6.

Nietzsche erklärt einen Gedanken, ein Urteil in derjenigen Form für gültig, zu der die freiwaltenden Lebensinstinkte ihre Zustimmung geben. Ansichten, für die das Leben sich entscheidet, läßt er sich durch keine logischen Zweifel nehmen. Dadurch erhält sein Denken einen sichern, freien Zug. Es wird nicht beirrt durch Bedenken wie: ob eine Behauptung auch „objektiv“ wahr ist, ob sie die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens nicht überschreitet u. s. w. Wenn Nietzsche den Wert eines Urteiles für das Leben erkannt hat, dann fragt er nicht mehr nach einer weiteren „objektiven“ Bedeutung und Gültigkeit desselben. Und wegen Grenzen des Erkennens macht er sich keine Sorgen. Er ist der Ansicht, daß ein gesundes Denken das schafft, was es schaffen kann, und sich nicht mit der nutzlosen Frage abquält: was kann ich nicht?

Wer den Wert eines Urteils nach dem Grade bestimmen will, in dem es das Leben fördert, kann diesen Grad natürlich nur durch seine eigenen, persönlichen Lebenstriebe und Lebensinstinkte festsetzen. Er kann nie mehr sagen wollen, als: in Bezug auf meine Lebensinstinkte halte ich dieses bestimmte Urteil für ein wertvolles. Und Nietzsche will auch nie etwas anderes sagen, wenn er eine Ansicht ausspricht. Gerade dieses sein Verhältnis zu seiner Gedankenwelt wirkt so wohlthuend auf den freiheitlich gesinnten Leser. Es giebt Nietzsches Schriften den Charakter anspruchsloser, bescheidener Vornehmheit. Wie abstoßend und unbescheiden klingt es daneben, wenn andere Denker glauben, ihre Person sei das Organ, durch das der Welt ewige, unumstößliche Wahrheiten verkündet werden. Man kann in Nietzsches Werken Sätze finden, die ein starkes Selbstbewußtsein ausdrücken, z. B.: „Ich habe der Menschheit das tiefste Buch gegeben, das sie besitzt, meinen Zarathustra: ich gebe ihr über kurzem das unabhängigste.“ — (Götzendämmerung, Streifzüge eines Unzeitgemäßen § 51.) Was besagt dies aber aus seinem Munde? Ich habe es gewagt, ein Buch zu schreiben, dessen Inhalt tiefer aus dem Wesen einer Persönlichkeit geholt ist, als das sonst bei ähnlichen Büchern der Fall ist; und ich werde ein Buch liefern, das unabhängiger von jedem fremden Urteil ist, als andere philosophische Schriften; denn ich werde über die wichtigsten Dinge bloß aussprechen, wie sich meine persönlichen Instinkte zu ihnen verhalten. Das ist vornehme Bescheidenheit. Sie geht freilich denen wider den Geschmack, deren verlogene Demut sagt: ich bin nichts, mein Werk ist alles; ich bringe nichts von persönlichem Empfinden in meine Bücher, sondern ich spreche bloß aus, was die reine Vernunft mich aussprechen heißt. Solche Menschen wollen ihre Person verleugnen, um behaupten zu können, daß ihre Aussprüche die eines höheren Geistes sind. Nietzsche hält seine Gedanken für Erzeugnisse seiner Person und für nicht mehr.

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