Lines 1450-1534: The love-smitten Dido confides in her sister Anna.

1450

Sie ging in ihre Kemenate,

Wo ihre Frauen lagen.

Als die sie kommen sahen,

Waren sie all’ in Sorgen:

Es war doch früh am Morgen.

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Sie hatte grosses Ungemach;

Bedeutungsvoll sie sprach

Zu ihrer Schwester Annen;

Die führte sie von dannen

In ihre Kemenate wieder.

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Sie fiel am Bette nieder

Und klagte ihr ihr Ungemach,

Wie sie die ganze Nacht

Schlaflos geblieben war.

Sie seufzte tief fürwahr,

1465

Gar traurig war ihr Sinn,

Sie sprach: “Mein’ Ehr’ ist hin.”

“Fraue Schwester Dido,”

Sprach Anna, “wie denn so?

Sagt, was ist Eure Not?”

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“Schwester, ich bin fast tot.”

“Erkranktet Ihr? Zu welcher Stund’?”

“Schwester, ich bin ganz gesund,

Doch kann ich nicht genesen.”

“Schwester, wie mag das wesen?

1475

Ich meine, Frau, ‘s ist Minne.”

“Ja, Schwester, zum Wahnsinne.”

“Warum betragt Ihr Euch also,

Liebe Fraue Dido?

Was wollt Ihr so verderben?

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Ihr dürft nicht an Minne sterben.

Ihr mögt sehr wohl genesen

Und nachher glücklich wesen.

Es ist kein Mann auf Erden,

Der nicht Euer könnte werden,

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Der nicht froh wär’ Eurer Minnen;

Ihr sollt Euch bass besinnen.”

Da versetzte Frau Dido:

“Es steht mir nicht also.

Wahr ist es in der Tat,

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Ich sollte finden andern Rat;

Ich tät’ es, wär’s in meiner Wahl.

Ihr wisset, dass ich dem Gemahl

Sicheus gelobte und verhiess,

Der mir ein gross Gut hinterliess

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Und auch grosse Ehr’,

Dass ich nun nimmermehr

Einen Mann würde nehmen,

Was für Freier immer kämen.”

Da sprach aber Anna:

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“Ihr redet von dem Manne

Allzuviel und ohne Not.

Er ist seit vielen Tagen tot.

Wo steht denn Euer Sinn?

Wie hätte er Gewinn,

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Wenn Ihr jetzt verdürbet

Und törichterweise stürbet?

Ihr braucht nicht Euer Leben

Seinetwegen zu vergeben.

Er könnt’ es Euch nicht lohnen.

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Ihr sollt Euch selber schonen.

Die Rede, die Ihr tut,

Sie ist ja gar nicht gut.

Lasst solche Rede sein

Und folgt dem Rate mein;

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Das ist grössere Weisheit.

Sagt mir nur die Wahrheit:

Wer ist der selige Mann,

Dem Gott es gönnen kann,

Dass Ihr ihn wollt minnen?

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Das gebt mir zu besinnen.

Ich will Euch raten dann

So gut, wie ich es kann,

Weil ich Euch Gutes gönne.

Ob ich so raten könne,

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Dass Ihr damit gedienet seid?

Nun sagt es mir, es ist ja Zeit.”

Sie sprach: “Ich will’s nicht hehlen.

Ich will Euch jetzt befehlen

Ehre so wohl als Leben.

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Ihr sollt mir Rat drauf geben.

Es ist,” sprach sie, “ein Mann,

Dem keiner gleichen kann.

Ich muss verraten seinen Nam’

Trotz meiner grossen Scham;

1535

Das Nennen tut mir weh.

Er heisset,” sprach sie, “E”—

Und nach dem NE ward es gar lang,

So sehr die Minne sie bezwang,

Bevor sie deutlich sagte AS;—

1540

Dann wusste Anna, wer er was.

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