Holder und Rikchen hörten des Onkels Stimme. Hurtig flogen sie auseinander und dem Alten entgegen; der so eben ins Zimmer hereintrat.
„Und noch so im Dunkeln? Rikchen, kommandire Licht!“
Der Onkel sprachs, Riekchen hüpfte zur Thür hinaus, und Holder half dem Grafen beim Ausziehen.
„Es darf Ihnen nicht gereuen, Holderchen, daß Sie heut zu Hause blieben; hab’ mein Seel nichts, als eine wilde Ente geschossen!“
Ich bedaure Sie.
„Ja, sehen Sie, Freundchen, das mus sich ein Jägersmann, wie ich, nun schon gefallen lassen. Nun, Sie haben doch keine Langeweile gehabt?“
Im geringsten nicht, Herr Graf.
„Nun, ich denke auch. Wovon haben Sie mit dem Mädel geschwazt? darf ichs wissen?“
Holder war verlegen. Ich habe, sagte er; wir sprachen von — von, wie soll ichs nun gleich nennen, von — von — — einer ziemlich philosophischen Materie.
„Philosophischen Materie? Poz Bliz, weiß denn Rikchen da mitzuplaudern? ’s ist ja nur ein Mädchen! — doch nicht etwan davon, worüber wir uns gestern beim Kaffee stritten, und da ich Recht behielt, von den Menschen im Monde?“
Ich bitte um Verzeihung, der Stof war ganz neu.
„Je, was Sie sagen! nun und der war?“ —
Eine Hypothese, von der Sie sich, Herr Graf, und kein Philosoph, so lange es Philosophen gegeben hat, etwas träumen ließ. —
Holder suchte hierdurch Zeit zu gewinnen, sich auf etwas zu besinnen, und des Grafen Neugier wurde immer mehr gespannt. —
„Nun so sagen Sie doch!“
Ich behauptete, daß unser Erdenball und wir lebendige Geschöpfe auf demselben, nicht sowohl um unsrer selbst willen von der Gottheit geschaffen waren, sondern daß wir vielleicht höherer Wesen willen vorhanden sein könnten!
„Wie war das? was? warten Sie, ich muß das noch einmal durchdenken. — Aber warum denn für höhere Wesen?“
Daß dergleichen höhere Geschöpfe vorhanden sind, ist so gewiß, als unsre Unsterblichkeit — das heißt, sie sind höchst wahrscheinlich. Daß diese Wesen edlere Freuden geniessen, und nicht wie wir, an bloße Sinnlichkeit gebunden sein müssen, folgt schon uns dem Begriff höherer Wesen; es ist also leicht möglich daß wir ihnen das sind, was uns unsre Schauspieler sind. Wir lernen von den selben Moral und gute Sitten, sie von uns höhere Einsichten in die Natur der Welt, der Gottheit, des Geisterreichs, wie sie dies lernen, ist uns bei unsern kleinlichen, armseeligen Ideen eben so unbekannt, als manchem lüderlichen Komödianten, daß man durch das Schauspiel ein besserer Mensch werden könne.
„Wir wären also für andre geschaffen? wir nicht unsrer selbst wegen?“
Sollt’ es nicht möglich sein?
„Das wäre mir aber sehr ungelegen.“
Und wenn es das ist, was wollen wir machen? wir sind ja zu schwach; wir können uns ja so wenig wider den Schöpfer unsers Daseins auflehnen, als der Wurm im Staube wider uns sich empören kann, wenn wir Laune haben, ihn zu zertreten. — Und warum lies uns Gott jene Gegenden jenseits des Grabes dunkel? weil wir auf solche Art derselben gar nicht bedürften. —
„Das wäre aber, mein Seel, schreklich!“
Freilich wenn wir positive Gewisheit davon hätten; aber so müssen wirs uns, nach dem Willen des grösten Wesens, gefallen lassen, im dunkeln zu schwanken, und die Hofnung zu unsrer Trösterin zu nehmen.
„Aber könnt’ ich nicht murren, könnt’ ich nicht sagen? Warum schufst Du mich zur Glükseeligkeit andrer Wesen, o Gott, warum machtest Du mich nicht auch zu einem von ihnen? Du bist nicht der Allgütige! könnt’ ich so nicht sprechen?“
Nein, Herr Graf, weil Ihnen doch immer die Gewisheit fehlt, weil Sie sich doch von Ihrer Fantasie eine andre Hofnung geben lassen, und Ihre Klagen Ihnen über dies eben so wenig nützen würden, als dem Bauer, dem Bettler, welcher beweint, daß er nicht König geworden. Die Weisheit Gottes hat es so angeordnet, daß wir, auch wenn sich die Sache, wie oben gesagt, verhielte, doch zufrieden mit unsrer Lage sein können, so wie der Vogel in der Luft mit der seinigen.
Ein Bedienter brachte izt Licht; Friederikchen tanzte hinter ihm, ging zum Onkel und zerstörte durch ein Duzzend Fragen beinahe die ganze Aufmerksamkeit und Gegenminirung des gräflichen Philosophen, hätte dieser nicht gleich bei der ersten Silbe seine Hand auf ihren Mund gelegt.
„Rikchen wir sprechen izt von den ernsthaftesten Dingen, zu welchen Nachdenken erfodert wird — also, sei ein Weilchen still, und stopf’ mir indeß eine Pfeife — Sie aber, reden Sie doch weiter.“
Das Fräulein stopfte den Meerschaumkopf und schielte nach Holdern; Holder sammelte neue Gedanken und der Onkel starrte sinnend vor sich hin.
In dieser Hypothese, fuhr Holder fort, lassen sich die philosophischen Systeme vieler alten und neuern Selbstdenker vereinigen. Einige läugnen, zum Beispiel, die Freiheit unsers Willens, und wie sichs von so großen Männern nicht anders vermuthen läßt, nicht ohne Gründe. Nur auf die wichtige Frage, zu welchem Ende sind wir Marionetten? wußten sie wenig oder gar nichts zu antworten. Allein obige Muthmassung, daß wir nicht für uns existiren, lößt alles auf.
„Wahrhaftig, da haben Sie wieder Recht!“
Andre verwerfen die Unsterblichkeit der Seele. Man sezt ihnen wichtige Argumente entgegen, aber sie wehren sich durch; nur auf die Frage; wo bleibt beim Mangel der Unsterblichkeit Plan der Schöpfung, Weisheit Gottes, höchste Vollkommenheit? verstummen die Herren gewöhnlich. Nimmt man aber meine Hypothese an, so ist, auch wenn unsre Seelen sterblich sind, dennoch Plan in der Schöpfung —
„Hören Sie, Holderchen, vor izt sollen Sie Recht haben, aber nach dem Essen nicht mehr, dann werde ich wider Sie und Ihre Hypothese streiten, darnach richten Sie sich ein.“
Der Onkel zündete die Pfeife an und Rikchen trippelte näher.
„Aber,“ hub der Graf von neuem an: „wie haben Sie sich denn über solchen kritischen Gegenstand mit Rikchen unterhalten können?“
Holder. Wir sprachen nur eine kurze Zeit darüber.
Onkel. Kannst Du denn so was begreifen, Mädchen?
Rikchen. Wovon Sie sprachen nicht ein Wort; wovon aber wir, (sie zeigte auf Holdern) sprachen, ja. Wenn Sie sonst von der Liebe redeten, Onkelchen, da verstand ich nichts, aber — —
Onkel. (nimmt die Pfeife vom Munde) Was? Liebe?
Holder. (hustet)
Rikchen. Aber mit Herr Holdern läßt sich darüber viel deutlicher sprechen.
Holder. (hustet stärker.)
Onkel. Nun, sag mir nur, was soll denn das?
Rikchen. (sich anschmeichelnd) Sie — sind doch nicht böse? Sie lieben ihn ja auch, und ich bin auch — auch — —
Onkel. (legt die Pfeife hin) Was denn?
Rikchen. (ihr Gesicht an des Onkels Brust verbergend.) Verliebt.
Des Grafen Gesicht verlängerte sich bei diesem Worte; mit ofnem Munde und gefaltnen herabhangenden Händen stand er da und konnte keine Silbe hervorbringen. Rikchen blieb in ihrer vorigen Attitüde, und Holder zupfte an seinen Manschettenspizzen.
„Du bist verliebt?“ brachte endlich der Graf nach einer minutenlangen Stille hervor; er war in der grösten Verlegenheit mehr zu sagen, denn auf einer Seite schäzte er Holdern zu sehr, als daß er ihn vor den Kopf stoßen sollte, ob er gleich Holdern nicht in seine adliche Familie heurathen lassen wollte, auf der andern Seite befürchtete er bei seiner Pflegetochter alle Autorität für die Zukunft zu verlieren, wenn er zu einer Sache schwiege, die er ihr so oft verboten hatte. Er sah bald das Mädchen, bald den jungen Mann an und beschlos vors erste klüglich seine Verlegenheit auf die andern beiden zu wälzen: „Nun, Herr Holder.
Die Sache betrift Sie ebenfalls, und Sie schweigen?“
Holder. Gnädiger Herr, wenn mich das Fräulein liebt, dafür kann ich nicht, und Sie verzeihen es mir, daß ich gegen Friederikchens Reiz nicht unempfindlich bleiben konnte. Nur eins bleibt mir übrig, wenn mich diese That in ihren Augen verhaßt macht, Sie und Ihre Niece zu verlassen. Ich fühle es, daß es mir traurige Tage und traurige Jahre machen wird, aber ich fühle es auch, daß ich Mannes genug bin, endlich zu überwinden.
Rikchen. (schwermüthig zum Grafen heraufblikkend.) Und Sie wollten ihn von uns lassen?
Onkel. Aber mein Gott — —
Holder. Ich darf hier nicht Einrede wagen, ich darf auch nicht bitten. — Sie entscheiden und Ihrem Befehl muß ich mich untergeben.
Onkel. (in großer Verlegenheit) Aber was soll denn mit dem Lieben am Ende werden?
Rikchen. Gar nichts, gar nichts, verlassen Sie sich darauf.
Onkel. Ich kanns doch nicht machen, wie Onkels in der Komödie. — —
Rikchen. Wie machens denn die?
Onkel. Euch die Hände in einanderlegen und sagen: der Himmel segne eure Liebe, seid glüklich und damit holla.
Rikchen. Je, warum denn nicht?
Holder. (ernsthafter) Ich verstehe Sie.
Man ging zum Abendessen. Der Graf schwieg über Tische. Holder ebenfalls. Rikchen fragte verschiednes und erhielt keine Antwort. Zulezt standen sie auf; das gute Mädchen sezte sich in einen Winkel und weinte, Holder entfernte sich in sein Zimmer, und der Onkel, der seinen Liebling nicht weinen sehen konnte, ging frühzeitig schlafen.