aus der Zeit Nebukadnezar II. 607–561 nach einer Mine aus der Regierungszeit Dungis ist, des ältesten erreichbaren Königs eines grossen Teils von Babylon etwa um 3200; die Mine, welche sich jetzt im British Museum befindet, hat ein Gewicht von 979,2 Gramm.

Die meisten und wichtigsten antiken Gewichte sind direkte Abkömmlinge der babylonischen gemeinen Norm, bezw. der daraus gebildeten Silbermine, welche 109 der Gewichtsmine ist.

schwer

leicht

Teilbetrag

6060;

Gewichtsmine

982,4

491,2

"

5060;

Goldmine

818,6

409,3

"

5045;

babyl. Silbermine

1091,5

545,8

"

100135;

phöniz. Silbermine

727,6

363,8

ägypt. Goldmine

409,31

babyl. Silbermine = 6 ägypt. Pfund à 10 Lot.

Die römisch-athenische Elle = 109 der babylonischen gemeinen Elle, der Fuss = 23 Elle und der Schritt = 5 Fuss = 123 Elle = 112 babylonischen Elle.

Wir rechnen heute 114 Schritt in der Minute für die deutsche Armee, die Babylonier 120 Schritt = 180 Ellen, also auf die Doppelminute 360 Ellen.

J. Brandis: das Münz-, Mass- und Gewichtssystem in Vorderasien bis auf Alexander den Grossen, Berlin 1866. Brandis setzt das Wertverhältnis des Goldes zu Silber bei den Babyloniern wie 40:3 = 360:27 (wie Jahr:Monat).

Die Tafel von Senkereh und das Zahlsystem.

Die Tafel von Senkereh.

Im Jahre 1854 fand der Ingenieur W. K. Loftus in den Ruinen von Larsam beim heutigen Senkereh eine leider stark verstümmelte Tafel, die aber doch für die Kenntnis des Zahl- und Masssystems von grösster Wichtigkeit geworden ist.

Die Tafel von Senkereh enthält auf der Rückseite drei Kolonnen: a) die Zahlen von 1–39 mit ihren Quadraten, b) die Zahlen der Quadrate mit ihren Wurzeln 1–39, c) die Kubikzahlen von 1–39. Zu b ist in Kujundschik, der Residenz Salmanassars eine Ergänzung gefunden, welche die Quadrate der Zahlen von 44–60 enthält. — Auf der Vorderseite ist, stark verstümmelt in Kolonne I und II eine Tabelle, die nach Finger, Ellen und deren Vielfachen bis zu 2 Kaspu fortschreitet; Kol. III und IV enthält dann eine Tabelle, die zwei Masssysteme vergleicht, deren erstes die gewöhnlichen Bezeichnungen des Längenmasses trägt, während die zweite nur in unbenannten Zahlen fortschreitet.

Zahlsystem.

Ehe ich auf die Erklärung der Tabelle eingehe, muss ich über das babylonische Zahlsystem sprechen. Es sind zwei Zahlsysteme in Gebrauch, das eine dekadisch, das andere ältere sexagesimal, das bei Massen und in der Astronomie sich erhalten hat. Es ist möglich, dass die dekadisch Zählenden die Semiten, und die Sexagesimalen die Sumerer waren. Nach Lehmanns Angaben über die sumerischen Zahlzeichen, die z. B. 7 als 5 + 2 wiedergeben, kann ein Fünfer-System das ursprüngliche der Sumerer gewesen sein, und das Sexagesimalsystem sich von den grossen wissenschaftlichen Zentren aus als ursprünglich gelehrte Schöpfung zunächst auf die Gebildeten und die Priester verbreitet haben, aus denen sich die Schreiber (Staatsbeamten) und Handelsherren rekrutierten.

Sie hatten nur zwei Ziffern, den einfachen Keil für eins, istan, isten als Zahlwort ist, aus dessen Häufung die Einer gebildet werden, und Symbol 10 esru, Plural esrit; dazu kommt später das gemeinsame semitische (auch ägyptische) Zahlwort me 100 geschrieben Symbol.

Symbol ist eins und die Einer werden durch den betreffenden Haufen von Keilen gebildet; z. B. Symbol si-ba sibista, die Zehner durch eben solche Haufen der Zahl 10 Symbol esru esertu, eserte esrit, also 11 Symbol isten ésrit.

1 isten, 2 sina, 5 hamsu, 100 mê Symbol, 1000 für das wir bislang kein Zahlwort haben als 10 · 100 Symbol. Dies ist aber zu einem eignen Zahlzeichen geworden, Symbol ist nicht 2000 sondern 10 · 1000 = 10000 und Symbol würde 100000 sein.

Das zweite System hat zur Einteilungszahl 60 und seine Übereinheiten wie 602, 603, seine Untereinheit ist 160, deren Untereinheit 1602, die Eins wird, wie sie bei uns als 100, so hier als 600 angesehen. Alle diese Zahlen drückt dasselbe Zeichen aus, der einfache Keil, und die Bedeutung ergibt sich wie in unserm sogn. indisch-arabischen System durch Position.

Die 60 heisst sussu (Schock), σωσσος der Hellenen, soss assyrisch, Symbol, die 602 heisst Sar, Saros der Hellenen Symbol.

Daneben gibt es Einheiten II. Klasse, wie sie Lehmann nennt.

603

602

60

160

1602

36000

sar

600

10

16

1360

121600

oder

ner

6

für 600 ist ein eignes Zahlwort Symbol ner durchaus belegt und volkstümlich gewesen; so ist

Symbol = 672 = 11 · 60 + 12.

Das magische Quadrat.

Als interessantestes Beispiel altchaldäischer Rechnung gebe ich Ihnen die Bildung des Quadrats von 653 nach einer von J. Oppert edierten magischen Tafel, welche aus der gleichen Zeit stammt (Zeitschrift für Assyriologie 1903 Bd. 17 pag. 60). Die Zahl 653 ist unter dem Namen Sulbâr = Ewigkeit die magische Zahl κατ' εξοχήν;

5 · 653 = 3265 ist die Phönixperiode; 653 ist gleich 292 + 361 und 5 · 292 = 1460 ist die Sothisperiode; 5 · 361 = 1805 ist die Lunarperiode. Ich bemerke, dass die hohe Wertung der Zahl 653 ein Argument für ein ursprüngliches Fünfersystem (wie bei den Azteken) ist.

Die Rechnung gestaltet sich wie folgt:

1)

Symbol

Symbol

6 Soss 40 idem (4002)

44 Sar 26 Soss 40 = 160000

2)

Symbol

Symbol

2 Soss 2 · 2 Soss 2 = 1222

4 Sar 8 Soss 4 = 14884

3)

Symbol

Symbol

30   30/60   ·   30   27/60

15 Soss  29 = 929

4)

Symbol

Symbol

1 Soss 54 · 14 Soss  24

27 Sar  21 Soss  36  = 98496

5)

Symbol

Symbol

  6 Soss     30  idem

42 Sar 15 Soss = 152100

6)

Symbol

Symbol

Summe 2 Soss minus 2 Sar 2 Ner 6 Soss   49

von welcher Zahl ist es das Quadrat.

Also: 118 · 602 + 2 · 600 · 6 · 60 + 49 = 426409.

7)

Symbol

Symbol

(Von) 6  5  3

(ist es das) Quadrat.

Also: 6532 = 426409 ist zerlegt in:

4002 = 160000
1222 = 14884
3012 · 30920 = 929
114 · 864 = 98496
3902 = 152100

Die Tafel von Senkereh.

Ehe ich diese Rechnung weiter bespreche, möchte ich Ihnen die Tafel von Senkereh in 4facher Vergrösserung aus dem grossen und kostbaren Rawlinson'schen Werke vorführen und Sie auf gewisse Eigentümlichkeiten der Tafel aufmerksam machen. Leider steht mir nur die erste Auflage und nicht die wesentlich veränderte zweite Auflage zur Verfügung. Sie sehen in der Tabelle No. 2 die Tafel der Quadrate der Zahlen von 1–60 mit einer Lücke von 25–44, so dass das Quadrat voransteht, d. h. also die Tabelle ist zum Wurzelziehen eingerichtet und daneben zum Quadrieren. Die Tabelle, welche die Überschrift Reverse trägt, ist eine Tafel der Kubikzahlen von 1–32. Die wichtigste Tafel, die (irrtümlich) die Überschrift Obverse trägt, ist die rechte Tabelle, die für die Metrologie von entscheidender Bedeutung geworden.

Nun sehen Sie, bitte, mal hier Symbol (3) und dort Symbol (121) und bedenken Sie die 4fache Vergrösserung, dann werden Sie sehen, welche Übung und Schärfe nötig war um die, wie Sie schon an dem Beispiel 653 gesehen haben und wie bei der Besprechung der Astronomie noch deutlicher hervorgehen wird, recht komplizierten Rechnungen auszuführen mit einem System von 2 Ziffern; es ist klar, dass sehr ausgedehnte Tabellen diesen Rechnern völlig geläufig sein mussten. Kritisch würde die Sache bei 61 sein, aber ich vermute, denn die Zahl ist m. W. nicht gefunden, sie würden ebenso wie sie dort Symbol 120 sehen, ganz ruhig geschrieben haben Symbol und es dem Scharfsinn des Lesers überlassen haben darin 60 + 1 oder 1 + 1 zu sehen.

Die magische Rechnung.

Ich komme nun auf unsere magische Tafel und die Rechnung zurück. Berossus und Eusebios von Cäsarea berichten uns, dass die Chaldäer ihre heroische Zeit auf 60 · 653 geschätzt haben, die Bibel gibt von Erschaffung der Welt bis auf Abraham 292 Jahre und von Abraham bis zum Ende der Genesis 361, macht 653 Jahre. Gerade diese beiden Bestandteile der Zahl sind das, was sie zur magischen Zahl gemacht hat. 5 · 292 = 1460 ist die Sothisperiode, die Anzahl der Jahre, die vergeht bis der Anfang des bürgerlichen Jahres zu 365 Tagen mit dem heliakischen (heliakisch = Aufgang in der Morgendämmerung) Aufgang des Sirius zusammenfällt und 1805 oder 5 · 361 Jahre ist die Lunarperiode, die Zahl der Jahre, nach welcher der Mond immer wieder die gleiche Stellung einnimmt sowohl im Vergleich zu den Jahreszeiten als auch in seinem Abstand von der Sonne (Phasen), in bezug auf das Eintreten der Finsternisse als auch in seiner Beziehung zu den Sternen.

Nimmt man das tropische Jahr der Babylonier zu 365d 2475, so sind:

1805a = 659271d ferner:

22325 synod. Monate = 659270d (Neulicht zu Neulicht)
24227 draconische Mon. = 659271d (Rückkehr zum Knotenpunkt)
24130 Siderische Mon. = 659271 (Rückkehr d. Mondes z. Fixstern).

Ich will auf das Exempel noch weiter eingehen, es ist nach Oppert ein klassisches Beispiel altchaldäischer Zahlenmystik, die unter dem Namen der Kabbala bis in die neueste Zeit, ja noch heute unter den Juden Galiziens im Schwange ist. Die Zahl und Rechnung spielten im Kulturleben der Babylonier eine enorme Rolle, jeder Gott hat seine eigene Zahl, z. B. Bel das Symbol Symbol, d. h. Gott, dem die 20 zukommt, Marduk als Stier des Tierkreises repräsentiert die Symbol, die Zahl der Zeichen die er anführt. Sin des Mondes Gott hat die Symbol vielleicht weil er in ältester Zeit der Hauptgott, wahrscheinlich wegen des Monats von 30 Tagen, die Engel-Brüche etc. Die Horoskope, die ja auch babylonischen Ursprungs sind, sind ein Ausfluss solcher Zahlenmystik, die sich von Babylon aus über die ganze Welt verbreitet hat. Wer unter Ihnen bibelfest ist, wird sich an die Kabbala im Daniel erinnern (s. u. Pythagoräer).

Wir haben bereits eine grosse Anzahl solcher magischer Tafeln und sehen, wie wir auch an unserm Beispiel nachweisen können, darin die Anfänge der wissenschaftlichen Zahlentheorie, man vergleiche Astronomie und Astrologie.

Unter den wenigen aus Khorsabad geretteten Inschriften haben wir glücklicherweise die Angabe des Sargon II. über die von ihm gegründete Stadt Dar Sarkim- (Khorsabad von E. Botta 1842–45). Die Mauer war rechteckig, sie hat 1647 auf 1750m. Keine Halle, kein Zimmer, kein Stadtplan durfte aus religiöser Scheu rein quadratisch sein; dies scheint als eine Verletzung der Ehrfurcht gegen den Gott gegolten zu haben, bei dem Allerheiligsten war eine sehr enge Annäherung an das Quadrat gestattet. In der Inschrift von Khorsabad gibt Sarkin nun an, dass der Umfang der Mauer die Zahl seines Namens sei; dieser Name ist sar Fürst und kin das wir allenfalls mit mächtig wiedergeben können; sar entsprach der Zahl 20 und kin 40; und misst man den Umfang aus, so findet sich, dass er 20 · 3265 + 40 · 1460 Spannen, d. h. also die Stadt sollte 20 Phönix- und 40 Sothisperioden überdauern.

»In unserer Tafel haben wir es nun mit einem zyklischen Flächenraum zu tun, 6532, und dies ist in Quadrate zerlegt bis auf 99425, das in zwei Rechtecke zerlegt ist, das ist auffallend, da doch

99425 = 3112 + 522; 3052 + 802; 2922 + 1192; 2842 + 1372; 2802 + 1452; 2472 + 1962

und keine dieser Möglichkeiten den Chaldäern unbekannt sein konnte, die mit der Zerlegung von Quadraten vollkommen vertraut waren.« Ich halte es für äusserst wahrscheinlich, dass der Pythagoras bereits den Chaldäern bekannt war und von ihnen nach Indien gekommen ist. Die Ausschliessungen aller der Zerlegungen muss also ihren guten Grund gehabt haben.

Die Zahlenmystik auf Tempel-Grundrisse angewandt.

Es handelt sich um ein schwieriges arithmetisches Problem: »Ein heiliges Quadrat von 653 so zu zerlegen, dass der Umfang der Figur eine Zahl von Phönix- und Sothisperioden und die Tiefe eine ganze Lunarperiode darstellt.« Demgemäss würde der Tempel folgendermassen angelegt (nach Oppert). Ein Vorhof von 400 Ellen im Geviert, mit einer Öffnung von 16 Ellen, einer Vorhalle desgleichen von 122, eine kleine heilige Stelle von 3012 auf 30920, danach ein langer Gang von 869 auf 114, eine quadratische Endhalle von 390. Die Tiefe ergibt 1806, was unmerklich von 1805, der Lunarperiode, abweicht, den Umfang findet Oppert, mittelst der Öffnung zu 5086 = 6 · 653 + 4 · 292. Meine Berechnung ergibt aber nur 5071 und für das gesamte Mauerwerk 5429. Die erste Zahl kann mit 2 Öffnungen hinten und vorn auf die Summe von 5 Phönix- und 6 Sothis-Perioden reduziert werden, wodurch die heilige Zahl des Marduk ihre Ehrung findet, die letztere (unwahrscheinlichere) auf 1 Phönix- und 3 Sothisperioden mit Zusatz von 8 Ellen für einen Eingangsvorbau.

Tempel-Grundriss des Sargon.

Als sehr interessantes Beispiel der Zahlenschreibung hebe ich Zeile 6 aus der von J. Oppert 1903 behandelten magischen Quadrattafel hervor, wo sich vorne das von Oppert ergänzte Summenzeichen tab Symbol findet, die 118 sar geschrieben werden als 120 - 2, mit dem Minuszeichen lal, die beiden ner nicht Symbol sondern Symbol wiedergegeben sind, und das Wortzeichen für Ibdi, Quadrat, Symbol, welches selbst in seiner neuassyrischen Form deutlich die Kombination von Zusammenfassung und Zwei bekundet, wie das Zeichen von Kubus, Badie, sich durch drei innere Striche kennzeichnet.

Über das Vorkommen der 0; Entstehung des Sexagesimalsystems.

Es drängt sich hier die Frage auf nach der 0, denn das ist ja noch das einzige, was für die Inder zu retten wäre, da der Gedanke die Potenzen der Grundzahl durch den Stellenwert der Ziffer zu kennzeichnen, wie Sie gesehen haben, altbabylonisch ist und auf die ältesten Zeiten der Völker von Sumer und Accad zurückgeht. Da geben nun die Tafeln von Senkereh keinen Aufschluss, denn weder unter den Quadratzahlen noch unter den Kubikzahlen der Tafel kommt eine Zahl vor, welche die 0 in der Mitte verlangte. Aber in den Stimmen von Maria Laach haben die beiden Patres S. J. Strassmaier und Epping eine sehr schöne Arbeit veröffentlicht »Astronomisches aus Babylon« oder »Das Wissen der Chaldäer über den gestirnten Himmel«; hier kommt der Fall der 0 des öfteren vor, da ist nun meist die 0 aus der Lücke zu erkennen wie auch sonst, aber es kommt auch dafür das Zeichen Symbol, genannt der Trenner, vor. Mit diesem Zeichen für die Null ist die Möglichkeit näher gerückt, dass die 0 babylonisch ist. Es spricht allerdings wieder manches dagegen, so schreibt der Babylonier 2 meist Symbol und nicht Symbol und 61 wird durch (soss) d. h. Symbol wiedergegeben und z. B. 120 kommt bis dato nicht in der Form Symbol vor, statt Symbol oder Symbol.

Ursprung des Sexagesimalsystems.

Nun, meine Herren, lassen Sie uns die allerinteressanteste Frage berühren: wie ist das Sexagesimalsystem entstanden?

Da waren nun bis vor kurzem alle Autoritäten, vor allen M. Cantor darin einig, dass es vom Himmel stamme, d. h. nicht bildlich sondern physisch, und dass es auf das Engste mit der Teilung des Kreises in 360 Teile, die als altbabylonisch feststeht, zusammen hänge. Nach dem Vorgang eines Italieners Formaleoni von 1788 nahm auch M. Cantor 100 Jahre später an, die Quelle der Kreisteilung in 360 sei ein uralter grober Irrtum der Babylonier über das Sonnenjahr gewesen. Diese schärfsten aller Himmelsbeobachter, deren ganzes Leben seit uralter Zeit unter dem Einfluss der himmlischen Konstellationen stand, deren ganzer Kult ein Kult der Sonne, des Mondes und der Sterne, der Naturerscheinungen insgesamt war, die hätten einen Irrtum, der so grob war, dass er in 8 Jahren 42 Tage betrug, nicht eher gemerkt, als bis sie ihr ganzes Mass-, Münz- und Gewichtssystem darauf zugeschnitten. Cantor meint nun, sie seien zur 60 gekommen von der Kreisteilung aus, auf der Suche nach einer passenden Untereinheit hätten sie den Radius als Sehne in den Kreis getragen und dabei gefunden, dass er 1/6 des Kreises gleich 60 Grad spanne, und da hätten wir ja glücklich die 60!

Wenn Letronne, Journal des savants étrangers 1817 diese Hypothese aufstellte, so konnte man diesen Versuch anerkennen.

Bis etwa 1900 nahmen die Assyriologen diese Erklärung gedankenlos hin; sie hatten so viele schwierige Probleme, dass sie das geringe mathematische Material zunächst beiseite liessen. Wurde doch das Sexagesimalsystem erst nach 1854 von E. Hincks entdeckt. In dem von ihm behandelten Mondtäfelchen (Irish academy) handelt es sich um die in 15 auf den Neumond folgenden Tagen sichtbar werdenden Teile des Mondes.

Es seien, heisst es, an diesen 15 Tagen der Reihe nach sichtbar:

5   10   20   40   1 20
1 36   1 52   2 8   2 24   2 40
2 56   3 12   3 28   3 44   4

Hincks nahm an, dass die Mondscheibe in 240 Teile zerlegt gedacht sei und die weiter nach links stehende Zahl 1.60 2.60 etc. bedeutete und die Beobachtungszahlen in den ersten 5 Tagen einer geometrischen, in den folgenden 10 Tagen einer arithmetischen Reihe folgen. Nebenbei bemerkt ist es nicht unwichtig hier eine Kreisteilung in 4 Quadranten und jeden Quadranten in 60 Teile geteilt zu finden, denn damit ist der astronomische Ursprung des Grades verurteilt. Die Erklärung Hincks wurde dann zuerst 1854 durch die Tafeln von Senkereh und dann immer mehr bestätigt. Um 1900 wendeten sich gleichzeitig drei Assyriologen Mahler, Ginzel, Lehmann gegen den Ursprung des Systems aus der Jahresbewegung. Mahler machte höchst zutreffend darauf aufmerksam, dass das Jahr sich überhaupt nicht zum Massentnehmen eigene, die Babylonier schon so lange die Denkmäler reichen mit der Zahl 365,2(4) der Tage vertraut waren und wie auch die Ägypter ein eigenes Fest der 5 Extratage feierten. Er wies darauf hin, dass die tägliche Bewegung den Lichttag als Hälfte und Vor- und Nachmittag einen Vierteltag ergäbe.

Noch ansprechender war die Hypothese Lehmanns, dass die Babylonier beobachtet hätten, dass der Sonnendurchmesser 1720 der Ekliptik und jedes Tierkreisbild 112 und damit das Verhältnis 160 gewonnen sei. Leider stimmt die Sache nicht. Die Wasseruhr war den Babyloniern bekannt und mit ihrer Hilfe wurde der Sonnendurchmesser zu 32′ 6″ bestimmt. Nebenbei bemerkt, ist die genaue Bestimmung eines der diffizilsten astronomischen Probleme, man vgl. die Arbeiten Auwers in den Berliner Sitzungsberichten.

Der Tierkreis ist allerdings unzweifelhaft babylonischen Ursprungs; Sie sehen hier in der schon erwähnten Arbeit Eppings Abbildungen. Die Gleichheit aber der 12 Zeichen ist nicht ursprünglich. Lehmann fand auch in der Festsetzung der Gold- und Silberwährung 40 : 3 etwas Himmlisches, nämlich das Verhältnis der Tage des Jahres 360 und deren des Monats 27. Alles dies wäre sehr schön, wenn es nur richtig wäre. Das Verhältnis des Sonnendurchmessers zum Vollkreis ist ungefähr 1673, das des Jahres zum Monat keineswegs 40 : 3. Auch die 12 Monate zu 30 Tagen stimmen nicht, denn nie hat ein Monat volle 30 Tage. Das erlösende Wort hat 1904 wieder ein Lehrer der Mathematik, diesmal ein pensionierter, gesprochen, Kewitsch in Freiburg. Er hat den, man sollte meinen, selbstverständlichen Satz ausgesprochen: erst Zählen, dann Messen; 6, 60, 360, 3600 waren runde Zahlen bei den Babyloniern und sind von ihnen an den Himmel versetzt, in die Natur hineingelegt.

Damit ist freilich die Frage wie die 6 und die 60 zu Grundzahlen wurden, nicht gelöst. Kewitsch leitet sie von der Fingerrechnung ab; er gibt zwei Wege an; den ersten hält er selbst für nicht sehr wahrscheinlich; dem zweiten zufolge sollen sie, nachdem alle fünf Finger benutzt, noch einmal die Hand mit weggestrecktem Daumen als 6 gezählt haben und in Verbindung mit den 10 Fingern zu 6 · 10 = 60 als Grundzahl gelangt sein. Kewitsch führt den Umstand, dass das Zeichen für Hand ursprünglich 6 Striche gehabt hat, als Beweis an: Quat-Hand Symbol, später Symbol; andrerseits ist die natürliche Stellung der ausgestreckten Hand doch die, dass der Daumen nicht angedrückt wird. Ausserdem scheint mir Kewitsch einen Umstand nicht beachtet zu haben, nämlich den, dass das Sexagesimalsystem der Sumerer ein durchaus künstliches ist, das mit einer ausserordentlichen Übung im Rechnen mit grossen Zahlen verknüpft ist und dass das Zählen an den Fingern bei Entwicklung dieses Systems ein längst überwundener Standpunkt gewesen ist. Ausserdem ist die älteste Form des Idiogrammes für Hand, (s. o.), ein ganz deutliches Bild der 5 Finger mit der Handwurzel und zugleich Name für fünf.

Ich halte die Frage für nicht geklärt und wage nur Vermutungen wie die, dass es sich um eine ganz bewusste von den Gelehrten, d. h. den Priestern ausgehende Wahl der 6 als teilbar durch 2 und 3 gehandelt haben kann. Diese Teilung war auch technisch leicht durchführbar, man vergleiche die Elle des Gudea bei Borchardt (Berliner Berichte 1888, I); diese Wahl kann sehr wohl astronomisch beeinflusst gewesen sein. Die 60 empfahl sich als Grundzahl, weil sie durch die ersten 6 Zahlen teilbar ist und sich sowohl ins Fünfer- als Zehner- als Zwölfer-System einfügt. In den Mondtafeln von Hincks kommen so ziemlich alle Faktoren von 60, sogar die Mandel vor.

Die Beobachtung der Gestirne durchdrang das ganze Leben des Volkes, denn vom Himmel holten sie die Omina, die Vorbedeutungen, nach denen sie ihre Handlungen einrichteten. Ein Wechsel des Beobachters alle 4 Stunden, später alle 2 Stunden ist durchaus praktisch; (lösen wir doch unsere Posten alle 2 Stunden ab) und wir wissen jetzt, man vergleiche Epping, dass vom Anbeginn an bis in die Seleuciden- und Arsacidenzeit die Chaldäer den vollen Tag in 6 Teile oder Kas. pu geteilt haben, und die eigentliche Bedeutung des Wortes Su-su (Schock) ist 16. Die Unterteilung der Doppelstunden in 10 Teile ist dann zu genauer Ortsbestimmung durchaus praktisch, und die Zehnteilung ist am System unserer Finger vorgebildet. Erst später trat die Halbierung der Doppelstunde und damit die Stunde als 24stel des Tages ein. Der Tag, d. h. die Dauer der Rotation ist und bleibt die einzige wirklich in der Natur gegebene Masseinheit, und selbst wenn die Achsendrehung der Erde nicht völlig konstant ist, sind wir ausserstande die kleinen Schwankungen zu konstatieren. Nachdem die 360-Teilung des Tages durchgeführt, lag es nahe zur Erleichterung des Geschäftsverkehrs das Geschäftsjahr, wie auch heute auf 360 Tage und den Monat auf 30 Tage abzurunden. Sie wissen ja, dass noch heute unsere Soldaten für den 31. keinen Sold bekommen.

Die Tafeln von Senkereh.

Ich komme nun auf die Tafel von Senkereh zurück, von der wir erst seit 1870 durch Georg Smiths wissen, dass wir darin Zahlentabellen haben, und die erst Hincks, wohl des geistig bedeutendsten Keilschriftentzifferers Entdeckung des Sexagesimalsystems bestätigte. R. Lepsius, der grosse Ägyptologe, hat die Tafel 1877 in der Berliner Akademie in einer längeren Arbeit behandelt. Abgesehen davon, dass ihm die mathematische Bildung mangelte um einzusehen, dass eine Tabelle der Quadratzahlen zugleich eine der Wurzeln ist, hat er in der Tabelle, deren linke Kolonne benannte, deren rechte unbenannte Zahlen enthält, einen Vergleich sumerischer und assyrischer Längenmasse gesehen. In seiner Arbeit: Beiträge zur alten Geschichte, 1902, hat C. F. Lehmann nachgewiesen, dass es sich hier um eine Vergleichung von Zeitmass und Längenmass handelt und dass wir hier strikte Durchführung des Sexagesimalsystems vor uns haben. Lehmann hat nachgewiesen, dass während wir 114 Schritt auf die Minute rechnen, Römer und Babylonier 120 Schritt à 112 Ellen, also 180 Ellen, und somit auf die Doppelminute 360 Ellen und auf den Zeitgrad, auf 1360 Tages, 360 Doppelellen gehen. Dass aber die Doppelelle das ursprüngliche Längenmass ist, das zeigen uns die beiden Massstäbe der Gudea, von denen ich hier Ihnen ein Exemplar vorführe.

Massstab der Gudeastatue, 1/2 der nat. Grösse.

Ich gebe nun die Tafel von Senkereh in Umschreibung wieder:

Kolonne III.

Zeit

Zeit-Doppelelle

Grade

Zeiteinheit

Raumdoppelelle

1 Zeit-Finger

160

121600

190

Sek.

160

5

112

14320

118

"

112

1 Elle

12

1720

13

"

12

12 Gar

3

1120

2

"

3

1 Gar

6

160

4

"

6

5 Gar

30

112

20

"

30

1 Soss = 60 Gar

360

1

4

"

360

1 Kas-pu = 30 Soss

10800

30

2

Std.

10800

2 Kas-pu

21600

60

4

"

21600

Darin scheint nun Lehmann recht zu haben, dass die Zeiteinteilung die ursprüngliche gewesen und dass die experimentelle Beobachtung, dass zirka 480 Schritt auf den Taggrad kommen, bezw. 120 auf die Minute, dahin geführt hat, das Längenmass auf die Länge des Sekundenpendels zu gründen.

Astrologie.

Welche ausserordentliche Rolle die Astrologie und die sich aus ihr entwickelnde Astronomie für das religiöse und praktische Leben der Babylonier spielte, darüber belehren uns schon die jetzt entzifferten Denkmäler auf das genaueste. In dem schon erwähnten Werk Sargons I., das nach seinen Anfangsworten genannt wird: »Wenn der Bel-Stern,« sind bereits 66 ganze oder gebrochene Tafeln und teilweise in mehreren Exemplaren bekannt. Wir haben ein anderes Werk: »Wenn der Mond bei seinem Erscheinen;« hunderte von Tafeln mit astrologischen Berichterstattungen meist an den König sind im British Museum. Ich gebe ein paar Beispiele:

1) Am 15. Tage des Nisan (März-April) halten sich Tag und Nacht die Wage; sechs Doppelstunden war Tag, sechs Doppelstunden Nacht. Mögen Nebo und Merodach meinem Herrn König gnädig sein. Nebo, Gott der Weisheit, Sohn von Merodach, der als Gott der Frühlingssonne Sohn Bêls, des Gottes der Luft gedacht wird. Merodach wurde zum Hauptgott in Babylonien und verschmolz mit Bêl.

2) An den König, meinen Herrn Ischtarnadinapal, der oberste der Astronomen der Stadt Arbela; Friedensgruss dem König (Salem aleikon) meinem Herrn. Ischtar (Astarte, Aphrodite) von Arbela sei dem Könige, meinem Herrn gnädig; am 29. Tag machten wir eine Beobachtung, aber die Sternwarte war umwölkt und wir sahen den Mond nicht. Am 1. Tag des Monats Schebat (Januar-Februar) im Eponymat (s. u. S. 66) des Bilcharranschadua.

3) Der Mond ist sichtbar am 1. Tag wie am 28.: Unglück für das Westland. Der Mond ist am 28. Tage sichtbar: Glück für das Land Akkad (Babylonien), Unglück für das Westland; Bericht des Oberastronomen.

Babylonische Kosmologie.

Aus derselben Zeit etwa dem 8. Jahrhundert stammen auch mehrere Fragmente von Festkalendern, welche für jeden einzelnen Tag des Monats Angaben enthielten, welchem Gott der Tag geweiht und welche Opfer in den Tempeln dargebracht werden sollten. Diese Fragmente lassen uns erkennen, dass damals ein ausgebildeter Kalender in Assyrien bestand, und wenn wir damit den Eponymenkanon in Verbindung bringen, so ist der Schluss berechtigt, dass dieser Kalender bis zum Anfang dieses Kanons heraufreicht, d. h. bis in das 10. Jahrhundert v. Chr. Aus der Astrologie hat sich die Astronomie der Babylonier entwickelt, wie aus der Kabbala, den magischen Rechnungen, die Anfänge der Zahlentheorie. Der Hauptstern ist der Nordpol der Ekliptik, der dem Anu (Himmel) geweiht war. Als Gegenpol ist der Ea-Stern (Ozean) = η Argus. (?)

Die drei Regionen des Himmels, welche vom Nordpol ausgehen, sind die Region des Anu: Stier, Zwillinge, Krebs und Löwe, und, beginnend mit dem Aldebaran, die Regionen des Bel (Luft): Jungfrau, Wage, Skorpion, Schütz; die Regionen des Ea (Ozean): Steinbock, Amphora (Wassermann), Fische, Widder.

Die Milchstrasse, mit ihren beiden Verzweigungen wird als Euphrat und Tigris aufgefasst. Die Ekliptik ist die Furche des Himmels; die Milchstrasse erscheint auch unter dem Begriff des Hirtenzeltes, woher auch unser poetisches »Himmelszelt«. Entstanden ist der babylonische Tierkreis zu einer Zeit als der Frühlingspunkt, der jährlich etwa um 50″ zurückweicht, im Stier lag; also etwa 3000–4000 v. Chr., der dann im Laufe der Zeit mannigfache Veränderung erlitt bis die völlige Gleichteilung durchgeführt wurde. Besonders wichtig ist die Untersuchung der alten Grenzsteine (Kudurru) geworden, von denen Hommel 14 untersucht hat. Die Abbildung des Tierkreises auf diesen Steinen geschah vielleicht zum Zweck Konstellationen zur Datierung festzuhalten. Auf keinem der Steine fehlt die grosse Schlange als Bild der Milchstrasse und schon auf dem ältesten, der auf 1070 datiert ist, sind die 12 Zeichen. Die Bilder sind die bei den Griechen und zum Teil noch heute üblichen.

Das neueste Werk über diese Grenzsteine ist A new Boundary Stone of Nebuchadnezzar I. von W. M. J. Hinke, Bd. IV der Serie D des grossen Hilprechtschen Sammelwerks the Babylonian Expedition of the Univ. of Pennsylvania 1907. Hier ist auch der Zusammenhang mit dem tibetanischen und indischen Tierkreisen besprochen.

Astronomie.

Die Untersuchung der Namen etc. zeigt, dass der Tierkreis babylonisch-sumerischen Ursprungs ist und sich von den Babyloniern zu Ägyptern, Griechen, Indern, Chinesen und zu uns verbreitet hat. Das gleiche gilt von den Mondstationen oder Häusern, ihre Zahl schwankte zwischen 24–36, und sie haben sich ebenfalls nach China, Indien (naxatra) und Arabien verbreitet. Die helleren Sterne waren ihnen in sehr alter Zeit bekannt. Aus der Arsakidenzeit der Jahre 122 v. Chr. und 110 sind uns vollständige Ephemeridentafeln, Bestimmungen der Abstände der Sterne von festen Sternen der Ekliptik, erhalten. Sie hatten ganz bestimmte Regeln für die Berechnung des Neumondes und Neulichtes, die von J. Epping, S. I. unter Beihilfe des Assyriologen Strassmaier, S. I. 1889 in den Stimmen aus Maria Laach unter dem Titel: Astronomisches aus Babylon mitgeteilt sind; es finden sich darin auch Tabellen des heliakischen Auf- und Untergangs der Planeten und einer Anzahl von Fixsternen, vor allem des Sothis, id est Sirius und des »Kakkab mišre« des Orion. Sie kannten die Periodizität der Finsternisse und konnten deren Sichtbarkeit für Babylon annähernd vorausbestimmen. Sie hatten Instrumente, die unserem Astrolabium und Planetarium entsprechen; sie kannten die mittlere Geschwindigkeit des Mondes, d. h. den Bogen, den der Mond durchschnittlich während eines Tages in der Ekliptik beschreibt, die grösste Geschwindigkeit des Mondes, ebenso die der Sonne und das Gesetz, nach dem die Geschwindigkeit der Sonne in der Ekliptik sich ändert, sie kannten die Jahresdauer, die Durchschnittsdauer des Monats von Neumond zu Neumond, also des sogenannten mittleren synodischen Monats, den sie nur um 0,4 Sekunden länger als wir ansetzten, sowie die Durchschnittsdauer von einer Erdnähe des Mondes zur andern, d. i. also den sogenannten mittleren anomalistischen Monat, den sie nur um 3,6 Sekunden zu lang ansetzten. Dabei ist erst ein kleiner Teil des aufgefundenen Materials entziffert und dieser aufgefundene ein verschwindender Teil des vorhandenen. Hilprecht berechnet die Zeit, die für Nippur nötig ist bei 400 Arbeitern auf etwa 100 Jahre!

Über die Instrumente, deren sich die Babylonier zu ihren Beobachtungen bedienten, ist wenig bekannt; wir wissen, dass sie die Zeit durch die Wasserwage massen und durch die Sonnenuhr, mittelst des Gnomon und aus der Schattenlänge die Meridiane, bezw. den längsten und kürzesten Tag bestimmten. Aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. sind aber durch Kugler eine ganze Reihe sehr feiner Positionsbestimmungen festgestellt worden, die nur mit Hilfe von Instrumenten wie der sogenannten Armillarsphäre, dem Diopter etc. möglich war. Der Diopter setzt dann allerdings die Ähnlichkeitslehre für rechtwinklige Dreiecke, kurz eine Sehnenrechnung voraus und damit wird es wahrscheinlich, dass die Sehnenrechnung, die bis dato dem Bessel des Altertums, Hipparch von Rhodus zugeschrieben wurde, babylonischen Ursprungs ist. Soviel steht fest, wenn auch anfangs die Astrologie zur Himmelsbeobachtung insbesondere der Sonnen- und Mondfinsternisse trieb, seit etwa 300 Jahren v. Chr. gab es an den Sternwarten eine vollkommen wissenschaftliche Astronomie, und die Beobachtungen der Babylonier sind oder werden für unsere Mondtafeln noch wertvoll.

Kugler hat seiner »babylonischen Mondrechnung« von 1900, der pietätvollen Vollendung des Strassmeier-Eppingschen Werkes, 1907 den ersten Band seines grossen auf 4 Bände berechneten Werkes »Sternkunde und Sterndienst in Babel« folgen lassen, unter dem Titel »Entwicklung der Babylonischen Planetenkunde von ihren Anfängen bis auf Christus.« Wenngleich, wie Oefele (Mitteilungen zur Gesch. d. Med. u. Naturw. 29. Juni 1908) schon hervorgehoben hat, dieser Titel nicht glücklich gewählt ist, so ist das Buch doch reich an wichtigen Resultaten: Der unbezweifelbare Nachweis des Babylonischen Ursprungs des Tierkreises und seiner 12 Zeichen, die Kenntnis der Namen für die Planeten und die Masisterne, die hellen Sterne der Ekliptik, welche zur Positionsbestimmung dienten, in Fortsetzung der Leistungen P. Jensens aus seinem Hauptwerke, die Kosmologie der Babylonier 1890, die Kunde der technischen Sprache der Babylonischen Astronomie, die Tatsache der Ekliptikkoordinaten, die Feststellung des Bogenmasses und der Richtungen, Festsetzung des Bogens von 22° 3′ zwischen dem festen Koordinatenanfangspunkt 0° arietis der Babylonier und dem 0-Punkt, dem Frühlingsäquinoktium von 1800 n. Chr., die Planetenephemeriden infolge Auffinden von grossen und kleinen Perioden, z. B. für Mars 71 und 41 Jahre, für Venus 8 Jahre (Fehler nur 3′ 13,3″) etc. Freilich hebt Kugler hervor, dass im 2. Jahrh. v. Chr. die wissenschaftliche Astronomie der Babylonier sehr grosse Fortschritte gegen die früheren Zeiten aufweist, und wie weit dabei hellenischer Geist insbesondere der grosse Hipparch in Betracht kommt, müsste erst noch untersucht werden.

Geometrie.

Über die Geometrie der Babylonier müssen wir uns zurzeit kurz fassen bis grösseres Material vorliegt. Ein Bauplan, eine Tempelanlage von so vorzüglicher Ausführung wie der von L. Borchardt l. c. veröffentlichte, in dem die Türleibungen und die Mauerstärke berücksichtigt ist (siehe Fig. auf S. 112), Beobachtungen, wie die von Kugler mitgeteilten, sind nicht ohne bedeutende geometrische Kenntnisse möglich, aber was uns direkt übermittelt ist, beschränkt sich auf ganz wenige Zeichnungen wie die bei Cantor abgedruckten aus A. H. Sayce Abhandlung: Babylonian augury by means of geometrical figures. In der hier beigegebenen Kopie scheinen mir mehrfach alte Idiogramme wie N 15 etc. vorzuliegen. Bezold bemerkt (Z. A. XVII p. 95), dass ein grosser Teil z. B. der in Kujundschik gefundenen Figuren analoge Bedeutung besitzen, wie die Oppert'sche Konstr. s. Fig. S. 100 und sich auf kabbalistische Rechnung beziehen z. B. 10 und 3.

Bruchstück des Bauplanes.

Borchardt'scher Bauplan.

Babylonische Kreisteilung.

Feststeht aus ägyptischen und babylonischen Abbildungen, dass den Babyloniern die Teilung des Kreises in 6 Teile bekannt gewesen sei, d. h. de facto. Vom Hereintragen des Radius ist bisher keine Spur gefunden. Wenn Cantor meint, die 6-Teilung ist ohne diese Kenntnis nicht möglich, so irrt er sehr. Man braucht nichts zu wissen als die Tatsache, dass das Rad, bezw. der Kreis in sich drehbar ist, also zu gleichen Bogen gleiche Sehnen etc. gehören, u. v. v., dies reicht aus den Kreis experimentell zu vierteln und zu sechsteln. Im höchsten Grade wahrscheinlich ist allerdings, dass sie bei einem gesechsteilten Kreise gesehen haben, dass die Sehne gleich dem Radius ist. Die im Buche der Könige erwähnten fünfeckigen Pfosten, können genau so auf einer experimentellen Teilung des Kreises in fünf gleiche Teile beruhen, wie sie meine Quartaner ohne allen goldenen Schnitt sehr exakt ausführen.

Es ist ausserdem eine Tafel bekannt geworden, aber leider zurzeit nicht auffindbar, in der ein in drei gleiche Teile geteilter rechter Winkel vorkommt, und das ist fast alles, was wir zurzeit von der babylonischen Geometrie wirklich wissen; vermuten müssen wir sehr viel mehr; wäre der Pythagoras, was nach den Beispielen der quadratischen Gleichungen ganz gut möglich, den Ägyptern bekannt gewesen, so wäre er sicher den Babyloniern nicht unbekannt geblieben, aber hier heisst es abwarten.

Babylonische Rechentabellen.

Von grosser Bedeutung für die Auffassung der Babylonischen Arithmetik ist Band XX part. 1 Serie A des Hilprechtschen Werkes The Babyl. Expedition of the Univers. of Pennsylv. 1906 (mir erst vor kurzem zugänglich geworden). Es sind hier, abgesehen von Wiederholungen, 31 math. Tafeln veröffentlicht; Multiplikationstafeln, Divisionstafeln, Tafeln von Quadratzahlen und -Wurzeln, eine geometrische Progression. Auf Tafeln, welche dazu dienen, die Rechnungsresulate rasch in das Sexagesimalsystem einzureihen, hat H. hingewiesen, deren eine (s. Bild) er schon in seinem Vortrag von 1903 Bild 45 veröffentlicht hat. Es hat nun Hilprecht bemerkt, dass sämtliche bis jetzt bekannten 46 Multiplikationstafeln sich auf Divisoren der Zahl 604 beziehen, inkl. der 2 aus Sippar und Kujundschik, und zwar gehen sie bis 180000×1. Dazu konstatierte er das Multiplikationszeichen A-R A z. B. 2×1 (=) 2: Symbol, Plan 1, N. 1, das wie das unsrige, oft weggelassen wird, das Divisionszeichen Igi-Gal, habend Auge gelegentlich mit hinter dem Quotienten folgenden Distributivzeichen a-an»je«. Hilprecht konstatierte, dass alle diese Divisionstabellen sich wiederum auf 604 beziehen, es sind Tafel N. 20, 21, 24, auf denen das Divisionszeichen fehlt, und Tafel 22 obv., wo es gesetzt wird. Mit Hilfe der wichtigsten Tafel 25 ergänzt H. Tafel 22:

Igi-1-Gal-Bi = 8640000
Igi-2-Gal-Bi = 6480000
Igi-3-Gal-Bi = 4320000

etc., das »Bi« »dessen« bezeichnet den gemeinsamen Dividend 604. Ich gebe hier als Beispiel die Multiplikationstabelle 15 (Obv. und Bev.), das 1×1 mit 540, es ist zunächst eingerichtet wie die anderen, d. h. es fehlt das Zeichen, und es enthält 1a bis 20a, und dann 30a, 40a, 50a, so dass also 23a berechnet wird als 20a + 3a, wofür es ja auch Tabellen gab. Diese Tafel ist aber besonders interessant, weil sie eine derjenigen ist, in denen die Zweideutigkeit durch die Zusatzlinie am Schluss gehoben wird. Die Tafel lässt es zweifelhaft, ob man es mit dem 1 × 9 oder 1 × 9.60 zu tun hat, die Schlusszeile (colophon) gibt die nächstniedrige Tabelle der Serie an und lautet hier 8.60 + 20 mal 1 ist 8.60 + 20 id est 500 × 1 = 500, somit ist die Symbol in unserer Tafel 9.60. Sehr bedeutsam ist die Tabelle 25, welche in Hilprechts Übertragung lautet:

Linie 1: 125 720
2: Igi-Gal-Bi 103680
3: 250 360
4: Igi-Gal-Bi 51840
5: 500 180
6: Igi-Gal-Bi 25920
7: 1000 90
8: Igi-Gal-Bi 12960
9: 2000 18
10: Igi-Gal-Bi 6480
11: 4000 9
12: Igi-Gal-Bi 3240
13: 8000 18
14: Igi-Gal-Bi 1620
15: 16000 9
16: Igi-Gal-Bi 810

Babylonische Divisionstafeln.

H. erkannte darin unschwer Divisionen von 604 durch eine aufsteigende Reihe von Divisoren, für die Bedeutung der Zahlen 720; 360 etc. bis 9 wandte er sich an Mathematiker, diese brachten heraus dass, wenn man die Divisoren in die Form a šar + b ner + r schreibt, dann 602r diese Zahlen ergibt. Hiernach erscheint es allerdings als im hohen Grade wahrscheinlich, dass wir es hier mit einer kabbalistischen Rechnung zu tun haben, und wir sehen dass hier wieder 604 seine Rolle spielt. Hilprecht selbst zitiert aus dem Literaturverzeichnis von Bezold: »Die Mathematik stand bei den Babyloniern-Assyriern, soviel wir bis jetzt wissen, vornehmlich im Dienste der Astronomie und letztere wiederum in dem einer Pseudowissenschaft, der Astrologie, die wahrscheinlich in Mesopotamien entstand, sich von dort aus verbreitete.«

Die goldene Zahl des Platon.

Ich möchte aber doch bemerken, dass wie der Mangel an beglaubigender Unterschrift der Tafeln aus Nippur beweist, und nicht minder die zahlreichen Fehler, dass wir es auch hier, ähnlich wie in Ägypten, vielfach mit Schülerübungen zu tun haben. Ebenso sorgfältig wie das Schreiben und Lesen, wurde auch die Elementarkunst des Rechnens geübt, selbstverständlich vorzugsweise an »heiligen« Zahlen, von denen 604, wie es scheint, im Vordergrund stand. H. hat sicher mit Recht auf die Abhängigkeit Platons von Babylon hingewiesen. In die Stelle Republik VIII, 546 B-D hat zuerst der grosse, kürzlich verstorbene Philologe Fr. Hultsch, der Herausgeber des Pappos, Licht gebracht, er hat, Schlömilch XXVII hist. lit. Abt. S. 41, in der sehr dunkel beschriebenen Zahl des Platon die Zahl 604 erkannt und hervorgehoben, dass ihre Teiler von glückbringendem Einfluss auf die Geburten und Schicksale der Menschheit sein sollten, wie denn tatsächlich die nach der kürzesten Fötalperiode von 216 Tagen geborenen 7 Monatskinder bessere Lebenschance besitzen als die 8 Monatskinder. Wesentlich ist hier der Nachweis des Einfluss Babylonischer Kultur auf die Hellenische, den übrigens m. W. niemand mehr bestreitet. Gegenüber Hommel führe ich an, dass die Babylonische Phönixperiode 653 Jahre und nicht 500 betrug, und gegenüber Hilprecht, dass nach Censorinus, wie Hultsch erwähnt, Plato das Alter der Menschen nicht auf 100, sondern auf 81 setzte. Dass dabei 36000 eine Rolle gespielt hat, ist nicht unwahrscheinlich, denn noch Ptolemäos gibt in der μεγαλη συνταξις 36000 als Cyclus der Präzession an, und Berosus dieselbe Zahl als altbabylonische Präzessionszahl.

Dass aber nicht nur die Inder, wie bekannt, in Riesenzahlen schwelgten, sondern auch die alten Babylonier, beweist die von Hilprecht mit Glück restaurierte Tafel Bezold, Katalogue Kujundschik Vol. I N. 2069, von denen Bezold l. c. die folgenden 4 Zeilen (2 bis 5 der Tablette) veröffentlicht hat:

Babylonische Riesenzahlen; Quadratwurzeln.

H. hat überzeugend nachgewiesen, dass diese Tafel aus der Bibliothek Asurbanipals mit ihren 28 Zeilen dieselbe Bedeutung hatte wie die Tabellen No. 20, 21, 22, 24 Hilprecht's auf S. 21, es ist eine Divisionstabelle, aber Divisoren und Quotienten beziehen sich auf Symbol — — — — — — d. h. auf 608 + 10.607 id est 195,955,200,000000 also 195 Billionen 955200 Millionen! Zu dieser Erkenntnis wurde H. in den Stand gesetzt durch die Bemerkung, dass die längste Zahl links vorn Teilungsstrich vor Symbol drei Ziffergruppen von je zwei Ziffern hat, also mit 603 zu multiplizieren ist, und die längste Zahl rechts hat hinter ihrer Ziffergruppe vier andere, ist also mit 604 zu multiplizieren.

Tabellen von Quadratzahlen bezw. Wurzeln sind ziemlich zahlreich in Nippur gefunden, die Quadrierung ist teils durch das A-Ra »mal«, teils durch das Idiogramm für Ibdi das aber etwas von der Rawlinsonschen Tafel IV, 40 abweichende Gestalt hat. Am leichtesten lesbar ist Pl. 16, No. 28, Quadrate der Zahlen von 31–39, die dadurch interessant ist, dass sie sich an die Tafel des Berliner Museums genau anschliesst. H. hat aus ihr die Kenntnis der Formel für (a + b)2 gefolgert, da diese Formel in Indien bekannt war, vgl. S. 161, so ist sie höchst wahrscheinlich auch den Babyloniern-Assyriern bekannt gewesen. Ein irgendwie zwingender Beweis ist aber, da mir die Resultate gegeben werden, nicht erbracht.

Sehr dürftig ist wenigstens die bisherige Ausbeute für die Geometrie, der Inhalt des geraden Prisma und des geraden Zylinders ist zu allen Zeiten ohne weiteres als Grundfläche mal Höhe angenommen worden. Das einzige was von Interesse, ist, dass nach einer Veröffentlichung von Thureau-Dangin schon unter der 2. Dynastie von Ur, also rund 3000 v. Chr. man in Babylonien den Inhalt des Trapezes als Mittellinie mal Höhe berechnen konnte.

Vase mit geometrischer Zeichnung.

Wie hoch entwickelt aber schon in unvordenklicher Zeit die geometrische Zeichenkunst war, beweist die von Kapitän Cros 1903 in Telloh gefundene Vase, mit deren Bild ich diesen Abschnitt schliesse.

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