In der Gruppe des Bucegi2ragen wie zwei Riesenzähne dicht neben einander die beiden Jipi empor und starren sich3trotzig an. Zwischen ihnen stürzt in stäubendem Wasserfall die Urlatoare,4„die Heulende,“ zu Thal und tobt, bahnbrechend, zur Prahova5hinab. Man sagt, die Jipi seien6vor7uralten Zeiten Zwillingsbrüder gewesen, die sich8so lieb gehabt, daß keiner9ohne den andern bleiben konnte, daß keiner einen Bissen Brot annahm, den er nicht mit dem andern teilte, daß, wenn man den einen etwas fragte, der andere Antwort gab. Wenn der eine sich weh gethan, weinte der andere und ließ10sich gar nicht trösten. Sie waren beide so schön wie Morgen und Abend, so schlank wie Lanzen, so rasch wie Pfeile und so stark wie junge Bären. Ihre Mutter betrachtete sie mit Stolz und Freude und streichelte ihre Lockenköpfe, indem sie sprach: „Andrei11und Mirea, meine schönen Söhne, möget12Ihr so berühmt werden, daß die Steine Von Euch reden!“ —
Sie waren von edlem Geschlecht und hatten eine Burg auf hohem13Felsenkegel, auf dem sie thronten, als gehörte14 ihnen die ganze Welt, und oft sagten sie scherzend, sie könnten1zusammen nur eine Frau heiraten, da sie gewiß nicht zwei gleichgeartete Frauen finden würden. Am besten2sei es, sie heirateten3gar nicht. Davon wollte aber die Mutter nichts hören, denn sie wollte4ihrer Söhne5Kinder auf den Knieen wiegen und ihnen Schlummerlieder singen.
Sie sang ihnen oft des Abends6die alten Lieder,7während sie spann, und die beiden Jünglinge umgaben sie zärtlich, Andrei kniete ihr8zu Füßen, auf einem Kissen, Mirea lehnte mit9dem Arm auf der Mutter Stuhl und sog den Duft ihres Haares ein, das in dicken, braunen Flechten unter dem feinen, weißen Schleier10schimmerte. „Unsere Mutter ist noch eine ganz junge Frau!“ sagte Andrei.
„Ja,“ rief Mirea, „sie hat noch kein graues Härchen!“11
„Und keine Falte!“ ergänzte Andrei. „Wir finden keine Frau, die Deiner12wert ist!“ sprach Mirea und küßte den Schleier auf der Mutter Haupt. „Du stellst sie alle in den Schatten!“ lachte Andrei und küßte den kleinen Finger der Hand, die eben den wunderfeinsten Faden spann. „Mein Vater war ein glücklicher Mann!“ rief Mirea.
„Und wir sind glückliche Kinder!“ fügte Andrei hinzu. Die Mutter lächelte zu dieser lieblichen Wechselrede und erzählte ihnen Geschichten von der Großmutter und der rauhen Zeit, in der die13gelebt, von ihrem gestrengen Vater und noch gestrengerem Gemahl.
Die Mahlzeiten, welche die drei mit einander einnahmen, waren so heiter, als wäre das Haus voll Gesellschaft, wenn aber wirklich Gäste kamen, wurden sie stiller, wie es der Würde des Hauses ziemte. Sie waren treffliche Gastgeber und brachten manche Nacht auf dem Boden zu, um ihr gutes Lager den Fremden einzuräumen.
Allen Menschen wurde es1wohl in dem trauten Heim, in dem die Liebe wohnte.
Eines Tages waren die beiden Brüder auf der Jagd und streiften an den steilsten Felsen entlang, den Bären zu finden, der jüngst großes Unheil angerichtet. Endlich waren sie ihm2auf der Spur und lautes Brummen, sowie das Hinabrollen der Steine verkündete seine Nähe. In dem Augenblicke aber, als Mirea den Wurfspieß schleudern wollte,3flog aus einem nahen Gehölze ein andrer Speer dem Tiere4gerade in die Weiche, worauf glockenhelles5Gelächter erklang. Der Bär richtete sich auf und schritt auf den Hinterbeinen dem Gehölz zu,6mit wütendem Brummen. Andrei sah die Gefahr, in welcher der kühne Jäger sich befand, und während Mirea trotzig sagte: „Möge er die Jagd beendigen, die er angefangen!“ rief Andrei: „Hörtest Du nicht, es war ein Knabe!“ warf sich dem Bären,7der ihn überragte, in den Weg und bohrte ihm sein Messer bis an das Heft in die Schulter. Der Bär hieb in die Luft und stürzte dann tot zusammen. „O wie schade!“ rief die helle Stimme, und aus dem Gebüsch trat ein wunderschönes Mägdlein hervor, in kurzem Gewande, mit Sandalen und einer weißen Pelzmütze, unter welcher sich wild und üppig die braunen Locken hervorstahlen. Sie hatte grüne Augen mit goldenem1Kern und braune, kühn geschwungene Brauen. Von den Schultern hing ihr ein Mantel von schneeweißem, seidigem Ziegenhaar, in der Hand hielt sie ein ebensolches breites Messer wie Andrei, mit dem sie festen Fußes2den Bären erwartet hatte. „Wie schade!“ rief sie wieder, „nun habe ich ihn nicht erlegt!“ und Thränen traten ihr in die Augen. Andrei stand ganz beschämt und betrachtete den Bären, als hätte er ihn gern3wieder lebendig gemacht, dem schönen Mädchen zu liebe. Sie stieß das Tier mit der Fußspitze, ohne4zu wissen, was sie that, nur um ihren Unmut zu verbergen; da wandte sich der Bär noch einmal und hieb nach ihr. In demselben Augenblick ward5sie zurückgerissen und mit einem:6„Unverständiges Kind!“ scheltend von7Mirea auf die Füße gestellt. Verwundert sah sie in die Höhe, denn die Stimme war dieselbe wie die des jungen Mannes vor ihr, und nun gar das Gesicht zum Verwechseln ähnlich. Mit offnem Munde, wie ein kleines Kind, sah sie von einem Bruder zum andern, bis alle drei in ein stürmisches, nicht enden wollendes Gelächter ausbrachen. „Ihr seid ja8doppelt!“ rief das Mädchen, „wie zwei Haselnüsse in einer Schale!“
„Wir sind auch Haselnüsse aus derselben Schale,“ sagte Andrei, „wer bist Du denn, kleine Waldfee? Du bist doch nicht etwa eine verkappte Hexe, die uns verderben wird?“
„Wer weiß!“ sagte das Mädchen, „ich bin vielleicht eine Hexe, mein Großvater hat es schon oft gesagt, und ich bin1doch erst eine Woche bei ihm.“
„Wir möchten2Dich gleich3als schlimme4Hexe behandeln und Dich auf unsrer Burg gefangen setzen, da Du auf unserm Grund und Boden ohne Erlaubnis gejagt,“ sprach Mirea.
„Wir haben auch eine schlimme Mutter auf der Burg!“ sagte Andrei.
„So?“ rief das Mädchen, „die muß ich sehen, ich bin Eure Gefangene!“
Sie rief einen Jäger herbei, gab ihm einige Aufträge an5den Großvater, befahl ihm, sie mit den Pferden abzuholen und schritt lustig mit den Brüdern auf den schwindligsten Pfaden der Burg zu.6
Die Mutter der beiden jungen Leute, Frau Roxana,7sah zum Fenster hinaus und wunderte sich, was für einen jungen Hirten ihre Söhne mitbrächten.8Hinterher trug man den Bären auf Baumästen.
Als sie in die Nähe der Burg gelangten, rief Frau Roxana erschrocken: „Aber, mein Gott,9das ist ja10ein Mädchen! Wo haben sie denn das11gefunden?“ Einige Augenblicke später erschallten die jugendlichen Schritte und Stimmen im Hofe, dann in der Halle, dann im Saal.
„Mutter!“ rief Mirea, „hier bringen wir einen Gefangenen, einen Jäger, der uns die Jagd verdorben! Was soll seine Strafe sein?“
Frau Roxana betrachtete das junge Mädchen mit großer Bangigkeit; sie hätte1sie am liebsten wieder so schnell als möglich fortgeschickt; es war aber ein so bezaubernder Anblick, daß Frau Roxana gütig lächelte und die Hand reichte, die das junge Mädchen ehrerbietig küßte. „Ich denke die ärgste Strafe für sie wird2wohl sein, mit mir alten Frau einige Stunden zu spinnen!“
„O ganz und gar nicht; ich spinne so fein wie eine Fee; der Wurfspieß hat meine Hand nicht schwer gemacht. Und was das Alter betrifft, so befinde ich mich soeben in der einzigen Gesellschaft meines Großvaters, der den ganzen Tag im Sessel sitzt, und der immer einschläft, wenn ich ihm was erzählen will.“ Indem sie sprach, nahm sie ihren Mantel ab und wollte ihn niederlegen, Andrei aber kam ihr höflich zuvor. Frau Roxana nahm ihr selbst die Pelzmütze ab und strich ihr das krause, feuchte Haar aus der erhitzten Stirn. Sie war noch viel schöner so, wie von einer Löwenmähne umwogt, und Mutter und Söhne betrachteten sie wohlgefällig.
„Wie heißt Du denn, liebes Kind?“ fragte jetzt Frau Roxana.
„Ich heiße Urlanda;3welch häßlicher Name, nicht wahr! Rolanda4wollten sie mich nennen, aber weil ich so wild war und so viel Spektakel gemacht habe, wurde Urlanda daraus.“ Sie sagte das mit einer so komischen tiefen Stimme, daß alle lachten. „Mein Großvater wohnt auf der andern Seite der Berge;1ich bin heute weit gelaufen.“
„Nun, dann wird Dir die Mahlzeit munden, die unsrer2wartet.“
Sie traten in den Speisesaal, der mit den schönsten orientalischen Teppichen ausgehängt war, und in welchem prächtiges Silberzeug prangte.
Die beiden jungen Männer sprachen mäßig dem Weine zu, den sie mit Wasser mischten, die Frauen ließen sich an Wasser genügen. Anmutig floß das Gespräch dahin; man erzählte sich Bärenabenteuer,3immer eines merkwürdiger als das andere, und Rolanda ließ sich darin nicht überbieten; sie wußte immer noch unglaublicheres zu erzählen, und in so ernsthaftem Tone, als wenn sie einen Eid darauf schwören wollte.4
Viel Heiterkeit veranlaßte ihr fortwährendes Verwechseln der beiden Brüder, und als sich Andrei als ihren Lebensretter vorstellte, ward Mirea eifrig und meinte, er habe5sie vor einer letzen Umarmung des Bären bewahrt. „Gut,“ rief sie heiter, „daß ich Euch beiden mein Leben verdanke; sonst könnte6ich meinen Lebensretter niemals erkennen!“
Nach Tisch bat sie um Kunkel und Spindel; sie wollte zeigen, daß ihr Spinnen keine Bärengeschichte sei. Dies that sie mit einem schlauen Blick auf die Brüder. Und wirklich, der Faden, den sie auszog, glich dem7einer Spinne, so fein und gleichmäßig war er zur großen Bewunderung von Frau Roxana.
„Ich kann auch sehr schön sticken,“ sagte das junge Mädchen, „das hat mich meine Mutter gelehrt, die1stickte wie eine Fee und hat gemeint, sie würde meine Wildheit zähmen mit so schönen Arbeiten; aber ich war immer schneller fertig als sie dachte, und ehe sie sich dessen versah, war ich schon wieder draußen, im Gestüte oder auf der Jagd.“
Sie seufzte ein ganz klein wenig: „Jetzt ist das Gestüt verkauft und reiten kann man auch nicht in den elenden Bergen, man hat gar keinen Platz! Ach! da sind die Pferde!“ rief sie und sprang vom Stuhl. „Ich muß jetzt fort,2sonst komme ich nicht vor der Nacht heim, und der Großvater kann gewiß schelten, wenn er will; er hat so buschige Augenbrauen und so viele Falten drum3herum!“
Sie flog auf Roxana zu, küßte ihr die Hand, grüßte die beiden Brüder mit einem Schwenken ihrer Pudelmütze, die sie auf die Locken warf, war zum Saal hinaus4und wie ein Knabe im Sattel, wie ein Wirbelwind.
Die Brüder hatten aber auch ihre Pferde bestellt, den jungen Gast bis zur Grenze des Besitztums zu begleiten, und alle drei lachten und grüßten zu Frau Roxana hinauf, die mit ernsten Augen und lächelndem Munde hinabsah. Es5lag ihr die Sorge auf dem Herzen, sie wußte nicht weshalb und hätte gern die Söhne zu sich zurückgerufen.
Rolanda wollte bergauf und bergab galoppieren und war kaum daran6zu verhindern; erst als ihr Mitleid für die Pferde rege gemacht wurde, ließ sie nach und sagte seufzend: „Diese wandelnden Stühle nennt Ihr Pferde!“
Da1die Nacht hereinbrach, lud sie die Brüder ein, nun beim Großvater einzukehren. Der alte Herr saß am2Ofen und strich seinen schneeweißen Bart, der ihm weit über die Brust hinabreichte.
„Wo war denn der Wildfang wieder?“ sprach er gütig.
„In schrecklicher Gefangenschaft wegen Jagdfrevels, und hier sind meine Verfolger gleich mitgekommen, sie wollten sehen, ob ich die Wahrheit gesagt habe.“
Der Alte betrachtete wohlgefällig die beiden jungen Leute, die in ehrerbietiger Haltung vor ihm stehen blieben. Bald war die Abendmahlzeit gerichtet und verlief nicht minder heiter als das Mittagsmahl bei Frau Roxana.
In dem ersten Frühlicht ritten Andrei und Mirea wieder von dannen und waren nicht wenig überrascht, aus einem Fenster mit Blumen überschüttet zu werden. Wie3sie aber in die Höhe blickten, flog das Fenster zu und sie sahen niemand.
Dieser Tag war der Anfang von einer langen Reihe von Besuchen und Gegenbesuchen, von Jagden, Ritten und heimlichen Stunden, der Plauderei gewidmet.
Rolanda konnte auch ihre trüben Stunden haben, in denen sie noch viel anziehender wurde; dann sprach sie von den toten Eltern, und wie sie so ganz allein sei auf der Welt; der Großvater werde nicht lange mehr leben, und dann wisse sie nicht, wohin.4
„O welche Beleidigung!“ rief Andrei, „sind wir nicht Deine Brüder? Ist bei uns keine Heimat für Dich?“
„Hat die Mutter Dich nicht lieb?“ fügte Mirea hinzu.
Wieder zog Frau Roxanas Herz sich ängstlich zusammen, und doch hatte sie das wilde Kind unendlich lieb gewonnen.
Kurze Zeit nach diesem Gespräche erklang rasender Hufschlag den Berg hinauf, zum Hofe herein; es war Rolanda ohne Mütze mit flatternden Locken. Totenblaß stürzte sie zu Frau Roxana herein:
„Ich bitte Euch um Gotteswillen, behaltet mich bei Euch! Der Großvater ist tot, ich habe ihm die Augen zugedrückt, ich habe ihn gewaschen und angezogen und in den Sarg und ins Grab gelegt und habe mich nicht gefürchtet; aber da sind die Verwandten gekommen, eine ganze Schar und haben sich um das Erbe gestritten und gerauft und haben mich wütend gescholten, da er mir etwas vermacht, und einer mit einem kahlen Scheitel begehrte mich gleich zur1Frau! Hu! Da habe ich mich gefürchtet! So ein Kerl! Ich habe ihm aber gesagt, daß ich Urlanda heiße und so böse bin, daß mich gar niemand heiraten kann. Ich will auch gar keinen Mann, ich will bei Euch bleiben, so lange Ihr mich nicht hinausjagt!“
Frau Roxana hatte alle Mühe, die hervorsprudelnden Worte zu verstehen und hatte dann noch mehr zu thun, das aufgeregte Mädchen zu beruhigen. Sie zog sie an ihr Herz, glättete die wilden Locken und führte sie dann in die kleine weiße Kammer, die sie schon oft bewohnt, und sagte ihr, hier solle ihr Heim sein, so lange ein Dach über dem Hause sei.
Rolanda warf sich ihr in die Arme und küßte ihre Hände und versprach, so sanft zu werden, so sanft, wie ein großer, stiller See! Frau Roxana lächelte und meinte, die Sanftmut werde kommen, wenn sie einmal Frau1sei.
„Aber ich will keine Frau werden, ich will immer ein Mädchen bleiben und frei, frei, wie ein Vogel!“
Frau Roxana seufzte ganz leise und horchte auf die Stimmen ihrer Söhne, die eben heimkamen und zuerst nach Rolanda fragten, die sie hatten2von fern heranlaufen sehen.
Es3war eine merkwürdige Wandlung in dem Benehmen der Brüder, seit der Stunde, daß Rolanda bei ihnen war. Sie hatten sie als ihre kleine Schwester begrüßt, worauf das junge Mädchen plötzlich schüchtern und befangen ward. Sie gingen von nun an viel mehr hinaus, als früher, aber nicht mehr mit einander, sondern auf getrennten Wegen, und Rolanda blieb viel bei der Mutter, war zerstreut und träumerisch und weinte heimliche Thränen. Wenn sie sich unbemerkt glaubte, sah sie oft von einem Bruder zum andern und wieder zurück, als wollte sie etwas entdecken, das ihr dunkel geblieben. Noch jetzt verwechselte sie die beiden oft, dann lachte sie aber nicht, sondern blickte ängstlich zur Mutter hinüber. Frau Roxana sah mit Betrübnis, wie eine düstere Wolke über ihrem Hause sich zusammenzog, und weinte noch viel heimlicher als Rolanda, seitdem jeder ihrer Söhne einzeln ihr in der Dämmerstunde seine große, unendliche, unbezwingbare Liebe gebeichtet und hinzugefügt hatte:
„Glaubst Du, mein Bruder liebt sie auch? Er ist so verändert! Und wem von uns wird ihr Herz sich zuneigen?“ —
Frau Roxana trug manche Kerze ins Bergkirchlein zu Lespes1und hoffte durch die mühsame Wallfahrt den Himmel günstig zu stimmen, daß nicht ein großes Unglück über sie hereinbreche.2
Rolanda war in der letzten Zeit in unbeschreiblicher Aufregung; denn an dem nämlichen Tage hatten Mirea und Andrei, ohne von einander zu wissen, jeder ihr seine Liebe gestanden, und das arme Mädchen erforschte vergebens ihr Herz; sie hatte eben beide lieb, viel zu lieb, um einen unglücklich zu machen; sie konnte sie3auch in ihrem Herzen nicht von einander trennen, so wenig wie mit den Augen. Sie wolle Frau Roxana nichts sagen, um ihr nicht wehe zu thun, und sah, wie die Brüder sich4nicht mehr mochten5und sogar scharfe Worte wechselten, was sonst nie geschehen.
Da rief eines Tages Frau Roxana die drei zu sich und sprach:
„Ich habe Eurer Herzen1schweren Kampf schon allzulange mit angesehen. Einer von Euch muß ein schweres Opfer bringen, damit der andre glücklich werde.“2
„Ja, einer von uns muß3aus der Welt!“ sprach Mirea dumpf.
„Um Gotteswillen,“ rief Rolanda, „doch4nicht kämpfen um mich!“
„O nein,“ sprach Andrei und lächelte wehmütig, „das wäre5unmöglich; man kann allein gehen.“
Frau Roxana hob die Hände: „O Ihr gottlosen Kinder! Habe ich Euch so schwach geboren und erzogen, daß keiner Kraft hat, den ersten Schmerz zu tragen! Rolanda, bis morgen sollst Du Bedenkzeit haben; bis morgen wollen wir Kraft und Mut gewinnen!“
So trennten sie sich.
Andrei aber schlug einen Waldweg ein nach Lespes, kniete im Felsenkirchlein nieder und sprach: „Mein Gott! Du kennst mein Herz und meine Kraft! Gieb, daß ich keine Sünde begehe, an mir selbst, an meiner Mutter, an meinem Bruder, an dein Weibe, das ich liebe; sondern, wenn sie mich nicht nehmen will, so mache mich zu Stein, damit ich nichts mehr fühlen muß!“ —
Auf einem andern Wege war Mirea auch zur Kirche gekommen und hatte dasselbe gebetet. Sie warfen sich6einen traurigen Blick zu und gingen jeder allein nach Hause; denn jeder glaubte, er allein habe7das Opfer gebracht.
Frau Roxana erschien am nächsten Morgen bleich wie der Schleier, der die ersten Silberfäden in ihrem Haare bedeckte.
Die beiden jungen Leute sahen aus, als gingen1sie in den Tod, nur Rolanda trat freudestrahlenden Antlitzes2herein. Es war eine Verklärung über sie ausgegossen, die sie überirdisch schön machte; sie erschien einen Kopf größer und sprach mit sanftem Wohlklang: „Tretet mit mir hinaus, meine einzigen Teuern; unter Gottes Himmel soll die Entscheidung fallen!“
Sie ging ihnen voran, als schwebte sie, nur ihre Hände waren durchsichtig wie Wachs und die Augen, die sie zum Himmel hob waren voll Thränen. Auf schwindelnd steilem Absturz blieb sie stehen und kniete vor Frau Roxana nieder:
„Segne mich, Mutter!“ sprach sie. Frau Roxana legte ihre zitternden Hände auf das schöne Lockenhaupt.
„Und jetzt,“ sprach Rolanda mit heller3Stimme, „jetzt hört mich an! Ich habe Euch beide so lieb, so unendlich lieb, mehr als mich selber, mehr als mein Leben, darum kann ich mich keinem geben, aber wer mich aus dem Abgrund holt, des4Weib will ich sein!“
Noch ehe einer die Hand ausgestreckt, flog sie wie ein Vogel über den Felsenrand in die unermeßliche Tiefe. Aber — o Wunder! — im Stürzen5verwandelte sie sich in einen schäumenden Wasserfall, in der Luft zerstäubend, wie ein bräutlicher Schleier. Die beiden Brüder wollten ihr nachstürzen, konnten aber nicht, denn ihre Füße wurden1Felsen, ihre Arme Felsen, ihre Herzen Stein, und so ragten sie zum Himmel empor.
Die unglückliche Mutter aber breitete die Arme aus und rief: „Und ich allein soll leben! O Himmel, hast Du denn kein Erbarmen?“ Und mit ausgebreiteten Armen fiel sie zur Erde, ihre Kinder umklammernd. Und siehe, wo sie lag, verwandelte sich alles in dichtes, weiches Moos, das sich weiter und weiter ausbreitete und die Felsen zur Hälfte einhüllte. So stehen sie noch und werden immer so stehen, die wilde, bräutlich weiße Urlatoare, die opferfreudigen Söhne, die Jipi, und deren treue, zärtliche Mutter.