Zweites Kapitel. Ein Traum.

Soll ich Ihnen, meine Leser, hier die förmliche Beschreibung eines Vermählungsfestes liefern? Ihnen etwa erzählen, wie alles in trauter, ländlicher Einfalt gehüpft, gescherzt, gesungen, geküßt, und gratulirt hat? oder wie und was die Herrn vom Lande und von der Stadt beim Wein und Knasterdampf kannegiesserten, philosophirten, und wizzelten, oder die Damen, Tanten und Kousinen medisirten, beliebäugelten u. s. w. oder wie das sanfte Rikchen an diesem schönen Tage dreimal schöner als sonst war, und wie sie um die Mitternachtsstunde erröthend mit Holdern dem Schlafgemach entgegentrippelte? —

„Um Gotteswillen nicht,“ rufen die Leser und Leserinnen, welche sich nun seit Jahr und Tag im Stande der heiligen Ehe befunden haben: „Sie machen uns gähnen!“

„Beileibe nicht!“ lispeln einige unverheurathete Leserinnen, und halten den Tuch vors Gesicht: „Sie machen uns — —“

„Vor der Zeit lüstern!“ fallen die jungen unbeweibten Herrn ein.

Es sei denn. Nach vier Tagen war Saus und Braus vorüber, Holder ein Mann, Rikchen eine Frau, das junge Ehepaar im Schloß Sorbenburg eingezogen, und der Onkel, dems jezt in seinem Hause zu leer geworden, bei ihnen. —

„O Florentin, sagte Holder an einem Nachmittage zu seinem Freunde, indem sie beide im Garten auf- und niedergingen; könntest Du izt doch mit uns stets beisammen bleiben!“

Ja wohl, wollte es Gott, ich könnte! Allein es ist unmöglich. Ihr seid mit einander in Eurer Ruhe beneidenswürdig! Mich ruft die Freundschaft meines Herzogs in kurzer Zeit wieder in die große Welt zurük, wieder zurük zu allen glänzenden Mühseligkeiten des Hoflebens. O, Bruder — mein Bruder!

„Du wirst ja schwermüthig mit einemmale!“

Ehmals war ich glüklich wie Ihr. Ehmals durchschweifte ich diese reizenden Gegenden mit sorgenloser Brust; da schwebte das Bild der Zukunft vor meinen Augen, da war ich in der Einbildung glüklich. Jezt sind meine kühnsten Erwartungen befriedigt, meiner Hofnung ist nichts mehr übrig geblieben zu hoffen; ich bin der Liebling eines liebenswürdigen Fürsten, an Ehre, Rang und Gewalt über jeden Nebenbuhler emporgestiegen — ich bin alles, bin mehr als ich als Jüngling träumte und bin — unglüklich. Wohl dem der sich mit geringeren Freuden sättigen läßt, desto armer ist er an Leiden. Wehe dem, der alle Pokäle der Freude ausschlürft, denn für ihn stehn auch alle Becher des Elendes gefüllt.

„Du bist also unglüklich? Florentin kann unglüklich sein, der einstmals mit Schiller sagen dürfte: „Aussendinge sind nur die Farbe des Geistes — Ich selbst bin mein Himmel und meine Hölle!“ „Ist das möglich?“

Leider, sag ich Dir eine fürchterliche Wirklichkeit! Doch zu wem red’ ich? — Du, Du selber, Holder, Du weißt meine schreklichen Verhältnisse am Hofe so haarklein, als ich. Du selber warntest mich durch die Federn Deiner Freunde und warntest mich fruchtlos — und Du stellst Dich verwundert? Freilich, spotte nur des Elenden, der die Stimme des Freundes in den Armen des lieblichsten Weibes vergas, — spotte nur; elender kann ich ja doch nicht werden, als ich es bin. —

„Bei Gott, ich spotte Deiner nicht!“

Und fragest doch, da Du jedes meiner Geheimnisse kennst? —

„Hast Du nie Hofnung glüklicher zu werden?“

O, doch! binnen drei Wochen, denk ich!

„Willst Du entfliehn?“

O, pfui!

„Einen Selbstmord begehn?“

Noch weniger.

„Nun.“

Gehn wie mein Verhängnis mich führen wird.

„Gedenk aber Deines grauen Onkels, gedenke meiner Gattin, Deiner Schwester, — gedenke meiner, Bruder, ehe Du handelst!“

O es ist schreklich! ich fühl’ es, aber ändern kann ich nichts. — — Noch eins. Sage mir, wer sind die Unbekannten, die sich in meine Auftritte mischen!

„Deine Freunde, sehr wahrscheinlich!“

Wahrscheinlich? — nein, gieb mir Gewisheit für dieses schwankende Wahrscheinliche. Wer sind sie?

„Es sind Unbekannte. Ich darf sie Dir nicht näher nennen; thät’ ichs: so wären sie Dir nicht mehr das, was sie noch izt sind.“

O geh: Du bist einer von ihnen, und — sie sind mehr, als Menschen.

„Wie lange wirst Du noch bei uns bleiben?“

Heut’ ist der elfte im Monat — — am zwanzigsten verlasse ich Euch alle.

„Zeit genug, Dir, über Deine Frage wegen der Unbekannten Licht zu geben. — Du scheinst ja so schläfrig?“

Es ist wahr, ich bin ungewöhnlich müde. Der Tag war sehr heiß!

„Schlummre ein wenig, ich werde Dich in einem Stündchen wekken. Komm auf Dein Zimmer!“

Hier in den Schatten des Fliederbaums will ich mich hinlagern. — Nun und wegen der Unbekannten?

„Sollst Du noch heute einige Notizen erhalten.“

Besorge mir doch beim Erwachen frische Milch. Willst Du?

„Es soll geschehn. — Schlummre sanft, es wird Dich niemand stören.“

Holder verlies ihn; der Graf warf sich ermüdet unter den Fliederbaum hin, und entschlief bald, eingewiegt von dem leisen Säuseln der über ihn hernieder hängenden Zweige.

Einige Zeit darauf traten Holder, seine Gattin und der biedre Onkel herein. Sie stellten sich um den schlummernden Geliebten, und sahen einige Zeit auf ihn gerührt herab.

„Nein,“ sagte Rikchen: „es thut mir zu wehe um ihn, ich bitte Euch, ihr Lieben, laßt es ungeschehn.“

„„Ei Poz!““ hub der Onkel an? „„ich sehe zwar den Nuzzen davon nicht ein, aber sagts doch Freund Holder, und was der sagt, muß geschehn, was der sagt, ist gut, weil er klüger ist, als ich und Du und der Kammerherr.““ Rikchen schwieg; sie kniete neben ihrem Florentin nieder, bog sich über ihn und küßte ihn sanft.

„Fort! fort; kommandirte der Onkel! Weißt Du was Freund Holder mir sagte?“

„„Und was denn?““ fragte Rikchen, indem sie aufsprang, und neugierig zu ihrem Onkel trat.

Florentins Schiksal wäre krank, todkrank und verdiente daher eine wirksame Arzenei.“

„„Verstehen Sie etwas von diesen Worten meines Mannes?““

„Nein, Rikchen, das nun wohl nicht, aber mir ists doch so dämmernd!“

Holder lächelte, schlang seine Arme um Beide und führte sie aus dem Garten.

Der Graf schlief noch immer. — —

Ihm wars, als säße er in einem Zimmer, von vielen Männern umringt, alle in schwarzer Trauerkleidung. Es war Nacht. Einige Lampen brannten an den Wänden, zwei Kerzen auf dem Tische, an welchem Florentin saß und die schwarzen Männer.

Der Graf kannte das Zimmer nicht und keinen von denen, welche sich mit ihm hier befanden. — Ihm ward bange, doch faßte er sich, um zu sehn, was geschehn würde.

Man hörte mit einemmale die Thurmglokke läuten, die Männer kamen unter sich in Bewegung und einer von ihnen sagte! „auf Brüder, laßt uns ihn begraben, es eilt die Zeit!“

„Wessen Leichnam wollet Ihr begraben?“ fragte Florentin.

„„Den Leichnam des alten Grafen v. Duur““

„Des alten Grafen von Duur? unmöglich, er lebt ja noch.“

„„Er ist gestorben.““

„Seit wenn?“

„„Seit dreien Tagen.““

„Es ist unmöglich sag ich Euch, er lebt noch.“

„„Der Dekkel des Sarges könnte aufgerissen werden, um Euch Lügen zu strafen, allein es ist vor den Spionen des Herzogs Adolf nicht zu wagen.““

Die Leute gingen fort, ein alter Mann blieb nach zurük. Der Graf war wie versteinert. Er hörte das dumpfe Getön von einem Sarge, lehnte sich zum Fenster heraus, sah sich in der Mitte eines Waldes, und die Träger mit der Todtenbaare, beim blassen Schimmer der Windlichter unter den vielen Bäumen verschwinden. „Ras’ ich oder träum’ ich!“ rief der Graf aus.

„„Wollte Gott, ihr träumtet — dann träumt’ ich auch, und ich hätte beim Erwachen nichts verloren.““

Florentin sah den Alten an und erkannte seinen treuen Diener Badner in ihm.

„Du auch hier, Badner? — wie, und Du kannst reden? Du warst nie stumm?“

„Was wollt Ihr von mir, Herr?“

„Kennst Du mich nicht?“

„Ich habe Euch nie gesehn, die andern, welche anizt den seeligen Graf von Duur beerdigen, nannten Euch Vinzenz.“

Badner!“

„Was wollt Ihr von mir?“

„Sag mir um Gotteswillen sag mirs, rase ich?“

„Euern wundersamen Fragen nach zu urtheilen, könnt’ es wohl sein.“

„Ich sehe also nicht recht, höre nicht recht, fühle falsch, alle meine Sinnen hab ich verloren! — Der Zustand des Wahnsinns, hab’ ich mir sagen lassen, gehöre zu den angenehmen, bei mir aber ists nicht so. — Sag nur, wie überzeug ich mich von meiner Raserei? — Nicht wahr, Du trauerst?“

„Wie Ihr sehet. Ja.“

„Und wer ist denn Dir abgestorben?“

„Ihr thut ja so fremd, als hättet Ihr so eben erst das Licht der Welt erblikt. — Wißt Ihr denn nicht, daß die ganze Duursche Familie unglüklich geworden?“

„Bei Gott, nein, ich weis nichts. Durch wen ward sie es?“

„Durch den Stolz, Leichtsinn und die Wollust des Grafen Florentin von Duur, welcher die Prinzessin Louise, Herzog Adolfs Schwester, entehrt hat. — Der unglükliche Graf hat schwer gebüßt: er ist heimlich hingerichtet worden. Vorher aber schändete Sr. Durchlaucht aus Rache die Schwester des Grafen, einen bildschönen Engel.“

„Wehe! wehe! Gott, Erbarmer, meine Schwester!“

„Was ficht Euch an?“

„Oh!“ —

„Ihr habt Recht zu trauern; es geschieht doch so manches Unrecht in der Welt, welches keine Obrigkeit rüget und rügen darf. Was hatten denn der Oheim und die Schwester Florentins von Duur begangen, daß sie um die Sünden dieses stolzen Wollüstlings büssen mußten?“

Ich begreife den schnellen Wechsel dieser Schiksale nicht. Ich — ich bin doch Florentin von Duur, der Straffällige, aber noch nicht Hingerichtete; ich hätte sterben sollen — und ich entzog ja dem Schwerdte meinen Nakken nicht!

Florentin von Duur ist heimlich hingerichtet worden.“

„Nun, so bin ich denn von den Todten erstanden.“

„Ich bedaure Euch, armer Vinzenz, um den Verlust Eures Verstandes.“

Badner, und Du dieses Deinem Herrn?“

„Wir haben nie mit einander zu schaffen gehabt?“

„So stehe mir Gott bei, ich bin verwirrt!“

Share on Twitter Share on Facebook