Achtes Kapitel. Freude — Verdrus und Schauder.

Die Empfindungen der Freude, des Verdrusses und des Schauders sind ziemlich heterogen; es könnte schier glaublich werden, als habe mir ein muthwilliger Freund diese Worte zum Text eines Kapitels gegeben, mein Erfindungsvermögen zu taxieren. Aber nicht also! — sondern, so wie sich täglich und stündlich in unsrer Seele die entgegengeseztesten Empfindungen durchkreuzen: so wars auch bei dem exilirenden Florentin.

Zuerst will ich umständlich erzählen, wie der Freudenlose endlich einmal zu einer Freude gelangte.

Er lebte schon seit zwei Tagen im Städtlein Mungenwall dem Tage des heil. Urbanus entgegen harrend, als eines Morgens an die Thür gepocht wurde und der Briefträger hereintrat. Florentin nahm den Brief, erkannte in der Addresse eine Frauenzimmerhand, fertigte behende den Postboten ab und erbrach neugierig das Couvert.

Lieber Graf,“

„Also leben Sie noch? — o, wohl mir und Ihnen; haben wir das Leben noch nicht verloren, so ist nur wenig verloren! — Sind Sie vergnügt? doch wie sollten Sie das, Sie armer, vertriebener Mann? — aber getrost, ruhig doch? — o ja, das müssen Sie sein; ich bins nun auch, ob ichs gleich vor einem Monate nicht war. Aber so bald ich erfuhr, daß Florentin noch auf einer Welt mit mir lebte, war ich zufrieden, war ich gesund. Bist Du’s auch? Florentin, bist Du’s auch?“ —

„Ach, lieber Einziger, ich könnte Dich trösten, und warum sollt’ ichs nicht? Warum soll sich die Gattin schämen vor — ihrem Gatten? — Florentin, lächelst Du nicht, wenn ich Dir sage, daß ich jezt Florentins Ebenbild stündlich küssen, täglich an den — — Mutterbusen drükken kann! — Ich werde so roth, indem ich schreibe, und finde doch keine Ursach dazu. — O Florentin, wärst du izt bei mir! doch, du darfst es nicht sein.“

„Ich habe Dich gesehen in der Kirche zu Riedelsheim. Ich traute meinen Augen nicht, schlug den Flor vom Gesichte und sah Dich. Um mich, die ich im strengsten Inkognito lebte, nicht zu verrathen, begab ich mich eilend in meine Wohnung. Du kamst zu Aellmarn — o, hättest du’s gewußt, daß wir in den Mauern eines Hauses beisammen waren — —! nein, so ists besser. Du hast mich also in der Kirche erkannt? denn warum drangen Aellmar und sein gutes Weibchen so sehr in mich, daß ich dem leztern meinen Anzug leihen mußte, um dich zu täuschen?“

Aellmar hat in einem angenehmen Lustwalde bei Riedelsheim ein schönes Haus. Hierhin floh ich, damit Du mich nicht entdektest, aber meine Gedanken begleiteten Dich stets. Ich fantasirte Dich zu mir her, meine Einbildungskraft trieb ihr Spiel so hoch, daß ich zuweilen glaubte, Du riefest mich laut bei Namen.“

„Das unstäte Herumreisen gefällt mir. Ich bin schon ganz wiederhergestellt; in der andern Woche muß ich am Hofe erscheinen, aber, ach, Florentin, wie öde ists dort, wenn Du nicht da bist! Mein Bruder, der Herzog soll sehr niedergeschlagen sein — ich wünschte die Hälfte Sehnsucht nach Dir, die mich quält, in seinen Busen und er würde Dich gewiß mit Thränen der Reue in sein Land heimrufen.“ —

„Antworten mußt Du nie auf meine Briefe. Man hat mir aber versprochen, mich von allem zu benachrichtigen, was sich mit Dir ereignet. — Florentin liebe mich — bleib mir ewig gut! die Hand, die uns trennte, führt uns vielleicht einst wieder zusammen. Erinnerst Du Dich noch eines Abends, da du im Schloßgarten mir das Strumpfband applündertest?“

„Florentin lieb ewig

Louisen.“

„Geschrieben im Aellmarschen
Waldhause bei
Riedelsheim.“

Daß Florentin beim Lesen und nach Lesung dieses Briefes in eine ihm jezt sehr ungewöhnliche heitre Seelenstimmung versezt wurde, ist leicht zu errathen. Er küßte das Blatt, welches ihre Hände berührt, küßte die Züge, welche sie gezeichnet hatten.

Aber die Wonne des Grafen war nicht das liebliche Rosenroth auf die grüne Farbe der Hoffnung hingegossen, um mit Farben Florentins Seelenzustand zu mahlen: sondern ein düsteres Roth auf schwarzem Grunde. Ein unwandelbarer Trübsinn dämpfte jedes aufwallende, frohe Gefühl, und ließ im Freudestrahlenden Auge die Thräne der Schwermuth blinken.

Gewöhnlich glaubt man, daß Entfernung von der Geliebten den Schmerz sie nicht besizzen zu können, und am Ende die Liebe selber, mildert, auch der brave Herzog Adolf gieng wahrscheinlich von diesem Standpunkte aus, da er Florentinen und Louisen mit weiser Vorsicht trennte — aber hier fand das Gegentheil statt. Seine Liebe wurde mit jeder Entfernung von dem Gegenstande derselben heftiger, und er empfand die traurig angenehme Wahrheit des Owenischen Spruches an sich, daß

Je mehr man dem Feuer der Liebe entfliehe,

Je mehr es glühe.

Er hätte gern anizt die Pferde satteln und sich im sausenden Gallopp wieder nach Riedelsheim oder dem Aellmarschen Waldhause zurüktragen lassen, um Louisen zu sehn, zu umarmen, zu sprechen, um sein Ebenbild an das Vaterherz zu drükken — aber der Urbanstag war nicht mehr weit, und die Prinzessin, die sogar seine Briefe verbat, konnte vielleicht auf seine Selbsterscheinung noch ungehaltner werden; überdem war ihr Aufenthalt äusserst ungewiß.

Gezwungen also mußte er so weise sein, die in ihm aufsteigenden Wünsche schweigen zu machen. Aber Aellmarn konnte ers lange nicht vergeben, daß er ihn so heimtükkisch hintergangen, und die Anwesenheit der Prinzeßin in Riedelsheim nicht verrathen habe. — Wäre Aellmar nicht der schwarzen Brüder einer gewesen, so fürchte ich, daß Florentin blutige Rache an ihm genommen haben würde.

„O!“ rief der betrogne, tiefgekränkte Graf, mehr als einmahl mit wildem Verdrusse aus: „fürwahr, spielt man doch mit mir, als einem Kinde. Nein, so wahr ein Gott über uns lebt, so wahr ich frei bin und Mann bin, ich will länger nicht sein der, welcher ich war. O, Freundschaft, Freundschaft, bist doch nur eine schöne Puppe, welche man fühlenden, reinen Seelen, mit Kindesunschuld begabt, auf eine Zeitlang zum Tändeln giebt! du selber reizendes Ideal, Inbegrif jeder Tugend, hast dein Antliz abgewandt von der entarteten Menschheit, dein Schatten nur schwebt noch auf der Geschichte der Vorwelt und den Werken des Dichters!“

Ich glaube, der Graf würde nicht unrecht gethan haben, wenn er das beherzigt hätte, was wir oben (Seite 9.) über den Monolog eines Fürsten gloßirten! —

Inzwischen hatte er weder Zeit genug seine Freude, noch seinen Verdrus lange zu verfolgen, weil endlich der Tag des heiligen Urbanus anbrach und — verdämmerte.

Schon vorher hatte der Graf von einem Mungenwallischen Wirthe nöthige Kunde über den rothen Wald, die Heerstraße, das steinerne Kreuz und dergleichen mehr eingezogen, wovon ihm Holder sagte, so daß er jezt unmöglich irren konnte, da er gegen Abend zum Mungenwaller Thore hinauswanderte, und dem vor ihm liegenden Gehölz entgegen.

Er trat hinein in den sogenannten rothen Wald, der an sich jedem andern grünen Walde gleich war, nur daß mit Anfang des Gebüsches auch der Erdboden in Berg und Thal sich zu verändern anfing, und Florentins Straße sich in ewgen Krümmungen um Hügel, durch Thäler, grausenvolle mit hohen Rüstern überwölbte Hohlwege eine gute halbe Meile hinschlängelte.

Die Mitternachtsstunde nahte. Florentin sah links das steinerne Kreuz auf einer mit Sträuchern wildumwachsenen Anhöhe. Er lagerte sich am Fuße derselben, harrend der Dinge, welche kommen sollten.

Der Himmel war mit Wolken bezogen; hie und da funkelte ein Stern herab; dann und wann trat der Mond aus den Nebeln hervor, übrigens herrschte Todesstille im Walde.

Der Graf hatte noch Zeit genug vor sich seine Begebenheiten zu überdenken, die ihn hieher gebracht hatten.

„Wie wunderbar das Verhängnis mit uns spielt!“ — dachte er bei sich: „wie hätt’ ich je glauben sollen, daß ich einmal in diesem Walde um Mitternacht liegen würde, Abentheuern entgegen zu gehn? — Sollte man nicht beinahe des Menschen freien Willen für ein Selbstgespinst seiner Fantasie halten? Ich kam an den Hof eines Fürsten, wurde sein Vertrauter. Seine Schwester war zu schön, daß ich nicht Liebe für sie hätte empfinden sollen und Sie liebte mich wieder. Eine glükliche Nacht war die Quelle vieler Unglüksfälle. Ich würde verloren gewesen sein, hätte mich nicht die Güte unbekannter Männer erhalten; ich wäre nicht durch diese so glüklich gewesen, hätte ein Ungewitter und ein rother Mantel nicht Holdern mit meinem Onkel verbunden. Ich stand dem Tode nahe, wurde gerettet — war dies nicht vielleicht nur Plan der schwarzen Brüder? — Ungewiß über mein künftiges Leben schweif ich umher. Ich komme in ein Dorf; der heitre Morgen reizt mich in die Kirche zu gehn, und dieser Gang ist eine neue Ursach von tausend angenehmen und widrigen Empfindungen. Könnte der Geist des Menschen die Folgen jeder, auch der kleinsten, That überschaun, würd’ er wohl je Thorheiten begehn?“

Florentin hörte jezt den Fußtritt eines Wandelnden durch das stille Gebüsch hallen. Er horchte; es kam näher. Ein Mensch wie ihn Holder beschrieben hatte, gieng die Landstraße nach Mungenwall; einen Bündel dürrer Reiser auf dem Rükken, eine Axt unterm linken Arm tragend. Es war hell genug einander, wiewohl nur schwach, wahrzunehmen. Florentin wußte, was jezt geschehn würde.

Der Fremde gieng hart an ihm vorüber, ward seiner gewahr und sprach: „Seid gegrüßt!“

„Gott dank Euch, Hugo!“ antwortete der Graf und lauschte.

„„Es ist kalt, und nicht mehr weit von Mungenwall, warum verweilet Ihr am Wege hier?““

„Ich sizze zum Feste der Schwarzen.“

„„Gut! gut! ich verstehe!““ erwiederte der Holzträger, gieng an das steinerne Kreuz und schlug mit dem Rükken der Axt dreimahl mit solcher Energie wider das Kruzifix, als wollt’ ers mit jedem Schlage zermalmen. —

„Was bedeutet dies?“ fragte Florentin, indem er aufstand.

„„Man soll uns erwarten und verstehn wie wir uns erwartet und verstanden haben. Folgt mir!““

Der seltsame Holzträger wanderte frisch voran, Florentin ihm nach. Sie giengen einen wenig betretenen Fußsteig rechts ins Gehölz hinein, verloren denselben, drangen durch Buschwerke, sprangen über Graben, giengen neue Wege, verloren sie wieder, bis sie nach anderthalb Viertelstunden vor einem Hause standen, wo man eben niemanden zu erwarten, sondern wo vielmehr alles ausgestorben zu sein schien. Der Holzträger klopfte dreimahl an. Es wurde aufgethan.

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