Der Verfasser und sein Werk.

Ueber den Verfasser lässt sich mit Sicherheit nur das Wenige angeben, was er selbst in seinem Werke mitteilt. Seinen Vornamen Johann gibt er in akrostichischer Form im C. XXXIV selbst an. Er sei genannt ein Ackermann, sein Pflug sei aus Vogelwaid (s. darüber die Anmerkung), er wohne in Böhmen (C. III), so sagt er selbst. Aus C. IV erfahren wir, dass er in Saaz lebte.[74] Er war verheiratet, Vater mehrerer Kinder (C. IX, XVII, XIX, XXI, XXII); sein Weib hiess Margaretha (C. XXXIV) und starb ihm bei der Geburt eines Kindes an Petri Kettenfeste (1. August) des Jahres 6599 seit Anfang der Welt (C. XIV). Dieses Ereignis veranlasste ihn, vorliegendes Werk, eine bittere Anschuldigung und Verfluchung des Todes zu schreiben. Das Werk ist höchst wahrscheinlich noch in demselben Jahre verfasst. Dafür spricht die Stelle in C. IV (5, 15), wo der Tod sagt ›nur neulich‹ hätte er in Böhmen etwas zu thun gehabt; auch zeigt der ganze Inhalt des Werkes noch den frischen Schmerz, der ihn betroffen. Er gehörte offenbar dem gelehrten Stande an, weshalb seine eigene Angabe in C. III, er sei ein Ackermann, wol in symbolischem Sinne zu nehmen ist. Von der Gelehrsamkeit des Mannes gibt uns einen vollgültigen Beweis sein Werk. Dass er in der Bibel bewandert war, beweist theils die direkte Citierung einer Stelle: 24, 17 (= Genes. II, 17), theils Anspielungen und Anklänge an andere: 37, 14 ff. (= Genes. I, 26), 38, 14 (= Genes. I, 26 u. 27), 48, 3 (= Epist. B. Joann. Apost. I, 2, 16) und 53, 15 ff. (= lib. Ecclesiastes II, 4 ff.), theils die Anführung biblischer Namen; so Moises in Egiptenlant 26, 14, der gedultig Job 49, 4, Salomon, der weiszheit schrein 49, 5.

Aus dem klassischen Alterthume nennt er den Aristoteles (33, 1),[75] Plato, von dem er eine Stelle citiert (50, 14), Pythagoras (23, 15), den Seneca (29, 16), aus späterer Zeit den Boëtius (46, 12) und Avicenna (49, 3). Er weiss von Paris von Troi und Helena von Kriechen (48, 18 f.), von Pyramus und Tysbe (48, 15), citiert Personen aus der alten Geschichte; so Alexander (27, 1; 48, 17), Kaiser Julius (Caesar) (27, 7), Nero (27, 5). Neben dieser humanistischen Bildung hatte er aber auch Kenntnis der deutschen Litteratur und Sage. Er kennt die Sagen von K. Karl, Markgraf Wilhalm, Dietrich von Bern, dem starken Poppen und hörnen Seifrit (C. XXX).

Die Urkunden von Saaz, die Herr Director Dr. L. Schlesinger mir in einer Abschrift gütigst zur Verfügung gestellt hat, enthalten keine Persönlichkeit des Namens Ackermann. Wol aber kommen zwei Johannes vor, die unsern Anforderungen an den Verfasser entsprechen würden; freilich sind die Zunamen verschieden. Der eine ›Johannes Tepla, rector scolarum et civitatis notarius‹ lässt sich bis zum Jahre 1389 nachweisen, der andere ›Johannes de Sytbor‹, desselben Standes wie der vorige, wird zuerst 1404 erwähnt. Ein Schulmeister könnte sich wol mit gutem Rechte Acker- oder Sämann nennen.

Sein Werk verfasste er, wie schon bemerkt, im Jahre 6599. So haben die Hss. A B D und der Druck b. C und a aber haben die Jahreszahl 6529. v. d. Hagen in seiner Ausgabe des Ackermanns[76] S. V seiner Einleitung und S. 63 in einer Anmerkung zu C. XIV hält die Zahl 6529 für ein Verderbnis der Hs. anstatt der Zahl 5429, und nimmt bis Christi Geburt die gewöhnliche Zählung von 4000 Jahren an, so dass nach seiner Meinung das Werk 1429 n. Ch. verfasst wäre. Dieser Berechnung folgt W. Wackernagel noch in seiner Gesch. d. deutschen Liter. S. 339. Anderer Ansicht ist er schon in seiner Abhandlung ›der Todtentanz‹ (kl. Schr. I S. 314 Anm.), wo er bis Chr. Geb. 5200 Jahre annimmt, und in einem Manuscripte erläutert er, diese Zählung rühre von Eusebius her und sei im Mittelalter ziemlich gebräuchlich gewesen.

Ein Einblick in die Werke des Eusebius bestätigt auch diese Angabe. In der Schöne’schen[77] Ausgabe heisst es Bd. II S. 95: ›Reperiuntur itaque secundum Septuaginta virorum versionem ab Adamo usque ad diluvium anni MMCCXLII et a diluvio ad primum annum Abrahami DCCCCXLII, in universum anni MMMCLXXXIV‹ und Bd. II S. 144: ›Jesus Christus filius Dei Bethlehemi Judaeae nascitur. Simul colliguntur ab Abraham usque ad nativitatem Christi anni MMXV.‹ Durch Summierung ergibt sich die Zahl 5199.

Nach dieser Zählung also erhalten wir als Abfassungszeit unseres Werkes das Jahr 1399. Dass diese Art der Zeitbestimmung von Erschaffung der Welt im Mittelalter[78] auch wirklich im Gebrauche war, wird von mehreren Seiten bestätigt. Franz Pfeiffer theilt in Haupts Z. VIII, 274 ff. Mariengrüsse mit, und dort erscheint auch die Zahl 5200 als Jahresangabe bis Christi Geburt. In den Predigten Bruder Bertholds von Regensburg, von dem oben Genannten herausgegeben, findet sich 75, 13 und 381, 37 die Zahl der Jahre bis Christi Geburt auf 5199 angegeben. Eben diese Jahresrechnung wird wol gemeint sein in dem ›Leben Jesu mittelniederländisch‹ von Prof. J. Kelle in der Z. f. d. A. XIX, 96.[79]

Ueber den literarischen Werth unseres kleinen Prosastückes hat Gervinus[80] ein höchst lobendes Urtheil gefällt und gewiss nicht mit Unrecht. Und so nennt auch Wackernagel[81] den Ackermann ›eine der schönsten altdeutschen Prosaschriften.‹

Das Werk ist ein Streitgespräch zwischen dem Tode, der personificiert auftritt, und einem Ackermanne, dem seine Frau gestorben ist. Der Kläger (der Verfasser selbst) hebt an mit einer Verwünschung des Todes und fordert diesen zur Rechtfertigung heraus. Auf die Anklage des Einen folgt die Vertheidigung des Anderen. ›Den zwinget leit zu klagen, diesen die anfertigung des clagers, die weiszheit zu sagen‹ (C. XXXIII). In rührender Weise klagt der Beschädigte über den Verlust, den er durch den Tod seiner lieben Gattin erlitten, er sieht nur die schönen lichten Seiten des Ehestandes; während der Tod in den dunkelsten Farben die Mängel und Gebrechen nicht blos der Frauen, sondern der Menschheit überhaupt schildert (bes. C. XXIV und C. XXVIII). Keiner will dem Andern weichen, bis sie sich endlich entschliessen, Gott die Entscheidung zu übergeben. Der Kläger muss seine Klage zurückziehen; aber auch der Tod wird daran erinnert, dass die Macht, deren er sich rühmt, ihm nur übertragen sei. Der Wittwer, dem Urtheile sich fügend, richtet nun, im Bewusstsein, nur auf diese Weise seiner verstorbenen Gattin noch Gutes erweisen zu können, ein inniges Gebet an Gott, worin er für deren Seelenheil fleht.

Der Stil des Werkes ist einfach und schlicht; kein künstlicher Periodenbau, keine seltenen Wendungen oder kühnen Wortstellungen lassen sich nachweisen. Leicht verständlich und fliessend ist die Sprache, die der Verfasser in voller Gewalt besitzt: da gibt es kein Tasten und Haschen nach Ausdrücken, aber auch keinen Schwulst, keine monotone Wiederholung. Wie viele Vergleiche, allerdings etwas derber Art, hat er in C. XXIV für den Menschen, wie viel höchst poëtische Vergleiche C. XXXIV für Gott!

Uebrigens hat der Verfasser unverkennbar auch eine poëtische Ader, die sich in dem Gebrauche von Alliterationen offenbart; so frut und fro (4, 18), singen und sagen (46, 1), stock, stein (52, 5), witwen und weisen, landen und leuten (3, 7), würm in wüstung und in wilden heiden, schuppentragender und schupfriger visch (11, 6 u. 7), selbst Reime und ganze Verse kommen vor; so liebes entspent, leides gewent (17, 8), snurret ir und wurret (25, 20), wann sie ist die beste hut, die ir ein frumes weip selber tut (43, 12), kroner und die kron, loner und der lon (55, 14). Ganz besonders poëtischen Schwung hat das Gebet in C. XXXIV. Der Verfasser wendet aber auch noch andere Schmuckmittel der Rede an. So finden wir Anaphoren (13, 20 f.; 17, 15 ff.; 18, 9 ff.; 25, 6 ff.; 37, 6 f.; 38, 18 ff.), Metaphern, wie in C. II und V in Menge und auch sonst sehr oft Parallelismen (so 14, 15; 15, 9; 18, 14 u. o.), Wortspiele, wie 17, 1 lust—unlust, willen—unwillen; Bilder und Vergleiche der schönsten Art in Menge.

Ueber die gelehrten Anspielungen in dem Werke wurde schon früher gesprochen.

Zu erwähnen wären noch die zahlreichen Sprichwörter und Sentenzen, die in dem Werke vorkommen und Zeugnis geben von der Welterfahrenheit des Verfassers, zugleich aber dem Werke einen didaktischen Charakter verleihen; so 9, 10; 17, 6; 19, 9; 29, 21 ff.; 30, 10; 30, 13; 34, 7; 40, 2; 42, 8.[82]

v. d. Hagen meint,[83] der Ackermann sei durch den Belial veranlasst und werde mit diesem von den Schreibern zusammen genannt ›ohne Zweifel wegen des ähnlichen Inhaltes‹. Die letzte Ansicht ist wol nicht stichhaltig; denn im Belial wird ein Prozess mit allen seinen Förmlichkeiten beschrieben, wie die Hölle, erbittert darüber, dass durch Christus so viele Seelen ihr entzogen worden, einen Abgeordneten, den Belial, wählt, um Jesum zu verklagen. Gott setzt als Richter den Salomo ein, als Anwalt Christi erscheint Moses. Was die erste Ansicht v. d. Hagens angeht, so lässt sie sich durch nichts beweisen. Vielmehr wird die Veranlassung zur Anwendung der Gesprächsform mit dem personificierten Tode in dem mittelalterlichen Gebrauche der Personification und bildlichen Darstellung des Todes liegen. Ich verweise hier nur auf die Abhandlung von W. Wackernagel ›Der Todtentanz‹ in den kl. Schr. I. S. 302-375. S. 305 sagt er: ›Immerfort und immer auf dem Grunde der ironisch-humoristischen Stimmung wurden neue Verbildlichungen und Personificierungen des Todes erfunden und gebraucht und aus der Poësie in die alltägliche Denk- und Sprechweise fortgepflanzt; manche derselben haben sich von da her bis auf den heutigen Tag erhalten‹.

[Abhandlung]

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