Viertes Kapitel. Einige Damen werden behorcht.

Ich habe einen berühmten Pädagogen gekannt, dessen Schriften über das Erziehungswesen mit allgemeinem Beifall aufgenommen wurden, dessen eigne Kinder aber Taugenichtse waren.

Einer unsrer größten Schriftsteller über die Oekonomie und Landwirthschaft wußte selber so wenig wirthlich zu leben, daß er bankerotirte.

Es ist also ein sehr alltäglicher Fall, daß große Leute in ihrem Hause selber öfters die kleinsten sind, und daß sie von ihrer häußlichen Unordnung auf das abstrahiren, war besser sein könnte. Eben so ging’s auch dem in vieler Hinsicht sehr einsichtsvollen Staatsmann, Geheimerathspräsidenten v. Hello. Er, der oft mit so vieler Schlauheit fremden Höfen das wahre Interesse seines Fürsten zu verbergen wußte, beging den großen Fehler seinen Freunden zu verrathen, daß der Graf v. Duur Absichten auf das liebenswürdige Fräulein Agathe geäussert habe, wenigstens zu äussern schiene, und daß Fräulein Agathe so wenig, als Sr. Excellenz, diesen Absichten entgegen zu arbeiten, geneigt wären.

Am folgenden Tage war die Residenz von dieser Novelle voll.

„Der schöne Graf die Agathe v. Hello?“ hiess es in bürgerlichen und adlichen Gesellschaften; — der „Graf die Agathe v. Hello? Die beiden Extreme der Natur, Schönheit und Häßlichkeit verknüpfen sich mit einander?“ dachten die verheuratheteten und unverheuratheten jungen Damen bei sich in der Stille, und sagten es zum Theil auch wohl laut. „Er opfert seine Delikatesse der Politik auf!“ gaben einige weltkluge Herrn sehr weislich an. „Vielleicht schließt der Graf diese Heurath aus Liebe zum Kontrast!“ wizzelten einige Wizjäger.

Das Fräulein v. Gülden erfuhr diese Nachricht, ging in ihr Kabinet und — weinte.

„Ich habe geliebt, sagte sie vor sich, ich habe geliebt, und werde nie wieder lieben! o, was ein Mädchen unglüklich ist, welches seine Liebe nie verrathen darf! Er hat mich kaum bemerkt, seit er am Hofe ist; und wie konnt er das, er der von allen Vergötterte? hat mich kaum bemerkt, und ich habe ihn so sehr geliebt! — Ja, ich habe ihn geliebt, liebe ihn noch; und wäre Agathe v. Hello zehnfach reicher denn Auguste v. Gülden, und wäre Agathe v. Hello die Tochter einen Kaisers, sie könnte ihn nicht heftiger, als ich, lieben. — Aller Weiber Blikke buhlten um den seinen, nur der meinige nie, und, ach, ihre Coquetterie trägt den Sieg davon! — Vielleicht wär ich glüklich gewesen, hätt ich ihn mehr aufgesucht, und alle die Reize aufgespannt, welche Agathe aus ihren Romanen kennen gelernt haben mag. — Ein schmachtender, oder ein wollustbietender und wollustverlangender Blik wirkt mehr auf Männerherzen, als das schaamvolle zu Boden gesenkte Auge. — Unseelige Erfahrung, die mich zu spät weise macht!“ — —

„Doch nein, ich bin zufrieden in meinem Unglük; ich verachte den Sieg, wozu die Sünde Waffen bietet. (sie zieht ein Miniaturgemälde aus dem Busen, sieht es mit nassen Augen an und drükt einen Kus darauf.) Gustaf, seeliger Gustaf, sei Du; bleib Du mein Geliebter! — wie sehr diese Züge den Zügen des Grafen gleichen! — Eben diese Harmonie ist die Quelle meines Leidens. Zürne nicht, lieber schöner Gustaf; Duur konnte dich nicht aus meinem Herzen verdrängen, aber wohl hätte ich dich allein nur in ihm geliebt. — Du bist mein, und dieses Bildniß soll mich ewig begleiten. — Lieg’ ich einst im Sterbebette, seh ich die Träume dieses Lebens gemach verschwinden, fühl ich mein Auge brechen, dann will ich das Heiligthum noch einmal betrachten, und es mit sterbenden Lippen küssen!“ —

So schwärmte das Mädchen noch ein Weilchen hin, nahm dann ein Buch und las. — In eben dem Augenblikke trat die Prinzessin Louise zur Thür herein; das Fräulein legte das Buch zur Seite, und ging ihrer Gebieterin entgegen.

Pr. Louise. Ich störe doch nicht, Auguste?

Frl. v. Gülden. Wie könnten Sie stören?

Pr. Louise. Du hast ja geweint, liebes Mädchen? — warum so schwermüthig? sehnst du Dich fort von hier nach den Landgegenden um deines Vaters Schlosse? oder bist du beleidigt worden? sprich doch!

Frl. v. Gülden. (die Thränen weglächelnd) Keines von allen. Ich habe gelesen.

Pr. Louise. So? ist denn das Buch so herzbrechend? — laß doch etwas daraus hören, ich mögte auch wohl einmal weinen.

Frl. v. Gülden. Sie werden sich — —

Pr. Louise. Nichts; nichts! ich will mich hieher sezzen am Fenster und du sollst mir etwas vorlesen. — Es kömmt darin doch auch von Liebe vor.

Frl. v. Gülden. (mit angenommenem scherzhaften Tone) Allerdings, was könnte sonst interessiren.

Pr. Louise. Ich denke auch. Also — —

Frl. v. Gülden. (lesend) „Es war einmal eine Zeit, wo ich sehr glüklich war; es war einmal eine Zeit, wo mir alle Menschen Heilige, diese Welt ein himmlisches Gefilde, dieses Leben ein schöner Morgentraum schien! — Es ist süß, sich noch an vergangnen, glüklichen Tagen zu weiden, seelige Szenen in das treue Gedächtniß heimzurufen. O, kommt zurük ihr heiligen Stunden meiner Kindheit und umgaukelt meine kranke Seele mit euern bunten Farben! lebt auf ihr frohen Augenblikke, die ich an den Ufern eines Baches verträumte, und ihr verwelkten Jasminlauben blüht auf, die ich einst für mich und den Geliebten hinpflanzte! — Ihr seid verwelkt; ich welke mit euch hin. Dieses Leben ist mir noch eine einsame Zelle, worin ich vergangne Freuden beweinen muß.“

„Du trauerst, mein Liebling, und seufzest aus der Ferne zu mir herüber? — Kettengeklirr wekt Dich aus dem mitternächtlichen Schlummer? — O, am Tage des großen Weltgerichts wird Deine Unschuld ohne Schleier offenbar werden; schöne Stunden blühen für uns in einer bessern Welt! Harre bis dahin und dulde; hier verweinte Thränen werden dereinst Rosen in Deinem Kranze. — Lächle, lächle! mag die furchtbarste Stunde Dir erscheinen, sie wird Dich nicht schaudern machen; denn Unschuld wandelt ja heiter über sinkende Welten; die schwarze Gefahr geht liebkosend ihr vorüber; in schauerlichen Mitternächten ist sie sich selber ein leuchtendes Gestirn!“ — —

Pr. Louise. (gähnend) Höre auf, höre auf, wenn Du mich wachend haben willst. — Mein Gott wohin denken denn unsre heutigen Büchermacher; ist es doch, als kämen sie alle aus dem Bildervollen Morgenlande gewandert. Willst Du lesen, Auguste, so komm zu mir; ich gebe Dir die Gedichte im Geschmak des Grecourt. Weißt Du nichts Neues?

Frl. v. Gülden. Wenig, und vielleicht etwas unangenehmes für Sie.

Pr. Louise. (sinnend) Unangenehm? doch nichts vom Grafen Duur?

Frl. v. Gülden. Eben von ihm.

Pr. Louise. (ängstlicher) Nun was ists?

Frl. v. Gülden. Daß er — erklärter Bräutigam — des Fräuleins von Hello ist.

Pr. Louise. (ausgelassen lachend) Ha, ha, ha! wer band Dir das Märchen auf?

Frl. v. Gülden. Ich bitte um Verzeihung, kein Märchen.

Pr. Louise. Wahrheit? — lustig, liebes Mädchen, so ist es noch besser!

Frl. v. Gülden. (erstaunend) Wenn ich fragen darf, wie so?

Pr. Louise. Du, Sonderbare, wie könnte der Graf die ekelhafte Puppe lieben? Heurathen wird er sie, doch ohne Liebe; diese bleibt mir übrig! — Freue Dich!

Frl. v. Gülden. Sie sind Ihres Sieges so gewis über ihn?

Pr. Louise. Du fragst sehr beleidigend?

Frl. v. Gülden. (seufzend) Verzeihen Sie?

Pr. Louise. Warum seufzest Du? — meinst Du vielleicht daß ich zürne? nicht doch, wie könnt ich das? komm, küsse mich!

Frl. v. Gülden. (sie küssend) O, Prinzessin!

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