From the 14th fragment: The wedding of Rudlieb’s nephew.

Am Tag der Hochzeit

Erscheint das Fräulein, ihre Anverwandten

Umgeben sie. Nun nahen auch die andern,

Bald ist der Hof von Gästen ganz gefüllt,

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Begrüsst von Rudlieb mit dem Wilkommskuss.

Ein Mahl erwartet sie; als es geendet,

Begeben sich zunächst in ihre Zimmer

Die Damen mit dem Fräulein; ein’ge Ritter

Begleiten sie und tragen ihnen Kissen.

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Zum Dank wird ihnen Wein gereicht. Der erste

Ergreift den Becher, trinkt und gibt ihn weiter,

Und so die Reihe um, bis dass ihn leer

Der Schenk zurückempfängt. Sie grüssen neigend

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Und gehn zurück zu Rudlieb und den Herren.

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Nun spricht der Ritter: “Weil euch Gott allhier

Versammelt hat, so hört mich an und helft,

Dass unter schon Verlobten eine Ehe

Geschlossen werde. Das soll heut geschehen,

Ihr aber seid bei dieser Handlung Zeugen.

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Es hat sich so gefügt, dass dieser Jüngling,

Mein Neffe, und das Fräulein gegenseitig

In Liebe kamen, als sie Würfel spielten;1Sie wollen nun das Ehebündnis schliessen.”

Die Herren sagen: “Alle müssen wir

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Dazu verhelfen, dass der junge Mann,

Der so vortrefflich sonst, nicht Schande leide

Und ganz der Buhlerin1 entrissen werde,

Die da verdient, den Feuertod zu leiden,

Und preisen Gott, dass in der Welt doch Eine

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Sich fand, die jener Hexe Macht zerbrach.”

Da steht der Jüngling auf, sagt allen Dank

Für ihre Güte und bekennt in Reue,

Wie sehr sein früh’res Leben ihn geschändet:

“Ihr seht, wie nötig eine Frau mir ist;

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Und hätten wir auch eine hier gefunden,

So will ich dennoch mich mit diesem Fräulein,

Verloben und verbinden; meine Bitte

Ergeht an euch, uns Zeugen jetzt zu sein,

Wenn wir, wie es der Brauch ist, Ehgeschenke,

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Uns geben.” “Alle tun hierin dir Beistand,”

Erwidern jene. Und nun sendet Rudlieb

Nach den drei Frauen, die alsbald erscheinen;

Das Fräulein geht voran, gesenkten Hauptes;

Von seinem Sitz erhebt sich jeder höflich.

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Nach kurzer Zeit, als alle Platz genommen,

Steht Rudlieb auf und bittet sich Gehör:

Den Freunden und den Stammgenossen kündet

Er das geschloss’ne Bündnis und die Liebe,

Die eins zum andern hat und fragt den Jüngling,

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Ob er zur Frau sie wolle. Der bejaht.

Nun fragt man sie, ob sie zum Mann ihn wolle.

Sie lächelt: “Soll ich den zum Manne nehmen,

Den ich im Spiel als Sklaven mir gewann,

Den mir der Würfel brachte, der versprach

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Allein mir zu gehören, ob er siege,

Ob er verliere? Mög’ er treu mir dienen

Zu jeder Zeit, in jedem Augenblick!

Je treuer, desto lieber ist er mir.”

Da lachen alle zu des Fräuleins Worten,

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Die so behutsam sind und doch so freundlich.

Und da sie sehen, dass auch die Mutter nicht

Zuwider ist, und dass sich beider Gut

Die Wage hält, so kommt man überein,

Als Gattin ihm das Fräulein zu gewähren.

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Der Bräutigam zieht Schwert und wischt’s am Hute

Steckt an das Heft den goldnen Ehering

Und beut ihn so zur Braut, indem er spricht:

“Wie dieser Ring den Finger rund umschliesst,

Verpflicht’ ich dich zu ewig fester Treue,

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Die du mir hältst bei Strafe deines Lebens.”

Doch sie versetzt sehr klug und angemessen:

“Ein gleiches Recht für beide. Warum soll ich

Dir bessre Treue wahren als du mir?

Sag’, hätte es wohl Adam zugestanden,

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Der Eva ungetreu zu sein, da Gott doch

Aus seiner Rippe Eine Eva schuf

Und Adam das verkündete? Liest man,

Dass ihm zwei Even sind erlaubt gewesen?

Du wolltest buhlen und verbeutst das mir?

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Nein, es fällt mir nicht bei, auf solchen Pakt

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Mich zu verpflichten, geh mir immer hin

Und buhl’, um wen du willst, doch ohne mich.

Es gibt noch manchen, den ich freien kann.”

So sprechend weist sie Schwert und Ring zurück.

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Der Jüngling spricht: “Geliebte, wie du willst,

Geschehe es. Vergehe ich mich jemals,

Will ich das, was ich in die Ehe bringe,

An dich verlieren, und du darfst mich töten.”

Sie lächelt hold, sich wieder zu ihm wendend:

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“Auf das hin schliessen wir die Eh’ in Treuen.”

Dann küsst er sie, indem er “Amen” ruft.

1. As Rudlieb is returning to his mother after a long absence he falls in with a nephew who has gone wrong and been ‘bewitched’ by a lewd woman. Rudlieb rescues him and the two seek shelter for the night at the house of a rich widow with an only daughter. The young man and the girl play dice together and fall in love with each other. The subsequent wedding takes place at the house of Rudlieb’s mother.

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