Als der Held dahin kam,
Und die Jungfrau wonnesam
Ihre Augen kehrte dar
Und sein da unten ward gewahr
10035
Von ihrer hohen Zinne,
Durchschoss sie nun Frau Minne
Mit einem scharfen Pfeil;
Drum ward ihr Qual zuteil
Auf manche lange Stunde.
10040
Sie empfing eine Wunde,
In ihrem Herzen drinnen,
So dass sie musste minnen
Und konnte nichts dafür.
100
Gram ward die Mutter ihr,
10045
Deren Huld sie ganz verlor,
Denn sie brannte und sie fror
Fast in derselben Stunde.
Die Art und Weis’ der Wunde,
Das Übel war ihr unbekannt.
10050
Sehr bald sie nun verstand
Ihrer Mutter Geheiss.
Sie ward unmässig heiss
Und danach wieder kalt,
Sie kam in Ungewalt,
10055
Unangenehm sie lebte,
Sie schwitzte und sie bebte,
Wurde bleich und wurde rot;
Sehr gross war ihre Not
Und ihres Leibes Ungemach,
10060
Da fand sie Kraft und sprach.
Als das Herz ihr wiederkam,
Sprach die Jungfrau wonnesam
Jämmerlich sich selber zu:
“Ich weiss nicht leider, was ich tu’;
10065
Ich weiss nicht, was mich schiert,
Dass ich bin so verwirrt.
Nie ward mir solches kund;
Ich war bisher gesund
Und bin nun jetzt fast tot.
10070
Wer hat in kurzen Stunden
Das Herz mir festgebunden,
Das früher ledig war und frei?
Mir ahnt, es sei das Ungemach,
Von dem vorher die Mutter sprach.
10075
Zu früh hat’s mir passiert!
Wär’ ich doch ungeniert
Von—Minne, wie ich sie verstand,
Ja, Minne hat sie es genannt!”