Drittes Kapitel. Der arme Florentin!

Der alte herzogliche Geheimerathspräsident von Hello, ein Mann von namenlosem Stolze, und eben so großer Bigotterie, kam aus einer Seßion, als ihm unterwegs ein Gedanke beifiel, welcher seine nähere Aufmerksamkeit zu verdienen schien; und dieser betraf nichts geringers; als daß er den Grafen zu seinem Schwiegersohne erwählen wollte.

Agathe, sein Fräulein Tochter, hatte oft des Grafen sehr wohlwollend erwähnt, bald seinen angenehmen Wuchs, bald seinen männlich-schönen Teint gelobt, da sie übrigens sehr ungern etwas gutes und liebenswürdiges außer ihrer kleinen, etwas misgewachsnen Person zu finden glaubte.

Sie war das einzige Kind des Präsidenten, und hatte übrigens alle Lebensmaximen desselben geerbt, mit welchen sie eine halbvertuschte Coquetterie verband; der Vater liebte sie daher mit Affenliebe, ihre Gebrechen verwandelten sich in seinem schonenden Auge zu Schönheiten, die Summe aller Tugenden seiner Ahnen und Ahninnen glänzten ihm von seiner Tochter wieder entgegen.

„Du scheinst mir, sagte er lächelnd, Du scheinst mir den Grafen von Duur nicht zu hassen, Agathchen?“

Agathe. Wie fallen Sie auf den?

Präsident. Heut zum erstenmahl zog ich seine Person genauer in Betrachtung.

Agathe. Und?

Präsident. Ich fand einen feinen, gesitteten Mann, der da Ehre zu geben weis, dem Ehre gebührt.

Agathe. Ein geringes Verdienst, wahrhaftig!

Präsident. Er benuzte meine Laune und unterhielt sich mit mir über eine halbe Stunde.

Agathe. Viel, sehr viel von einem herzoglichen — Mignon!

Präsident. Unter andern fragt’ er mich um Dein Befinden.

Agathe. Ergebne Dienerin!

Präsident. Nun sag mir, Agathe, sag mir, was urtheilst Du von diesem Kavalier?

Agathe. Daß er — daß er — sehr artig ist — daß er zu leben weis.

Präsident. Blutwenig; allein er ist von sehr altem, unvermischten Adel.

Agathe. Zählt er über die Hello’s hinaus?

Präsident. Ueber unsre Ahnenzahl? Bestes Agathchen, Du bist unterweilen mehr beissend, als wizzig! ha, ha, ha! über die Hello’s hinaus! ha, ha, ha! — Doch, beiseite dies; er gefällt mir; und Dir —?

Agathe. (den Kopf zurükwerfend) Hm, ein andres ist es den Herrn, ein andres den Damen gefallen; — indessen — wie Sie wollen; nun ja, er mag mir gefallen.

Präsident. So? — nun, was hältst Du von — ich rede offenherzig zu Dir — war hältst Du von einer Mariage zwischen — —

Agathe. (sinkt aufschreiend in einen nahestehenden Sessel.) Mon Dieu! — ein Riechstäbchen!

Präsident. (geht kaltblütig und summend das Zimmer auf und nieder.)

Agathe. (halbe Ohnmacht affektirend.) O, Himmel! — nehmen Sie — mir alles, nur meine — Freiheit nicht — nur den elenden — Grafen nicht zu meinem Gemahl! —

Präsident. (lächelnd.) Wer dringt Dir denn den Graf auf? Der Graf, sagte ich, wird sich mit einer unsrer Verwandtinnen, dem Fräulein Aldenau vermählen.

Agathe. (erschrokken. Doch Heiterkeit heuchelnd.) Mit — mit dem Fräulein Aldenau? — Ist das sicher?

Präsident. So, daß ich nicht daran zweifle.

Agathe. Es ist unmöglich, sag ich Ihnen.

Präsident. Wie so?

Agathe. Eine Aldenau? — Graf Duur eine Aldenau wählen? wahrhaftig ich hätte seiner Delikatesse mehr getraut; und überdem —

Präsident. Ueberdem? —

Agathe. Kenne ich den Graf zu wohl; auf der lezten Redoute, als er mich von einer Angloise zurükführte, lies er einige vielsagende Worte fallen. Die —

Präsident. Nun?

Agathe. Von seinem edeln Geschmak zeugten. — Er wich selten von meiner Seite; sprach viel Süßes — und — —

Präsident. (lächelnd.) Agathchen, gefällt Dir der Herr von Duur?

Agathe. Ist Ihre Nachricht von der Aldenau gegründet?

Präsident. Völlig gegründet.

Agathe. Unerhört! sollte man je die Möglichkeit eines so pöbelhaften Einfalls träumen können? o, erlauben Sie, ich mus auf mein Zimmer; mir wird es — ich befinde mich nicht ganz wohl.

Präsident. Wir haben heut Gesellschaft; man wird Dich doch sehen?

Agathe. Vielleicht, vielleicht auch nicht.

Präsident. Der Graf selber wird uns die Visite machen.

Agathe. O weh, desto schlimmer! erlauben Sie, daß ich mich in die Einsamkeit retirire; ich will Aesops Fabel vom Fuchs und dem leeren Statüenkopf lesen.

Präsident. Und (schlau lächelnd.) Die Geschichte mit dem Fräulein von Aldenau ist so gut, als ein Märchen.

Agathe. (mit plözlich aufgeklärter Miene.) Wie, sagen Sie, wie? ein Märchen? — (kalt und stolz.) Doch seis auch, was intereßirts mich?

Präsident. Schade, Schade, daß Dir nicht wohl ist!

Agathe. Ich hoffe, es wird vorübergehn.

Präsident. Nein, nein, liebes Agathchen, hab wohl auf Dich Acht; opfre Deine zarte Gesundheit nicht um der Gesellschaft willen auf!

Agathe. (schmeichelhaft) Nicht doch, Papachen, es würde ja manchen beleidigen, wenn ich in der Gesellschaft fehlte; erlauben Sie mirs nur; — ich erscheine.

Präsident. He, he, he, he! und wer ist denn der Manche? he, he, he! wer ist denn der manche?

Der alte Präsident wollte wizzig, und Agathchen gern roth werden, aber Beiden gelang es nicht.

Es wurde Abend; die Karossen rollten herbei; der Graf kam; Agathchen ermangelte nicht anwesend zu sein. Der Präsident sprach hin und wieder; Florentin horchte, verstand es nicht und lächelte. Agathchen warf eben so oft in süßer, jungfräulicher Schaam den Fächer vor die Augen und Florentin verstand mehr; und scherzte wie in einem Scherze. Der alte Minister nannte den Grafen zuweilen Söhnchen; Florentinen ging ein Licht auf und er — rieb sich die Stirn.

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