»Und hätt’ ich gegriffen ihn nicht in der Schlucht
Mit Listen: noch wär’ ich vor ihm auf der Flucht;
Geweiht
War dem Tode zu jeglicher Zeit,
Was lebend sein Pfeil zum Ziel sich ersah,
Ob fern, ob nah:
Den Hirsch im Sprung und den Aar im Flug,
Herr Oswald der Schütz traf ihn gut genug.
Nun liegt er gefangen im tiefen Thurm,
Umkrächzt von den Krähen, umheult vom Sturm,
Und aus
Stach ich ihm (baß schmeckt nun der Schmaus
Und ungekränkt trag’ ich die Grafenkron’)
Die Augen zum Hohn;«
Graf Otto ruft’s laut. »Ich sag’s Euch mit Fug,
Herr Oswald der Schütze traf gut genug.«108
Und der Graf ruft wieder, »daß Wahrheit dies:
Auf, holt mir den Schützen hervor vom Verließ!
Wohlan!
Herr Oswald, du blinder Mann,
Deine Augen zwar sind Dir nun nimmer zu Dank,
Doch das Ohr merkt den Klang.
Nun hab’ mir wohl Acht, wie ich schlage den Krug,
Ziel’, Oswald, und schieß und triff gut genug!«
Und Oswald lauscht, wo der Klang herkam,
Er lauscht auch, woher er die Stimme vernahm.
Die Hand,
Schon hat sie den Bogen gespannt –
Hui, schwirrt von der Sehne der Pfeil durch den Saal!
Mit Geschrei sinkt zu Thal
Graf Otto, getroffen in’s Herz. »’S war kein Trug,
Weh, Oswald du Schütze, trafst gut genug!«
Als ich geendet hatte, bezeugten sie Alle: Ja, das wär’ ein tapfer Lied! und den Sänger lobten sie ausbündig und sagten auch dabei, es wäre doch eine auserwählte Kunst, der ich gedienet hätte.
Unter so gethaner Kurzweil gieng die Nacht bald herum und weil wir auch im Reiten nicht laß gewesen waren, so hatten wir, als wir früh das Morgenlied anstimmten: »Der Tag vertreibt die finstre Nacht«, schon manch’ gute Meile hinter uns. Den Tag über, der sehr heiß ward, hielten wir Rast, und erst mit der Abendkühle saßen wir wieder auf. Alle aus dem Troß sahen mich an als einen der Ihren und ich hielt mich auch so. Zwar dacht’ ich öftermalen, mich Helmbolden zu offenbaren und gefügen Abschied von ihnen zu nehmen, wie ich mir solches zu thun auch von Anfang der Reise an vorgesetzt hatte. Aber es war immer, als könnt’ ich den Weg zu solchem Geständniß gegen 109 ihn nicht finden, und eh’ ich mich’s versah, war er oder ein Anderer mit einer Scherzrede dazwischen, auf welche ich dann auch (der frohe Muth trieb mich dazu) die scherzende Antwort nicht schuldig blieb. Und so sah ich’s denn zum zweiten Mal licht Morgen werden, als ich zwar Albrecht’s Abtei ein erheblich Theil näher war denn Tage zuvor, aber dafür noch ebenso fest auf des Grafen Pferd saß und so dicht unter seine Leute gemengt, daß ich schier selber nicht wußte, wie ich mir heraushelfen sollte und beinah’ wünschte, es sprengte uns wieder unversehens eine Aventiure auseinander, wie vormals den fahrenden Leuten und mir geschehen war.
Aber dergleichen begab sich nichts, und weil wir just wieder durch dichten Wald ritten, den ich von Brun’s Begleitung her wohl wieder erkannte, so gedacht’ ich hier, da es doch einmal geschehen müßte, mich von ihnen zu reißen und für’s Erste zu Brun zu entfliehen. Ich erspähte mir also die Gelegenheit und ritt, als geschäh’ es von Ungefähr, dem Troß eine gute Strecke voraus, wo der Weg sich krümmte, bis ich vor ihrer Aller Augen entschwunden war. Da saß ich eilend ab, band mein Roß an den Ast des nächsten Baumes und sprang flugs waldein, wo Gebüsch und Gezweig am dichtesten mich verbargen. Zuvor aber hatte ich unvermerkt an den Sattelknopf meines Thieres ein Blättlein geheftet, darauf mein Abschiedsspruch zu lesen stund:
Nicht weiter folgt Euch Diether mehr,
Und sang
Er je, trugt Ihr darnach Begehr,
Zu Dank,110
So forschet nicht –
Dieweil er schied
Mit Weh –
Wohin?
Ihn ruft die Pflicht,
Ernst klingt das Lied:
»Ade;
Fahr’ hin!«
Es mochte gegen Mittag sein, als ich auf verschlungenen Waldpfaden endlich in die Schlucht gelangt war, von der ich wußte, daß von da St. Wigbert’s Kirchlein nicht fern wäre. Wie war ich froh, da sich die Halde vor mir aufthat und die beblümte Wiese mit dem muntern Bergwässerlein, und mir von drüben das Ziel meiner Flucht entgegenwinkte. Wohl klopfte mein Herz stärker, je näher ich die Höhe zur Klause hinanstieg, und die Unruhe meines Gemüths wuchs in der Erwartung, welcherlei Weise mich Brun empfangen würde, wenn er zuerst meiner ansichtig werden würde in dieser Umwandlung. Darum hielt ich mir selbst recht eifrig seine freundliche Zusage vor die Seele, mit der er von mir schied, daß er all’zeit mit willigem Herzen mich aufnehmen wolle, und was er sonst Liebreiches damals zu mir gesprochen hatte.
Und so schritt ich getrost der Klause zu. Aber wie erschrak ich, als ich plötzlich hinter dichtem Gerank von Waldreben und Geisblatt, das sich der Alte seitwärts seiner Behausung zu einer Sommerlaube zurecht gezogen hatte, seine Stimme hörte, laut und fast heftig wie von Jemand, dem die Einsamkeit das Reden mit sich selbst zur Gewohnheit gemacht hat.
»Wohl gesprochen, St. Augustine! Pereant omnia et dimittantur haec vana et inania! conferamus nos 111 ad solam inquisitionem veritatis! Vita haec misera, mors incerta.« [A]
[A] Hinweg mit all’ diesen eitlen und leeren Dingen! Die Wahrheit allein laßt uns suchen. Dies Leben ist elend, die Todesstunde ungewiß.
»Hilf Gott!« sagt’ ich da zu mir selbst mit Bangen, »ich höre mein Urtheil; wie werd’ ich vor ihm besteh’n, wenn er so gemuthet ist!« Und zögernd schritt ich vorwärts, während er fortfuhr lateinisch zu reden, wie vorhin.
Als ich seiner ansichtig ward, saß er tiefgebückt über ein großes Buch, darin er eifrig las, als straft’ und vermahnt’ er daraus sich selbst. Ich stund beinah’ vor ihm und noch immer hatt’ er mein Kommen nicht wahrgenommen. Endlich wagt’ ich’s und sprach, aber zaghaft kam es heraus:
»Gelobt sei Jesus Christus!«
»In Ewigkeit, Amen«, fuhr er fort und hielt mit seinem Finger die Stelle im Buche fest, bei der ich ihn unterbrochen hatte. Dann erst sah er auf.
»Wie!« rief er da mit höchstem Erstaunen, und schob das Buch zur Seite. »Du, Diether? Du selbst? Bist Du’s wirklich? Dich seh’ ich wieder und in solchem Aufzug! Treibst Du Mummenschanz mitten zur Sommerzeit; oder bist Du so bald bezaubert, der Du Dich so sicher däuchtest, als ich Dich warnte?«
»Und wie zierlich der Knabe aussieht«, fuhr er fort, nachdem er mich wieder und wieder betrachtet, »ein Herzog könnt’ sich mit Dir sehen lassen, so er Dich in seinem Gefolg’ hätte, und mit Dir zu Hofe ziehn. Aber nicht zu mir, Diether, mußt Du als ein solcher kommen, wenn Du gelobt sein willst.«
112 Streng sah er mich an, und dennoch war mir’s, als hätt’ er ein Wohlgefallen an mir.
»Ihr thut mir Unrecht, Brun«, sagt’ ich da, und trat ihm einen Schritt näher, »Ihr thut mir zur Wahrheit Unrecht, wenn Ihr wähnet, ich komme im Übermuth zu Euch und zeige mich Euch in diesem höfischen Kleide, weil ich bethört sei von der Welt Eitelkeit. Sondern gedenket, wie Ihr einst selbst Eure Klause mit des Erzvaters Noä Arche verglichet, da Ihr mir Verirrtem eine Rast hier schufet vor des Wetters Ungestüm. Heut’ gleich’ ich dem Täublein, das draußen nirgend haften kann, mehr denn damals, und bitte, schleußt vor dem Flüchtigen Euer Fenster nicht zu!«
»Aber«, sagte der Alte hinwieder mit einem scharfen Blick auf mich, »Du hast das Ansehen nicht, als hätte Dir die Welt bei Deinem ersten Ausflug übel gelohnt und reute Dich der Dank, der Dir von ihr geworden.«
»O, Brun!« versetzte ich darauf. »Vergönnt mir nur bei Euch wenige Tage zu weilen und mich zu bergen; ein Anderes begehr’ ich nicht. Und wenn ich Euch werde berichtet haben, was mir begegnet ist, so werdet Ihr selbst erkennen, wie ich aus Noth in dieses Kleid gekommen bin und nicht aus Fürwitz, und Ihr werdet mir heim helfen, wohin mein Sinn steht, in’s Kloster.«
»Wie?« fragt’ er mit Staunen. »In’s Kloster begehrst Du zurück?«
»Ja, ich!« betheuert’ ich; »heim gen Maulbronn.«
»Nun, Diether!« sprach da Brun, derweil er aufstund und sich anschickte, mich in seine Hütte zu 113 geleiten. »Traun! Seltsames muß sich zugetragen haben, oder Du bist in Deinen Jahren gewitzigter als Viele, wenn in so wenigen Wochen die Welt Dich Unerfahrenen auf ihren Kloben pfeifen konnte, aber nicht länger Dich festhalten, und Du schon gelernt hast, ihres Wesens überdrüssig zu sein. Manch’ Einer lernt’s mit grauen Haaren kaum! Doch komm und pflege Dein! Du sollst mir hernach erzählen. Und vor wem Du Dich auch zu bergen hast, sorge Dich nicht. St. Wigbert’s Schutz ist gut, wem der einmal zugesagt worden ist.«
So war ich denn den Tag über in seiner Klause, und sanft that mir da die Ruh. Mein Wirth trug auf’s Beste Sorge für mich und spähte fleißig, ob sich Jemand nahte. Aber den Waldpfad entlang ward nichts sichtbar, als etwa ein Wild, das zum Äsen der Lichtung zuschritt aus dem Dickicht; und außer durch das Geschrei des Hähers oder der Weihe droben in der blauen Luft und den Gesang der Waldvögel aus dem Erlengebüsch am Bach und dessen Rauschen ward die Stille der Einsamkeit durch Nichts unterbrochen.
Über das, was mit mir vorgegangen, vermied Brun jede Frage. Aber als der Abend hereingekommen war und der Alte droben zur Vesper geläutet hatte, rief er mich hinaus und führte mich in seine Sommerlaube. Dort hieß er mich erzählen, was ich erlebt hätte, seit ich von ihm gezogen wäre. Da berichtete ich die Aventiure mit den zween Fahrenden, und wie ich durch sie um Klosterkleid und Briefe gekommen; ich schilderte meinen Strauß mit den Städtern, wie sie an mich wollten und ich mich ihrer erwehrte, ich erzählte auch darnach von Elzeburg, wie ich wäre dahin 114 gebracht worden, wie sie mich für einen fahrenden Singemeister gehalten hätten und wie ich zuletzt mir anders nicht Rath’s gewußt, als von der Heerstraße hier zu ihm zu entweichen, daß ich bei ihm, so viel es Noth wäre, stille läge und darnach ungesäumt heimkehrte, woher ich ausgesandt.
Als so mit der Erzählung mein Gemüth all’ den Dingen nachgieng, wie sie sich zugetragen, wurden sie selbst in meiner Seele wieder lebendig, als erlebt’ ich sie zum zweiten Male. So trachtete ich denn auch darnach, was ich zu schildern hatte, mit rechtem Nachdruck meinem Zuhörer fürzustellen. Der, merkt’ ich wohl, hatte so Seltsames zu hören sich nicht versehen, und so bezeugt’ er mit Blick und Gebärde, welchen Antheil er am Erzählen nähme und am Erzähler. Ja, ich berichtete Alles, nur Eines, ich war mir selber nicht wissend, welche Scheu mich davon abhielt, verschwieg ich ihm. Ich sagt’ ihm nichts von Irmela und meinem Schulhalten, sondern nur, wie ich hätte müssen die Aventiure von Sifride niederschreiben für Herrn Eberhard. Da Brun den Namen des Grafen zum ersten Mal vernahm und den seiner Burg, so horcht’ er auf, schien es mir, aber er sagte nichts.
Als ich zu Ende war, sah er mich noch eine Weile schweigend an und wie mit prüfendem Aufmerken, und wieder wundert’ ich mich, wie milden Glanzes seine Augen blicken konnten, die doch zu Zeiten so gewaltig ernst und strenge, ja finster hinter den Brauen hervorsahen, die sie tief überdeckten.
»Diether«, hub er darnach an, »Du bist unverbrüchlich dem Kloster zugesprochen?«
Seine Frage kam mir unerwartet und es geschah 115 wohl mit gar zweifelhafter Miene, daß ich zu ihm aufblickte.
»Bescheide mich immer«, sagte er ruhig weiter, »was Du von Deinem Verlöbniß weißt.«
»Nur das«, erwiedert’ ich, »daß man mir immer gesagt hat, wie ich noch gar jung als hilfeloser Findling vom Abt um Gottes Willen aufgenommen und zuerst zu Leuten, die des Klosters eigen waren, ausgethan worden sei. Hernach bin ich zu den Brüdern gekommen und für St. Bernhard’s Orden ausersehen, dem ich auch, wie sie mir sagen, nach heiligen canonischen Rechten versprochen bin.«
»Wohlan, Diether!« sagte Brun wieder, »ich merke wohl, Du bist durch Gottes Walten ohne Dein Wollen und Zuthun von Deiner Bahn gelenkt. Danke dem reichen Christ, daß Du so geschwind Dich auf den Weg zurückgefunden hast, der Dir der vertraute ist von Kindesbeinen an. Dank ihm auch dafür, daß Du, so wechselsvoll diese Fahrt für Dich gewesen ist, dennoch in Deinem Sinnen und Meinen nicht ein Anderer worden bist, denn zuvor. Aber begehre nie ein Mehreres von der Welt zu sehen! Bist Du jetzt noch unbetrogen geblieben und ungeblendet, so hat sie wohl andere Larven, die noch süßer lächeln, aber die Hölle hinter sich haben. Darum, Jüngling, zeuch zurück in Deinen Frieden, und ich will Dir wohl dazu helfen. – Sollte sich’s aber«, fuhr er fort, »anders befinden, als ich halte, und Du hegst ein heimlich Verlangen zurück in das Wesen, dem Du entronnen bist, und Dein waglicher Sinn ist Dir erweckt, o Diether, so vertrau’ auch dann Dich mir an und hehle mir nichts!«
116 Wohl fühlt’ ich die Röthe mir in’s Angesicht steigen bei solchen Worten. Denn sie erinnerten mich an das, was ich ihm schon jetzt verschwiegen hatte, und ich mußte gedenken, wie leichtlich seine Worte anders lauten würden, hätt’ ich ihm Alles erzählt. Um so mehr gieng mir seine redliche Art zu Herzen, und dankerfüllt wagt’ ich’s, seine Hand zu fassen, und sagte, indem ich sie küßte: »Da sei Gott für, Brun! daß ich so mit frevlem Sinn hinwegtrachte aus dem heiligen Stand, in den ich berufen bin, und Euer treues Mahnen vergesse.«
»So wohl Dir, Diether!« sagte da der Alte wieder, hielt mit einer Hand die meine fest und legte die andere mir auf’s Haupt. »So wohl Dir, wenn Du Dein Leben lang vor dem schwersten Streit bewahrt bleibst, dem mit Dir selber. Denn in seinem eignen Herzen hegt der Mensch seinen schlimmsten Feind. Er ist übermächtig und in allen Listen geschickt. Weh’ dem Manne, der ihn erst aufgeregt hat! Bittere Schmerzen sind des Überwundenen Theil. Wohl erwählen sich die Meisten unter den Menschenkindern, lieber nachher zu büßen, als vorher dem Streit aus dem Wege zu gehen. Sie achten’s für leichter, aber der üble Teufel betrügt sie darin allzumal.«
Wohl hört’ ich’s am Klang seiner Worte, daß er mit sonderlicher Bewegung seines Gemüthes redete, und als wir nun aus dem Dunkel der Laube hinaustraten, zeigte mir ein Blick in sein gefurchtes Angesicht, daß er da mir von Schmerzen gesagt hatte, die ihm selber wohl bekannt waren.
Alles war still ringsum. Nur das leise Gesumme der um die duftenden Blüthen des Geisblattes schwirrenden 117 Schmetterlinge nahebei und von unten her das Rauschen des Wassers vernahm unser Ohr. Drüben streifte das letzte Roth die Bergesspitzen, und über die Wiese senkte sich braune Dämmerung, während droben die ersten Sterne erglommen, wie Augen der seligen Engel Gottes sich aufschlagen, in denen die Herrlichkeit seiner Schöpfung sich schöner wiederspiegelt.
Schweigend versenkte ich meinen Blick in die wonnesame Ruhe. Und auch Brun stand ohne Regung und schaute hinaus, als eilten seine Blicke dem schwindenden Lichte des Tages nach.
Noch hielt er mich bei der Hand. Als nach kurzer Weile der letzte Abendschein von den Gipfeln der Berge verschwunden war, wandte er sich zu mir.
»Diether!« sprach er, »laß uns selbander hinangehen, dem Bergwasser nach. Nicht lange, so geht drüben der Mond auf, denn schon hellt sich dort über den Bäumen der Himmel. Ich weile gern in seinem Licht auf der Höhe, wenn unten das Thal im Schatten liegt.« Und er zeigte hinauf.
Mit Freuden folgt’ ich ihm, und wir stiegen den Pfad hart am Bach hinan, der bald in Sprüngen von Gestein zu Gestein sich hindurchzwängte, bald sanfter dahinglitt. Da ward zwischen uns wenig geredet. Vielleicht waren von vorhin die Gedanken noch zu lebendig in Brun’s Seele. Und auch ich hatte meine Betrachtung. Ich gedachte, wenn ich über mir zu den Sternen emporblickte: wie sie beständig in ihrer ersten Pracht scheinen unverändert, so oft nur die Wolkendecken sich vor ihnen hinwegthun; wie ich’s dagegen nun erfahren, daß über das menschliche Gemüth sich Schatten legen, von denen es nimmer geneset, und 118 dann trat vor meine Seele der Garten, den jetzt dieselbe gestirnte Nacht umfieng, und ich wünschte, sie, die mich dort zum letzten Mal gegrüßt hatte, möchte niemals weniger heiter zu den Lichtern droben hinaufblicken, als diese zur Stunde hernieder zu ihr.
Rauher ward unser Weg, von manchem Felsblock behindert und so von Baum und Gestrüpp beschattet, daß ohne des Alten Führung mein Fuß nicht vermocht hätte, weiter zu dringen. Aber der leitete mich sicher bei der Hand und zog mich ihm nach. So klommen wir empor, bis wir zu einer moosigen Felsplatte kamen, von wo der Ausblick frei war in die Waldeinsamkeit ringsum. Hier sah man weithin die Züge des Gebirges mit endlosen Waldungen, gleich Wellen eines dunklen Meeres fern und ferner sich dehnend, und unter uns das Kirchlein mit Brun’s Clause und tiefer das Wiesenthal. Alles lag da vor uns ausgebreitet im Dämmer der Sommernacht. Da stieg drüben der Mond hinter den Bergen hervor und erhellte die Höhe, die wir erstiegen hatten.
»Laß uns hier«, sagte Brun, indem er sich setzte, und mich einlud zu thun wie er, »laß uns hier der Betrachtung pflegen und dazu das Silentium halten! Ort und Stunde sind geschickt dazu.«
Nach diesen Worten verharrt’ er schweigend und blickte in die Tiefe vor uns hinunter, als stiegen von dort Gestalten zu ihm auf, dicht vor seine Seele hin; je zuweilen wandt’ er sein Haupt und fuhr mit der Hand über Stirn und Angesicht, als begehrte er sie nicht länger zu schauen und spräche zu ihnen: »Vorüber, vorüber!«
Wie er so, als mich däuchte, geschlossenen Auges 119 da saß, im vollen Mondlicht regungslos, und nur unterweilen im Hauche der Nacht sein Barthaar sich bewegte, so mußt’ ich denken beim Anblick der mächtigen Felsblöcke umher, die durch eine Riesenhand hier zersprengt und verstreut zu sein schienen: Er wie diese Steine, jetzt so friedlich beglänzt vom sanften Mondlicht – von welchen Stürmen und Ungewittern, die über sie ergangen, könnten sie wohl berichten!
Immer tiefer indeß sanken unter uns die Schatten und immer höher rückte der Bergeshang in den Glanz, der uns umfloß. Es war, als wollt’ er hienacht mit seinen Strahlen zwischen Farn- und Baumgezweig manche feuchte Kluft besuchen, die sonst im ewigen Dunkel lag.
Da ich so dieses Spieles des freundlichen Lichts gewahrte, wie es emsig immer weiter seine güldnen Fäden zog, siehe! da blitzte mir etwas aus einer Höhlung nicht weit von uns entgegen, darin das Mondenlicht sich hell und heller spiegelte, als hätt’ es einen unverhofften Fund gethan und wollte den mir mit Freuden zeigen.
Es waren nur wenige Schritte dahin und die Neugier trieb mich hinzugehen. Ein gülden Ringlein lag da am wohlbeschirmten Ort und seltsam beigesellt dicht neben eine Eidechse, als hätte sie des Schatzes zu hüten. Da ich näher zusah, merkt’ ich, sie war todt und ihre Vorderfüße hatte sie gekreuzt über ihrer Brust. Ich wußte wohl, daß Solches die Art dieser Thierlein ist, wenn sie gestorben sind, aber es däuchte mich, als waltete hier mehr als ein Ungefähr, und Ring und Thier wären Hüter eines Geheimnisses.
Der Ausruf des Erstaunens, der mir entfuhr, ob dem unerwarteten Anblick, weckte den Alten aus seinen 120 Träumen. Auf seine Frage, was es gäbe, brachte ich den Ring herbei und sagte ihm von der Eidechse hart daneben, und wie es mir geschienen hätte, als wäre dieser Hort ihr und sie könnte nicht von ihm lassen auch im Tode nicht, und hätt’ an ihm eine große Schuld auf sich; darum läge sie da so ausgestreckt mit gekreuzten Armen gleich einer armen Seele, die Buße thut.
Mit Hast griff Brun nach dem Ringe und hielt ihn prüfend gegen das Mondenlicht.
»Joconda!« rief er dann und ein Seufzer aus tiefstem Herzen gesellte sich zu dem Namen. »Ach, und nie wird die arme Seele genug büßen um Deinetwillen!«
»Euer Gemüth ist in große Bewegung gebracht durch den Ring«, sagt’ ich und trat zu ihm.
»Wohl, Diether!« erwiedert’ er, nachdem er eine Weile schweigend vor sich hin gesehen, »weiß ich um dies Kleinod. Frage nicht, wie ich’s erfahren. Besser vielleicht bliebe die Geschichte von ihm so jungen Ohren verschwiegen; aber da das Licht dieser Mondnacht durch Dich diesen Reif herwiedergebracht hat, sollst Du hören, wie sie sich zutrug, und dann gedenk’ auch Du in heil’gen Stunden der armen Seele, von der Du sagtest, und bitte Gott im Himmel für sie, daß ihre Buße recht gethan sei und ihm wohlgefalle!«
Wieder schwieg er eine kurze Weile. Dann winkt’ er mir, mich zu ihm zu setzen, und hub also an zu erzählen.