Dieser lebens- und wirklichkeitsfreundliche Sinn Nietzsches zeigt sich auch in seinen Anschauungen über die Menschen und ihre gegenseitigen Beziehungen. Auf diesem Gebiete ist Nietzsche vollkommener Individualist. Jeder Mensch gilt ihm als eine Welt für sich, ein Unikum. Das „wunderlich bunte Mancherlei“, das zum „Einerlei“ vereinigt ist und uns als ein bestimmter Mensch entgegentritt, kann kein noch so seltsamer Zufall ein zweites Mal in gleicher Weise zusammenschütteln. (Schopenhauer als Erzieher 1.) Die wenigsten Menschen sind jedoch geneigt, ihre nur einmal vorhandenen Eigentümlichkeiten zu entfalten. Sie fürchten sich vor der Einsamkeit, in die sie dadurch gedrängt werden. Es ist bequemer und gefahrloser, in gleicher Weise wie die Mitmenschen zu leben; man findet dann immer Gesellschaft. Wer auf seine eigene Art sich einrichtet, wird von anderen nicht verstanden und findet keine Genossen. Für Nietzsche hat die Einsamkeit einen besonderen Reiz. Er liebt es, die Heimlichkeiten des eigenen Innern aufzusuchen. Er flieht die Gemeinschaft der Menschen. Seine Gedankengänge sind zumeist Bohrversuche nach Schätzen, die tief in seiner Persönlichkeit verborgen liegen. Das Licht, das andere ihm bieten, verschmäht er; die Luft, die man da atmet, wo das „Gemeinsame der Menschen“, die „Regel Mensch“ lebt, will er nicht mitatmen. Er trachtet instinktiv nach seiner „Burg und Heimlichkeit“, wo er von der Menge, den vielen, den allermeisten erlöst ist. (Jenseits von Gut und Böse § 36.) In seiner „fröhlichen Wissenschaft“ klagt er, daß es ihm schwer ist, seine Mitmenschen zu „verdauen“; und in „Jenseits von Gut und Böse“ (§ 282) verrät er, daß er zumeist gefährliche Verdauungsstörungen davontrug, wenn er sich an Tische setzte, an denen die Kost des „Allgemein-Menschlichen“ genossen wurde. Die Menschen dürfen Nietzsche nicht zu nahe kommen, wenn er sie ertragen soll.