Lines 10031-79: Lavinia’s first glimpse of Eneas.

Als der Held dahin kam,

Und die Jungfrau wonnesam

Ihre Augen kehrte dar

Und sein da unten ward gewahr

10035

Von ihrer hohen Zinne,

Durchschoss sie nun Frau Minne

Mit einem scharfen Pfeil;

Drum ward ihr Qual zuteil

Auf manche lange Stunde.

10040

Sie empfing eine Wunde,

In ihrem Herzen drinnen,

So dass sie musste minnen

Und konnte nichts dafür.

100

Gram ward die Mutter ihr,

10045

Deren Huld sie ganz verlor,

Denn sie brannte und sie fror

Fast in derselben Stunde.

Die Art und Weis’ der Wunde,

Das Übel war ihr unbekannt.

10050

Sehr bald sie nun verstand

Ihrer Mutter Geheiss.

Sie ward unmässig heiss

Und danach wieder kalt,

Sie kam in Ungewalt,

10055

Unangenehm sie lebte,

Sie schwitzte und sie bebte,

Wurde bleich und wurde rot;

Sehr gross war ihre Not

Und ihres Leibes Ungemach,

10060

Da fand sie Kraft und sprach.

Als das Herz ihr wiederkam,

Sprach die Jungfrau wonnesam

Jämmerlich sich selber zu:

“Ich weiss nicht leider, was ich tu’;

10065

Ich weiss nicht, was mich schiert,

Dass ich bin so verwirrt.

Nie ward mir solches kund;

Ich war bisher gesund

Und bin nun jetzt fast tot.

10070

Wer hat in kurzen Stunden

Das Herz mir festgebunden,

Das früher ledig war und frei?

Mir ahnt, es sei das Ungemach,

Von dem vorher die Mutter sprach.

10075

Zu früh hat’s mir passiert!

Wär’ ich doch ungeniert

Von—Minne, wie ich sie verstand,

Ja, Minne hat sie es genannt!”

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