Sechstes Kapitel. Der Onkel in der Komödie.

Wie die lieben Leutchen nach diesem Auftritte geschlafen haben mögen, können sich die Leser leicht vorstellen. Der gutherzige Alte kalkulirte die halbe Nacht hindurch, entwarf hundert Pläne, und verwarf sie wieder, und konnte keinen festen Entschlus fassen.

Um ein Uhr in der Nacht hörte er drei Pistolenschüsse fallen. Sie geschahen oberwärts in Holders Zimmer; man wars von ihm schon seit einigenmalen gewohnt, und er gab vor, daß er das Echo bemerken, oder nach Vögeln schiessen wollte. Der Onkel lies sich nicht stören und schlief ein.

Das arme Rikchen wagte auch beim Frühstük folgenden Morgens nicht viel zu sagen; der Graf blies nachdenkend seinen Kanasterdampf von sich und lies oft seine Tasse kalt werden. Holder war noch nicht erschienen.

Mit einemmale hörte man Pferde in den Schloshof hereinsprengen. „Wenns doch Florentin wäre!“ rief der Alte, und stand auf; „wenn ers doch wäre!“ sagte das Fräulein lebhaft, und flog und ris das Fenster auf.

Der Graf. (eilig) Ist ers?

Rikchen. (traurig.) Ein Knecht mit zwei Reitpferden. (Pause) Ach, Gott! Onkelchen, er fragt nach Holdern! —

Der Graf. (bestürzt) Nach Holdern?

Rikchen. (mit Thränen im Auge) Holder will fort!

Holder. (der zur Thür völlig angezogen hereintritt) Ja, das will ich, muß ich. — Guten Morgen, Herr Graf, guten Morgen, gnädiges Fräulein! (küßt ihr die Hand.)

Der Graf. (bewegt) Herr Holder — —

Holder. Herr Graf, dürft’ ich Ihnen für Ihre bisherige Freundschaft und meine gütige Bewirthung hundert Thaler anbieten, einigermaaßen wieder zu vergelten, so thät’ ichs. Allein Sie schlagen es aus, und ich darf nur mit Worten danken. Es thut mit weh — o sehr weh — —

Rikchen. Herr Holder, lieber Onkel, hat geweint, seine Augen sind roth — —

Holder. Mag ihnen beiden dies ein Beweiß sein, wie lieb mir dieser Aufenthalt gewesen, wie ungern ich ihn verlasse. Ich habe in Ihrer Gesellschaft seelige Stunden gehabt, wer weiß, ob ich sie jemals schöner geniessen werde, denn ich war, wie in einem väterlichen Hause; all meine Wünsche starben, all meine Hofnungen gab ich auf, meine weit hinaus gehenden Entwürfe ließ ich vergessen, um ganz Ihnen zu leben, oder vielmehr in Ihren Armen meines Lebens froh zu sein. Izt hört dies alles auf, und ich schränke mein ganzes Glük nur darauf ein, daß Sie mich nicht vergessen mögen.

Rikchen. (weinend seine Hand nehmend) Wir Sie vergessen?

Der Graf. (immer mehr gerührt) Hätt’ ichs doch nimmer erfahren daß Ihr Euch geliebt hättet, — vielleicht — wärs besser gewesen.

Rikchen. Onkelchen, ja, Sie haben Recht, izt seh ichs; Liebe macht unglüklich, o sehr unglüklich! könnt es nur dießmal, dies einzige mal gut gemacht werden, ich wollte auch nie wieder lieben.

Holder. Trösten Sie sich, gnädiges Fräulein, ein Jahr — und ich bin vergessen.

Rikchen. Ein Jahr? ach, in dem Jahre weint’ ich mich tod. Freilich würd’ ich Sie dann vergessen müssen, denn im Tode, sagt man, hören all unsre Freuden und Leiden auf.

Holder. (küßt ihr die Hand, indem er seine Augen abtroknet) Und nun, Fräulein — —

Rikchen. (reißt sich los von ihm und wirft sich dem Grafen um den Hals) O, bester, lieber Onkel, lassen Sie Holdern nicht, oder ich sterbe — — haben meine Bitten je bei Ihnen etwas vermogt, haben Sie je meine Thränen gerührt: so hören Sie mich izt, so — so erbarmen Sie sich Ihren Rikchens!

Der Graf. (wehmüthig stammelnd) Kind, laß mich doch —

Rikchen. Nein, nein, Ihr Rikchen wird nie ruhig werden, wird sich unter die Erde grämen, wenn es izt verstossen ist. Sie werden mich nicht lange mehr haben, gewis nicht lange! — O Holder, einziger, liebster Holder, bitten Sie doch!

Holder. Ich halt’ es nicht aus! (schließt sie in seine Arme und küßt sie) Himmlischen Mädchen, lebe wohl! — noch einmal lebe recht wohl!

Rikchen. Wollen Sie dennoch? Sie selber? —

Holder. O Gott!

Rikchen. Sie selber? ach, Sie haben mich nicht lieb gehabt — können mich nie geliebt haben!

Holder. (mit Schmerz-gebrochener Stimme) Fräulein, Sie sehen nicht in mein Herz, aber Gott sieht es! — Herr Graf, leben auch noch Sie wohl! (will ihn umarmen.)

Der Graf. (indem er Holders Hände drükt, und ihn mit nassen Augen anstarrt.) Holder, Holder: was machen Sie? warum wollen Sie von uns? Wer hat Sie beleidigt? that ichs, that ichs, thats mein gestriges Schweigen so bitt ich um Verzeihung. Sehen Sie, die Sache war zu unerwartet, und da ists doch wohl einem alten Mann, der für das Wohl seines Lieblings sorgt, leicht zu übersehen, wenn er die Begebenheit recht überlegte.

Holder. Allein, sollten Sie izt, durch des Fräuleins Thränen bis zur Schwachheit gerührt etwas einwilligen, was Sie bei kälterm Blute — —

Der Graf. Nicht Schwachheit, nicht Uebertäubung! nein, Sie sind mir zu lieb geworden, als daß ich Sie von mir lassen könnte. Ihr Karakter ist mir unverholen, darum befürcht’ ich von Ihrer Liebe zu Friedriken nichts. Und Sie wissen ja selber, wie nothwendig Sie mir geworden sind; wollen Sie also nicht, daß sich das arme Mädchen krank harmet, wollen sie nicht, daß ich alter Mann mir ewige Vorwürfe machen, mir selber mein Restchen Leben verbittern soll, so bleiben Sie.

Rikchen. Null, lieber Holder? nun?

Der Graf. Da, nehmen Sie das Mädchen hin, nehmen Sie sie hin, ich will denn nun einmal der Onkel in der Komödie sein, aber bleiben Sie.

Holder. (umarmt und küßt den Grafen) Wohl, es sei; ich widerstehe nicht.

So lößte, sich der Auftritt in allgemeine Freude auf; Holder bestellte den Reitknecht ab; Rikchen sprang umher und küßte dem frohen Alten Hand und Mund; man sezte sich wieder zum Frühstük und fühlte nun ganz, wie sehr man an einander gekettet sei.

Was wären unsre Freuden, wo kein Harm ihren Werth erhöhte? Ein Edelgestein ohne Folie, ermüdendes Einerlei!

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