Erstes Kapitel. Auch Prinzessinnen haben Herzen.

Die Schwester des Herzog Adolf, an dessen Hofe sich Florentin von Duur befand, war ein schön gebautes, reizendes Frauenzimmer. Neunzehn Frühlinge blühten kaum auf ihren Wangen; sie war feurigen, schwärmerischen Temperaments; liebte gern und sah sich gern wieder geliebt und angebetet. —

Florentin war kaum am Hofe erschienen, als seine vorzügliche empfehlende Gestalt die Damen aufmerksamer machte. Prinzessin Louise, so hieß des Herzogs Schwester, sah ihn zum erstenmale auf einem Balle, welchen ihr Bruder gab; der Herzog unterhielt sich oft mit ihm, dies war genug ihm allenthalben Kredit zu gewinnen, — auch bei der Prinzessin. Durch ein beabsichtetes Ohngefähr kam sie ihm näher; sie fächelte sich mit einem seidnen Tuche, lies ihn von ohngefähr fallen, der junge Graf hob ihn auf, überreichte ihn, und der Herzog nahm Gelegenheit der Prinzessin seinen Kammerherrn vorzustellen.

Louise erlaubte dem Grafen einen Handkus, und sie war so gnädig, doch nur wie durch ein Ohngefähr, Florentins Fingerspizzen zu drükken. Florentin empfand die Allgewalt dieser schönen Ohngefährs; eine liebliche Röthe ergos sich über sein Gesicht; er blikte der Prinzessin schüchtern in die Augen, und sie entfernte sich, ohne aber der Röthe des jungen Mannes, und des Blikkes zu vergessen.

Man ist am Hofe nicht immer so glüklich, als im bürgerlichen Leben, wo man seinen Mann zu sehen öftere Gelegenheiten findet. Die Prinzessin fühlte diesen Mangel nur zu sehr, und ihn einigermaaßen zu vergüten, erlaubte sie ihrer Fantasie jede verliebte Ausschweifung.

Kein Wunder also, wenn der schöne Florentin ihr zuweilen in Träumen vor die Augen trat, sie da ihres fürstlichen Ranges vergaß, einen blühenden Jüngling an ihren liebevollen Busen drükte, und eine Wollust ahndete, welche kein Traum ihr gewähren konnte.

„Nicht wahr, liebe Auguste,“ sagte sie an einem Morgen zum Fräulein von Gülden, ihrer Kammerdame und Favorite: „nicht wahr, du hast auch schon geliebt?“

Frl. v. Gülden. (sanft erröthend) Ich geliebt?

Louise. Warum nicht? — du unschuldige Seele wirst ja so roth? Gewiß du hast auch schon geliebt!

Frl. v. Gülden. Ich bitte um Verzeihung, noch nicht!

Louise. Hi, hi, hi! noch nicht? o, Kind, man erräth, daß du noch nicht lange am Hofe gewesen bist, denn du weißt dich herzlich schlecht zu verstellen.

Frl. v. Gülden. Warum sollt ich mich verstellen? gegen Sie verstellen?

Louise. Da thust du Recht, liebes Mädchen. Allein offenherzig, hast du — — oder — oder du liebst vielleicht izt.

Frl. v. Gülden. Eben so wenig. (wendet sich weg)

Louise. So? nun da wirst du mir freilich eine schlechte Rathgeberin sein.

Frl. v. Gülden. Ich bitte — vielleicht —

Louise. Nun, auf dein vielleicht will ich es wagen; also zur Sache. Ich liebe, und zwar so heftig, als ich noch nie geliebt habe.

Frl. v. Gülden. (lächelnd) haben Sie also schon — —

Louise. O schon so oft geliebt, daß ich meine Eroberungen und Amouretten nicht mehr zählen kann. Ich bin doch wenigstens achtzehn Jahr alt, und — wie mir mein Spiegel sagt, auch nicht häßlich, folglich. — — Doch sag mir, Kindchen, räthst du mir diesmal zu?

Frl. v. Gülden. Zu lieben? warum nicht? denn unglüklich, ungeliebt werden Sie nicht sein, und ich kenne kaum eine angenehmere Stimmung der Seele; als eine solches — Ich hatte vor Jahr und Tag einen jungen Freund, — Freund, nicht Geliebten — es war eine herrliche Seele, gut, unbefangen und zärtlich. Der liebenswürdige Gustaf war vierzehn Jahr alt; die Knospe der Jünglingsschönheit brach izt schon auf bei ihm; ich sahe ihn gern und der Knabe mich; ihm war nur wohl, wenn er mich sahe, meine Hand drükken durfte. O, Prinzessin, ich gewann ihn lieb, und kann ihn noch izt nicht vergessen.

Louise. Erzähle doch weiter; ich lasse mir gern von Liebe und Liebenden vorplaudern.

Frl. v. Gülden. Jene Zeit war die glüklichste meines Lebens, ob ich gleich Stunden hatte, wo er mir fehlte, wo ich traurig umher wandelte, wohl gar heimlich weinte. Aber eine solche Thräne, die damals von mir verweint wurde, gewährte mir mehr Wollust, als die rauschende Freude eines Balls. Wenn ich in stillen Sommerabenden unter den Linden lag, vor dem Landschlosse meinen Vaters, und der schlanke Gustaf allein neben mir sas und mit meinen Schleifen tändelte, oder mit meiner Hand, wie mirs da so wohl war! dann schlang ich wohl meine Arme um seinen Leib, drükte ihn heftig an mich und küßte seine blühenden Wangen — oft glaubte ich mich in diesen Küssen satt zu schwelgen, aber meine Sehnsucht forderte noch immer und war nie gestillt.

Louise. Und das nennst Du Freundschaft, Augusta? dann mögt’ ich doch in aller Welt wissen, was Du Liebe nenntest?

Frl. v. Gülden. Ich habe schon gesagt, Gustaf war erst vierzehn Jahr alt, — zu jung um zu lieben und Gegenstand der Liebe zu sein. Und nennen Sie es immerhin Liebe; so wars die unschuldigste, reinste, die man je gekannt bat. Ich liebte Gustafen, bewunderte den schönen Knaben, und hegte zugleich eine gewisse Ehrfurcht vor ihm, die sich nicht beschreiben läßt. — Einst saß er am Abhang eines Hügels neben mir, beim Sonnenuntergange. Er sprach viel Angenehmes, ich schwieg, aber meine Gedanken antworteten ihm. Ich wollte mich einmal böse stellen, und wußte nicht warum? vielleicht daß ich ihn gern schmeicheln sehn wollte. Die gute Seele ließ sich täuschen, er glaubte daß ich auf ihn zürne, und sah betrübt vor sich nieder. Nach einem langen Schweigen, da ich schon meine Verstellung zu bereuen anfing, sah er endlich zu mir auf — eine Thräne schwamm in seinem Auge, die untergehende Sonne in ihr — sein Antliz glänzte in der Abendröthe, — es war eine Verklärung. „Du bist böse, Auguste?“ fragte er mit der Stimme einen Engels und ich schauerte froh und beklommen zusammen: „bin nicht böse!“ gab ich zur Antwort, aber wagte es nicht ihn zu küssen. Ich schien mir eine Sünderin neben einem Geliebten Gottes.

Louise. (lächelnd) Du Schwärmerin!

Frl. v. Gülden. Bald darauf wurde Gustaf krank, sehr krank. Ich saß an seinem Lager und sah ihn verwelken. — O, Prinzessin, er war noch immer schön; selbst als er so blaß da lag, und sein Blik nur matt an dem Meinen hing. Aber es jammerte mich — ich weinte viel, sehr viel, nur an seinem Bette lächelte ich. — Er küßte mich einst, und in dem Kusse entfloh sein Geist —

Louise. Arme Auguste!

Frl. v. Gülden. Lieben Sie nur, Prinzessin, es ist süß zu lieben.

Louise. Ich selber bin deinen Gustaf gut geworden, wenn er doch noch lebte!

Frl. v. Gülden. (zeigt mit dem Finger gen Himmel) O, ja, erlebt noch!

Louise. Und seit der Zeit hast du nie wieder geliebt?

Frl. v. Gülden. So nie.

Louise. Auch an unserm Hofe findest du deinen Gustaf nicht ersezt?

Frl. v. Gülden. Gustafen nicht.

Louise. Du bist vielleicht zu sehr für das Bild eines Geliebten enthusiasmirt, der nur noch in Deiner Einbildungskraft lebt; überdem hab ich mir sagen lassen, daß man den Werth verlorener Schäzze mit jedem Gedanken an sie versteigre. Doch las es sein. Was hältst Du vom Grafen Duur?

Frl. v. Gülden. (die Prinzessin anstarrend) Vom Grafen Duur? —

Louise. Nicht wahr, ein Meisterstük männlicher Schönheit? er hat mich bezaubert.

Frl. v. Gülden. Sie geruhen zu scherzen.

Louise. Scherzen? wie so? findest Du ihn nicht schön?

Frl. v. Gülden. Könnten Sie ihn lieben?

Louise. Warum nicht? Können? sonderbar, ich bin ja ein Mädchen, liebe Auguste, wie Du? Dich entzükte Dein vierzehnjähriger Gustaf und mir sollte der Graf nicht gefallen? —

Frl. v. Gülden. Eine Fürstin aus herzoglichem Geblüt und ein Graf! Prinzessin, bedenken Sie wohl! — Lieben können, ja, da hab’ ich unrecht gefragt, aber lieben dürfen — dürfen!

Louise. Ich verstehe Dich; allein Du mußt wissen, daß der Graf nicht mein Gemahl, sondern mein Geliebter werden soll. Da man mein Herz nicht befrägt, wenn meine Hand dem Staatsinteresse aufgeopfert wird; warum sollte mein Herz fragen, wenn es sich zu verschenken Lust fühlt! Und das Herz sieht nicht auf den Rang, sondern mißt seine Hochachtung nach der innern und äußern Schöne den Gegners.

Frl. v. Gülden. Freilich wohl.

Louise. Mein einstiger Gemahl wird nie so blödsinnig sein können Liebe von mir zu verlangen, wenn ich sie nicht geben kann, so wenig als ich sie in gleicher Lage von ihm fodern würde. Wir sind deswegen aber nicht verpflichtet den Freuden der Liebe zu entsagen. — — Nun, Auguste, findest Du den Grafen liebenswürdig?

Frl. v. Gülden. (ernsthaft) O, sehr.

Louise. Und Du wirst mir doch zu einigen Entrevüen tapfer beistehn.

Frl. v. Gülden. Sie befehlen.

Louise. Das so trokken hingesprochen?

Frl. v. Gülden. Haben Sie denn auch schon Beweise von des Grafen Gegenliebe?

Louise. (ihrem Spiegel zulächelnd) Und wenn auch noch nicht.

Frl. v. Gülden. Ich halt’ es doch aber für nothwendig.

Louise. I nun, wärst Du mit einem schüchternen, verworrenen, unendlich viel sagenden Blik des schönen Mannes zufrieden?

Frl. v. Gülden. Wie sollt’ ich nicht?

Louise. Oder mit einem Erröthen desselben, wenn er Dir die Hand küßte?

Frl. v. Gülden. (unruhig) Erröthete er wirklich?

Louise. Nun ja.

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