Erstes Kapitel. Seelengröße.

Ich riß den Faden meiner Erzählung im vorigen Bande da ab, wo unser Delinquent entgeistert in des Herzogs Arme stürzte; ich knüpfe ihn wieder an, die Geschichte weiter zu spinnen.

Florentins Selbstbewustsein erwachte, aber es war ein fürchterliches Erwachen — das Erwachen zum Tode. Der Anblik der schwarzen Tapeten des Zimmers, der matte Schimmer der Wachskerze, welcher zum Theil von den düstern Wänden eingetrunken wurde, die schrekliche Stille dieser Mitternacht, die Rükerinnerung an dasjenige Verbrechen, welches ihn hieher gebracht — alles das wirkte so sehr auf ihn, daß ihm wenig fehlte, um in eine neue Entgeisterung zurük zu sinken.

Er fand sich von den Armen eines Mannes gehalten, drehte sich um und der Herzog lies ihn los.

„O, gnädigster Herr!“ rief, er, und wollte sich auf die Kniee niederwerfen, aber der Fürst verhinderte es.

„Mensch, was haben Sie begangen?“ fragte Herzog Adolf nach einer Weile mit fürchterlichen, majestätischen Ernst im Ton und Mienen.

„„Ich weis es,““ entgegnete der unglükselige Graf, der bleichen Antlizzes, zur Erde gebeugten Blikkes, mit gefaltenen vor sich niedergestrekten Händen da stand, als einer, über welchem das verdammende Urtheil des Richters herniederdonnert: — „„ich weis es gnädigster Herr, ich läugne mein Verbrechen nicht.““

Herzog. Sonderbar, wie würden Sie das auch im Stande sein? Aber fühlen Sie das ganze, schrekliche Gewicht desselben, Leichtsinniger?

Graf. Ich fühle es. — Sie, der Sie mich zu den glänzenden Ehrenstufen, die nur nur je die ausschweifendste Einbildungskraft vorzeichnen konnte, empor halfen, Sie sind durch mich — entehrt worden.

Herzog. Warum fühlten Sie das nicht früher, schlechter Mensch?

Graf. O, Durchlauchtigster Herr, es sind Stunden wo — doch nein, ich kann mich nicht entschuldigen.

Herzog. Nicht genug, daß Sie einen Fürstenstamm entehrten, welcher nur gewohnt ist Königskronen auf seinen Nebenzweigen zu tragen; nicht genug, daß sie jede Pflicht des Unterthanen vergessen; nicht genug, daß Sie die Wohlthaten Ihres Gönners mit Niederträchtigkeiten bezahlten — so haben Sie auch auf ewig die so seltne häusliche Glükseeligkeit einer fürstlichen Familie zerstört — haben mich auf meine Lebenszeit misvergnügt, elend gemacht, und meine Schwester, die ich sonst so sehr liebte, gleichfalls.

Graf. Ich bin strafwürdig — ach, nicht so sehr Ihre Durchlauchte Schwester. Lassen Sie mich unser beider Vergehen allein abbüßen, sammeln Sie alle Strafen für mich allein!

Herzog. Elender, die Zeit ist vorüber, wo Ihre Bitten bei mir galten. Jetzt bereiten Sie sich zu ihrem Urtheil. — Ich werde Sie verlassen; haben Sie noch in diesem Leben Ihrer Familie etwas zu vertrauen: so schreiben Sie. In jenem Winkel liegen Papier, Dinte und Federn auf dem Tische. In zwanzig Minuten müssen Sie fertig sein.

Der Fürst verlies ihn wieder.

Florentin rang die Hände; Schauer des Todes wehten ihn an.

„Ach, so ist denn das Ziel meiner Hoffnungen, meiner Arbeiten, meiner schlaflosen Nächte? — Ein unnatürlicher, früher, schändlicher Tod! — Gott, und dahin konnte ein wollüstiger Rausch führen? — O mein guter Oheim, meine Schwester und du mein Holder wüßtet ihr! — wüßtet ihr! — wo Florentin stände! —“

Er gieng zum Winkeltischchen, zog die Taschenuhr hervor, legte sie neben die Papiere, ohne in der Angst nach ihren Minuten hinzusehn, und schrieb mit kalter bebender Hand:

Freunde,

Ich bin ein Verbrecher. — Diese Nacht ist die letzte meines Lebens, ich leide in ihr die wohlverdiente Strafe. — Verzeiht mir, wie Gott mir verzeihen wird, zu dem ich hoffe. — Ich danke Euch für Eure Liebe. Erinnert Euch noch zuweilen des unglükseeligen Florentins, wenn er lange schon im Grabe vermodert ist. — Bittet dem beleidigten, ehmals so liebevollen, Herzog, nach meinem Tode noch, in meinem Namen um Verzeihung. — Nun lebt wohl, ich getröste mich der süssen Hoffnung, in einer bessern Welt Euch wieder zu sehn. Lebt wohl.

Florentin.

Der Graf schrieb so langsam, legte so oft die Feder nieder, setzte dann wieder an, sprang auf, schwankte jammernd durchs Zimmer, setzte sich wieder hin, um zu schreiben, daß er kaum das Billet beendiget hatte, als die bestimmten 20 Minuten schon vorüber waren und der Herzog ins Zimmer trat.

Florentin stand auf, ergriff den Zettel, überreichte ihn dem Fürsten, ohne eine Sylbe zu sprechen.

Adolf wikkelte das Papier ungelesen zusammen, trat Florentinen um einen Schritt näher, nahm dessen Hand in die seine, und betrachtete so den Unglüklichen lange Zeit mit wehmüthigen Blikken.

„Noch hab ich,“ sagte er „keinen Freund gehabt, wie dich, das heißt, ich, habe noch keinen Mann so sehr geliebt, wie dich — o Florentin, daß du mich doch nicht so wieder lieben konntest! Der Herzog spricht jetzt nicht mit dir, sondern dein ehemaliger vertrauter Freund!“

Florentin. (mit stets niedergeschlagenen Blikken) Mein Fürst — — —

Herzog. Nicht dein Fürst, sondern dein Freund spricht jezt mit dir, und zwar in diesem Leben zum leztenmahle. Der Herzog hat dich gerichtet, und der Freund nimmt von dir Abschied; — kömmt, dir das lezte Lebewohl zu sagen. — Fühlst du gar nichts mehr für Adolfen?

Florentin. (bestürzt) Ich verstumme, wie ich —

Herzog. O lieber Florentin, es thut weh, sich trennen zu müssen von dem, den unser Herz lieb gewonnen.

Die Stimme des guten Fürsten zitterte bei den lezten Worten. Florentin verwirrt durch die jähe Verwandlung des zürnenden Fürsten in den mitleidenden Freund, schlug die Augen auf, und gewahrte Thränen auf der Wange desselben. Der Herzog drehte sich von ihm ab, gieng an ein Fenster und rief: „ich bin noch zu jung, bin noch nicht eiskalt genug — meine Gefühle schweigend zu machen! Aber sag mir, sonderbarer Mensch, wie ist dir? hast du deine Empfindung ganz verloren?“

Florentin. Ganz; nur das Gefühl meines Elendes meiner Reue ist mir geblieben, und die Hoffnung, Gott werde sich meiner Seelen in der lezten Erdenstunde erbarmen, — und droben — droben wirds besser sein.

Herzog. Du willst sterben?

Florentin. Ich bin bereit.

Herzog. Nein, dein Leben soll dir der Herzog nicht nehmen, aber — —

Florentin. (erschüttert) Mein Fürst! (zu seinen Füssen stürzend) Mein Fürst!

Herzog. Was machst du? steh auf.

Florentin. Ich kann nicht. Ich habe keine Gnade verdiene, und auch nie Anspruch darauf gemacht.

Herzog. Bist nicht begnadigt. Du hattest das Leben verwirkt, aber theils deiner Verdienste um Herzog und Land, theils der Geheimhaltung von der Schwangerschaft der Prinzeßin Louise willen, wird dir das Leben geschenkt. Noch weis niemand am Hofe und in der Stadt von der unglüklichen Begebenheit. Die Prinzeßin heißt es, ist wegen ihrer Kränklichkeit auf eines ihrer Landgüter gereiset, und du bist wichtiger geheimer Geschäfte willen zu mir berufen. — Deine Strafe ist — — Landesverweisung. Mehr konnte die Freundschaft bei der Gerechtigkeit nicht auswirken. So lange Herzog Adolf lebt und regiert, sollst du nie wieder die vaterländischen Fluren erblikken, im Auslande sollst du umherwandeln, von mir vergessen, keine andere Strafe zu fürchten haben, als die, welche dir das zarte Gewissen eines gefühlvollen Biedermanns auflegen wird.

Florentin umarmte weinend, mit sprachlosen Danke, die Knieen des gütigen Fürsten.

„Noch vier Wochen,“ fuhr lezterer in seiner Rede fort: „noch 4 Wochen hältst du dich in meiner Residenz auf, erscheinst du öffentlich am Hofe, um dem Volke jeden Verdacht zu rauben, und damit du dich zur Abreise aus deinem Vaterlande vorbereiten, wie auch die angefangenen Staatsgeschäfte beenden kannst, — so dann gehst du unter dem Vorwande, daß ich dich auf Reisen schikke, fremde Länder, Einrichtungen, Sitten, und Verhältnisse zu studieren, auf ewig aus deinem Vaterlande. Ließest du dich irgend einmahl wieder in demselben gewahr werden: so stehe ich nicht für dein Leben. Und nun, mein lieber ehemaliger Freund, leb wohl! So wie wir uns jezt sahen und sprachen, sehn und sprechen wir uns nie wieder in dieser Welt!“

Florentin stand auf, der bewegte Herzog sank dem Grafen um den Hals und weinte. Florentin von zu vielen Empfindungen bestürmt, empfand gar nicht. Der grosmächtige Fürst verzieh ihm diese scheinbare Kälte sehr gern, denn er wußte, daß Florentin mehr denn zu gefühlvoll war.

„Komm, es ist schon spät in der Nacht. Mein Wagen wartet unten auf dich, er soll dich zu deinem Hause bringen!“ sprach Adolf nach einer Weile, küßte ihn noch einmal heftig, führte ihn selber die Treppen hinab, ließ ihn in die Kutsche steigen und heimfahren.

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