28.

Die apollinische Weisheit hat den Charakter des Ernstes. Sie empfindet die Herrschaft des Jenseits, das sie nur im Bilde besitzt, als einen schweren Druck, als eine ihr widerstrebende Macht. Ernst ist die apollinische Weisheit, denn sie glaubt sich im Besitze einer Kunde aus dem Jenseits, wenn diese auch nur durch Bilder, Visionen vermittelt sein soll. Schwer beladen mit seiner Erkenntnis wandelt der apollinische Geist einher, denn er trägt eine Bürde, die aus einer andern Welt stammt. Und den Ausdruck der Würde nimmt er an, denn vor den Kundgebungen des Unendlichen muß jedes Lachen verstummen.

Dieses Lachen aber charakterisiert den dionysischen Geist. Er weiß, daß alles, was er Weisheit nennt, nur seine Weisheit ist, von ihm erfunden, um sich das Leben leicht zu machen. Nur dieses Eine soll ja seine Weisheit sein: ein Mittel, das ihm erlaubt, zum Leben Ja zu sagen. Dem dionysischen Menschen ist der Geist der Schwere zuwider, weil er das Leben nicht erleichtert, sondern niederdrückt. Die selbstgeschaffene Weisheit ist eine heitere Weisheit, denn wer sich selbst seine Bürde schafft, der schafft sich nur eine solche, die er auch leicht tragen kann. Mit der selbstgeschaffenen Weisheit bewegt sich der dionysische Geist leicht durch die Welt wie ein Tänzer.

„Daß ich aber der Weisheit gut bin und oft

zu gut: das macht, sie erinnert mich gar sehr an

das Leben!

Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr

goldnes Angelrütchen: was kann ich dafür, daß

die beiden sich so ähnlich sehen?“

„In dein Auge schaute ich jüngst, o Leben:

Gold sah ich in deinem Nachtauge blinken, — mein

Herz stand still vor dieser Wollust:

— einen goldenen Kahn sah ich blinken auf

nächtigen Gewässern, einen sinkenden, trinkenden,

wieder winkenden goldenen Schaukelkahn!

Nach meinem Fuße, dem tanzwütigen, warfst

du einen Blick, einen lachenden, fragenden,

schmelzenden Schaukelblick:

zweimal nur regtest du deine Klapper mit

kleinen Händen — da schaukelte mein Fuß vor

Tanzwut. —

Meine Fersen bäumten sich, meine Zehen

horchten, dich zu verstehen: doch trägt der Tänzer

sein Ohr — in seinen Zehen!“

(Zarathustra 2. u. 3. Teil. Die Tanzlieder.)

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