Zweites Kapitel. Das Wort an einen Fürsten.

Florentin erhielt einige Tage darnach die Abschrift und einen Commentar dieses Briefes vom Oheim; aber seine Freude erreichte beiweiten nicht den Grad der Lebhaftigkeit, wie bei jenen guten Seelen. — An eben dem Tage, als er den Brief erhielt, war auch schon ein anderer im Namen Ludwig Holders eingelaufen, in welchem wiedrum von unbekannter Hand vor Louisens Liebe und Morizens Has gewarnt wurde. Das Schreiben schlos sich mit den Worten: „fürchtet nichts von uns, wir sind Freunde. Das von Euch in der wohlbekannten Nacht wiedereroberte Strumpfband der Prinzeßin Louise ist in sichern Händen aufbewahrt.“

Der Graf erschrak, ging zu seinem Schreibschrank, zog ein geheimes Kästchen hervor, schlos es auf und sah das Heiligthum verschwunden.

„Was ist das?“ sprach er in sich selber, indem er mit seinen Augen nach dem leeren Orte des Kästchens hinstarrte: „treibt man mit mir sein Spiel? herrscht hier Zauberei oder Spizbüberei? Wer hat mir und wie hat man mir dieses Band entwenden können? Alle Schlösser sind heil und an dem Holze ist keine Schramme zu erblikken. Wenn Geheimnisse selbst nicht mehr Geheimnisse bleiben können, mein Eigenthum mir nicht mehr sicher ist, so verwünsch ich das fröhlichste Leben. Und wer der diebische Unbekannte sein mag, oder die Unbekannten? — Es ist fatal! meine eignen Bedienten müssen mir treulos gemacht worden sein!“

So monologisirte der Herr Graf noch eine Weile hin; wurde immer unwilliger, und schlos damit, seine Bedienten fortan zu verabschieden. Es geschah; er nahm andre in Sold, unter denen sich besonders einer merkwürdig machte. Dieser hies Badner, ein alter Held von vierzig Jahren, von der ehrlichsten, biedersten Physiognomie wie auch mit den empfehlendsten Zeugnissen versehen, — der aber stumm war. Diesen Mangel suchte er durch sein gutes und schnelles Schreiben zu ersezzen. Er führte sich gleich im Anfange so gut auf, daß Florentin ihn mehr zu schäzzen anfing.

„Sind die Unbekannten“ dachte Duur: „das wofür sie sich ausgeben; sind sie brave Männer, so werden sie mit dem unglüklichen Strumpfbande keinen bösen Gebrauch machen. Sie mögen es immerhin behalten, wieder erzwingen kann ich es nicht.“

So sehr, als möglich, über diesen kritischen Punkt sich beruhigend, begann er nun seinem vorliegenden Ziele, in Rüksicht der Druk- und Denkfreiheit immer näher zu treten. Er hatte den Herzog schon seit eingen Tagen vorbereitet; noch schwankte derselbe ungewis hin und her, Florentin, unermüdet, ging auf Befehl des Herzogs, endlich wieder zu ihm.

„Nun,“ hub der Graf nach einigen allgemeinen Gesprächen an: „wessen haben sich Ew. Durchlaucht der bewußten Sache wegen entschlossen?“

Herzog. Offenherzig gesagt, noch bin ich eben so sehr dafür, als dawider; ein Beweis, daß dergleichen Reformazion für mein Land eben nicht von überwiegenden Vortheilen sein mus, und daß meine Unterthanen, auch bei ihrer izzigen Verfassung, zufrieden sein können.

Graf. Verzeihen Sie, wenn meine Gründe für Druk- und Denkfreiheit bei ihnen noch nicht die Gegengründe überwogen haben, so liegt nicht die Schuld in der Schwächlichkeit der erstern, sondern wohl mehr an mir, daß ich sie nicht genau und einleuchtend genug darstelle.

Ich rede mit einem denkenden Fürsten, welcher nicht glaubt, ein ganzes Volk sei für ihn, sondern er für das Volk geschaffen, welcher nicht glaubt, es sei Gnade von ihm, wenn er die Unterthanen glüklicher macht, sondern Pflicht; — eben deswegen werde ich so frei reden, als es die Liebe für das Vaterlandswohl fordert, und die Ehrfurcht es erlaubt.

Eine Nazion ist noch nicht glüklich zu nennen, so lange sie, bei der ansehnlichsten Wohlhabenheit ihrer Mitbürger, dumm, abergläubig, bigott ist. Dann ist ja nur erst ihre thierische Natur befriedigt, aber nicht die erhabnere, menschliche, und sie unterscheidet sich, wenn sie auch im Mittelpunkt Europens wohnt, durch nichts von den einfältigen Indianerhorden, als durch die größere Menge ihrer Bedürfnisse und Befriedigungsmittel derselben.

Herzog. Darin steh ich Ihnen bei, lieber Graf. Ein Fürst, welcher solch ein wohlgemästetes, einfältiges Volk beherrscht, verliert nicht viel, wenn man ihn mit irgend einem Nabob vergleicht.

Graf. Geistige und sinnliche Vollkommenheit macht hienieden unsre Glükseligkeit aus; beide müssen stets mit einander verknüpft sein, beide sind von stetem gegenseitigen Einfluß; doch ist der Einfluß geistiger Vollkommenheit ungleich größer auf das Wohl einzelner und vieler. Ein Sklav kann nie äusserlich glüklich werden; ein Volk ohne Geistesfreiheit eben so wenig. Der Monarch, welcher sein Volk um jede Freiheit bringt, es als ein Sklavengesindel behandelt, herrscht ungerecht, ist ein offenbarer, vom Volke nie zu duldender, Despot. Aber der Monarch, welcher den Geist des Volks fesselt, sich zum Beherrscher den Gewissens aufwirft, den Unterthan zum dummen Vieh erniedrigt, welcher Name gebührt dem? —

Ein freies, am Geist und äussern Wesen freies Volk wird sich nie wider seinen Fürsten auflehnen, welcher durch die ihm vom Volke ertheilte Autorität und durch Gesetze die ächte Nazionalfreiheit beschüzt; nur Sklaven empören sich.

Welches sind denn die herrlichen Früchte des Glaubenszwanges, des Verbots aller Neuerungen im Schul-, Prediger- und Schriftstellerwesens? Daß das Volk um ein Jahrhundert in der Cultur des Geistes und seiner reinen Vollkommenheit zurükbleibt? ein elender Nuzzen! — oder daß die Leute nach dem Tode von der Gottheit nicht verdammt werden mögten, weil sie hin und wieder die Religion ihrer Väter verbessert haben? — O, theuerster Herzog, wird das erhabenste, allgütigste Wesen den, mit so einem kleinlichen Gran der Vernunft begabten, Menschen strafen können, wenn er Menschensazzungen nach bessern Ueberzeugungen änderte? — Ist denn auch die Religion unsrer Väter unverbesserlich? ist es die reine unverfälschte Religion, wie sie Christus lehrte und wie er sie selber übte? Auch der orthodoxeste Theologe wird nicht glauben können, daß Christus göttliche Verehrung verlangt, Ewigkeit der Höllenstrafen gepredigt, oder andre Dinge geglaubt habe, davon wir in den Urquellen des Christianism keine Spuren finden, wovon wir im Gegentheil sicher wissen, daß es das Gemächte spätrer, an Glauben und Schwärmerei starker, an Einsicht und Scharfsinn aber schwacher Jahrhunderte sei. Christus eigne Religion und Symbolum war: „Liebet Gott über alles, und eure Mitmenschen, als euch selbst!“ Wer dieses Sazzes ganze Würde fühlt und durch praktische Anwendung desselben im gemeinen Leben beherzigt, der ist ein Christ, auch wenn er alle übrige Anhängsel spätrer Zeiten verwirft. —

Ich sage nicht, daß man darauf dringen solle, durch Edikte und obrigkeitlichen Zwang dergleichen hellere Begriffe einzuführen, dies wäre eben so ungerecht, als jezt, da das Gegentheil geschieht; sondern daß man einem jeden zu denken und zu glauben gewähren mögte, was er seiner Ueberzeugung nach, für denk- und glaubwürdig hält.

Ein aufgeklärter Mann wird sich selten zu groben Lastern herabwürdigen, öfters aber der unwissende, welcher durch ein andächtiges Abendgebet die Sünden des ganzen Tags gut machen zu können sich einbildet. Woher kömmt es denn, bester Fürst, daß sich ihre Landesuniversität noch so sehr vor vielen andern deutschen hohen Schulen durch Rohheit, Brutalität und Ignoranz der dasigen Studirenden auszeichnet? Daher, weil Denken und Geistesfreiheit in Ihrem Staate eine unbekannte Sache ist, weil Unwissenheit und Trägheit des Verstandes das Gefühl für wahre Grösse und Ehre verstimmt und die Mutter der Barbarei ist.

Doch vergeben Sie mirs, meine andächtigen Leser und Leserinnen, daß ich unsern Grafen hier seine Apologie für die Freiheit in Geistessachen so trokken hinschwazzen lasse, ohne zu bedenken, daß sie vielleicht da gähnen mögten, wo Florentin am nachdrüklichsten gesprochen zu haben meinte. Ueberdies kann ich auch unmöglich glauben, daß dies Buch von irgend einem gelesen werde, welcher die Sklavenkette seines Geistes liebte, welcher nicht von den zahllosen Vortheilen einer allgemeinen Aufklärung überzeugt wäre. Ich plauderte also unnüz; denn durch dieses Fragment einer Schuzrede für die Freiheit des Geistes werde ich unstreitig niemanden bekehren, wiewohl es mit Florentinen ein andres Bewandniß hatte; denn Fürsten mögen dergleichen Sachen gern etwas bequemlich überdenken.

Inzwischen gelob’ ich feierlich, mich nie über einem solchen Fehler wiedrum von den Lesern ertappen zu lassen, aber dafür sind diese auch so discret, mir noch eine kleine Plauderei für gut zu halten, sie mögen sie nun anhören, oder sich die Ohren verstopfen.

Das größte und eigenthümlichste Verdienst unsers Jahrhunderts ist, in Rüksicht der Religion und Wissenschaften, der allgemeine Geist des Selbstforschens, ein Verdienst, welches in den leztern manches System umwarf, und bei der erstern wichtiger ist, als die Stiftung einer neuen Religion. Dieser Geist des Selbstforschens ist der Vater der Aufklärung, deren Vortheile für die Menschheit so offenbar sind, daß es beinah unbegreiflich ist, wie man darauf fallen konnte, sie zu hassen.

Theils ein unbekanntes, doch gewis sehr nichtiges Intresse der Grossen, theils eine unmässige Vorliebe für die Klugheit der Alten wurden die Ursachen, daß das Selbstforschen, vorzüglich in der Theologie zum Verbrechen ward. Allein daß Aufklärung auch mit dem Interesse den Staates bestehen könne, bewies Friedrichs des Einzigen musterhafte Regierung und daß der gröste Theil unsrer heutigen Denker und Halbdenker von dem Vorurtheile zurükgegangen sei, welches das Alterthum über seinen Werth erhebt, bezeugen zahllose Schriften. Was hindert demnach die Fortschritte der Geistes in der Erkenntnis des Wahren und Nüzlichen?

Fast läßt es sich mit Gewisheit behaupten, daß unsre Nachkommen nicht da stehn bleiben werden, wohin wir sie führten, daß sie, unserm Vorspiele getreu, ebenfalls weiter gehn, und der menschlichen Geistesvollkommenheit so lange nachtrachten werden, bis sie zu dem Ziele gelangt sind, welches die ewige Vorsehung, ihrem weisen Plane gemäs, der Menschheit vorgestekt hat, wo man sodann entweder stille stehn, oder, um dem Reiz der Veränderung zu folgen, zu den Irrthümern und Schwächen zurükkehren wird, welchen man sich vorher mit vieler Mühe entriß. Wie gesagt, die Weisen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts werden sich unmöglich mit dem genügen lassen, was wir ihnen gewonnen haben; denn die Glükseeligkeit des Geistes gründet sich eben auf Erweiterung seiner Erkenntnisse, als sinnliches Vergnügen im stufenweisen Fortschreiten in den äusserlichen Vollkommenheiten beruht.

Träges Verharren bei dem, was erworben ist, streitet wider die Natur des Menschen und vermindert seine Freuden.

Wenn denn auch ein Fürst, oder sein Rath, verwöhnt durch mystische, altgläubige, unvollkommene theologische Kenntnisse, welche man ihm schon in frühen Kinderjahren einflößte, und die er, wegen Menge andrer Geschäfte, nie Zeit und Gelegenheit hatte zu verdauen, im gutgemeinten Eifer die fürchterlich geschilderte Freigeisterei durch öffentliche Verordnungen zu unterdrükken sucht: wird er dadurch viel für sich erlangen? — Bei der Nachwelt gewiß nichts, denn diese verwirft die Autorität der Vorwelt, und bei den Zeitgenossen eben so wenig, ausgenommen, daß die Schriftsteller ihren und den Namen des Drukorts auf dem Titel der Aufklärung befördernden Werke weglassen. Ja dergleichen Befehle der Großen wider Aufklärung und Selbstforschen erreichen gewöhnlich nicht nur nicht ihren Zwek, sondern sind vielmehr dem Gegentheil behülflich.

Wenn ich nicht zuviel wage, so möcht’ ich das iztentstehende moderne Christenthum in Rüksicht des erwähnten Verhältnisses, mit dem Entstehen des ersten Christenthums überhaupt vergleichen.

Freilich stehen den neuem Reformatoren der Staatsreligion keine Verfolgungen von neuern Deciussen und Galeriussen bevor; aber demungeachtet wird jeder Zwang eben dasselbe hier bewirken, als Foltern und Verbannungen bei den ersten Bekennern ehmals, das ist: Standhaftigkeit bis zur Schwärmerei. Ein Querdamm wider den Strom fesselt denselben nur auf eine Zeitlang, aber benimmt seinem Wachsthume nichts; Und, wenn sich dann plözlich einmal ein Constantin zum öffentlichen Beschüzzer der izzigen Reformazion aufwürfe: so würde dieselbe vielleicht eben so schnell, aus allen Zünften des Volks, von der obern bis zu der niedern, Tausende der Bekenner aufstellen können.

Doch dies sind Muthmassungen, die, ob sie gleich die höchste Wahrscheinlichkeit vor sich haben, immer doch nur leere Erwartungen sind, und über deren Erfüllung oder Nichterfüllung die Zukunft richtet.

Der Streit für und wider Aufklärung, 5 ) für und wider die Rechte des Fürsten in Glaubenssachen und besondere in Hinsicht der veralteten symbolischen Schriften, scheint anizt lebhafter zu werden.

Nähern Anlaß gab hiezu die bekannte Schrift des Herrn Rönnberg über symbolische Bücher im Bezug aufs Staatsrecht, eine Schrift, welche beiweiten nicht das zu bewirken im Stande, ist, weswillen sie der Herr Professor vielleicht drukken, und ein Rescript vom Hofe sie den Geistlichen im Preußischen Lande kommunizieren ließ. —

Würdige, einsichtsvolle Männer schwiegen bisher über den berührten Punkt nicht, besonders lesenswerth war Herrn Prof. Trapps Untersuchung der Gewalt protestantischer Fürsten in Glaubenssachen, und das früher erschienene Werk über das Recht protestantischer Fürsten unabänderliche Lehrvorschriften festzusezzen, und darüber zu halten, vom Hr. Hufeland. Allein das Rönnbergische Buch erregte ziemlich allgemeinen Unwillen wider seinen Verfasser, und ich weiß nicht, ob der alte Preußische Landprediger, welcher sich, in seinem Sendschreiben an den Hr. Hofrath Rönnberg, in einen feurigen jungen Mann verwandelt, ganz Unrecht hat, wenn er dessen Schwächen, deren Anzahl nicht gering ist, mehr mit Wiz angreift, als sie einer ernsthaften Prüfung werth zu halten.

Dies beiseite gesezt, wünscht jeder Biedre und Unpartheiische bei solchen Zwisten unter den Gelehrten mehr Bescheidenheit, als Grobheit, mehr Wahrheitsliebe, als Selbstsucht, und Toleranz auf beiden Seiten. Es entehrt die Würde des deutschen Schriftstellers, Kriege zu führen, wie Zimmermann und Bahrdt, welche das Uebel, statt zu verringern, nur vergrößern, und in andrer Hinsicht verehrungswürdige Männer dem entehrenden Gelächter des Pöbels preisgeben.

Noch sind wohl nie die Schriftsteller unsers Vaterlandes, noch wohl nie die Schriftsteller andrer Nazionen, so tief von ihrer Würde herabgesunken, als seit wenig Jahren die deutschen. Wer kann zum Beispiel das neulich erschienene Pasquill: Bahrdt mit der eisernen Stirne, ohne Ekel und Verdruß durchblättern? Fürwahr ein Zuchthäusler würde mehr Gefühl für Schande und Ehre, als der Sudler dieser Skarteke haben. O Fischart und Rabner, lebtet ihr noch!

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