III Die Hexenburg

Wenn man im Prahovathal1hinaufgeht, so kann man Cetatea Babei,2„die Hexenburg,“ nicht sehen, weil sie hinter dem Bucegi,3liegt. Sie ragt als spitzer4Kegel empor und scheint5mit Ruinen bedeckt; von dort bis zu den Jipi6liegt ewiger Schnee.

Vor7langen, langen Zeiten, als noch die Wölfe8die Herden hüteten, und Adler und Tauben bei einander nisteten, stand dort eine stolze Burg, in der es9sehr emsig zuging. Immerfort trippelten hundert eilige Schritte hin und her. Bei Nacht aber brannte im Turm ein Licht und schnurrte ein mächtiges Rad, und ein merkwürdiger, leiser Gesang schwebte über dem Schnurren und schien damit Takt zu halten. Die Leute im Thal blickten scheu hinauf und flüsterten: „Sie spinnt wieder!“ Die10aber dort oben spann, war die Herrin der Burg, eine schlimme Zauberin, der die Bergmännlein alles Gold aus dem Erdenschoß brachten, damit sie für alle Bräute den Goldfaden11spänne,12der am Hochzeitstage ihre Häupter schmückt. Das Gold wurde in Massen bei13ihr ausgeschüttet; sie wog und wählte und wehe dem Bergmännlein, welches14das gehörige Maß nicht gebracht; das wurde zwischen Stamm und Rinde eines mächtigen Baumes geklemmt, bis es das letzte Körnchen Goldes1hergegeben, oder es wurde ihm nur der Bart eingeklemmt, und da konnte es zappeln und ach und wehe schreien, — die Alte machte taube Ohren. Sie hatte darum den Namen Baba Coaja2bekommen, „Mutter Rinde,“ oder, weil sie so hart war wie eine Brotkruste, und so runzelig wie eine alte Eiche. Sie allein verstand die Goldfäden zu spinnen und machte sie im voraus für viele hundert Jahre. Eine wunderschöne Tochter hatte Baba Coaja, die hieß Alba,3„die Weiße,“ denn sie war weiß wie der Schnee, der die Bergspitzen beständig bedeckt. Sie hatte eine Haut wie Samt und braune Augen wie Samt, und Haar wie die Goldfäden, die die Mutter spann.

Sie war immer eingeschlossen, denn Baba Coaja hatte viel Arbeit für sie, und es4sollte sie auch niemand sehen und keiner freien, Sie mußte die Goldfäden aufwinden und in unterirdischen Kellern schichten, für alle die hundert und hundert Jahre.

Diese Arbeit war aber der holden Maid sehr zur Last, weil die Mutter allerlei böse Sprüche und Zauber sang und murmelte, während sie spann, so daß jeder Braut schon ihr Teil Unglück und Herzeleid mitgegeben war, sobald die Goldfäden auf ihrem Haupte geruht, und Alba gedachte traurig des Ungemachs, das so im voraus bestimmt wurde. Ja, sie setzte sich sogar einmal selbst ans Rad, während die Mutter fort war, und spann ein Stück, indem sie nur gutes wünschte. Als aber Baba Coaja nach Hause kam, wurde sie ganz wütend, schlug ihre Tochter unbarmherzig und sagte: „Du sollst nicht eher heiraten, als bis Du Dein eigenes Gespinst wieder erkennst!“ und damit1warf sie das Stück zu dem übrigen.

Die Alte war im Herzen froh, daß sie einen Vorwand hatte, ihre Tochter bei sich zu behalten, da ihr prophezeit war, Alba werde2sehr unglücklich werden und früh sterben. Das einzige Wesen auf der Welt, das sie lieb hatte, war ihr holdes Kind; wie3sehr sie sich aber bemühte, Alba4Freude zu machen mit schönen Kleidern und allerhand hübschen Sächelchen, — sie brachte doch keine Farbe in ihre Wangen und kein Lachen in ihre Augen; denn das einzige, wonach sich das Mägdlein sehnte, war Freiheit, und die ward ihr nicht zu teil. Wie gern5wäre sie einmal unter den Bäumen gewandelt, die den Fuß des Berges schmückten, auf dem sie lebte. Dort oben wuchs nichts als kurzes Gras, und es war länger Winter als Sommer. Wenn der Wind um die Burg heulte und tobte, als wollte er sie in Stücke reißen, dann wurde es6ihr so traurig ums Herz; oft saß sie vor dem Kamin und starrte ins Feuer, sah dem Funkensprühen zu und dachte an gar nichts.

Manchmal lauschte sie den unheimlichen Gesängen der Mutter, während das Schnurren des Rades und das Heulen des Sturmes sich mischten, und dann dachte sie darüber1nach, warum ihre Mutter den Bräuten soviel Bitternis in die Goldfäden spinne,2warum denn die Menschen nicht froh und glücklich sein dürften in dem schönen Sonnenschein, der doch immer fröhlich aussähe. Aber sie konnte niemals den Grund finden und schlief ein vor lauter Denken.

„Mutter,“ sagte sie einmal und stützte das Kinn auf die Hand, — „sind denn die Menschen gerade so wie Du und ich, oder haben sie eine andere Gestalt und andere Gedanken?“

„Was gehen Dich die Menschen an? Sie sind alle sehr böse und würden Dir nur übles thun, wenn sie Dich bekommen könnten.“

„Aber neulich kam ein wunderschönes Tier unsern Berg herauf, und darauf saß einer, der war viel schöner als alle Bergmännlein; er hatte schwarze Locken und gar keinen Bart3und einen Purpurmantel — war das kein Mensch?“

Die Alte erschrak heftig bei dieser Rede und sprach: „Wenn der 4noch einmal hier heraufkommt, so werde ich ihm den Hals brechen, und die5im Thale werden ihn nie wieder sehen!“

„O Mutter! Thu das nicht! Er war so schön!“

„Wenn Du noch einmal an ihn denkst, so sperre ich Dich in den Keller, das sage ich Dir und lasse Dich Gold wiegen Tag und Nacht; Du thust6so wie so7schon gar nichts mehr in der letzten Zeit und sitzest immer so8da und stellst unnütze Fragen. Hast Du denn nicht alles, was Dein Herz begehrt?“

„Nein, Mutter, ich möchte auch ein so schönes Tier haben und darauf sitzen. Hier sind immer nur Schafe, auf denen1kann man nicht sitzen.“

„Jetzt willst Du gar noch ein Pferd haben, Du thörichtes Kind! Siehst Du denn nicht, daß es lebensgefährlich ist, hier zu reiten? Das Gras ist glatt, und die Abgründe sind tief, und ein Fehltritt, so liegt man zerschmettert da unten!“

Alba dachte lange darüber2nach, warum es für die Pferde gefährlich sei, da doch die Schafe so sicher gingen; sie bekam aber auch hierauf keine Antwort, da sie nicht zu fragen wagte. Die Bergmännlein kamen ihr nun noch viel häßlicher vor, als früher, und das Gold war ihr so zuwider, sie konnte es gar nicht mehr sehen. Sie dachte nur an das schöne, schöne Pferd und an den Jüngling, dem es den Hals kosten sollte, wenn er sich wieder sehen ließe.3Warum wollte ihm die Mutter den Hals brechen? Auch hierauf fand sie keine Antwort, wie sehr4sie auch nachdachte. —

Einige Zeit darauf ritt der schöne Jüngling wieder den Berg empor; ihn reizte die Neugier, zu sehen, wer in der gewaltigen Burg wohne, deren Mauern aus lauter Felsblöcken bestanden.

Er war ein Königssohn und hieß Porfirie5und war nicht6gewohnt, etwas nicht zu können; seiner stürmischen Natur war jede Schwierigkeit willkommen. Wenn man ihm vom Heiraten sprach, sagte er, er wolle seine Braut einem1Drachen entreißen oder von einem Felsen pflücken, nur nicht so ganz gemütlich Freiwerber schicken und eine gewöhnliche Hochzeit machen.

Alba war gerade damit2beschäftigt sich zu schmücken, als Zeitvertreib, nachdem sie den3ganzen Morgen Gold gehaspelt. Sie hatte Hände und Gesicht gebadet, das lange Haar mit dem Elfenbeinkamm gekämmt, um die Stirn eine doppelte Perlenreihe gelegt, in welche sie seitwärts eine Alpenrose4steckte. Ihr Gewand war weiß, mit goldenem Gürtel, darüber kam5ein grüner Samtmantel, der mit Perlenketten von einer Schulter zur andern befestigt war. Um das schneeweiße Hälschen legte sie Smaragden, so groß wie Taubeneier, ein Geschenk der Bergmännlein, und dann betrachtete sie sich im Spiegel, in dem sie aber nicht sehen konnte, wie ihr goldenes Haar schimmernd auf dem grünen Samt lag. Nein, sie mußte wirklich schlecht sehen,6oder der Spiegel war schlecht; denn jetzt schlug sie sich ins Gesicht und rief: „Wie häßlich bin ich! Nein, wie häßlich! Darum versteckt mich die Mutter vor allen Menschen, und giebt mir schöne Kleider und Juwelen, wie einer Königin, um zu vergessen, wie häßlich ich bin!“

In dem7Augenblick erklangen Hufe auf den Felsen und mit entsetzensstarren Augen erblickte sie den schönen Fremden, dem es den Hals kosten sollte,8wenn er wieder auf der Burg erschiene. Er mußte gewarnt werden, um jeden Preis. Wie eine Gemse flog sie bergab, mit wehendem Mantel und flatternden Haaren,1in denen sich2die Sonnenstrahlen zu fangen schienen.

Der junge König sah sie über die Felsen daherfliegen, als3berührte ihr Fuß die Steine nicht, und hielt sein Pferd an in staunender Bewunderung. Er fragte sich, welch’ Königskind, welche Bergfee ihm da entgegenflöge, und nun winkte sie mit beiden Armen und rief atemlos: „Zurück! zurück! Komm’ nicht hier herauf! Es wäre Dein Tod!“

„Und wäre es mein Tod,“ rief er, „so würde ich fröhlich sterben, da ich die schönste Maid erblickt, die je auf Erden gewandelt!“

Alba blieb vor ihm stehen, ein leises Rot überflog ihre Wangen, und ihn mit großen4Augen anschauend sagte sie: „Bin ich denn schön?“

„Ja, wunderschön, so reizend bist Du mit Deinem goldenen Haar und Deinen goldenen Augen, daß ich Dich liebe, von dieser Stunde an!“

„Und ich liebe Dich auch!“ sagte die unschuldige Maid, die nicht wußte, daß man unter5den Menschen gewöhnlich nicht sagt, was man denkt. —

„Aber sage nicht, mein Haar sei golden, Gold ist ja6so häßlich!“

„Häßlich?“ Der Königssohn lachte. „Das habe ich noch nie gehört? Hast Du denn so viel Gold gesehen, daß Du es häßlich findest?“

„Ach ja, ich sehe ja nichts als Gold, statt grüner Bäume nur Gold, statt Blumen Gold, statt Menschen Gold, solche Haufen!“ sie breitete ihre Arme aus und drehte sich um sich selbst. „O wie viel lieber1möchte ich auf dem schönen Tier sitzen! Ich habe noch nie ein Pferd gesehen, darf ich’s anrühren?“

„Ja, freilich, streicheln2sogar und zu mir heraufsteigen auch; Du sollst reiten, so lange Du willst!“

Er hieß3sie, ihren Fuß auf den seinigen stellen und beide Hände in die seinigen legen, so zog er sie vor sich auf den Sattel, schlang den Arm um sie und gab dem Pferd die Sporen. Er dachte, sie würde sich fürchten; das fiel der holden Unschuld aber gar nicht ein, denn sie kannte keine Gefahr. Sobald der Boden weich wurde, gab er die Zügel nach, und fort jagten sie, bald unter dem Waldesschatten, bald über blumige Wiesen.

Alba jauchzte, klatschte in die Hände und rief: „Schneller! noch schneller!“

So kamen sie in die Nähe der Stadt, die sie durchreiten mußten, um auf einen Hügel zum Königsschloß zu gelangen. Da wurde es4plötzlich der Maid bange:

„Sind das alles5Menschen?“ fragte sie, als sie im Schritt durch die Straßen ritten. „Und die kleinen Häuser bläst der Wind nicht um?“

„Nein!“ lachte Porfirie. „Hier weht der Wind nicht so, wie dort oben bei Euch!“

„Hier, meine Leute,“ rief er, „hier bringe ich Euch Eure Königin! Sie ist eine Wunderblume, und ich habe sie mir vom Felsen gepflückt.“

„Aber ich bin keine Königin!“ sagte Alba erschrocken.

„Ich, ich bin ein König, und da Du mein Weib wirst, so wirst Du Königin!“

„Dein Weib? Aber ich sollte ja keinen Mann haben, sagte meine Mutter.“

„Das hat sie nur so gesagt, weil sie wußte, daß keiner Dich haben sollte, außer mir!“

„Bist Du denn gar nicht böse?“

„Nein, ich bin nicht böse.“

„Du bist also kein Mensch?“

„Doch, das1bin ich.“

„Aber die Mutter sagt, alle Menschen sind böse, und ich soll nichts mit ihnen zu schaffen haben.“

„Wer ist denn Deine Mutter?“

„Das weiß ich nicht; sie spinnt Gold.“

„Spinnt Gold? Zu was2denn?“

„Für Bräute; aber ich will kein Gold bei meiner Hochzeit haben!“ fügte sie rasch hinzu und griff nach ihrem Kopfe, als müßte sie ihn vor der schlimmen Berührung schützen.

„Das wird aber doch nicht anders gehen,“3sagte Porfirie, „die Leute würden sich wundern. Hier bin ich zu Hause, jetzt reiten wir in den Hof ein, und Du mußt mit meiner Mutter freundlich reden.“

„Ist sie alt und häßlich?“

„Nein, sie ist sehr schön und stolz.“

„Was ist stolz?“ sagte Alba.

Porfirie sah ihr in die Augen; die waren so lauter und rein, wie die Sonne; er drückte die Maid an sein Herz; dann warf er den Dienern die Zügel zu, sprang vom Pferde, hob Alba zärtlich herunter und reichte ihr die Hand, sie die breiten Steinstufen heraufzugeleiten.

Sie traten in einen weiten Saal, da saß eine hohe, stattliche Frau, von1vielen Mädchen umgeben, und spann schöne, gelbe Seide. Alle erhoben sich von der Arbeit und blickten voll staunender2Freude auf das herrliche Paar, das eben im Glorienschein der untergehenden Sonne unter dem Portal erschien.

„Hier, Mutter,“ rief Porfirie, „ist Eure3liebe Tochter, mein süßes Ehegemahl, das ich ganz nahe beim Himmel gefunden, und ich bin noch4gar nicht sicher, daß es5nicht ein Himmelsbewohner ist, der jeden Augenblick Flügel bekommen und uns6enteilen kann!“

„O Du wunderschöne Frau!“ rief Alba und fiel zu den Füßen der Königin, die sie gütig aufhob und küßte.

„Und Du spinnst auch, nur viel, viel schöner als meine Mutter; denn was Du spinnst, ist so zart und fein wie Schneeflocken und Blumenblätter!“

„Was spinnt denn Deine Mutter?“

„Ach immer das harte, häßliche Gold!“

„Gold!“ scholl es rings im Kreise, manche lachten und glaubten es nicht.

„Kannst Du auch Gold spinnen?“

„Ich kann, aber darf nicht.“

„Warum nicht?“ Sie öffnete die Lippen, um zu sagen, was ihre Mutter beim1Spinnen thue, aber plötzlich überkam sie eine merkwürdige Befangenheit und das Gefühl, wie böse man sie ansehen würde, wenn die Mädchen wüßten, von2wem ihnen alles Unheil in den Brautschleier gesponnen würde. Und dabei sahen sie alle so froh und so lieb aus, die bösen Menschen, vor denen die Mutter sie gewarnt, eigentlich viel besser, als ihre Mutter, vor der sich die Bergmännlein so entsetzlich fürchteten.

Sie wurde von ihrer Pein erlöst, indem eines der Mädchen flüsterte:

„Das Kleid ist Samt, echter, weißer Samt!“ „Und die Juwelen? Von wem sind die Juwelen?“ sagte eine andere etwas lauter.

„Von meinen Freunden,“ antwortete Alba. „Wollt Ihr sie haben? Ich habe noch viel solches Spielzeug zu Hause,“ und die Smaragden vom Halse lösend, gab sie jedem der Mädchen einen derselben.

Mit den Perlenschnüren hätte3sie es ebenso gemacht, wenn die Königin sie nicht daran verhindert hätte.

„Sind denn Deine Freunde so reich?“ fragte sie.

„Das weiß ich nicht. Was ist denn reich? Sie bringen alles in Säcken aus der Erde herauf, und wenn sie nicht genug bringen, so werden sie gestraft.“

Da wurde das Gesicht der Königin finster, sie nahm ihren Sohn bei Seite und sprach: „Das Mägdlein ist keine andere, als die Tochter der abscheulichen Hexe Baba Coaja. Führe sie schnell wieder dahin, wo Du sie geholt hast, sie bringt nur Unglück in unser Haus.“

„Nur das fordere nicht von mir, Mutter,“ sprach der junge König erbleichend. „Ich liebe die holde, unschuldsvolle Maid mit allen Gedanken, mit dem Blut in meinen Adern, mit jedem Atemzug! Und wäre1sie Baba Coaja in eigner Person, ich könnte nicht von ihr lassen!“

Die Königin seufzte und befahl, der Maid eine Kammer neben ihrem Gemache zu bereiten, und am nächsten Tage sollte die Hochzeit sein. Die Königin wollte mit eigner Hand die neue Tochter schmücken; sie hatte aber einen schweren Kampf mit ihr zu bestehen, da diese durchaus keinen Goldfaden auf ihr Haupt haben wollte. Sie entfloh durch das ganze Schloß, wie ein gescheuchtes Reh, sie warf sich auf die Erde, unter die Decken, die die Diwans schmückten, sie bat und flehte mit herabströmenden Thränen, man möge2sie verschonen. Die Königin solle ihr etwas von ihrem schönen Seidengespinst auf die Haare legen, nur daß schreckliche Gold nicht!

Während sie aber knieend bat und jammerte, gab die Königin einen Wink; zwei Mädchen banden ihr die Hände, während die dritte den goldenen Schleier befestigte. Alle erwarteten nun einen Ausbruch von Zorn und Verzweiflung. Aber Alba ward ganz still. Bleich wie der Tod neigte sie das Haupt unter der Last: „Du bist härter als meine Mutter!“ sagte sie; „die1wollte mich keinem Manne geben, damit ich nicht unglücklich würde,2Du aber rufst selber das Leid auf mich herab!“

Niemand verstand diese Rede, und Alba war nicht dazu3zu bewegen, sie zu erklären, was das allgemeine Mißtrauen vermehrte. Sie sah so traurig aus, daß das Volk in ihr gar nicht mehr die strahlende Maid von gestern erkannte, und alle Worte der Liebe ihres jungen Gemahls konnten nicht die Wolken von ihrer Stirn scheuchen.

Am4Hofe war aber bald von nichts anderem mehr die Rede, als von den ungezählten Schätzen der jungen Königin, und viele trieben den König, sich dieselben in der Nähe zu betrachten. Ihm5war es nicht um die Schätze zu thun; er dachte nur daran,6sein junges Weib wieder lächeln zu sehen, und meinte, wenn er ihr die Sachen holte, die sie besessen, so werde sie fröhlich werden.

Sowie sie aber hörte, Porfirie beabsichtige nach ihrer Burg zurückzureiten, erschrak sie heftig und bat und beschwor ihn, das nicht zu thun! „Es wird Dein Tod sein, ganz gewiß!“

Er aber ließ7sich nicht bereden, und je8mehr sie ihm die Gefahr schilderte, die ihn dort erwarte, um so mehr reizte ihn eben diese Gefahr, und ganz heimlich machte er sich auf den Weg, als sie noch im tiefen Schlummer lag. Mit wenigen Begleitern sprengte er zur Burg von Baba Coaja hinan. Die aber sah ihn von weitem und rief ihm entgegen:

„Fluch über Dich, der Du mein Kind entführt hast, um es unglücklich zu machen! Da, sättige die Habgier, die Dich zu mir zurücktreibt, Du Unglücklicher! Ich habe nichts nach Dir gefragt, was1suchst Du mich?“

Mit diesen Worten schüttete sie Juwelen in endlosen Massen auf die Reiter nieder; die Edelsteine aber wurden in der Luft zu Eis und Schnee und wirbelten dergestalt,2daß die Unglücklichen sich nicht wehren konnten, und geblendet den Weg nicht mehr sahen. Die meisten stürzten in den Abgrund; der junge König aber, der im Rachedurst sich der Burg näherte, um die Alte zu erwürgen, ward dermaßen eingehüllt, daß er bald kein Glied mehr rühren konnte, und bevor er noch ein Wort hervorbrachte, war er tief unter dem Schnee begraben. Baba Coaja lachte hämisch und sagte: „Jetzt wird sie kommen, zu ihm, und nicht zu mir, aber sie kommt zu mir und nicht zu ihm! Ich habe3mein Kind wieder, das nicht in der bösen Welt bleiben soll, und unter den Menschen, die ich hasse!“

Und wirklich dauerte es nicht lange, da eilte Alba, vom Wandern matt, im weißen Samtkleide, daß vom Staube befleckt war, den Berg herauf.

„Wo, wo ist er?“ fragte sie mit blassen Lippen.

„So!“ sprach die Alte, „mir4bist Du entlaufen, mit einem fremden Mann, und kommst wieder und fragst nicht nach mir, sondern nach ihm? Er ist nicht hier!“ —

„Doch,1doch, ich fand seine Spur, bis zu dem Schnee dort!“

„Weiter kam er auch2nicht!“ lachte die Alte. „Er ist in Deinen Edelsteinen erstickt!“

Mit einem furchtbaren Schrei stürzte Alba auf die Schneefläche und begann mit ihren Händen sie wegzuscharren. Aber umsonst. Zu schwer lag die Decke, die den Geliebten verhüllte, zu fest war sie gefroren! Mit dem Ausruf: „O, Mutter! Mutter! Was hast Du mir gethan?“ fiel Alba tot neben Eis und Schnee hin. Baba Coaja stieß einen so furchtbaren Fluch aus, daß der Berg wankte, ihre Burg zusammenstürzte und sie samt ihrem Golde unter ihren Trümmern begrub. —

An der Stelle aber, wo die schöne Alba ihr Leben ausgehaucht hatte, keimte eine weiße Blume in weißem Samtkleide auf, die man seitdem „Alba Regina,“3zu deutsch „Edelweiß,“4genannt hat. Sie blüht nur dicht beim ewigen Schnee, der den Geliebten bedeckt, so weiß und rein, wie sie selber war. —

Vielleicht verwandelt sich der Schnee einstmals wieder in Edelsteine, wenn ihn eine unschuldsvolle Jungfrau betritt. —

Das Stück Goldfaden, das Alba gesponnen, sucht man noch immer, und jede Braut hofft, sie habe es erhascht; darum fürchtet sich keine vor den Goldfäden,5die so gefährlich sind, sondern jede glaubt, ihr sei das Glück beschert.

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