Siebentes Kapitel. Eine Schäferstunde.

Es war spät des Abends; das Fräulein von Gülden sas noch einsam auf ihrem Zimmer in düstre Schwermuth vergraben und las. — Des kleinen Gustafs Bildnis lag vor ihr, sie sah es oft mit nassen Augen an und las weiter:

„Unsre Seelen liebten sich. Seelenschönheit verwischt nicht der Thränenschleier des Grams; welkt nicht in den Händen der Jahre, stirbt nicht auf Todtenbaaren mit der verwesenden Hülle. Ewig ist ihre Schönheit und ewig ihre Liebe. Des Lebens Strauch verduftet bald und welkt, aber mit dem Leben verblühen noch nicht die Hofnungen unsrer Liebe. — — Vorangegangen bist Du, o wäre ich mit Dir! — Hand in Hand mit Dir zum Tode; Leiche an Leiche mit Dir zum Grabe, Verklärung neben Verklärung dereinst am Tage des Weltgerichts!“

„Oh!“ rief das Fräulein schluchzend aus, indem sie sich von ihrem Stuhle erhob: „es ist zuviel! — Gustaf! Gustaf und Florentin v. Duur! ich habe euch geliebt, und unglüklich geliebt! — Ich bin doch nicht so sehr häslich, mein Spiegel müßte mir denn schmeicheln, meine Freunde müßten lügen, — und doch bin ich unglüklich und Liebe wird mir nicht mit Liebe vergolten. Armes Mädchen, wohl Dir, wenn Du unter der Erde ruhst, wo kein Harm Deinen Frieden stört, wo keine Thränen über Deine Wangen herabbrennen, wo Du vergessen von allen liegst, und Du alle und alles vergessen hast, wo Du den, welchen Du Dir zur Liebe auserwähltest, nicht Deiner Nebenbuhlerin zuführen darfst!“

Jezt störte sie das Klingeln der Prinzessin, sie troknete ihre Augen und ging mit verstellter Heiterkeit zu Louisen.

„Aber sag mir, liebes Mädchen,“ rief ihr diese beim Eintritt in das Zimmer entgegen; „Du siehst ja immer blässer und kränklicher? — Was ist Dir? Ich habe Dich zu meiner geheimsten Vertrauten gemacht, erwiedre mir Gleiches mit Gleichem!“

Frl. v. Gülden. Sie quälen sich mit vergeblichen Sorgen, theure Prinzeßin; mir ist wohl, sehr wohl. Vielleicht daß eine kleine Unpäslichkeit — —

Louise. O die wandelt bald vorüber. — Wieviel ist die Uhr?

Frl. v. Gülden. Auf dem Schlage eins; es liegt alles im Schlosse in dem festesten Schlummer.

Louise. Desto besser! herrlich! — Tummle Dich liebe, beste, einzige Auguste; Duur kann nicht mehr lange verzögern, er mus gleich da sein. — Hurtig geh, und besonders sieh von unten nach meinen Fenstern, ob das Licht durch die herabgelassnen Gardinen sichtbar wird. — — Verriegle das Pförtchen nachher wohl!

Das Fräulein ging und harrte des Glüklichen an einer abseitsgelegnen Thür. Es verging eine Viertelstunde, ehe er erschien, und tausend schwermüthige Gedanken durchkreuzten indes ihre Seele.

Im Thurm der Schloskirche schlug es endlich ein Uhr, und von fernen her wankte eine Gestalt, immer näher und näher.

„Er ists!“ sagte das unglükliche Mädchen bei sich selber und zitterte. „Er ists! — o daß er nie gekommen wäre! Doch nein, Louise würde unglüklich sein, und ich vielleicht nicht glüklich! — — Mag er doch kommen, ich will leiden und dulden!“

Florentin schlich im Mondschatten, an den Mauern entlang, näherte sich der Pforte, sah die weisse weibliche Gestalt, hielt sie für die Prinzessin selber und flog an ihren Busen.

Beide wagten es nicht zu reden; er bestürmte sie mit Küssen, sie bebte in seinen Armen, wagte kaum den leisen Gegenkus, sondern strebte zurük, und offenbarte ihm die Täuschung.

Er erschrak, bat um Verzeihung; aber sie lächelte unter Thränen, führte ihn, indem sie zitternd seine Hand faßte, durch verschiedne dunkle Gänge und verschiedne Treppen hinauf zum Gemach der Prinzessin.

„Hier,“ sagte sie mit gebrochner Stimme: „treten Sie hinein. —“

Er ging. Sie eilte auf ihr Zimmer, warf sich lautweinend auf das Lager und klagte.

„O Duur!“ — „O Louise!“ riefen sich die Liebenden entgegen und stürzten einander in die Arme.

Nie war Louise schöner gewesen, als in diesem Augenblik; und nie war ein Frauenzimmer reizender zu den Freuden der Liebe geschaffen, als sie. Ihren schlanken Wuchs, ihren schöngeformten Busen wußte sie durch die Magie der geschmakvollsten Bekleidung doppelt schöner zu bilden.

Ihr lichtbraunes Haar, angenehm derangirt, flos in lieblicher Verworrenheit über den schönen Hals und die schmalen Achseln herüber. Den Busen wußte sie schlau hinter den nachlässig umgeworfnen Flor, so zu verstellen, daß seine Schönheiten mehr verrathen, als verberget wurden. Um ihren Leib schmiegte sich ein leichtes, tafentnes Korsettchen;

Nie wird die Bildnerin Natur

Ein göttlicher Modell zu einer Venus bauen,

Als diesen Leib. Sein reizender Contour

Flos wellenhaft, dem feinsten Auge nur

Bemerklich, zwischen dem genauen

Und überflüßigen, so weich, so lieblich hin;

Schwer wars dem kältsten Josefssinn

Sie ohne Lüsternheit und Sehnsucht anzuschauen!

Das leichte, flüchtige Rökchen wogte bei jeder Bewegung auf, oder schmiegte sich so dicht und ungefaltet an, daß man ohne Fleis die glatteste Ründung der Schenkel errathen konnte.

So jung, so schön, so ganz aus Liebeszunder

Gewebt, wer kann sie sehn und nicht vor Sehnsucht glühn?

Wo sah man je so frische Wangen blühn,

Je Augen funkelnder und Lilienarme runder?

Dicht in einander verschlungen, der Geist, aufgelöst im reinsten Entzükken, hingen sie sprachlos um sich.

„O Gott!“ sagte Florentin: „daß ich je so seelig werden konnte — ich hätte es nie geträumt! Louise, Louise liebt mich!“

„Sprich leiser, Brausender!“ erwiederte sie mit einem unnachahmlich süssem Ton: „Ja, Louise liebt Dich! — und Du — —“

„Ob ich Dich liebe? Einzige, ob ich Dich liebe?“

Er antwortete mit Küssen, und zog sie neben sich auf einen Sofa nieder.

Florentin. O dies Strumpfband, (indem er es hervorzieht) sei mir eine ewige, heilige Reliquie!

Louise. Dein Recht daran ist izt verfallen. Ich fodre es zurük.

Florentin. Nein, ich kann es nicht wiedergeben.

Louise. Wie leicht könnte unsre Liebe dadurch verrathen werden! eben das Band, das uns zusammenführte, würde uns auch wieder trennen.

Florentin. Trennen?

Louise. Gesezt es verlöre sich aus Deinen Händen. Mein Name ist darin gestikt, und mehrern bekannt; denn das Fräulein v. Gülden ist die Weberin desselben, sie zeigte es schon vorher vielen Freundinnen, ehe sie mirs zum Geschenk brachte.

Florentin. Ich will es unter drei Schlössern verwahren!

Louise. Dein eigner Stolz würde die drei Schlösser wieder zerbrechen, was vielleicht keine Gewalt des Diebes vermögte. Oh, ich weis es, wie sehr es euch, ihr jungen süssen Herrchen, küzzelt, mit den Trophäen zu prahlen, um die ihr die armen, besiegten Weiber geplündert habt. — Und Dir, lieber Graf, würde ich es kaum verdenken, wenn Du endlich der Versuchung unterlägest; denn eine Prinzeßin besiegt zu haben, ist zu schmeichelhaft.

Florentin. (ernsthafter) Und so verkennt mich Louise selber?

Louise. Ich lasse nicht ab. Ich verlange es zurük; es sei unter welchen Bedingungen es wolle, ich verlange es zurük. — Willst Du daß ich Dir tausend freiwillige Küsse dafür gebe?

Florentin. (sie sanft an sich drükkend.) O, Louise, die erhalt’ ich umsonst!

Louise. Fodre.

Florentin. Wohl, ich gebe es. Aber darf ich es selber um seine Stelle binden?

Louise. (schamhaft zurükstrebend.) Beileibe!

Florentin. (schmeichelnd) O doch! 4 )

Der Kampf der Liebe begann — — —

Mit immer wilderm Ungestüm

Umschlingt er sie, und sie, so seelig und beklommen,

Ach! sie verweigert ihm,

Was er vorher mit leichter Müh genommen.

Und beiden, übermannt von süsser Lust

Wallt enger, immer enger nun die Brust,

Mit zärtlich schwimmenden Blikken sehen

Sie sich einander an, und weigern stumm und flehen.

Verloren in entzükkenden Gefühlen,

An Arabellens Brust, ruht Lyonnel geschmiegt;

Er wagt es kühner schon in seltnern Reizen zu wühlen,

Und unbekannt in Amors schlauen Spielen

Fühlt sie sich zwar zu früh, doch gern besiegt.

Sie giebt den Kuss zurük — er zupft indes den losen

Durchsichtigen Schleier hinweg, der ihren Busen umfliegt;

Küßt bald den lanen Schnee, und bald der jungen Rosen

Geheimes Paar, das sich auf Marmorhügeln wiegt.

Sie kämpft, doch ach! ihr Kampf führt schneller nur zum Ziele,

Das ihm die Liebe vorgestekt.

Ermattet schwankt sie. Er erwekt

Die Reizende zum wollustvollerm Spiele!

Und, o! der keusche Gürtel schlingt

Sich selber auf — die arme Tugend ringt

Zum leztenmahle und erlieget,

Von ihrem schönen Feind besieget.

Allmählich schwimmt der Kahn des Mondes seinem Porte

Gen Abend näher zu, und immer blässer strahlt

Er auf die Erdenwelt: Aurorens Morgenpforte

Eröffnet sparsam sich und hin und wieder mahlt

Ein Wölkchen sich in ihrem Rosenschimmer

Als unser liebend Paar, noch immer

Im süssen Rausche dicht verschränkt,

Nicht an den herbern Scheidekus gedenkt.

Doch Arabell’ ermannte sich des halben Schlummers

Zuerst mit lieblicher Verworrenheit

Und suchte ihren Puz, der überall zerstreut

Am Boden lag, voll jungfräulichen Kummers;

Wand hocherröthend dann um ihren schlanken Bau

Das Gürtelband; Herr Lyonnel indessen

Verhüllt’ den Busen ihr, doch wußt’ er schlau

Noch hie und da ein Küschen hinzupressen

Sie standen endlich da, und sahn

Sich beide bald mit schwimmenden Blikken an

Bald auf das Bett, bald auf den Boden wieder,

„Ach, Lyonnel, was haben wir gethan!“

Seufzt tief das holde Kind und schlägt die Augen nieder,

Und spielt gedankenvoll an ihrem losen Mieder:

„Daß wir just heute uns und hier uns sahn —

O Lyonnel, was haben wir gethan!“

Eine in der Lage sehr gewöhnliche Frage der Damen; hätte lieber manche manchen gefragt: „o Lyonnel, was wollen wir thun?“ es wäre vielleicht besser gewesen; doch das ist zu ungewöhnlich!

Was unser liebendes Paar betrifft, so dient zur Nachricht; daß sie sich bald zu trösten wußten, und Freund Florentin wohlgemuth zum Nebenpförtchen hinaus, nach Hause schlüpfte, ohne von einem Auge bemerkt zu werden.

Share on Twitter Share on Facebook