Er ward gefragt, was er damit meinte, als er Messe sang und vor der stillen Messe das Präludium anhub: Sursum corda. (Denn nach ihrer gewöhnlichen Bedeutung meinen die Worte auf Deutsch: Saust auf in die Höhe, alle Herzen, zu Gott!). Die Worte kamen recht begehrlich aus seinem Munde, so dass die Menschen, die sie hörten, auf einen sonderbaren Andacht haben daraus schliessen können. Auf 192 diese Frage antwortete er mit einem minniglichen Seufzer und sprach also:
“Wenn ich diese lobreichen Worte sursum corda in der Messe sang, geschah es gewöhnlich, dass mein Herz und meine Seele zusammenflossen von göttlicher Qual und Begierde, die mein Herz sofort aus sich selbst entrückten; denn es erhoben sich gewöhnlich drei hochentzückende Vorstellungen, in denen ich zu Gott aufgeschwungen ward, und durch mich alle Kreaturen. Die erste einleuchtende Vorstellung war also: Mich selbst nach allem, was ich bin, nahm ich vor meine inneren Augen mit Leib und Seele und allen meinen Kräften und stellte um mich herum alle Kreaturen, die Gott je erschuf im Himmel und auf Erden und in den vier Elementen, waren es Vögel der Luft, Tiere des Waldes, Fische des Wassers, Laub und Gras des Erdreiches, oder der unzählige Sand am Meer, und dazu all das kleine Gestäube, das im Glanz der Sonne schimmert, und alle die Wassertröpflein, die vom Tau oder vom Schnee oder vom Regen je gefallen sind oder fallen werden, und wünschte, es hätte deren jegliches ein süsses, aufdringendes Saitenspiel, wohlgenährt vom Safte meines innigsten Herzens, und dass also ein neues, hochherziges Lob dem geminnten, zarten Gott aufklänge von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und dann zertrennten und zerteilten sich auf eine fröhliche Weise die minnereichen Arme der Seele gegen die unsägliche Zahl aller Kreaturen, und es war ihr Gedanke, sie alle darin eifrig zu machen, recht wie ein freier, wohlgemuter Vorsänger die singenden Gesellen anspornt, fröhlich zu singen und ihre Herzen zu Gott aufzubieten: Sursum corda!”
“Die zweite Vorstellung,” sprach er, “war also: Ich nahm in meine Gedanken mein Herz und aller Menschen Herzen und überlegte, welche Lust und Freude, was für Glück und Frieden die geniessen, die ihr Herz Gott allein geben, und dagegen was für Schaden und Leiden, was für Qual und Unruhe vergängliche Minne ihren Untertanen einträgt, und ich rief dann mit grosser Sehnsucht zu meinem Herzen und den andern Herzen, wo sie auch sein möchten in allen Enden dieser Welt: Wohlauf, ihr gefangenen Herzen, aus den engen Banden vergänglicher Minne! Wohlauf, ihr schlafenden Herzen, aus dem Tode der Sünde! Wohlauf, ihr üppigen Herzen, aus der Lauheit 193 eures trägen, lässigen Lebens! Hebt euch auf mit einer gänzlichen ledigen Umkehr zu dem minniglichen Gott: Sursum corda!”