Erstes Kapitel. Hofnungen von Italien her.

Duur war noch in mehreren Nächten bei Louisen glüklich, ohne daß der Hof etwas davon erfuhr; und um sich dieser Liebe ganz würdig, seinem Herzog sich immer werther, beim Volke sich immer beliebter zu machen, unternahm er izt eine für das ganze Land interessante Arbeit; nemlich Druk- und Denkfreiheit einzuführen.

So lange der Minister von Hello am Staatsruder gesessen hatte, durfte kein Buchhändler es wagen aufklärende Schriften über Religion und Staat zu verlegen, kein Prediger auf seinem heiligen Lehrstuhl nur auf gute Werke und rechtschafnen Lebenswandel dringen, ohne den alten, theologischen Wort- und Sach-Schlendrian beizubehalten, keine öffentliche Schulanstalt eine Reformazion in Rüksicht des Unterrichts, der Bildung jugendlicher Herzen, und äussern Sitten vornehmen. Ja, mancher ehrliche Mann, der hier zum Besten seiner Untergebnen, dies und das geändert hatte oder geändert wissen wollte, verlor durch Hello’s Orthodoxie Amt und Brod und Ehre.

Der Graf unterfing sich vieles, besonders da er den Geheimerathspräsidenten schlechterdings wider sich hatte; allein da er das Herz des Fürsten in seiner Hand trug, hofte er mit leichter Mühe durchzudringen, und er freute sich schon im Stillen dieser guten That.

Allein ehe wir ihn zu diesem Werke begleiten, wollen wir vorher Theilnehmer an einer großen Freude in dem ländlichen Wohnsiz des alten Grafen von Duur sein.

Dieser sowohl als sein Rikchen versüßten sich die Tage ihrer Einsamkeit wechselsweis, so sehr sie es vermogten. — Holder wurde noch eben so warm und so innig geliebt, als ehmals, aber sein Verlust doch minder betrauert. In der Dämmerungsstunde des Abends, wenn beide entweder in ihrem Zimmer saßen, und von den kleinen Tagsgeschäften ausruhten, oder den Sonnenuntergang von einem Hügel beschauten, oder wenn sie am Kaffetische beisammen waren, erzählten sie sich einander von dem geliebten Sonderling; jeder kleine Umstand von ihm war ihnen merkwürdiger, als der Untergang eines großen Staates; jedes Wort, was er einmal gesprochen hatte, wurde von ihnen mit freundschaftlichen Anmerkungen wiederholt; jede Handlung von ihm war der Stof eines stundenlangen Gesprächs.

Wie die Reliquien eines Heiligen verwahrte Rikchen alles, was von Holdern herrührte, alles, dessen er sich sonst vorzüglich bedient hatte. — Sie erinnerte sich, daß er seinen Kaffe gern ungezukkert trank; flugs ahmte sie ihm nach, so schwer es ihr anfangs auch wurde, und zulezt glaubte sie selber festiglich, daß das ungesüßte Levantegetränk süßer schmekte.

Auch Florentins Glük am Hofe machte sie froh, und der alte, gute Onkel bildete sich vorzüglich viel auf seinen weit über ihn erhabnen Neffen ein. Der ganze benachbarte Landadel suchte izt die Freundschaft des gutmüthigen Alten, keine Lustparthie wurde angestellt, von welcher nicht er und seine schöne Nichte Theilnehmer waren. Allenthalben räumte man ihm die erste Stelle ein; sprach er, so schwiegen die übrigen und hörten ihm zu.

„Onkel! Onkel! ein Brief!“ rief Friedrike eines Tage überaus freudig, indem sie in den Garten hereinhüpfte, wo der alte Herr sein Pfeifchen unter einer Jasminlaube dampfte.

Der Greis lächelte sanft und fragte: „worüber freust Du Dich, närrsches Mädchen?“

„Ich weis es nicht; mir ist so wohl!“ antwortete sie und flog den Garten wieder hinaus dem Postboten zu bezahlen und etwas gütlich zu thun.

Der alte Graf erbrach das Siegel — las und bekam an Händen und Füssen ein ungewohntes Zittern; er stand auf, warf die Pfeife hin, taumelte den Gang zwischen den Hekken entlang zur Gartenthür, winkte einem Bedienten, lies ihn das Fräulein rufen, und schwankte ausser sich der Jasminlaube wieder zu.

Ehe er sie erreicht hatte, stand Rikchen schon neben ihm, und fragte.

„Erst in die Laube!“ sagte er matt: „erst in die Laube, dann sollst du etwas hören!“

Sie traten endlich herein. Der Greis sank dem lieben Mädchen um den Hals, und küßte sie und lallte zu wiederholten malen mit Entzükken den Namen Holder!

Holder! Holder! Holder! rief Rikchen und küßte den Onkel, und sprang umher und jauchzte.

Holder! ein Brief von Holder!“ mehr konnten beide nicht im ersten Ausbruch der Freude sprechen; sie fielen sich wieder um den Hals, küßten sich, und riefen den Namen Holder, mit bethränten Augen unzählige mal aus.

Nachdem der Rausch zum Theil verflogen war, sezten sie sich an ein Tischgen und der Onkel begann den Brief vorzulesen.

Bester, theuerster Herr Graf,
Ewig geliebte Friedrike!

Ich schreibe Ihnen aus der Mitte von Italien, aus dem kleinen republikanischen Gebiete S. Marino, um eine Pflicht zu erfüllen, die mir so heilig ist, und die eher zu vollbringen, bis izt noch unmöglich war.

Zürnen Sie nicht über mich, und über meine dem Schein nach absurde Aufführung; zürnen Sie nicht über meine plözliche Entfernung, welche, wie ich leicht errathen, und nachher erfahren habe, Sie in die unangenehmste Verlegenheit sezzen müssen. Halten Sie mich für keinen Sonderlingssüchtigen, für keinen Leichtsinnigen, für keinen Bösewicht! Ich bin das alles nicht, wenigstens gegen Sie nie gewesen. Ein Bösewicht handelt nie ohne Intresse, er wiegt seine Schurkereien gegen den dadurch zu hoffenden Gewinn ab, läßt nie das Gewisse fürs Ungewisse entschlüpfen. Und sagen Sie mir, welche Vortheile hätt’ ich wohl hier in Italien mit denen bei Ihnen zu vertauschen gehabt? O der Liebende vertauscht die Geliebte nicht gern, der Habsüchtige verliert sein Rittergut ungern! Eben so wenig verlies ich Sie, meine Lieben, aus Leichtsinn.

Der Flatterhafte handelte immer nach Willkühr, ich nach den Gesezzen des Zwanges. Hätten Sie mich doch früher ziehen lassen, vielleicht wär’ es uns allen besser gewesen! —

Ich sage, verurtheilen Sie mich nicht zu früh; es wird gewis eine Stunde schlagen, wo ich Ihnen einen befriedigendern Aufschlus über das Räthselhafte meines Betragens geben darf, wo Sie gern die zu früh gesprochne Verdammung zurüknehmen werden! — Für izt kann ich Ihnen zu meiner Entschuldigung nichts mehr sagen, als daß ich in gewissen Verbindungen stehe, welche in gewissen Stükken meinen freien Willen beschränken. Mir obgelegene Pflichten sind mehrentheils erfüllt, und ich sehe mit unaussprechlicher Sehnsucht dem Augenblik entgegen, welcher mir die Freiheit wieder schenkt, die vaterländischen Gegenden zu sehn, und mich Ihnen, vielleicht auf immer, in die Arme zu werfen.

Den Nachrichten zufolge, welche ich aus Deutschland empfangen habe, befinden Sie sich alle wohl, und Bruder Florentin klettert muthig am Hofe die steile Bahn des Glüks hinan. Unterlassen Sie nicht den jungen, feurigen Mann auf seiner schlüpfrigen Bahn unterweilen an Vorsichtigkeit zu mahnen, und besonders ihn für die Liebe erhabenerer Personen des andern Geschlechts zu warnen. Ich weis es gewis, daß ihn die Prinzessin Louise liebt, und daß er für ihre Schönheit eine gleiche Leidenschaft fühlt. Noch einmal: warnen Sie Florentinen, wenn Sie ihn behalten wollen!

Was mich selbst betrift: so lebe ich ein geschäftvolles, unruhiges, ängstliches Leben. Aber wohl mir, daß ich so glüklich bin, es zu können; es gilt das Wohl meiner Mitmenschen für welche ich arbeite; um des Glükkes einiger Tausenden willen, kann ich ja wohl ein Weilchen des Lebens Freuden entbehren! —

Und hab’ ich mich denn oft den Tag hindurch müde gearbeitet; so verlaß ich mein Zimmer, und trete aus meiner Wohnung hinaus in das freie Feld. Das Häuschen welches ich jezt, und zwar erst seit vier Wochen bewohne, denn vorher hielt ich mich einige Zeit in Neapel und in Rom auf, hat eine romantische Lage. Es ruht an dem Fuße eines Hügels, von einem anmuthigen Gebüsche verdekt. Zur Rechten sehe ich in der Ferne S. Marino. Wie gesagt, die Gegend ist schön, nur für mich nicht. Ich finde sie einförmig, traurig, die deutschen Winterlandschaften haben in meinem Auge ungleich mehreren Reiz, als die unter einem ewigen Frühling blühenden Felder von Italien.

Außer einigen abwechselnd zu mir kommenden Bekannten und zwei Kerln, welche mich bedienen, habe ich niemanden, in dessen Gesellschaft sich meine Seele aufheitern könnte. Ein niedliches braunes Mädchen aus S. Marino kam einstmals auf einem Spaziergange mit ihrem Vater in meine Hütte. Ihre unschuldige Unterhaltung ist das einzige Vergnügen gewesen, welches ich seit langer Zeit genossen. Nachmals besuchte mich die Marinerin noch einigemale und auch sie blieb dann aus. — Doch der Gedanke, Sie, meine Lieben, bald vielleicht zu umarmen, mag mir Erquikkung genug sein. Vergessen Sie mich nie, Ihren Sie ewig liebenden

Ludwig Holder.

Geschrieben im Landhause
bei Santo Marino.

„Nie! — nie vergessen!“ riefen der Onkel und Rikchen zu gleicher Zeit, nach durchlesnem Briefe aus, und wischten ihre Thränen vom Auge.

„’s ist doch ein braver, seelenguter Mann!“ sagte der tiefgerührte, alte Graf.

„Ja, aber die niedliche, braune Marinerin!“ hub das halb eifersüchtige, liebende Mädchen mit einer bedeutenden Miene an.

„I, Du kleine Närrin, meinst Du denn, daß in Santo Marino nicht auch hübsche Mädchen leben können?“

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