Sechstes Kapitel. Ein sonderbares Phänomen.

Eine Woche verstrich nach der andern, ohne daß die Prinzessin die seelige Stunde angab, nach welcher Florentin izt seufzte. Inzwischen konnte sie ihre Liebe dem Hofe wenig verbergen; jedes Fest, in dem der Graf mangelte, war für sie ennuiant; nur seine Gegenwart erhöhte ihren Reiz, ihre Lebhaftigkeit, ihre fröhliche Laune.

Am Herzoglichen Hofe hielt sich um diese Zeit Prinz Moriz auf, ein appanagirter Herr, der ehemals einer kriegführenden Macht im Felde gedient hatte.

Sein Aeusseres entsprach dem Innern vollkommen. Denken Sie sich, meine Leser, einen langen hagern Mann, der in den Zeiten des Faustrechts höchst wahrscheinlich eine glänzende Epoche gemacht haben würde. Er hatte grosse graue Augen, die sich gewöhnlich so majestätisch von der Seite wälzten, daß man Geld dafür gegeben hätte, die Majestät der Augen nie gesehn zu haben. Sein Gesicht war braun und von starken, groben Zügen; seine Nase bei den Augenwinkeln tief eingebogen; seine Stirn klein, und von einigen Büscheln schwarzer Haare überschattet. Seine Stimme rauh und herrisch.

Er hatte eine geraume Zeit in Italien gelebt und sein Karakter einen merklichen Anstrich von dem der Italiäner gewonnen. Er war tükkisch, und verschlagen. Sanfter Empfindungen war seine Seele selten gewohnt; einen vollen Pokal und ein Freudenmädchen nannte er die Seeligkeiten des Friedens.

Und eben dieser Mann spielte am hiesigen Hofe den Liebhaber der Prinzeßin Louise, aber, wie es sich leicht ahnden läßt, äußerst unglüklich.

Der Kredit des Grafen von Duur bei der Prinzessin blieb ihm nicht unbekannt; ein einziger Blik, welchen sie nachläßig von der Seite auf jenen warf, war genug Morizens Argwohn zu entzünden, ein unbedeutendes Lächeln genug, seine Eifersucht in Flammen zu sezzen.

Plötzlich verwandelte sich der rauhe, wilde Moriz in einen Sanftmüthigen, Herablassenden. Er suchte die nähere Bekanntschaft des Grafen, liebkosete ihn, machte ihm fürstliche Geschenke, gab allen seinen Bitten Gehör, seinen Plänen und Rathschlägen Beifall.

Florentin fand sich durch Morizens Gnade geehrt, er suchte mit warmen Herzen der Huld dieses Prinzen werth zu werden; ja, er verweigerte es sogar nicht, um Morizen ganz gefällig zu leben, sich unterweilen mit demselben ein Räuschchen zu trinken.

Moriz hatte nicht umsonst diese auffallende Metamorphose mit sich vorgenommen, war nicht umsonst wider seine Natur zuvorkommend, schmeichelnd gegen den Grafen geworden; er suchte gewisse Absichten durchzusezzen, welche noch jedermann unbekannt waren; suchte besonders bei einem Saufgelage vors erste Florentinen um gewisse Geheimnisse zu bringen, um welche nur dieser allein und die Prinzeßin Louise wußten.

Das lezte schlug fehl. Florentins Weinrausch war zänkisch und verwegenartig; Der Prinz mußte demnach andre Mittel ersinnen den schönen Nebenbuhler sich durch sich selbst verrathen zu machen. Eine fürchterliche Gefahr schwebte über Duurs Haupt; er sah sie nicht, sondern taumelte aus einem Arm der Freude in den andern.

Sein guter Dämon zeigte sich ihm abermahls; er warnte und warnte zum andernmahle vergebens.

Florentin ging nämlich eines Abends aus dem Schauspielhause nach seiner Wohnung zurük, als ihm in einer schmalen, menschenleeren Gasse ein Kerl in den Weg trat.

„Sind Sie der Graf von Duur?“

Ich bins. Was ists?

„Im Namen des bekannten Ludwig Holder diesen Zettel an Sie.“

Florentin nahm das Papier und in dem Augenblik war der Ueberbringer verschwunden.

Der Graf stand bestürzt da, das Billet unbeweglich in der Hand haltend. Der Name Holders betäubte ihn mit Freude und Schrek; er wollte den Briefträger zurükrufen, dieser aber war schon längst entwischt.

Er ging, oder flog vielmehr nach seinem Hause, erbrach den Brief mit zitternden Händen und las mit dem größten Erstaunen folgende Zeilen.

„Graf!“

„Im Namen des Euch wohlbekannten Ludwig Holders von Sorbenburg erinnern wir Euch. — Hütet Euch vor den Nachstellungen des Prinzen Moriz noch mehr vor der Liebschaft mit einer wollüstigen Prinzeßin! Im Namen Ludwig Holders von Sorbenburg

Florentin las das Briefchen drei, viermahl, und gerieth immermehr in Verlegenheit. Er legte das Blatt langsam vor sich nieder; sank in einen Sessel; schlos die Arme in einander und suchte sich seiner quälenden, ängstlichen Verwirrung zu entreissen.

Bald fiel er darauf, daß sich Holder wo nicht in der Residenz, doch gewis in der Nähe derselben aufhalten müsse; aber dieser Einfall hatte zu viel Unwahrscheinlichkeiten wider sich, um Glauben zu erhalten.

Und doch im Namen des wohlbekannten Ludwig Holders! — Vielleicht hatte jemand einen Scherz mit diesem Namen treiben wollen, den Grafen zu erschrekken. Aber das Erschrekkende lag ja nicht ist Holders Namen, sondern in dem Mitwissen um eine Liebe, welche Florentin selber als das heiligste Geheimnis betrachtete, und vor der er jezt von dem oder denen Unbekannten gewarnt wurde. Und Prinz Morizens Nachstellungen! — Hier war für ihn eben so viel Licht, als Nacht.

Er rieth lange hin und her, wer der Schreiber des Zettels sein könnte, aber errieth es nie. Sorgenvoll legte sich der Graf zu Bette; sorgenvoll stand er am folgenden Tage wieder auf.

Er beschlos endlich dem unbekannten Warnenden eine schriftliche Antwort zuzuspielen, welche er zu dem Entzwek immer bei sich führte; er unterlies nicht oft am Tage und des Abends die bekannte Strasse zu durchtraben, in der Hofnung, daß sich wieder einmahl der Bote des Unbekannten sehen lassen würde, er besuchte sie aber acht Tage lang ohne Frucht.

Die Zeit verwischte endlich all die ängstlichen, wenn auch wohlthätigen Besorgnisse aus Florentins Seele; er war nach kurzem wieder derselbe Heitre, Harmlose, Liebende; nur, daß er Morizen, troz aller wiederholten Liebkosungen desselben, zu fürchten anfing.

Der Prinz beobachtete diese Veränderung des Grafen mit schlauem Auge und änderte diesemnach auch manches in seinen Plänen.

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