Gewis war Duur mit Dulli noch nicht eingetroffen im Dosanischen Wirthshause zum goldnen Dorn, als seine Weissagung zu Kanella schon in Erfüllung gegangen. —
Es bedürfte eben keiner Thron- und Lebensgefahren um einen Schwächling, als Piedro, aus aller Fassung hinauszustürzen. Ein mislungenes wollüstiges Projekt, eine verdorbne Frisur, die Ohnmacht einer Dame, der Tod eines Schooshundes war allein schon stark genug ihn aus dem Sattel seines Gleichmuths zu heben. Und nun denke man sich die Lage dieses kleinherzigen Prinzen beim Empfang der Florentinischen Briefe; denke sich sein Entsetzen, Schaudern, Verzweifeln während des Lesens.
Er sank, wie vom Schlage gerührt, kraftlos auf das Sofa nieder; Todesblässe floß über sein Angesicht, Todesschweis drang in kalten Tropfen aus allen Poren hervor; die Hände zitterten wie in einer betäubenden, halben Lähmung, die Knie schlotterten heftig.
So lag er da, ein Gegenstand des Mitleidens, der Erbarmung, lag er da, als hätte ein Donnerschlag seinen Insektenmuth gänzlich vernichtet, und alle Kraft aus Nerven und Gebeinen verzehrt. Nach Viertelstunden erwachte er wieder wie von einem Todesschlaf — Traum wars nicht gewesen, die gräflichen Briefe widerlegten ihn, so gern er sich vom Gegentheil überredet hatte. — Er weinte.
Jezt erschien seinem Geiste Florentin von Duur in der erhabensten Größe; er bewunderte den Mann mit Thränen, eben den, welchen er einst so sehr übersah. All sein Vertrauen warf er izt auf diesen Engel; er schikte zum Grafen, wünschte ihn privatissime zu sprechen, allein Duur war längst verschwunden.
Zum Erstaunen des ganzen Kanella wurden der Prinz Moriz und der eminente Kardinal an eben dem Tage unsichtbar; denn Piedro hatte beide hinterlistig zu sich gebeten, sodann von verschwiegnen, getreuen Offiziren in abgelegnen Zimmern seines herzoglichen Pallastes gefangen halten und in der Nacht heimlich auf ein Landschloß transportiren lassen. Ihre Palais wurden stark bewacht, ihre Geräthschaften versiegelt und eine Untersuchungskommißion wurde niedergesezt, die den beiden Staatsverräthern den Prozeß machen sollten.
Wir lassen jezt Morizen fluchen, Benedetten anathematisiren und Piedron sich schmeicheln eine Verschwörung zerstört, einem nahen Aufruhr vorgebeugt zu haben, und wenden uns zum Grafen, der kaum anderthalb Tage in Dosa war, als er die Ursach seiner Dahinberufung erfuhr.
Ein Mädchen trat an einem Vormittage in sein Zimmer, erkundigte sich nach ihm und überreichte ihm ein versigeltes Handbriefchen. Florentin stuzte, erbrach das Billet und las:
„Gnädiger Herr,“
„Sie werden von einem Landsmanne ergebenst gebeten, diesen Nachmittag ein Glas Wein mit ihm in seinem Garten vor Dosa zu trinken. — Ich erwarte sie gewis.“
„Ihr Freund.“
Der Graf war etwas verlegen. Die Zofe sah ihn unverwandt an und lächelte.
„Wer ist denn dein Herr, liebes Mädchen?“
„„Er hat mirs verboten Ihnen seinen Namen zu nennen!““ antwortete sie in deutscher Sprache.
„Wie? bist du eine Deutsche?“
„„Freilich; mein Herr hat mich aus Deutschland mit hieher genommen; ich bin die Gesellschafterin seiner Tochter.““
„Seiner Tochter!“ wiederhohlte Florentin langsam, der noch immer im süssen Wahne gestanden, daß Holder ihm den Scherz spiele. Er besann sich ein Weilchen.
„„Werden Sie hinauskommen?““
„Sag mir, mein Kind, ob dein Herr“ — —
„„Ich verrathe Ihnen gewis nichts.““
„Gesezt aber ich erriethe seinen Namen.“
„„Desto besser für Sie.““
„Heißt er etwan — Aellmar?“
„„Mit nichten! — aber werden Sie kommen?““
„Gewis. Wo liegt der Garten?“
„„Zum Südthore hinaus, eine Viertelmeile von der Stadt entlegen, am Dosanischen Gehölz. Sie können ihn unmöglich verfehlen. Eine hohe Kastanienallee führt Sie da links vom Wege ab; die Gartenpforte steht offen und über derselben werden Sie drei Aloeblumen entdekken.““
„Das Geheimnisvolle deines“ —
„„Ihre Dienerin!““ sagte lächelnd das Mädchen und hui schlüpfte sie hinaus zur Thür.
Duur stand lange verwirrt ob der seltsamen Erscheinung da, doch was sollt er machen? mit Ungedult erwartete er den Nachmittag und bis dahin suchte er sich die Langeweile, welche er bis jezt nur dem Namen nach gekannt zu haben schien, so gut als möglich zu vertreiben, durch Musik und Träumereien.
Aber eben diese versezten ihn bald in eine mehr wehmüthige als ernste Stimmung des Gemüths; der Nachmittag erschien, und mit halbem Widerwillen lies er das Pferd satteln, schwang er sich auf und trabte er langsam der angewiesnen Straße zum Garten am Dosanischen Gehölz nach. —
„Wann werd’ ich Euch wieder erblikken, Gespielen meiner Jugend, ihr Geliebten meines Herzens?“ schwärmte er vor sich hin: „Wann werd’ ich euch wieder erblikken, ihr heiligen Gegenden meines Vaterlandes, worin ich zuerst des Lebens Werth empfand? Ach, daß ich es dürfte, wie gern flög ich Euch jezt entgegen! — — Onkel, mein alter guter Onkel, ich will ja gern in deiner Umarmung alles, alles vergessen, was der Nachruhm herrliches hat; Will gern bei deinen süssen Plaudereien, o Rikchen, das Jauchzen des dankenden Volks vergessen; will bei dir, mein Holder, in seliger Ruhe aller Pracht und Größe entsagen — ach, ich opferte gern die Unsterblichkeit meines Namens einigen frohen Augenblikken in eurer Mitte auf! — O Schiksal, Schiksal gieb mir Ruhe! — und du, Bündnis der Schwarzen, wieviel bist du mir zu geben schuldig!“
Inzwischen er so mit sich selber sprach, stand sein Pferd am Ende der Kastanienallee vor der Gartenthür mit den Aloeblumen.
Er stieg ab, band das Ros an und trat in den einsamen Garten. War es Ahndung, oder die von den vorigen Bildern aufgeregte Einbildungskraft, welche in ihn wirkten, weis ich nicht. Ein heimlicher Schauer drang durch seine Glieder; beklemmt und froh schlug sein Herz einem unbekannten Etwas entgegen; seine Blikke durchflogen die liebliche Wildnis, wo halbe Kunst und halbe Natur herrschten.
Niemand, ausser ihm, war im Garten. Er erstaunte. „Was soll ich hier?“ fragte er sich laut, und leise schien ihm eine innre Stimme zu antworten: „Freund, nicht vergebens bist du hier!“ — Er schwankte vorwärts, halb mißvergnügt, halb neugierig.
In der Ferne, hinter Gebüschen, schien etwas Weises vorüber zu schweben. Mit einer unerklärlichen Unruhe eilte er dahin, je näher er dem Orte kam, je mehr seine Schritte an Schnelligkeit verloren.
Er stand vor einer verschlossenen Laube. Plözlich flog ein Gewebe von Ranken zurük, und — o Gott! — — Louise lag in seinen Armen.
„Louise! — Louise! — angebetete, geliebte Louise! —“ rief er bebend; Seine Knie brachen; er sank auf den Rasen nieder, und sie hieng in seiner Umarmung fest.
„O Louise!“ rief er, nach einer nur der Empfindung, nicht der Dichtkunst heiligen Pause, und preßte seine Lippen auf ihren Mund: „Louise, träum’ ich dich!“
Aber Louisens Lippen öffneten sich nicht zur Antwort. Da lag sie mattathmend, aufgelöst in schmerzlicher Wollust, alles- und nichts-empfindend in seinen Armen. Ihre schönen Augen starrten ihn unabwendlich an, als wollten sie seine Züge für eine ewige Trennung auffassen. Ihr Mund war verschlossen, ihre kippen vergalten keinen Kuß; ihr Ohr schien den Ausrufungen seines Entzükkens taub; ihr ganzer, mit tausend Reizzen geschmükter Leib schien Kraft und Leben verloren, ihr Geist berauscht sich höhern Regionen entgegengeschwungen zu haben.
„Meine Louise!“ rief der Liebende und seine Augen zerschmolzen in Thränen. Er hob seufzend die schöne Leblose zu sich empor, und verbarg sein Antlitz an ihrem Busen.
Lange verweilten beide in dieser Attitüde; keiner sprach; Seufzer traten an die Stelle der Wörter.
So lohnt die Liebe. So lohnt sie nach überstandnen Leiden; sie schöpft ihre Wonne aus himmlischen Quellen, und beut tröstend dem müden Sterblichen ihren heiligen Kelch. Dann verliert die irdische Herrlichkeit ihren Werth; dann verschwindet jeder Reiz dieser Erdenwelt, und die Seelen der Liebenden schweben, entrückt des Staubes Hülle, über den Sternen hinaus.
Wiederfinden, Wiedersehn nach langer quaalvoller Trennung, wie lieblich bist du! Bei dir zerschmilzt die heisse Sehnsucht in Ruhe; da zerlöst sich der Harm in süsser Wehmuth; da vergißt die Sterblichkeit ihr Loos, und zerfließt die Sinnlichkeit in Nichts. Da vermählen sich Seelen mit Seelen unterm Seegensruf der Ewigkeit; da fühlen Geister ihren göttlichen Ursprung, und die schweigende Natur feiert die hohe Empfindung. — Wiedersehn, Wiederfinden nach langer quaalvoller Trennung, wie lieblich bist du! —
„Ach, Florentin!“ stammelte nach einer halben Stunde Louise, und ein tiefer Seufzer erhob ihren Busen.
„„Bist es wirklich, Einzige! — kein Traumbild, kein Fantom! Du bists. Es ist deine liebende Stimme!““
„Unglüklicher Florentin, du liebst Louisen noch? — Hast deine Liebe so schwer büßen müssen!“
„„Ewig hängt meine Liebe an dir.““
„Hast viel gelitten um Deiner Louise willen.“
„„Unendlich viel! — ich hatte ja alles verloren. — Ach, seit du an meiner Brust liegst, hab ich dreifach — tausendfach mehr dafür wieder gewonnen. Ich bin zufrieden. Meine Wünsche hören auf.““
„Florentin, so viel Liebe hab’ ich nicht verdient.“
„„Hast sie verdient und mehr. — Was war ich ehe du mich geliebt? ein Geschöpf sonder Werth! — durch dich wurd ich alles.““ — —
Sie weinten beide. Ihre Sprache verlor sich. Sie umarmten sich lange.
„Ah!“ lispelte Louise und die Seligkeit ihrer Seele mahlten sich in den schwimmenden Blikken, auf den erröthenden Wangen, in den lächelnden Zügen ihres Angesichts wieder:
„Wer hätte es im herzoglichen Schloßgarten an jenem Abend von uns wähnen sollen, daß wir uns hier wieder finden würden? Erinnerst du dich noch an das Strumpfband?“
„„Wie könnt’ ich den kleinen Urheber all meiner Freuden und Leiden vergessen? — Ach preise jene Stunden selig, da eine morsche Bank dein Thron war und ich zu deinen Füssen lag und dir Liebe gestand. Ich preise jene Stunden meines Lebens selig, denn ohne sie würd’ ich dich hier nicht besizzen.““
So sprachen, so koseten die Liebenden lange miteinander. Alle frohe und traurige Szenen der Vergangenheit wurden geschildert und wieder geschildert; jede Kleinigkeit ward zur Merkwürdigkeit, ein hie und da verloschnes Bild mit neuen Farben aufgefrischt.
Bald wandelten sie Arm in Arm, Hand in Hand verschränkt in einsamen Gängen umher; bald ruhten sie wieder im Schatten hoher Bäume; bald genossen sie in einer angenehmen Grotte Erquikkungen von den auserlesensten Speisen und Getränken; bald schwiegen sie Viertelstunden hindurch, Hand in Hand, Blik in Blik, Seufzer in Seufzer, Seel’ in Seele, verloren. Und so entschwand der Tag, so entfloh der schönste Abend wie die Fantasie eines Augenbliks. Kein fremdes Auge belauschte die Glüklichen; nur die Zofe Louisens, die bewußte Briefträgerin, sorgte für die Bequemlichkeiten der geheimen Liebenden.
Die Nacht zog am Himmel herauf; es war eine begeisternd schöne Nacht, war gewis von allen angenehm durchwachten Nächten des Grafen eine der lezten für ihn auf Erden. Hingegossen lag er unter einem Pfirsichbaum; die schwanweißen Arme um ihn geschlagen ruhte die Fürstentochter neben ihm. Ueber und um beiden webte ein Hollunderbusch die niedlichste Laube. Hell funkelten die Sterne aus der wolkenlosen Luft herunter; verklärt im Mondlicht schwamm der Garten; sanft rauschte der Abendwind durch die Wipfel der Bäume.
„Was fehlt unserer Glükseligkeit noch?“ fragte Duur und küßte Louisens Stirn.
Louise. Die Dauer der Ewigkeit.
Duur. (erschüttert) Du hast Recht. O, warum sind die Freuden des Lebens an den Maasstab der Zeit gebunden? — Ach, Louise, Louise, wie bald werden wir uns trennen müssen! (Eine Pause. Er versucht es sich von dem traurigen Gedanken loszuwinden. Indem er sich über Louisens Angesicht hinbeugt:) Du bist mein Weib?
Louise. (schaamvoll zitternd) Ich bin noch — dein Weib.
Duur. (ihren Worten nachsinnend) Ja, du bists, und wirst nie einem andern werden.
Louise. (schmeichelnd) Mein Florentin.
Duur. Nie einem andern, Louise?
Louise. Florentin, warum fragst du so? — O, du hast mich zum Weibe — zur Mutter gemacht.
Duur. Gott, es ist wahr, und ich konnte unsers Karlchens vergessen? — wo ist er — Mutter, Mutter, wo ist er?
Louise. In Deutschland bei Holder von Sorbenburg. — Ach, Florentin, wie gern hätt’ ich Ihn dir mitgenommen, aber — ich konnte nicht, durfte nicht! (schwärmerisch) Es ist ein göttlicher Bube, so schön, so klug, so schmeichelnd — Florentin, es ist dein Ebenbild Du solltest ihn sehn — bei Gott unter Tausenden würdest du ihn erkennen. Ich habe ihn oft auf meinem Schoose getragen; habe oft mit dem verführerischen Knaben getändelt; habe ihn den Mutternamen gelehrt und von seinem lieben Vater ihm erzählt. Wie neugierig er dann nach dir fragte, wann du heimkommen würdest — ach, Florentin, die Freuden der Mutter kann kein Männerherz nachempfinden! —
Duur. Vortrefliche!
Louise. Du wirst ihn bald sehn können: so bald du es willst.
Duur. (entzükt) Meinen Karl sehn?
Louise. Mein Bruder Adolf hat dir verziehen. Schreib an den Herzog, nur eine Zeile schreib’ ihm, und du darfst wieder in dein Vaterland zurükkehren.
Duur. Friedensbotin, wie dank ich dir?
Louise. Ja, Adolf liebt dich unaussprechlich! er ist nie düsterer, als dann, wann er an deinen Verlust erinnert wird. „Du, du hast ihn mir geraubt, Schwester“ sagte er mir oft, und so oft er mir dies sagte, bemerkte ich Thränen in seinen Augen. Kehre zurük.
Duur. (betrübt) Bald vielleicht.
Louise. Gieb ihm die alte Fröhlichkeit wieder. Zwar ist er unterdes vermählt; aber seine Gemahlin kann die Wunde nicht heilen, die dein Verlust seinem Herzen schlug.
Duur. Ich kehre zurük, so bald Kanella mich loßläßt. Ich habe dir meine Lage geschildert; du weißt wie sehr ich an Kanellas Wohl gebunden bin, oder Kanellas Wohl vielmehr an meinem Willen hängt. Du weißt, welch ein Tag mir bald bevorsteht. — —
Louise. (ihn inniger umschließend) Bedauernswürdiger Mann!
Duur. Doch sei’s. Getrost geh ich meinem Schiksal entgegen. Aber hier, an diesem Busen, will ich vorher ausruhn von meinen Thaten; von diesen Lippen will ich mir erst Kraft und Feuer zu neuen sammeln. Hier will ich Vergangenheit und Zukunft vergessen, um harmlos an der Gegenwart zu schwelgen. — O, Einzige, Liebliche, du bist ja mein, — mein! mehr verlange ich nicht aus der Fülle der Seeligkeiten.
Inbrünstig hingen die Lippen des seligsten Paars aneinander. Schön war die Nacht, aber schöner war der nächtliche Triumf der Liebe.
Der Morgen erschien. Ein halber Tag entfloß; bald war ein ganzer dahin. Die Stunde des Scheidens schlug — von einander gerissen waren die noch vor einigen Stunden die Glüklichsten der Erde, verweht wie ein Nebel, ihre Freuden. Duur glaubte aus einem Traum erwacht zu sein, als er sich nicht mehr im Arm, am Busen Louisens, sondern auf seinem Rosse den Weg von Dosa nach Kanella zurüktrabend fand.
„Gott, so habe ich nichts, nichts von der Freude genossen; ich habe mich mit Schattenbildern ergözt!“ rief er bekümmert aus.
„„Das ist’s Menschenloos nun einmal so!““ gähnte Dulli, der hinter seinem Herrn ruhig dahin trottete.
„Aber doch ist auch ein Traum schön! Schwarzen Freunde, ihr habt ritterlich Wort gehalten, Florentin von Duur wird desgleichen thun.“
„„Morgen ist der erste September!““ brummte Dulli, und ein Schauder floß kalt über seine Haut.