Es war ein schwüler Nachmittag; die Luft glühte, der Erdboden schmachtete, kein Wind wehte Erfrischung; Florentin entschlos sich also leicht, Aellmars Bitte zu erhören und erst am Abend dieses merkwürdigen Tages seine Reise zu verfolgen.
Unterdes suchte Aellmar seinem Gaste diese wenigen Stunden so sehr, als möglich zu verannehmlichen. Weil der Graf, über dessen Seele ein ewger Gram brütete, der nur selten und auch dann nur erzwungen, lächelte, jede Gesellschaft ennuiant fand, wo Scherz und muntre Laune das Herz für Freude stimmten, so unterhielten sich beide stets allein.
Unter andern führte Aellmar seinen Freund in sein Studierzimmer, welches rings herum mit vortreflichen Gemählden ausgeschmükt war. Florentin heftete gleich beim Eintritte sein Auge auf einen männlichen Kopf. Er gieng näher und erkannte bald, daß Holder zu demselben das Original sei.
„Auffallend ähnlich!“ rief der Graf: „dies hat ein Meister gemacht!“
„„Es ist sehr wohl gerathen.““ Erwiederte Aellmar und stellte sich neben Florentinen.
„Ganz seine freie stolze Stirn, welche der Gefahr trozt — ganz sein feierlich ernster, majestätischer Blik, der das menschliche Herz durchspäht, und über die Entwürfe des Schiksals hinblikt, als lebte er mit demselben in einem höhern Einverständnis. Sein Mund — ganz eben der, welcher sich immer nur zum Wohl des allgemeinen Ganzen zu öffnen scheint, und nur das Orakel der Weisheit sein kann. Dieser matte Zug um die Lippen, diese matte Falten der Stirn, welche die stoische Kälte, den strengen oft furchtbaren Ernst des Mannes so karakteristisch mahlt — Aellmar, ich bin stolz, daß Holder mein Blutsverwandter ist, und hasse mich selber, daß ich der Gelegenheiten so wenig vest hielt mich durch diesen Ausserordentlichen und nach seinem großen Muster zu bilden.“
„„Ich schäzze den höher, welcher sich durch die Natur ausbilden läßt, und nicht die Größe eines andern zu seinem Maasstabe macht. Erstere veredelt den menschlichen Geist, so sehr es ihm seinem innern Gehalte nach möglich ist, lezteres verzerrt denselben und bringt gewöhnlich Karrikaturen zur Welt. Ich zweifle nicht daran, Herr Graf, daß auch Sie ein Holder werden können, wenn sie in Verhältnisse gerathen, wie er; daß Sie in der Gefahr so kalt bleiben, wenn Sie, wie er, zweimal in einem Meersturme scheidern, oder, wie er, sich durch einen Haufen Banditen schlagen, oder unter malthesischen Flaggen an einen türkischen Seefahrer entern —““
„Was sagen Sie mir da? — Sie scheinen mehr von Holders ehemaligen Lebensumständen zu wissen, als ich. Er hat sich in unsrer Familie selten davon etwas verlauten lassen; nur so viel wissen wir, daß er von blutarmen Eltern am Rheine geboren wurde.“
„„Im Orden, lieber Graf, werden Sie mehr darüber erfahren können. Nur so viel ist gewiß, daß Holder ein grösserer Abentheurer, als irgendein Bruder von der Küste 4 ) geworden wäre, hätten die schwarzen Brüder ihn nicht in ihre Pläne verstrikt, unter ihre Zahl aufgenommen, und seinem Genie eine edlere Bahn angewiesen.““
Vergebens bemühte sich Florentin Aellmarn mehrere Skizzen von Holders Leben abzulokken, dieser wußte immer unter einem artigen Vorwande den Versuchen des Grafen zu widerstehn.
Schon sank die Sonne mit aller ihrer Pracht hinter den Tannenwipfeln des benachbarten Forstes unter; schon wurden die Lüfte kühler und graue Dämmerung umflog die Landschaft; schon tönte vom Thurme von Riedelsheim die späte Abendglokke, und das Geräusch der Menschen schwieg und die Dorfbewohner suchten das Lager, um früher zur Arbeit aufzubrechen, als Florentin erst von Aellmar, dem alten Pastor Leedri und dessen Tochter Agathe schied, um in der Nacht die versäumte Reise des Tages zu ersezzen.
Der Graf mit seinen beiden Kumpanen trottete langsam zum Dorfe Riedelsheim hinaus, das Thal hindurch, die Hohlwege hinan. Florentin war im Geiste noch immer um Aellmar, hörte ihn noch immer von Holdern, oder der heiligen Bestimmung der schwarzen Brüder plaudern; sah noch immer den verführerischen Gitterstuhl in der Kirche, oder die verschleierte Agathe Leedri, Aellmars Weib, darinnen. So schlenderte sein Gaul ruhig unter ihm den Weg hin, ohne daß es einmal die Spornen seines Ritters in den Seiten fühlte, und Gotthold, nebst dem alten Badner, der, wie ich anzumerken vergas, eben so bald zu seiner, des schwazhaften Gottholds und des Grafen Freude die verlorne Sprache wieder gewann, als er über die herzogliche Landesgränze hinaus war, ich sage Gotthold und Badner trabten, im Mondenscheine vertraulich mit einander plaudernd, bald voran, bald zur Seite, bald hinterher.
„Kopf ab!“ rief Gotthold nach einer halben Stunde dem Grafen zu, der sich rasch niederdukte, um nicht mit den Baumästen über sich in Kollision zu gerathen, und nun erst bemerkte, daß er sich in einem angenehmen Wäldchen befände.
Dies sehn und den Entschluß fassen eine Strekke Weges zu Fuße zu wandern, war eins. Er stieg ab, reichte Gottholden den Zaum seines Rosses und trabte frisch voran.
Die Nacht war angenehm, zum Schwärmen reizend, einladend zum Vollgenus reinerer Empfindungen. Der Graf gieng mit starken Schritten vorwärts, schwärmte, genoß. Er war noch keine Viertelstunde gegangen, als ihn eine weibliche Stimme, welche durch die tiefe Stille der Mitternacht seitwärts ertönte, vom Wege ablokte.
Meine Leser, wenn Sie hier ein gewöhnliches Waldabentheuer erwarten; so täuschen Sie sich. Es geschah etwas sehr natürliches, was nur in Florentins Augen den Anstrich des Wunderbaren trug.
Florentin gehörte eben nicht zu der Gattung neugieriger Lauscher, welche das Sumsen einer Mükke aufmerksam macht. Es hätte vielleicht für ihn in jeder andern Seelenstimmung die Weibesstimme süs oder sauer tönen mögen, sie hätte ihn nicht von seinem Wege abgebannt, — aber jezt. — Doch um die Ursachen recht einzusehn, welche ihn reizten den Fußsteig zu verlassen, müssen wir sein unmittelbar vorhergehendes Gedankenspiel wissen.
Die Nacht, wie man weis, war schön;
Ein wunderbar Gemisch von Licht und Schatten
Verherrlichte den Wald mit unbekannter Pracht.
Auf jedem Zweige sahe man die Nacht
Sich mit des Mondes reinstem Silber gatten.
Verworren schliefen Hain und Hügel in der Tracht
Des alten Chaos — Edens Nächte hatten
Nicht solchen Reiz gesehn, und solcher Augenlust
Sind sich die Heilgen kaum im Paradies bewußt.
Florentin knüpfte an das Bild dieser Nacht das Bild aller ehmals im Vaterlande genossenen schönen Nächte; natürlich spielte in diesen auch Louise eine hervorstrahlende Rolle, und, was noch natürlicher war, die Schönheit der nächtlichen Natur wurde in eben dem Augenblikke über die Schönheit der angebeteten Auserwählten gänzlich vergessen.
Nun schwamm ihm nur das magische Gebild
Louisens vor der Stirne;
Ihm malt der Bach, der von dem Felsen quillt
In Silberringen seine Dirne.
Süs haucht ein Zefyr von der hoch umbüschten Flur,
Doch haucht er ihren Namen nur,
Nur ihrer Wangen Roth zu zeigen
Entknospen frühe Rosen sich,
Vor ihres Busens Blenden neigen
Sich Lilien schamhaftiglich.
Aus dichtverwachsnen Büschen schläget
Vergebens schön die Nachtigall.
In seinem tauben Ohr erreget
Der Liebeswahn ihm süssern Hall!
Und in diesem Moment hört er einen Ton, der schlechterdings nur weiblichen Lippen entfliehen konnte. „Louise ists! Louise ists!“ rief ihm sein liebendes Herz zu, und alles Blut stürmte wilder den Pulsen entgegen, seine Wangen glühten, seine Augen leuchteten Freude und Hoffnung. „Ich muß sie sehn!“ dachte er bei sich und schlich behutsam durch das Dikkigt derjenigen Gegend zu, von wannen ihm die Stimme des Frauenzimmers zugeweht war. Er hatte kaum einige Schritte gethan, als er, wie angewurzelt, stehn blieb, und ohnmächtig sich an eine hundertjährige Eiche lehnte.
Durchs Gebüsch sah er in einer mäßigen Entfernung ein schöngebildetes Frauenzimmer. Zwar schien der Mond sehr hell, und des Gebüsches Schatten traf kaum eine Falte vom weißen Gewande der Dame, demungeachtet hätte jedes andre Auge nichts deutlich an derselben unterscheiden können, was der Blik des sterblich verliebten Grafen, oder vielmehr seine dienstfertige Einbildungskraft, sehr genau sah und unterschied. Und was Florentin erblikte, oder doch zu erblikken glaubte, mußte seine Liebe doppelt anfachen. Es hält freilich schwer das Fantom eines liebenden Sehers nachzuzeichnen, indes will ichs einmal wagen, ob ich gleich gewiß bin, daß ich mit meiner Beschreibung weit unter dem Ideal bleiben werde, welches der trunkne Liebhaber sich vorschuf.
Denn nie war Sterblichen noch der Schönheit liebliches Urbild in der Hülle eines sterblichen Weibes erschienen; nie bis dahin die Begeisterung heiliger Barden aufgestiegen, und nie ein Bild dem Meißel entsprungen, welches hier Louisen glich, die Florentin wahrzunehmen wähnte. Hier raubt der zitternde Pinsel tausend Reizze mit jedem vermessenen Auge. Erröthend schweigt die Muse vor dem Werke, welches nur einmal die Natur in ihrer Zauberfülle geboren.
Regellos, doch schön umschwamm, in schimmernden Lokken, goldnes Haar der Geliebten alabasternen Nakken. Sanft umfieng dasselbe die weiße blendende Stirne in geziemende Gränzen. Ueber die zärtlichen blauen Augen, die der Liebe begeisternde Sprache verstanden, majestätisch sich wandten, und ein himmlisches Feuer in des Marmors Busen zu entzünden vermögend, wölbten zartverrinnend sich zwei dunkele Bögen, welche die Schwermuth sich zu ihrem Throne erlesen. Zwischen den rosig blühenden, schneeummaleten Wangen, von dem ewigen, süssen Lächeln der Liebe umspielet, stieg, im feinsten Ebenmaaße, lieblich erhöht die Nas’ empor, und tiefer der schmalen, purpurnen Lippen schönes elastisches Paar, verführend zum tändelnden Kusse. Ihren Busen umfloß des Flores wallender Nebel, welcher in tausend Falten dem entweihenden Blik des Weibes Heiligthum barg. Und um die göttliche, weiche Bildung floß der Unschuld weisses Gewand, von dem schwarzen, silbergestirnten Gürtel unter dem Busen geschlossen. — Aber wer malet nun den unaussprechlichen Liebreiz, welcher über diese hehre Gestaltung gegossen? Jenen rührenden Zauber in der leichten Bewegung, der die Herzen verwandelt, die Empfindungen auflößt, in die seligste Ohnmacht welche Seelen verzükket und in öden Wüsten der Schönheit Altäre erbauet?
Unmöglich konnte Florentin alles dies mit seinen beiden leiblichen Augen sehn; das Bild lebte in seiner Fantasie, aber nicht vor seinen Blikken. Er hatte schon einige Minuten dagestanden an der Eiche, als er erst inne ward, daß die Erschienene unsichtbar geworden sei. Sie aufzusuchen wurde beschlossen; denn in allen Fällen blieb es ein sonderbares Phänomen, wie ein Frauenzimmer, es mogte nun sein, wie es wolle, zur Mitternachtsstunde hieher in das Gehölz gerieth? Wäre dies in den Tagen des alten Roms oder Graciens geschehn: so hätte man glauben müssen, Diana habe sich verloren, einen schlafenden Endymion zu finden; lebten wir in den Tagen Hüons, Rolands oder Doolins: so wär es vielleicht die Königin der Elfen, oder irgend eine gute, schöne Fee gewesen; oder wären wir abergläubig, so muthmaaßten wir, Louise habe sich in ihrer Todesstunde geahndet. Dies alles konnte es nicht sein, doch was es mit der Erscheinung eigentlich vor eine Bewandnis hatte, hegen wir auch nicht Hoffnung so bald zu erfahren, weil sich dem guten Willen des liebenden Duur, die gewähnte Louise auszuforschen, ein breites, sumpfigtes Gewässer entgegenstellte, welches sich in die Länge umherzog, und ohne Brükke unmöglich passirt werden konnte.
Eine gute Viertelstunde irrte er an dem morastigen Ufer des Sees oder Baches umher, allein fruchtlos für seine Wünsche; fruchtlos rief er öfters den Namen der Geliebten, er verhallte gebrochen in dem krausen Gewölbe des Waldes und keine Antwort scholl zurük.
Müde endlich des vergeblichen Suchens, kehrte er misvergnügt, mit gewachsener Sehnsucht im Busen, zu den harrenden Kumpanen heim; seufzend schwang er sich aufs Roß und traurig suchte er wieder die reizenden Geschöpfe seiner Einbildung auf, weil er um Realitäten betrogen war.
In der Liebe süsbethörende Träume verloren, flog nun trunken sein Geist durch die Gefilde des Himmels. Feiernd sangen ihm die Harmonien der Sfären Louisens Namen entgegen durch die hallende Schöpfung. Louisens Namen malten flammend die irrenden Sterne an die blaue Tafel des unermeßlichen Aethers.
Doch ermüdet senkte der Einbildung buntes Gefieder wieder herab sich in der Wahrheit kalte Umarmung. Ach, da entzükte nicht sein Auge das Anschaun der Geliebten, da umschwebte nicht das Gelispel geistiger Küsse sein Ohr und nicht der harmonische Wohlklang, den die schöpfrische Lieb’ um Louisens Namen gewunden.
Doch ich befürchte, zulezt noch aus dem Märchenerzähler ein epischer Dichter zu werden, wenn ich mich länger in Florentins Fantasien einträume.
Kurz und gut seis denn prosaisch gesagt, daß Duur mit Badnern und Gotthold nach acht Tagen im Städtchen Mungenwall waren.