Neuntes Kapitel. Sturm in Kanella.

„Ho, Gianetta, schöne Gianetta, es ist der Abend aufgedämmert! Gianetta, die Erlösung Kanellas beginnt!“ rief der liebetrunkne Enriko vor dem Gemach seiner Geliebten. Und die Thüren sprangen auf; der Jüngling flog in die Arme der stolzen Republikanerin.

„Was willst du, Trauter?“ fragte sie und ihr Auge wandte sich begeistert von den Waffen des schwärmerischen Enriko hinweg.

„„Dich noch einmal sehn. O Gianetta, vielleicht, daß ich für die Vaterlandsfreiheit mein Leben ausblute.““

„Küsse mich, schöner Junge; so liebte ich dich noch nie als in diesem Augenblik!“

„„Ha, der Kuß, und dieser! — o, noch eine Million derselben und ich fühle Muth in mir den Erdkreis zu verwüsten! —““

„Ungestüm!“

„„Ha, bald schwärzt sich unsre Hochzeitnacht! Gianetta —!““

„Wie wenns Grab unser Brautbett würde? — Enriko, mein Enriko, wie dann?“

„„Wehe, ich mag den Gedanken nicht denken! — Und nun, ade, ich habe dich gesehn! ade!““

„Bleib noch! — Ist Florentin von Duur schon heimgekommen?“

„„Wahrscheinlich! weis es nicht! — Ade!““

„Verweile noch!“

„„Horch, lautet man nicht in der Ignatiuskirche? — hörst du, sie stürmen mit den Glokken! es ist das Signal!““

„Man läutet zur Vesper. Bleib noch, Trauter, o, wie wirds mir so bang im Herzen!“

„„Laß mich! — still, das war Trommelschlag! horch, wies die Gasse hinunterwirbelt. Es ist Zeit!““

„Ach, einen Augenblik noch! — Es ist das Wirbeln der Pauken im herzoglichen Pallast, beim Gastmahl!“

„Sieh, wie strömt das Volk zusammen! Waffen an Waffen! Gianetta, schöne Gianetta, ade!“

Enriko entfloh.

Wohl stürmten die Glokken, wirbelten die Trommeln, rasselten die Waffen der zusammenströmenden Kanelleser. Borghemo hörte die seltne Musik. Jach sprang er auf in einsamen Zimmer, haschte er sein Schwerd, und stekte die Pistolen in seinen Gürtel.

„Freiheit! Freiheit, du kömmst?“ rief er entzükt: „Ha schwarzen Brüder, fürwahr jezt muß ich Eure Macht anerkennen. Borghemo ist Eures Bundes nicht unwerth; schwarzen Brüder, ich leiste meine Pflicht! — Aber du, großer Fiorentino, du bist anbetungswürdig! — o wie konnt ich dich einst mißverstehen Fiorentino, ich wasche in dieser Nacht mit Blut mein Vergehen rein; Fiorentino, ich streite, siege oder falle unter deinen Augen!“

Er riefs, drükte sich den Hut tief ins Angesicht und wollte hinausfliegen, als sich plözlich die Thür öffnete und Giovanni Borsellino mit mehrern Exulanten hereintrat.

„Heil unserm Vaterlande!“ riefen die Kommenden, und der Jüngling Borsellino hing am Halse seines Freundes Borghemo.

Borghemo. (bestürzt) Wie? woher kommt Ihr Landesverwiesne?

Giovanni. Geradeswegs aus dem Exil. Ha Borghemo, sollt’ ich Euch allein in Kanella die Freiheit erkämpfen lassen? — Erinnerst du dich nicht, daß die Borsellinen von Anbeginn jedesmahl da standen, wo die Gefahr am furchtbarsten war?

Borghemo. Wo ist der alte Eo?

Giovanni. An der Spizze aller Verwiesnen und Misvergnügten im Kanellesischen Gebiet. Das ganze Land ist in Bewegung.

Borghemo. Herrlich, herrlich!

Giovanni. Bruder, wo find ich den Fiorentino von Duur? Ich muß den Mann sehen, der die ganze Maschine des verdorbnen Staats mit seiner Riesenfaust zermalmt.

Borghemo. Den Mann suche da, wo das Gemezzel am wüthendsten sein wird.

Einige Exulanten. Laßt uns den Helden aufsuchen.

Andre. Das müssen wir; bei Gott, das müssen wir.

Giovanni. Ich begebe mich nach dem Dominikusplaz.

Borghemo. Dort ists schon lebhaft

Einige Exulanten. Auf zum Fiorentino!

Giovanni. Geht, wohin Ihr wollt, ich eile zu der Stätte, welche mir in dieser Nacht die heiligste ist. Kennt ihr nicht mehr den Dominikusplaz, wo weiland mein Vater erschlagen wurde? — da will ich seinem Schatten ein blutiges Opfer bringen; da will ich morden, und meinen Vater versöhnen. Borsellino! Vater Borsellino, es schwebe dein Geist um mich in dieser Nacht.

Borghemo. Der Lärmen wächst mit jedem Pulsschlage draussen.

Giovanni. Hui! da fiel ein Schuß!

Exulanten. (stürmisch) Hinaus! hinaus!

(man hört rufen: „es lebe der Herzog Piedro!“)

Borghemo. Was?

Giovanni. (schreiend) Es sterbe der Herzog!

Alle. Es lebe die heilige Volksfreiheit!

Borghemo. Ho! wer stürmt in unser Haus?

Etliche. Leibwachen des Herzogs. Zieht die Klingen!

(Geschrei von aussen: „Verräther heraus, Rebellen heraus! es lebe Piedro!“)

Alle. (sich hinausdrängend mit bloßen Degen und Geschrei) Es sterbe Piedro, es lebe die Freiheit! — —

„Wo säumt denn Fiorentino?“ sagte Dulli ärgerlich und ungeduldig zu sich indem er seine Klinge wezte: „hussah, wie sie haussen wimmeln und lärmen, und ich darf nicht darunter wühlen; muß hier sizzen in der verdammten, engen Stube und seiner warten. — Ladda, Ladda! heut räch’ ich deine Schande! — o, arme Ladda, sähest du in dieser Nacht deinen Dulli, du würdest ihn liebgewinnen! — Still! Was war das? riefen sie drunten nicht: „es lebe Piedro?“ (er lehnt sich zum Fenster hinaus) Es sterbe der Bluthund Piedro und seine höllische Rotte! — — Hu, ein dunkler regnichter Abend — desto herrlicher wird der Morgen anbrechen. Dulli, du erlebst einen Morgen der Freiheit, oder siehst die Sonne nie wieder aufgehn. Ja, Dulli schwörts bei seiner unglüklichen Ladda!“

Inzwischen dieser wilde, mordsüchtige Mann ungeduldig das Zimmer auf- und ablief, und Florentins Langsamkeit verwünschte, saß ruhig der große Fiorentino da — und weinte.

Und weinte?“ — Ja, meine Leser, er weinte; und Thränen, wie die seinen, glänzen als Perlen, in der Ehrenkrone der Menschheit.

Er hörte das Stürmen der Glokken, Trommeln und Trompeten; er hörte den wachsenden Tumult in der Stadt; er hörte das Klirren der Klingen für und wider die Freiheit gezogen; hörte endlich auch das Angstgeschrei der Weiber und unmündigen Kleinen — und er, groß genug einen Herzog vom Thron herabzureißen, war auch gros genug alles Elend zu betrauern, welche diese Rebellion über manche Familie verschütten mußte.

„Aufruhr! Kampf der Freiheit!“ sprach er leise vor sich hin: „wie die Wörter längst in meiner Seele brannten! — Jezt beginnt das furchtbare Schauspiel, und ich — o dürft ich noch einmal den Vorhang fallen lassen! — Unerforschliche Hand des ewigen Schiksals, du warst es, die mich hieherführte, du warst es, welche die schreklichen Knoten schürzte, so diese Nacht auflösen soll — dir vertrau ich, führe mich ferner durchs Dunkel. — O das Blut der Unschuld bedekke mich nicht; nicht mir gelte euer Wimmern, lieben Kleinen; nicht mir euer Fluch in der Verzweiflung, unglükliche Weiber! — Ach, es ist so schreklich die Lebensfreuden der Glüklichen zu morden — und doch!“ — —

Florentins Seele war bewegt. Er liebte, war kaum den Armen einer Hochgeliebten entwunden — kein Wunder, wenn er so zart empfand, wenn er den einzelnen Unglüklichen, welche es durch ihn wurden, eine Thräne des Mitleids weinte.

Aber bald ermannte er sich. Kaum daß er die Waffen angelegt hatte, traten der schwarzen Brüder zwanzig bis dreißig zu ihm herein.

„Fiorentino,“ riefen sie halb verzweifelnd: „wir verlieren!“

Florentin. (kalt) Wer?

Ein Bündner. Wir, wir! des Herzogs Anhang ist gros.

Florentin. Wo stehn unsre Regimenter?

Ein Bündner. In den Straßen vertheilt nach Euerm Plan. Sie dekken die Kirchen, das Arsenal, und die Stadtthore.

Ein anderer. Was ist zu beginnen?

Ein Dritter. Borghemo hohlt jezt aus den benachbarten Dörfern die dasigen einquartirten Truppen! —

Florentin. Ihr scheint muthlos. Erlischt die Flamme des Patriotismus so bald in Euch?

Alle. (durcheinander lärmend.) Bei Gott nicht! wer spricht das? — wir wollen sterben, wenn wir nicht siegen!

Florentin. Still! — Ein Streich muß gewagt werden, der alles entscheidet. Hört an!

Alle. Redet, wir hören.

Florentin. Ist Piedro noch nicht entschlüpft?

Einer. Die Thore sind gesperrt, und stark besezt, wie könnt’ er?

Ein anderer. Tausend Mann stehn um seinen Pallast und verrammeln den Aus- und Einweg.

Florentin. Feinde?

Alle. Feinde.

Florentin. Befehlt, daß man in der Gegend des Herzoglichen Schlosses laut aussprenge, auf dem Dominikusplaz werde ein herzogliches Regiment in die Pfanne gehauen; ruft Hülfe, lokt einen Theil der Wachen des Herzogs vom Schlosse ab, sodann folgt mir nach; schleppt einige Kanonen herbei, die uns durch die zurükgelaßnen Wachen einen Weg bahnen, und dringt dann mit mir ins Schloß. Piedro muß unser sein. Auf, folgt mir.

Er sprachs.

Schon schwankten die Haufen der zurükgeschlagnen Bürger; schon scholl durch Kanellas Straßen das wilde, jauchzende: „Piedro lebe!“ schon strömte Bürgerblut, und erlosch das Feuer der Freiheitssucht in ihm; schon verzweifelten Mann und Weib den Morgen in einem republikanischen Staat zu begrüssen — als Fiorentino erschien, und sein Hervortreten den Tumult erneuerte, und seine Gegenwart neue Raserei verbreitete.

Es stürmte von den Thürmen, es stürmte durch die Straßen. Allenthalben Mord und Flucht und Sieg. Die Freiheitskämpfer griffen abermals an; laut hallte der Kanonen-Donner; Prinz Morizens Palais gerieth in Flammen. Benedettens Schloß loderte ebenfalls auf; — mit jeder Minute wurde das nächtliche Spiel fürchterlicher.

Plözlich scholls: „Hülfe! Hülfe! getreue Kanelleser hin zum Dominikusplaz! die Rebellen schlagen des Herzogs Regiment!“ — Ein Donnerschlag in den Ohren der Herzoglichen. Alles stürzte verwirrt zum Dominikusplaz; halb verlassen stand Piedros Burg.

Und jach flog Florentin an der Spizze der schwarzen Helden hervor aus dem Hinterhalte; zahllose Kanelleser umringten das Schloß; die Wachen strekten das Gewehr — die Pforten des Pallasts wurden gesprengt; der Graf mit funfzig Schwarzen durchsuchten das Gebäude und zogen den Herzog, mehr einem Todten als Lebenden ähnelnd aus seinem Schlupfwinkel hervor.

Piedro schlug die Augen auf. Beim Schimmer brennender Fakkeln erkannte er unter den ihn umgebenden Männern den Grafen.

Piedro. (zitternd — athemlos) Graf Fiorentino.

Graf. Eure Tyrannei ist zu Ende, Herzog.

Piedro. (beweglich) Fiorentino, auch Ihr?

Graf. Seht, Herzog, seht hinaus; betrachtet draussen den Greuel dieser Nacht; seht wie Bürger wider Bürger wüthen; hört das Aechzen der Erschlagenen, hört das Winseln der Verwaisten — Herzog, Landesvater, sieh das Elend deiner Kinder und rechtfertige Dich.

Piedro. (entnervt) Nehmt — nehmt alles hin, ich entsage allem — nur schüzt mein Leben wider die Rebellen.

Graf. Ich selber bin der Rebellen einer.

Piedro. Nein, Graf, unmöglich seid Ihr dies.

Graf. Ich bin mehr, bin der Rebellen Anführer.

Piedro. (zurüktaumelnd) Wehe, auch Ihr!

Graf. (mit Majestät) Piedro, vergeßt in dieser Nacht, daß Ihr vor fünf Stunden noch Herzog waret, und unterwerfet Euch der Rache des Schiksals. — Kanellas Bürger sind fortan nicht mehr Piedros Sklaven; hört Ihr’s? nicht mehr Eure Sklaven! — — Ihr bleibt inzwischen diese Nacht hindurch in der Bewahrung dieser Männer, seid ruhig, wenn Ihrs sein könnet und fürchtet nichts für Euer Leben. —

Piedro. (ergreift bebend die Hand des Grafen) Fiorentino — —

Graf. (führt den Herzog an ein Fenster) Fakkeln leuchtet hinaus! — Piedro, ruft den Kanellesern zuerst ihre Freiheit zu!

Piedro. (sich zum Fenster hinauslehnend) Wehe, welch ein Anblik.

Einige der Schwarzen. (hinunterschreiend) Stille unter Euch! der Herzog spricht! Ruhe! —

(Todtenstille von unten)

Piedro. (dreht sich vom Fenster ab) Fiorentino!

Graf. (mit furchtbaren Ernst) Ihr säumet? Hat Kanella noch nicht lange genug in Euern Fesseln geschmachtet?

Piedro. (die Hände ringend) Gott!

Graf. Seht, so triumfirt die Freiheit an der Hand der Verzweiflung. Und dies alles ist Euer Werk! — (Pause) Das Volk schweigt.

Piedro. (lehnt sich abermahls zum Fenster hinaus; er ruft weinend) Lieben Kanelleser, Euer Herzog verkündet Euch — Freiheit!

„Freiheit! Freiheit!“ schrieen tausend Stimmen durch die benachbarten Gassen, und: „Freiheit! Freiheit!“ scholls zurük von allen Gegenden der Stadt.

Ueberwunden strekten die Herzoglichen Soldaten das Gewehr — die Sonne ging auf und beleuchtete einen neugebornen Freistaat.

„O Gianetta! Frei ist Kanella!“ rief der heimkehrende Enriko, indem er der Wohnung seiner Geliebten entgegen flog. Aber ach! — im Blute schwimmend, erschossen, lag die schöne Kanelleserin an der Thürschwelle ihres Hauses.

„Gianetta! Gianetta!“ stammelte seellos der arme Jüngling, und sank mit diesen Worten auf den Leichnam seiner Angebeteten hinab. Er brannte tausend Küsse auf ihren kalten Mund; aber umsonst, der schöne Geist der Geliebten war entflohn; er durfte nicht heimkehren aus seinen neuen Wohnungen. Das Volk umringte dieses unglükliche Paar, die Wuth der ergrimmten Rebellen zerschmolz bei diesem Anblik in Mitleiden.

„Ach, so ists denn vergebens!“ jammerte Enriko! „darf ich nicht hoffen glüklich mit dir im freien Kanella zu sein? — O Himmel und Erde, erbarmt Euch mein — ich habe sie verloren; meine Seligkeit, meine Hoffnungen, mein Einziges verloren! — Grausames Verhängniß, warum ein solches Spiel mit mir!“

Er sank schmerzvoll zu Boden, sein plözliches Schweigen, sein dumpfes Röcheln machte einige Männer aufmerksam; man eilte zu ihm; riß ihm vom Boden auf und fand einen Selbstmörder.

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