Die Geschichte, so Brun Diethern erzählte.

Es ist manches Jahr her, Diether, da lagen in Welschland deutsche Kriegsvölker vor der Stadt Bologna. Aber sie konnten sie nicht gewinnen, ob sie gleich die Stadt berannten und mit Einschließung lange und hart 121 ängstigten. Da mehrte sich die Erbitterung täglich auf beiden Seiten, und wer weiß, wieviel Jammers und Elends da noch zugefügt und erlitten wäre, wenn göttlicher Wille es nicht gnädig abgewendet hätte. Denn die deutschen Herren, so das Heer führten, hielten es endlich aus trefflichen Ursachen für wohlgerathener, die entstandene Fehde gütlich zu vertragen. Und so ward denn den Städtern entboten, daß sie, was Leute hohen Ansehens und klugen Raths wären, aus den Ihren verordneten, damit man sich miteinander der Sachen annähme, wie sie beizulegen.

Unter den deutschen Rittern, die da den Herren, wenn sie zur Berathung zusammenkamen draußen im Lager oder drinnen in der Stadt, zu Schutz und Beistand zugesellt wurden, war Einer, den Jedermann solcher Ehre vor Andern für würdig auserkannte. Bruno war sein Name, er hatte in allen Dingen, die dem Manne wohl stehen, den ersten Preis. Er war edler Gestalt und reichen Gutes; sein Wuchs war hoch und sein Ansehen stattlich und gebietend; sein Arm eben so tapfer zu streiten, wie sein Geist hell und auch, wo es schwierige Entscheidung galt, das Richtige zu treffen, geschwind. Dazu hatte er die sonderliche Gabe, die Gemüther der Menschen, welche er wollte, für sich zu gewinnen und die Vorzüge, die ihn zierten, so zu brauchen, daß sie in Andern nur Bewunderung schufen und Freude ihrer mitzugenießen, und Willigkeit ihm zu dienen. Darum war’s kein Wunder, daß Bruno sich der Macht bewußt war, die er über die Menschen hatte, noch, daß er ihrer brauchte. Sein hochfliegender Geist war es nicht anders gewohnt, als daß seines Gleichen sich ihm unterordnete. In so hohen Ehren und von 122 jedem Glück, dessen er begehrte, umgeben, war Bruno bis an den Mittag seines Lebens gekommen. Aber gewohnt, Alles, wonach ihm sein Trachten stund, wie spielend und nur zur Übung seiner überlegenen Kraft zu erreichen, glänzte sein Angesicht noch im ungedämpften Feuer der ersten Jugend.

Doch, Diether, all’ diese hohen Vorzüge waren ihm verliehen, nur um in seinem Herzen die schlimmsten Kräfte groß zu ziehen, ihm selber unbewußt, ihm zur Unseligkeit und Andern. In so langen Jahren des Gelingens seiner Pläne und der aus seinem Thun wachsenden Ehre war er sicher geworden, daß recht wäre, was ihm gut däuchte, und während er Andere berieth und leitete, wachte er nicht über seine eigenen Wünsche.

Die Zeit kam, ihn auf die Probe zu stellen, Diether! und Du wirst sehen: er bestund die Probe nicht.

Unter den Edlen Bologna’s war Einer auserlesen vor Allen. Wie die Sonne am Frühlingstage heraustritt aus den Thoren des Morgenroths, ihren Lauf zu beginnen mit Freuden, so schritt Guido, noch prangend im Thau der ersten Jugend, die Bahn der Ehre und des ruhmvollen Thuns hinan. Ihn konnte Niemand sehen, ohne ihn zu lieben. Und nur wenige Male hatten Bruno und Guido bei den Berathungen, die zum Frieden helfen sollten, sich gegenübergestanden, als der deutsche Mann mit sonderlichem Wohlgefallen sich hingezogen fühlte zum welschen Jüngling. Der aber war ihm bald mit der vollen Hingabe seines jugendlich entflammten Herzens zugethan, und wiewohl die Beiden in dem, worüber sie zu rathschlagen hatten, sich nur als Feinde betrachten durften, so sah Bruno doch, wie 123 der Jüngling mit zunehmendem Eifer sich jegliche Gelegenheit zu freundschaftlicher Zwiesprach erlas und wie er zu ihm aufsah, als dem Manne erfahrener Ehre und erwiesen in jeder edlen ritterlichen Tugend. Solches sah Bruno mit Freuden, und was er vermochte, des Jünglings Herz an sich zu fesseln und sein Vertrauen zu gewinnen, davon unterließ er nichts, denn er liebte ihn. Schöneren Bund sah man wohl selten, als da diese Freundschaft erblühte zwischen den Beiden, gleichwie eine Blume sich aufthut, lieblich im rauhen Nordsturm, und wenn, nachdem man Raths gepflogen, Guido an Bruno’s Seite durch Bologna’s Straßen schritt, ihn zu geleiten, so blieben wohl die Leute stehen, die vorübergiengen, und sahen mit Bewunderung den Beiden nach.

Nicht lange, so erbat sich Guido vom Rath die Gunst, Bruno in sein Haus zu führen, und weil er Bürgschaft leistete und die Hoffnung auf nahen Vergleich und Frieden sich mehrte, so ward ihm solches verwilligt. Er wohnte im weiten Palast allein mit seiner Schwester. Seinem Schutz hatten die Eltern, die beide unlange an der Pest gestorben waren, Joconda übergeben. Treuerer brüderlicher Hut ward nie eine Schwester anvertraut, als die Liebe war, mit welcher Guido über Joconda wachte, und wie zwei nachbarliche Pflanzen einem Licht entgegenwachsen, gepflegt von einer Hand und genährt von einer Quelle, so waren diese Geschwister. Oft schon hatte Guido zu Bruno von seiner Schwester gesprochen, und wenn er ihrer gedachte, leuchtete sein Auge von brüderlichem Stolz. Ja, Alles was von süßer Zärtlichkeit und Weichheit in der Seele des Jünglings wohnte, ward mit einem Namen gerufen, mit dem Namen: Joconda. Von ihr 124 hatte er Bruno auch gesagt, daß sie aus Verabredung beider Väter mit einem Jünglinge zu Pisa verlobt wäre, und daß, wenn ruhige Zeiten wiederkehrten, auf die Hochzeit gedacht werden sollte.

Vornehmlich also, daß Bruno seine Schwester sehen möchte und sie ihn, den Freund, den er sich gewonnen, führte Guido diesen in seines Vaters Haus. O, wäre es doch nimmer geschehen, Diether! Oder wäre einer von den Blitzen, die an jenem Abend bei Bruno’s Rückkehr aus der Stadt vom Himmel flammten, auf ihn herniedergezuckt! Freundlich war zwar das Grüßen, das zwischen dem Freunde des Bruders und der Schwester geschah, aber unsäglich Weh und großen Jammer hatte es hinter sich. Und hätte Guido bei jenem ersten Gruß das sanfte Erröthen im Angesicht seiner Schwester und in Bruno’s das frohe Erstaunen über ihre große Schönheit besser verstanden, fürwahr, er hätte sich nicht, wie er that, des Anblicks im brüderlichen Stolz gefreut, sondern ganz andere, schreckliche Weissagung darin erkannt.

Von Stund an war Bruno’s Sinn von heftiger Liebe zu Joconda erfüllt und allein darauf gerichtet, ihre Liebe sich zu gewinnen. Klugheit, Ehre und Treue riefen ihm zu, abzulassen und nicht zu begehren, was Gott ihm versagte. Denn heilig war Guido die Pflicht, dem Verlobten die Schwester zu erhalten. Aber ein Sturzbach wäre mit einem Strohhalm eher aufzuhalten gewesen, als Bruno’s Gemüth mit allen Einreden der Pflicht und des Gewissens vom Trachten nach dem, wovon es jetzt einzig entflammt war. Nun erst däuchte er sich ein Ziel gefunden zu haben, werth, all’ seine Kräfte daran zu setzen, und wie er sich der Gewalt 125 der Leidenschaft, die ihn beseelte, ganz überließ, so zeigte auch Liebe, die Zauberin, Alles, was er in ihrem Dienste that oder dachte, in einem hellen, reizenden Lichte, aber die dunklen Abgründe seines Herzens, aus denen sein Trachten hervorgieng, ließ sie ihn nicht sehen; ja jeglich Hinderniß und jegliche Gefahr, welche auf dieser seiner Bahn ihn bedrohte, steigerte nur mehr seinen verwegenen Muth.

Ohne Arg trat Joconda dem Freunde ihres Bruders gegenüber und voll heiteren Vertrauens. Aus Wahrheit ihres Herzens stimmte sie in Guido’s Lob, wenn er Bruno’s Tugend lobte, und wie sie immer sorgloser seinem Worte lauschte und seines Kommens immer gewohnter ward, so ward sie von der süßen Macht der Liebe bezwungen wie unvermerkt, und da sie das Geheimniß ihres Herzens von dem Einzigen errathen sah und solches aus Scheu ihrem Bruder verschwieg, da hub sich allererst auch ihre Mitschuld an. Und von Stund an ward sie glücklich, als schwebt’ ihr Herz in Wonne, durch Bruno’s Liebe, die dem Fluge des Adlers glich, über alle Höhen sich schwingend – und elend zugleich. Die Heimlichkeit ihres Bundes und seine beständige Gefahr trieben ihr geängstet Herz nur um so mehr, sich Bruno zu vertrauen und seiner Führung, dessen Zuversicht und Kühnheit nur zu wachsen schien wie eines seines Auges und seiner Hand sicheren Steuermanns, wenn er das Schiff durch tosende Brandung lenkt.

Bald kamen sie heimlich zusammen zu süßer Zwiesprach. Wohl wußte Bruno, daß er damit wider Ehre und Treue den Freund betrog, aber er achtete es nicht und fuhr fort, den Arglosen zu täuschen.

126 Und wenn er wußte, sie harrte seiner, so galt ihm Nichts die Bedrohung der feindlichen Wächter an den Thoren und ihr Geschoß, sondern vermummt in der Dämmerung schlich er hindurch bis unter die Hallen der Paläste und harrte seiner lieben Trauten.

Da hörte ihr Ohr manch süßes Wort, wenn er kam, und manch heißen Schwur, wenn er von ihr schied, und die Todesgefahr, in der er schwebte um ihretwillen und die er verlachte, drängte ihr Herz immer näher an seines.

O! wohl mag der Jüngling sich hüten, wenn starke Leidenschaft ihn beseelt, daß ihr Wirbel sein leicht erregtes Herz nicht überwältigt und sein Lebensschifflein rettungslos in die Brandung reißt. Doch wehe dem gereiften Manne, wenn die Liebe seines Herzens ihn von Pflicht und Ehre scheiden! Er muß seinen Wünschen ganz entsagen oder er fällt der finstern Macht anheim, die alle seine Tugenden verzehrt und alle seine Kräfte in ihren Dienst nimmt, um ihn und durch ihn zu verderben.

So, Diether, ward Bruno’s Liebe verderblich für Joconda, für Guido, für ihn selbst!

Schuldvoll war diese Liebe schon mit ihrer ersten zarten Regung und fluchvoll mußte sie endigen. Ihr stand kein Engel göttlichen Heiles und göttlichen Schutzes zur Seite.

Die Fehde ward vertragen, der Friede geschlossen.

Just am Tage der Fastnacht ward er feierlich verkündigt. Die Thore der Stadt wurden aufgethan und unter dem Geläute der Glocken erscholl der Ruf der Freude von Deutschen und Welschen wie aus einem Munde. Da überließ sich Jeglicher mit ganzem Herzen 127 dem frohen Gefühle der wieder erlangten Sicherheit, und die, so sich bis dahin so hart befehdet hatten, zogen in munterem Gedränge verbrüdert durch die Straßen der befreiten Stadt, und weil man so lange in Furcht gelebt und der Freude entbehrt hatte, so war auf diesen Tag die Stadt zu ausgelassener Lustbarkeit gerüstet. Da man Gott gedienet hatte und das Tedeum in der Kirche St. Petronii verklungen war, wurde auf dem Rathhause von den Herren Bologna’s den edelsten unter den Rittern eine stattliche Bewirthung gethan, indeß das Volk außen auf Straßen und Plätzen seine Kurzweil hatte. Zum Abend sollte die Stadt, wie es in Welschland Brauch ist an Freudentagen, mit Fackeln und bunten Lichtern erleuchtet und zu Ehren der Fastnacht Schimpfspiel und Mummenschanz gehalten werden. Daß nicht etwan von den Städtern den Deutschen, welche hineinkamen, ein Übel geschähe, hatte der Rath jegliche Störung des Friedens mit Todesstrafe bedroht; so war auch den Deutschen verboten, die in der Stadt weilen wollten, an dem Tage Waffen oder Wehre zu tragen.

So war da auf Aller Angesicht Freude und Jubel. Vor Andern erschienen Bruno und Guido hochbeglückt, da sie sich trafen an der Kirchthür, als man die heilige Messe gelesen. Droben im Festsaal saßen sie bei einander und wie stolz schien Guido, allen den Herren es zeigen zu können, welchen Freund er sich gewonnen habe! Und wahrlich! Bruno ward da als ein Muster ritterlicher Tugend und höfischer Sitte auserkannt. So edel war sein Wesen, so zierlich und klug seine Rede, daß Jedermann im Saal auf ihn achtete.

»Treue und Freundschaft auf ewig!« rief ihm 128 Guido zu, als man wieder die Becher gefüllt hatte und ergriff seine Hand.

»So sei es!« that ihm der Angeredete Bescheid und schlug ein: »Treue und Freundschaft auf ewig!«

Und indem sie sich mit den Augen zuwinkten, setzten sie die Becher an die Lippen.

»Halt!« rief da Guido, dessen Herz vor Freude überwallte. »Harre noch, Bruder, ehe Du trinkest den Trunk der Treue; es gilt noch ein Wort: »Joconda!«

Und Bruno hörte dieses Wort, Diether, und er las seine Bedeutung in der Seele des Jünglings, der es aussprach, aber er zögerte nicht und rief den Namen auch und trank den Becher bis zur Neige.

Ward ihm denn die Frucht des Weinstocks nicht zum Feuer in seinen Gebeinen, da er diesen Becher dem Bruder zutrank, den er an diesem Tage so treulos zu betrügen entschlossen war? Erstarb ihm nicht jener holde Name auf den Lippen, den er in einem Athem mit dem Bruder auszusprechen wagte, obwohl er wußte, daß er damit schändlich log?

Aber Bruno’s Angesicht blieb heiter wie zuvor und kein Laut seines Mundes verrieth das Vorhaben, von dem sein Herz jetzt einzig erfüllt war.

Als die Bewirthung zu Ende war, und man das Rathhaus verließ, gab er vor, wegen nöthiger Geschäfte hinaus in’s Lager zu müssen, und mit trüglichem Wort ward er eins mit Guido, daß er ihn dort an bestimmter Stelle aufsuchen möchte gegen Abend, dann selbander in die Stadt zurückzukehren, das Fest zu beschauen und an der Lust des Volkes Theil zu nehmen. So trennten sich die Beiden.

129 Bruno hatte einen Waffengenossen, der ihm in Allem ergeben war.

Adelbert wußte um Bruno’s Liebe; er wußte auch, daß heute die Flucht geschehen sollte, und gerne war er bereit, dazu zu helfen. Die Stadt Bologna hat ein Thor, das ist vor andern klein, und Wenige ziehen hindurch. Die Straßen, die dahin führen, sind gar enge und einsam, so auch die Landstraße, wenn man das Thor hinter sich hat. Das däuchte ihnen am sichersten da hindurch zu entkommen. Weil an dem Tage auch unter den Rittern und Fußknechten einer auf den andern wenig Acht hatte, denn nach der langen Belagerung überließ sich Jedermann der ungewohnten Lust, und keiner mißgönnte sie ihm, so ward verabredet, daß Adelbert mit Rossen und einem Häuflein Knechten, wenn es würde völlig dunkel geworden sein, nach dem Thor S. Rocco aufbrechen und allda seiner harren sollte.

Zur selben Stunde barg der tiefste Schatten eines Pfeilers der Kirche des heiligen Petronius Bruno’s vermummte Gestalt. Er hatte sich angethan, als einer, der an der Lustbarkeit theilnehmen wollte, und auch sein Angesicht war verlarvt. Er drückte sich hart an’s Gemäuer und regte sich nicht. Mit Eifer forschte sein Auge durch das Dunkel, und so Schritte sich nahten, schlug sein Herz stärker, indeß sein Ohr ohne Aufhören auf das Getön der Orgel und die Stimme des Priesters drinnen in der Kirche lauschte, wo man die Vesper sang. Aber seine Seele war da fern vom Verlangen nach Gott. Sie war nur bei der, die er jetzt drinnen im Gotteshause wußte und mit der er eins geworden war, heut zu entfliehen. Hier von dieser Stelle aus sollte es geschehen.

130 Der heilige Dienst war zu Ende. Hunderte giengen an dem Harrenden vorüber, ohne sein zu achten, aber als jetzt zögernd und mit kaum hörbaren Schritten eine verhüllte Gestalt sich nahte, so bewegte auch er sich wie mit freudigem Schreck ihr einen Schritt entgegen.

Als er leise ihren Namen nannte und sie mit heißer Inbrunst umschlang, fühlte er, wie sie zitterte, und da sie nach kurzem Geflüster jetzt hinaustraten und das Licht festlich erhellter Häuser ihr Angesicht traf, so fiel es ihm auf, wie bleich es war und wie schön. Der Stolz und das Glück, solch ein Weib sich gewonnen zu haben, stählte seinen Muth und sein Vertrauen zu sich; sein Gang war so sicher und sorglos, als suchte er keine andere Fröhlichkeit als die, welcher die Menge nachgieng, die an ihnen vorüber wogte. Manchen neckischen Zuruf mußte er hören, wie man dergleichen treibt zu solchen Zeiten; er erwiederte jeden Scherz mit Lachen und beschleunigte seine Schritte.

Schon hatten sie die Straßen, die am meisten belebt und am hellsten erleuchtet waren, hinter sich; durch die engen Gassen, die heute noch stiller waren denn sonst, kamen sie dem Roccothore näher. Bruno mäßigte Joconda zu lieb seine Eile, denn nachdem sie bis dahin unerkannt und unaufgehalten geblieben, war er keiner Hinderung ferner gewärtig.

Da, als sie in die letzte Gasse einlenkten, die zum Thore führte, that sich unweit von ihnen die Thür eines Hauses auf, und hervor kam lärmend eine Schaar Vermummter mit Fackeln und Windlichtern als solche, die auch noch zum Feste ziehen wollten. Der Ort, da die Flüchtigen an ihnen vorüber mußten, war gar enge und so geriethen die beiden in die helle Beleuchtung 131 ihrer Lichter. Alsbald ward Bruno von dem Kecksten unter ihnen angeredet.

»Eure Dame, Freund«, rief er, »wird’s Euch wenig danken, daß Ihr sie so früh hinwegführt vom Fest, das schönen Frauen so vieles zu schauen gibt.«

»Kehrt um und kommt mit uns!« riefen die Anderen da und umringten die Beiden, als wollten sie in ihre Mitte sie nehmen.

Da Bruno ihrer nicht achtete und ohne sich aufzuhalten weiter schritt, so ward dadurch der Übermuth der trunkenen Gesellen nur noch mehr erregt.

»Das macht: er ist eifersüchtig, Nicolo!« sagte wieder einer, »und mißgönnt Bologna den Anblick seiner Schönen.«

»Er hat wohl Grund dazu«, erwiederte der Angeredete, »wenn das Angesicht der Dame hält, was ihre reizende Gestalt verspricht.«

»O, hebt den Schleier!« riefen sie, und hatten das Ansehen, als wollten sie Joconda näher treten.

Wie die Erschreckte sich dichter an ihren Begleiter anschmiegte, so stieß der mit gewaltiger Faust den, der sich zumeist herangedrängt hatte, zu Boden, und ein deutscher Fluch entfuhr seinen Lippen, indem er durch die nun wieder geöffnete Bahn weiter schritt. Einen Augenblick waren die Zudringlichen zurückgewichen, aber die Überzahl und das Gelage, von dem sie kamen, machte sie kühn, und mit dem Ruf: »Wie! die deutsche Bestie will uns schlagen und wider ergangenes Gesetz beleidigen?« drängten sie sich auf’s neue heran und vertraten den Weg.

Da reckte sich Bruno in die Höhe und drohend rief er, daß es laut erscholl: »Ha, ihr welschen Hunde, 132 wem sein Leben lieb ist, der lasse uns hindurch!« Und es würde ihn wohl keiner aufgehalten haben, wenn er allein gewesen wäre, aber, wie er die Zitternde an seinem Arme fühlte, so stund er unschlüssig, ob er jetzt das Äußerste thun sollte seinen Gegnern gegenüber, die fortfuhren, durch Toben und Schreien sich Muth zu machen. Inzwischen war vom entstandenen Gelärme die Straße an beiden Seiten in Aufruhr gebracht. Lichter erschienen, Fenster und Thüren wurden aufgethan und eine Menge Neugieriger strömte herbei.

Da sah Bruno den Augenblick höchster Noth gekommen; während rings um ihn das Wuthgeschrei wider den Deutschen die Luft erfüllte, umfaßte er fest Joconda, entschlossen, sich mit Gewalt hindurchzuschlagen. Aber das wäre sonder Zweifel Beider Verderben gewesen, wenn nicht da vom Thor aus Rettung gekommen wäre. Denn da dort Adelbert und seine Leute, die mit Eifer nach dem Wege suchten, von dem Bruno zu ihnen stoßen sollte, nun hörten, wie sich von da Geschrei erhub und vernahmen den Ruf wider den Deutschen, so drangen sie eilend in die Stadt hinein. Sie sprengten unter das Gedränge, und unter ihren Hieben rechts und links stoben die Welschen auseinander. Die nun Bruno bedrängten, wie sie das neue Getümmel hinter sich hörten und die streitbaren Stimmen der Deutschen, wandten sie sich, die Meisten, um zu entfliehen, Etliche, um sich zur Wehre zu setzen. Da gewannen die beiden Flüchtigen, auf die nun Keiner mehr Acht hatte, Raum, und froh der ihnen ungedacht gewordenen Hülfe eilte Bruno dem Thore zu.

Wohl wankten Joconda’s Schritte an seiner Seite, aber er wies sie hin auf die Nähe ihres Zieles, und 133 die Hoffnung belebte ihre sinkende Kraft. Nun traten sie unter den Bogen des Thores. Aus dem dichten Dunkel, das da herrschte, sah Bruno’s scharfes Auge, wie von draußen eine Gestalt ihnen entgegenschritt. Als sie zum Thore hinaus traten, gieng diese Gestalt hart an ihnen vorüber in das Dunkel des Thores, das die Beiden eben hinter sich ließen.

Eilig waren die Schritte der sich Begegnenden, und der Abendhimmel, wenn auch vom Mondenlicht erhellt, war regentrüb; so konnte Bruno das Angesicht des an ihm Vorübergehenden nur einen Augenblick sehen. Er hatte nicht Acht darauf, denn sein Gemüth war auf Anderes gerichtet, und doch war es ihm, als hätte er in diese Augen schon geblickt. Verstummte da nicht plötzlich der Hall der im Thorbogen dröhnenden Schritte hinter ihm? Als er zurücksah im Weiterschreiten, stund, so schien es ihm, im Thor noch immer die Gestalt, als sähe sie ihm nach.

Etwa hundert Schritt vom Thor am Wege war eine vorlängst verfallene Kapelle. Allda sollte Adelbert mit den Rossen und Knechten halten.

Als Bruno dort Niemand fand, denn sie waren Alle, da der Streit sich in der Stadt erhoben, von da gewichen, so rief er laut das Wort, bei dem sie unter einander übereingekommen waren sich zu erkennen, wie man pflegt, wenn man zu Felde liegt. Alsbald erscholl die Antwort näher vom Thor her und Bruno gedachte da die Rosse zu finden. Er wandte sich also zurück und ließ indeß Joconda an der Kapelle. Da er unweit dem Thore war und auch schon den Tritt der Rosse hörte, die herzu gebracht wurden, sah er wieder dieselbe Gestalt von vorhin im Schatten des Thores 134 und noch an derselben Stelle und wieder war’s, als suchte sie nach ihm. Da zerriß eine Wolke und das Mondenlicht ergoß sich hell. Wie es mit voller Klarheit Bruno beleuchtete, der hier außen vor der Stadt die Larve von seinem Angesicht gethan hatte, drang an sein Ohr aus dem Dunkel des Thores ein Aufschrei, den er nimmer vergessen hat; es war ein Schrei des heftigsten Zornes und auch der unsäglichsten Trauer. Und mit diesem Aufschrei löste sich die Gestalt aus der Finsterniß der Beschattung, darin sie bis jetzt geharrt, und stürzte ungestüm auf Bruno zu, der eilend sich den Rossen näherte, welche jetzt ihm zugeführt wurden. Er wandte sich und sah in des Anstürmenden Angesicht. Nicht länger als bis man eins zählt, sah er hinein. Aber er ward von einem Blick getroffen, der so gethan war, daß vor ihm ein Teufel aus der untersten Hölle hätte zur Umkehr oder der hehrste der heiligen Engel zu Fall und Verstockung gebracht werden können. »Bruno!« hörte er sich rufen. Aber er sagte nichts und packte mit mächtigem Griff den sich zwischen ihn und die Rosse Drängenden. Da hub sich ein Arm gegen ihn und ein Dolch blitzte im Mondlicht. Doch im Nu hatte Bruno den Stahl der Hand entwunden, die ihn führte, und stieß ihn tief in seines Gegners Brust. »Schwester!« rief der mit versagender Stimme und brach lautlos zusammen.

Starr stund Bruno, in der Hand die Waffe, mit welcher der tödtliche Streich geschehen war.

Die Mahnung der Knechte, sich zu eilen, und ihr Ruf, daß das Fräulein käme, brachte ihn zu sich.

Geschwind verhüllte Bruno des Erschlagenen Angesicht, und als Joconda neben ihm stund und zitternd 135 auf die klaffende Wunde deutete, da sagte er. »Es galt mein Leben und das Gelingen unserer Flucht, Joconda, oder seines. – Hinweg, hinweg!«

Doch auch seine Stimme bebte und war tonlos, und er fühlte eine eisige Kälte in seinem Gebein.

»Hinweg, hinweg!« riefen da wieder die Knechte und vom Thor her hörte man Getümmel.

Noch wenige Augenblicke, und die hurtigen Rosse trugen die Fliehenden auf verschlungenen Wegen durch die Nacht. Bald hatten sie die Stadt weit hinter sich. Aber Bruno war’s noch immer, als schlüge das Brausen der empörten Volksmenge laut und lauter an sein Ohr und würden die Sturmglocken gezogen und ihre ehernen Stimmen riefen vernehmlicher und immer vernehmlicher: »Mord, Mord!«

Es ist nicht noth, Diether, Dir von den Tagen zu berichten, die nun folgten, welcherlei sie gewesen sind für die Beiden: Tage der Flucht, Gefahr und Noth.

Bologna’s Rath und Volk forderte Rache für den Friedensbruch und die Blutthat. Bruno’s Leben ward in ihre Hand gegeben, er ward all’ seiner Güter beraubt und schlagen durft’ ihn, wer ihn fände. Mit großem Verlangen trachtete er darum aus Welschland hinweg und auch weil er keine Ruhe fand unter dem Himmel dort und die welsche Zunge Pein schuf seinen Ohren; wenn er nur erst wieder deutsche Tannen ersähe und deutschen Laut vernähme, wähnte er, würde sein Gemüth sich entledigter fühlen und frei. Unter großen Mühseligkeiten ward die Flucht gethan. Aber endlich kamen sie an in deutschem Lande und fanden Rast und Bergung auf der Burg Adelberts. Allda gedachte Bruno zu harren, ob etwa der Sache Rath 136 würde und seine Freunde für ihn Gnade erwirkten beim Kaiser. Aber als der Sommer herum war, gelangte Zeitung an ihn, daß das Urtheil wider ihn bestätiget und all’ sein Lehn vom kaiserlichen Vogt eingenommen wäre. Da zeigte es sich, was die treue Liebe eines Weibes vermag. Joconda schien nur das Ungemach zu fühlen, was Bruno bereitet war; ja sie theilte seine Sorgen, als trüge sie den größeren Theil der Schuld daran, und über das eigene Elend ließ sie nie eine Klage laut werden. Da ward seine Seele durch solche Geduld mächtig ermuthigt und durch ihre Zuversicht, darin sie nicht wankte, daß bessere Tage nahe wären. Aber so oft sie ihre Rede zu ihrem Bruder hinkehrte, was wohl täglich geschah, und dabei gedachte, wie gewißlich sie hoffte, er würde ihr noch verzeihen; und wenn sie dann fragte, ob von ihm noch keine Kunde gekommen: dann trat vor Bruno’s Seele jedesmal das blutige Bild des Erschlagenen und jenes Wort ward wieder laut in seinem Herzen, das die Sturmglocken Bologna’s ihm nachgerufen hatten in der Nacht, da die Flucht geschah. – Dann wandte er sich und sein Blick ward finster und immer finsterer, je beweglicher sein Weib ihm Trost zusprach; denn sie wähnte, das sehnende Verlangen der Freundschaft nach Guido und ihr heimliches Entfliehen beschwerte ihm den Muth also. Bruno aber, wie oft er’s auch beschlossen hatte, und wie gewiß er erkannte, daß es einmal geschehen müßte, gewann das Herz nicht, ihr zu sagen von Guido’s Tod.

So kam der Herbst heran, und wie den Beiden der gute Bote noch immer verzog, so wollte Joconda nicht länger leiden, daß Bruno ferner in träger Ruhe 137 seine Tage versäße und allein fremder Hülfe harrete. Wenn er selber sein Vermögen brauchte, so würd’ es nicht vergeblich sein; oder warum sollte für ihn kein Mitleid vorhanden sein, der bis dahin so werth gehalten worden und dessen Ritterdienste dem Kaiser selber nicht unbekannt geblieben. Und weil zu der Zeit ihnen Kunde geworden war, daß die Majestät zu Costnitz Hof hielt, so lag Joconda ihrem Gemahl mit vielen Bitten an, dahin zu ziehen, als Bittender seine Sache zu betreiben, Sühne zu bieten und Gnade zu suchen. Es war schier ihm eine Bußfahrt, die da ihm zu thun vorhanden war, und schwer ward es ihm, den stolzgewohnten Sinn dahin zu kehren. Denn er mußte ohne Geleit ziehen und verhohlen, daß es nicht schiene, als gedächte er sich wider das Urtheil mit Gewalt zu setzen, das ihm gesprochen war. Sein Weib wollte nicht von ihm weichen in keiner Fährniß und Noth und zog mit ihm. Das geschah ihr zum Leide. Denn da sie auf dem Wege waren, kam ihre Stunde. In großen Schmerzen gelangte sie, von Bruno geführt, in eine Höhle, die sie da erspähten, denn sie wanderten im Waldgebirg. Allda genas sie eines Sohnes. Als Bruno mit Weh und Wonne das feine Knäblein in seinen Armen hielt, da hatte es ein Mal, gestaltet wie eine blutende Wunde. Er erschrack des Anblickes, doch sagt’ er nichts.

Wie groß nun die Noth in jener Höhle war, läßt sich leicht ermessen, und Bruno, da er sah, daß er ihm und den Seinen anstatt Honigs lauter Gallen erlesen hatte, hub an, seinem Leben feind zu werden. Der Fürst der Höllenschlünde sandte ihm einen bösen Geist des Unmuths und der Ungeduld.

138 Da ward auch Joconda ihm nicht mehr zum lichten Engel, das Banner der Hoffnung, des Heils und der Ehre ihm fürzutragen. Selber im Elend zu sein und im Ungemach auszuharren ohne Murren, hatte sie ihr hoher Sinn gelehrt und ihre starke Herzensliebe; aber da sie das Kind, das sie gewonnen, in gleiches Weh verschlungen sah, verzagte sie, und gegen die mütterlichen Sorgen aufrecht zu bleiben, gebrach ihr die Kraft. Da hört Bruno sie oft, über ihr Kind gebeugt, weinen und desselben jammerhaftes Loos beklagen. Dann trat er nicht hinzu, ihr Trost zu sagen mit liebem Wort, sondern er wandte sich hinweg mürrisch, daß sie vor ihm ihren Jammer ausließe, der wohl gleich sehr zu klagen hätte oder mehr. Und einst in solcher Stunde, da sie ihres Bruders gedachte, und wie er ihrer Noth sich gewißlich erbarmen würde, da murmelte er, die Hoffnung auf Guido wäre verloren.

Joconda sah ihn fragend an.

»Der Todte, dessen Anblick vor Bologna’s Thor Dich erschreckte« – hub er an, und finster waren seine Brauen zusammengezogen, da er redete.

»War mein Bruder?« schrie sie auf.

Bruno nickte und sah zur Erde.

»Und Deine Hand war’s, die ihn schlug?« keuchte sie schwer athmend und richtete sich hoch empor.

»Die Liebe zu Dir bezwang mich also, daß ich’s that,« sagt’ er, düster blickend wie vorhin.

»So Fluch Deiner Liebe!« hört’ er sie rufen, und schrecklich klang ihre Stimme. – »Fluch Deiner Liebe, Fluch jeder Augenweide, damit ich geschmückt war, sie zu wecken, und Fluch jeglichem Wort und Lächeln, dadurch das höllische Band sich knüpfte!«

139 »Halt ein, Joconda!« rief Bruno entsetzt. »Du fluchst Dir und unserem Kinde dort.«

Da war sie mit einem Sprunge hin zum schlafenden Knaben, riß ihn vom Lager und umschlang ihn fest mit ihren Armen. So stund sie drohend, der Löwin gleich, die ihr Junges vertheidigt. »Nimmer soll dies Kind, das Deine Blutthat mit dem Kainsmal des Brudermordes gezeichnet hat, Dich mit dem süßen Vatersnamen rufen lernen, den Du mit Trug und Mord Dir erschlichen; und zuvor müssest Du mich erschlagen wie meinen Bruder, ehe Deine Mörderhände je wieder den Knaben berühren oder mich.«

Er wagte nicht, sich ihr zu nähern, noch Antwort zu geben auf ihre wilden Worte; ihre Blicke schienen ihm wie Blitze, daß er nicht zu ihr aufzusehen vermochte. Aber flehend streckte er seine Arme aus nach ihr.

Da stürzte sie, als litte ein Grauen sie nicht mehr nahe bei ihm, ehe er’s hindern konnte, an ihm vorbei hinaus in die Wildniß.

Als er mit Schrecken ihr nacheilte und sie mit Namen rief, wandte sie sich und rief: »Wag’s, mir zu folgen, so wird der Abgrund hier zu meinen Füßen mich und das Kind zerschellen.«

Und er zweifelte nicht, wie er sie sah, daß sie thun würde nach ihren Worten. – Als ob eine neue Kraft ihr verliehen wäre, klomm sie behende, dem gescheuchten Wilde gleich, den Bergeshang hinan, und droben auf vorspringendem Felsgestein sah sie noch einmal hernieder, bog ihr Haupt, das wirr das schwarze Haar, vom Winde aufgelöst, umwehte, zurück und reckte ihren Arm abwehrend gegen den Genossen 140 ihrer Schuld. Dann hub sie das Kind, das sie trug, hoch gegen den Himmel und war verschwunden. –

Bruno hat Tage und Nächte nach ihr gesucht, gerufen, geweint; aber nur die Felsenwände hallten ihren Namen zurück. Er hat sie nie wieder gesehen, noch erfahren, ob die Beiden in der Einöde des Gebirgs verschmachtet oder den wilden Thieren des Waldes zum Raub geworden sind, oder ob die Mutter sich und ihrem Kinde eine Ruhstatt gefunden hat. Da hat auch Bruno seinen Namen erlöschen lassen im Gedächtniß der Menschen und für sein Theil erkannt, sich ganz zu Gott zu gesinden und sein Herz zur Buße zu kehren, daß er der Hölle im Tode entfliehen möchte.

Die Höhle aber nieden St. Wigbert’s Kirchlein mit der Klause, darin jetzt ich hause, Diether, die ist’s, darin sich zutrug, was ich Dir erzählte, und hier auf dem Gestein, da wir sitzen, sah Bruno sein Weib zum letzten Mal mit der Gebärde des Grauens vor ihm und des Flehens um Erbarmen zu Gott für ihr Kind. Und der Ring, den Du fandest, ist Joconda’s; sie hat ihn hier von sich gethan, das Siegel und Zeichen ihrer schuldvollen Gemeinschaft. –

Und nun weißt Du, Diether, warum ich Dich bat, der armen Seele vor Gott zu gedenken, von der Du sagtest, da Du den Reif erblicktest und das Thierlein daneben.«

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