Erstes Kapitel. Holder erscheint wieder.

Ruhig wohnten der alte brave Onkel und seine reizende Nichte Friedrike von Duur auf ihrem Landschlosse, indessen der arme Florentin, hingeworfen in den großen Strom der Welt, auf ihren Wogen umhergewirbelt wurde. Sie wußten nichts von dem unseeligen Geschik desselben, sie wähnten ihn glüklicher, als sich, und ach, wie gern hätte Florentin seine glänzende Rolle mit der Rolle des unbedeutendsten Landjunkers vertauscht! — Wie gerne hätte er der Schmeicheleien des Hofs entbehrt, für die zärtlichern Schmeicheleien seiner Schwester; wie gern hätte er den Kuß einen Herzogs mit dem väterlichen Kuße seines Onkels verwechselt! Allein jezt war alles zu spät; jeder Rüktritt Unmöglichkeit. Nur einmal wünschte er noch die Fluren zu sehn, in welchen er den Traum der Kindheit geträumt hatte; nur noch einmal die angenehmen Wildnisse zu durchirren, in deren heiliger Dämmerung er oft begeistert in die Zukunft hinausstarrte, und sich von tausend Zungen als den Wohlthäter des Vaterlands ausgerufen hörte; nur einmal noch in der Mitte seiner Verwandten ehmalige Freuden wieder zu fühlen.

Sein Wunsch wurde ihm eher gewährt, als ers glaubte. Er kam ein Brief vom Onkel, welcher ihn ersuchte, übermorgen in sein Schlos einzutreffen; beileibe aber nicht später. Der Brief des guten Alten hatte so viel Geheimnisvolles an sich, daß Florentins Neugier nicht ungereizt bleiben konnte. Er ging zum Herzog und bat ihn um Erlaubniß seinen Onkel besuchen zu dürfen.

Der Fürst war ausserordentlich gnädig.

„Wenn eher darf ich denn hoffen Sie wieder bei uns zu sehn?“

Sobald es Ew. Durchlaucht befehlen.

„Befehlen? Pfui, Graf, Sie wissen, daß wir uns einander nicht befehlen. Also, wenn darf ich Ihre Rükkunft hoffen?“

„Vierzehn Tage wenigstens würd ich mir ausbitten.“

Vierzehn Tage? nun ja; aber ich bitte Sie, auch nicht eine Minute länger.“

Wenn Sie wollen, so unterlass’ ich die Reise gänzlich.

„Nein, nein! das dürfen Sie auch nicht. Ihr Onkel und Ihr Fräulein Schwester würden mir böse werden. Nur vierzehn Tage! die durchleben sich leicht.“

Haben Sie noch einige Befehle!

„Vor ihrer Wiederkunft erfahren Sie nichts, allein nachher desto mehr. Ich habe einen vortreflichen Anschlag, bei dessen Ausführung Sie mir schlechterdings beistehn müssen. — O Graf, Sie haben mich auf eine vortrefliche Bahn geführt; reden dereinst die Jahrbücher der Welt auch nicht von mir, als dem Eroberer, dem Heiligen, vergißt man mich auch, weil ich keine auffallende Thaten that: so belohnt mich doch jezt schon die Freude meines Volks.“

Nein, Theuerster; Vater des Vaterlandes wird die Nachwelt Sie nennen, ein Beiname, der unendlich schmeichelhafter klingt, als der Name des Grossen, des Weltüberwinders.

„Ich thue auf den einen, so wie auf den andern Verzicht. Eine Thräne von der Dankbarkeit geweint, ist belohnender, als aller Weihrauch von der Nachwelt. Und nennt man mich: so nenne man auch Sie. Denn Sie haben gleichen Antheil an der Vervollkommnerung meiner Unterthanen. — Graf, noch eins, warum seh’ ich Sie seit einigen Tagen so ernst, so schwermüthig?“

Mich, gnädigster Herr?

„Nun ja; Ihr Lächeln dünkt mich so erzwungen, Ihre Freude so erborgt. Was ist ihnen? sagen Sie mirs. So wahr ich Herzog bin, und so weit sich meine Gewalt strekt, helf’ ich ihnen! Ich mag kein trauriges Gesicht sehn, am wenigstens von Ihnen.“

Verzeihn Sie, vielleicht ists Laune, vielleicht die Annäherung einer Krankheit, vielleicht — —

„Man hat Ihnen doch nicht einen Streich gespielt, wie dem Prinzen Moriz?“

Ich wüßte nicht welchen?

„Der Prinz wie Sie wissen, wird uns in kurzem verlassen, und zwar, weil er in Gefahr steht umgebracht zu werden.“

Umgebracht zu werden?

„Ja, ja; so sagt ers selber. Vor einigen Abenden ist er von vier verlarvten Kerln angehalten worden, die ihn um seine Börse plündern wollten.

Allein er hat sich durchgeschlagen, und da hat man ihm den Tod gedroht.“

Unerhört.

„Freilich unerhört. Indessen hab ich doch die Wachen verstärkt um Sicherheit auf den Straßen zu erhalten. — Er wußte überhaupt vielerlei Klagen wider meine Polizei anzubringen, unter andern beschwerte er sich über gewisse Unbekannte, die ihm zuweilen Briefe zuschikt, worin sie sich das boshafte Vergnügen gemacht haben sollen, ihm seine heiligsten Geheimnisse wieder zu erzählen. Auch muthmaßt er stark, daß ihm eben diese unbekannten Briefsteller den Spaß mit den vier Kerln gespielt haben mögten.“

Es ist sonderbar!

„Das ists. Ich weiß nicht, was ich hievon urtheilen soll; denn gesezt, daß in der That einige Menschen sichs zur Absicht machten, im Dunkeln umherzuschleichen: wie soll man ihnen beikommen? — Ich erinnre mich, daß schon vor einigen funfzig Jahren unter der Regierung meines Großvaters solcher Unbekannten, als heimlicher Richter erwähnt sind. Man fand nemlich eines Morgens einen Obristen ermordet, auf seiner Brust ein Blech; darauf stand: Gericht der Unbekannten geschrieben, und in seiner Tasche einige zusammengeheftete Bogen Papiers, worauf viel fürchterliche Handlungen des Ermordeten aufgezeichnet waren. Die Sache des Obristen und die ihm aufgebürdete Schuld wurde untersucht, und man fand leider alles gegründet. Ich wünschte indessen doch nicht, daß das alte, heimliche Unwesen wieder aufleben mögte.“

Der Herzog sprach noch manches, umarmte sodann den Grafen, und beurlaubte ihn.

Florentin ging. „Wenn werd’ ich dieses Schlos wieder betreten, und wie werd ichs? — O, Gott, wie er mich noch so brüderlich umschlos und küßte! — wehe mir, wenn aus ihm der beleidigte Bruder, der entehrte Herzog, der hintergangne Freund spricht. In Has verwandelte Liebe ist schreklicher, als jeder Has, der aus andern Quellen fließt. — Jezt sprach der Freund zum Freunde, und einst, o bald! der richtende Herzog zum Verbrecher der beleidigten Majestät. — Sei es, ich will meinem Schiksale nicht entrinnen, wenn ich es gleich könnte!“ —

Mit diesen Gedanken umgehend, kam der Graf zu Hause. Badner hatte alles zur Reise fertig gemacht, und folgenden Tags in aller Frühe setzte Florentin sich in die Kutsche, Badner ritte voran, so daß sie zum andern Tage gegen Sonnenuntergang die Kuppeln des Duurschen Schlosses in der Abendröthe schimmern sahen.

„Ho, ho, ho!“ — rief plözlich der Vorreuter, und wekte Florentinen aus ernsten Betrachtungen.

„Was ists?“ fragte dieser, und lehnte sich zum Flügel der Kutsche heraus. Badners vorwärtsdeutender Finger gab die Antwort.

Ein Chor Musikanten, mit blasenden Instrumenten, traten aus einem Gebüsch hervor, ihm folgten ein Trupp gepuzter Bauern und Bäuerinnen, welche lachend und tanzend den Wagen umringten. Bald darauf hörte man sie ein allgemeines, jauchzendes „Vivat!“ rufen, wozu die Waldhörner einstimmten.

„Ja, es lebe mein Neffe, der Kammerherr!“ —

„Ja es lebe Florentin, mein Bruder!“

„Es lebe lange Florentin, mein Freund!“

Froh-bestürzt sprang der Graf aus dem Wagen, Vergangenheit und Zukunft, alles war von ihm in diesem Augenblik vergessen, nur Thränen freudiger, inniger Rührung, ach, vielleicht die lezten welche er vergoß! entquollen seinen Augen — er sprang aus dem Wagen, und o! — in die Arme den Onkels, Rikchens und Holders!

„Mein Florentin! mein Florentin!“

„„Meine Lieben!““

Ueberrascht, verwirrt, gerührt, lagen sich diese Guten endlich nach langer Trennung, nach vielen überstandnen Leiden einander in den Armen; sie vergaßen alles; Liebe schwamm in jedem Auge; Freundschaft glühte auf ihren Lippen; der Erde reinste Freude brannte in Ihrem Busen — der Himmel schien sie umfangen.

Im Triumf führte man den angekommenen Liebling in das väterliche Schloß; unterwegs wurden tausend Fragen gefragt, tausend Glükwünsche gewünscht, unterwegs erfuhr auch Florentin, daß Holder von Sorbenburg mit Fräulein Friedriken von Duur morgenden Tags die Hochzeit feiern würde.

„Ja, ja!“ sagte der Onkel, und lächelte schalkhaft dabei; „ja, ja, wir müssen unsern Flüchtling für die Zukunft fester binden. Ha, ha, ha! er soll uns diesmal, mein Seel, nicht entschlüpfen. — — Aber höre, Florentin, Herzensjunge, — nun Du nimmst doch den Herzensjungen nicht übel, Herr Kammerherr — höre, wie gefiel Dir Deine feierliche Einholung? he? — ja, ja! der Spas kam von dem alten, guten Onkel! ha, ha, ha, ha!“

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