Florentin, von einer Prinzessin geliebt, von einem Fürsten geachtet und hervorgezogen, befand sich am Hofe, wie man leicht erräth, vollkommen zufrieden. Man kannte ihn allgemein als den Favorit des neuen Herzogs, und eben deßwegen liebkosete ihn der Neid selber.
Aber ach! seine Freude war nicht ungetrübt, denn aus einem Briefe seines guten Onkels erfuhr er Holders Verschwinden, und die vorhergehenden Szenen der Liebe, Verlobung, des neuen Adels und Rittergutes. Holder war ihm zu lieb; er konnte nie jenes Morgens vergessen, da derselbe den sonderbaren Eid schwur; er wünschte ihn izt, als Zeugen seines Glükkes und nun war er verloren. Daß Holder ein ausgemachter Sonderling war, blieb Florentinen nicht unverholen, aber jezt schien ihm das Spiel doch etwas zu weit getrieben, oder es mußten schlechterdings geheime, wichtige Ursachen den Mann zwingen sich aus den Armen eines Mädchens, das er nach seiner Aussage über alles liebte, aus den Armen des alten Grafen, der ihn seinen Sohn nannte zu reissen.
Am meisten war das arme Rikchen zu bedauern, welche sich über den Verlust ihres Holders wenig trösten lies. Sie verbarg umsonst ihrem Oheim die Thränen, welche sie weinte; denn die verschwindende Rosenfarb’ ihrer Wangen, die halberstikten Seufzer, die rothgeriebenen Augen, das seltne, melancholische Lächeln, das einsame Umherwandeln sagten ihm genug, und er litt doppelt, um den Gram seines Rikchens und um den Verlust seines einzigen Freundes.
Er suchte Zerstreuung und fand sie selten; auf der Jagd fehlte ihm der sonstige, angenehme Begleiter, in frohen Gesellschaften sein liebster Gegner. Dazu kam es, daß die Geschichte allgemein bekannt geworden war, und die alten und jungen Damen und Herrn in ihren Konversationen oft sehr übel darüber meditirten.
Florentin suchte durch seine Briefe tropfenweis Linderung auf diese Wunde zu giessen, aber umsonst; sie verharschte schwer und blutete leicht wieder auf. Rikchens Briefe an ihren Bruder waren rührend; noch nie hatte die leidende Liebe naiver geklagt, zärtlicher getrauert.
„Wie gern mögt ich sterben, sagte sie, und mich trösten lassen vom Tode! aber dann würde unser Oheim ganz verlassen sein, ohne seinen Holder, ohne sein Rikchen! Er soll sich nicht grämen; ich will leben und weinen, ach Gott, wer weiß es, wie lange noch! O Florentin, hätte ich nie geliebt und des Onkels Gebot befolgt — aber was konnt ich thun um Holdern nicht zu lieben? — Es war ja unmöglich, und die Unmöglichkeit selber war mir angenehm, ist mirs noch izt, da ich dies unter Thränen schreibe. Aber weist Du was mich beruhigte — Unser Prediger sagte neulich, daß Gott die Liebe selber wäre; wenn nun der alte Mann nicht Unrecht hätte, denn das mus er doch wohl aus der Erfahrung wissen: so wird Gott mir meinen Holder wiedergeben! — Holder mir wieder! Holder! o Florentin, ich mus in den Garten hinausfliegen und mich erst müde freuen, eher ich Dir weiter schreiben kann.“
So schwärmte das gute Mädchen immerfort, und der alte Graf mit ihr. Nach Wochen und Monden konnte Rikchen nicht mehr weinen; der heftige Schmerz verwandelte sich in eine süße Schwermuth, und diese umnebelte mit ihrem Schleier die Bilder der Vorzeit. Alle Leiden.
— All die namenlosen Wonnen
Sie waren izt in der Erinnrung Traum zerronnen,
Und — — — dieser noch ist schön;
Denn ihm verschwistert sich die traute Hofnung gerne,
Sie läßt dem Trauernden in öder Ferne
Der bessern Zukunft Paradise sehn.
Der alte Graf und seine Nichte lebten izt wieder das ehmahlige, einfache Landleben, wie es vor Florentins Ankunft und Holders Bekanntschaft war. Außerdem daß Florentin sie unterweilen einmahl besuchte, waren ihrer Freuden wenig, so wie ihrer Leiden.
Nur Florentins Leben war nicht mehr das stille, friedsame; hineingezogen in die große Welt, suchte er sich nun an alle ihre Sonderbarkeiten zu fügen; Von einem Herzoge Liebling, wagte ers seine ehmahligen, schmeichelhaften Ideale in Wirklichkeit zu sezzen. Er wünschte sich völlig gleich bleiben zu können; er sann darauf nicht sich höfisch gros zu machen, sondern große Thaten zu thun, denn an Gelegenheiten zu erhabnen Dingen ist die Zeit niemals arm. Vor allen Dingen bemühte er sich die Gnade seines Fürsten mehr zu verdienen, sich demselben immer unentbehrlicher zu machen. Es geschah. Der Herzog kettete sich täglich fester an den Grafen; Beide sah man stets beisammen; sie betrachteten sich zulezt nicht mehr, als Obrigkeit und Unterthan, sondern, als Freunde und Brüder.
Seliges Volk, dessen Fürst nicht an den Launen einer Pampadour gefesselt ist, welche mit einem wollüstigen Blik die ganze Tugend eines Landesvaters verzehren, mit einem erkünstelten Seufzer den biedern Verdienstvollen um Hab und Gut und zum Kerker bringen, durch eine buhlerische Thräne ein ganzes Land entgütern kann!
Der Herzog liebte alles, was von Florentin gethan wurde; er nahm in vielen Stükken dessen Prinzipe an und er fand sich dabei und sein Volk glüklich. — Bis izt kannte dieser Fürst den Werth deutscher Schriftsteller nur wenig, der Graf lehrte ihn denselben schätzen; in kurzer Zeit besas er eine geschmakvolle Bibliothek der vorzüglichsten deutschen Werke; sowohl Statistiker, Philosophen, als Dichter, wurden seine Lektüre. Aber nicht jene alltägliche Lektüre, welche die Langeweile einger Stunden vertreiben soll, war die des Prinzen, sondern die, sich durch gute Schriften gut zu bilden, sich aufzuklären, und denken und handeln zu lernen. Das Land empfand die wohlthätigen Folgen, welche nothwendig daraus entspringen müssen, und segnete seinen Vater.
Unterdessen der edle Graf so seine Stunden für das Wohl des Ganzen widmete; unterdessen er von tausend Zungen vergöttert wurde, nagte ein geheimer Wurm an seinem Herzen, welchen er nur zu wohl kannte, aber um seines Glükkes willen nie verrathen dürfte.
Er liebte — und wen? — —