Zweites Kapitel. Monolog eines Fürsten, Glossen darüber — Abreise.

Adolf hörte das dumpfe Donnern des Wagens über die Schloßbrükke; wehmüthig flog er in sein Schlafkabinet, vermummte er sein Gesicht in das Schnupftuch, um keinem lauschenden Ohre seine Seufzer, sein lautes Schluchzen wahrnehmen zu lassen.

Die tiefste Stille wohnte im ganzen Schlosse — der Mond schwebte gebrochen hinter Wolkenstreifen, alles athmete Schwermuth, alles war von dem Pinsel der Melancholie mit traurigen Farben überkleidet. Kein Wunder, wenn der gefühlreiche Fürst die Mitternacht im Arme des seelnagenden Grames überwachte.

„O wie ich so elend bin!“ rief er: „ich habe alles verloren, denn ich habe einen Freund verloren! — da fuhr er bin, der unglükseelige Verbrecher, von mir verdammt, der ich ihn doch liebe! — Noch hab ich keinen gehabt, welchen ich so liebte, und nun werde ich nie einen wieder erhalten! — O verdammt sei das schönlarvigte Gespenst, Weiberliebe, das sich in den Zirkel unsrer Freuden schleicht, und jede derselben erwürgt! — Florentin, warum mußt ich dich verlieren? —“

So klagte ein Herzog, und er hatte Recht zu klagen; denn Freundschaft ist das schönste Blümchen, welches der Sterbliche am Lebenswege pflükken kann. — Man klage nie über die Seltenheit wahrer Freunde. Gotteswelt ist schön, und faßt manches schöne Herz in sich; schwarze Seelen sind nur da, den Glanz von jenem zu erhöhn. Wer die Seltenheit ächter Freunde beklagt, der nährt entweder ein überspanntes Ideal von der Freundschaft, oder ihm mangelt selber das Wesentliche ein Freund sein zu können; ist eher vielleicht im Stande Freundschaften zu knüpfen, als zu erhalten. Freundschaft, die bei ihrem Entstehen heftig aufbraußet, tändelt, mit Küssen spielt, und Umarmungen sich als das höchste Gut derselben vorschwärmt, ist eben so bald verdünstet, als die, welche beim Weinglase entspringt, und sich mit dem Rausche verliert.

Der Fürst trauerte lange noch um Florentinen, da dieser schon Jahr und Tag von ihm geschieden war; ein Beweis, daß seine Liebe gewis aus lautern Quellen floß.

„Wenn denn Adolf Florentinen so sehr liebte, warum vergab er ihm sein Verbrechen nicht ganz und behielt ihn nicht an seinem Hofe?“ So mögten einige meiner Leser fragen, denen ich zur Antwort gebe, der Fürst mußte, als Fürst, so handeln, er darf mit den Gesezzen keinen Schleichhandel treiben — der Freund mußte als Freund, so handeln, wenn er seinem Geliebten nicht eine noch schreklichere Zukunft bereiten wollte, weil Florentins Verbrechen doch gewis einmal offenbart werden konnte, und die herzoglichen Verwandten dann nicht geschwiegen haben würden. Der Bruder mußte als Bruder, gegen seine Schwester so handeln, um eine Leidenschaft in ihren Busen zu unterdrükken, die sie nie nähren dürfte. — Landesverweisung war Florentins Strafe, hart für ihn, aber doch milde!

Unser Graf war einige Tage hindurch unpäslich — die lezten Begebenheiten des Lebens hatten gleich mächtig auf Seel und Körper gewirkt, beiden stand eine auffallende Veränderung bevor. Kaum hatte er sich erholt, so erschien er wieder am Hofe; der Herzog lächelte wiederum gnädig auf ihn hin, die Damen kokettirten von neuem, die Hofschranzen schmeichelten wieder öffentlich und verfluchten insgeheim. Alles gieng den ehmaligen Gang, keiner von allen ahndete etwas von dem Vorgefallenen und Zukünftigen, keiner wußte, daß Florentins Versendung auf Reisen eine Landesverweisung sei.

Ein Tag vergieng nach dem andern, eine Woche nach der andern und ehe es Herzog und Florentin vermutheten, rükte die lezte Woche heran.

Gram im Herzen, Gram im Blik nahm der Graf von seinen Freunden Abschied; er beurlaubte sich von der herzoglichen Familie — jeder wünschte ihm mit beklemmter Brust glükliche Reisen, jeder sich selber sein baldigen Wiedersehn. Nur der Herzog that Angesichts aller kalt, und keiner litte mehr, als er, in seinem Herzen um Florentins Verlust.

O wie schöne Thränen sah man izt an den seidnen Wimpern manches Mädchens beben, deren schüchterne Liebe nie um Florentins Gegenliebe buhlte! wie viel niedliche Lippen küßten hier den heftigsten Abschiedskuß, die sich sonst spröde dem Munde liebender Jünglinge entzogen! — der Neid selber trauerte um Florentins Verlust, denn nun blieb ihm nichts mehr zu beneiden übrig.

Der Graf hatte seine Geschäfte in Ordnung gebracht, alles Ueberflüßige in Geld umgewandelt, die Bedienten sammt und sonders abgedankt, ausser dem alten, stummen Badner und seinen Reitknecht, dem frohgelaunten Gotthold.

Der Graf hatte vom Herzoge noch die Erlaubnis genommen, den Rest der lezten, vierten Woche bei seiner Familie zu genießen. Der Morgen graute für ihn zum leztenmale in der Residenz; die Pferde waren gesattelt, die Pilger in ihr Reisegewand gehüllt.

Man wollte aufbrechen; eine große Menge Volks stand um den ehmaligen Duurschen Pallast versammelt, den Besizzer desselben noch einmal zu sehen.

Und als Florentin eben heraustrat, sank ein Greis vor ihm nieder, seine Kniee umfassend. Ein Haufen Kinder drängte sich hinzu, seine Hände zu küssen; einige Männer und Frauen schlossen sich näher an dieselben — keiner sprach, aber in den Zügen ihrer Gesichter las man die unter allen Zonen der Erde bekannte Sprache der Empfindung.

Bestürzt fragte der Graf: „was wollt ihr, lieben Leute?“

„Nichts, nichts!“ stammelte der Greis: „Sie haben uns schon so viel gegeben, wir wollen nichts mehr! — aber — sehn Sie nur, lieber Herr, ich bin noch in meinen alten Tagen durch Sie recht froh, recht glüklich geworden, und meine Kinder auch. Da kommen wir nun und wollen danken, und Sie noch einmal recht ansehn, um Ihr Bildnis sobald nicht zu vergessen. Auch, wir haben Sie so lieb, so lieb!“

„„Ja, so lieb! so lieb!““ lallten einige von den Kindern, die an seinen Händen hiengen. „Ich bin nunmehro alt und schwach,“ fuhr der Greis mit gebrochner Stimme fort: „der liebe Gott wird mich bald heimfodern zu sich und da will ich an seinem Throne für Sie beten, und der liebe Gott wird mich gewis erhören. — Ach, sehn Sie doch um sich, sehn Sie diese Familien, das sind da meine Kinder, die dort meine Enkel, und ich, ich bin ihr Grosvater — und wir alle freuen uns des Lebens, denn Sie habens ja so herzlich gut mit uns gemeint. Und nun — und nun ach! — —“

Der Alte schluchzte; die jungen Männer und Weiber verhüllten ihre Augen in Tücher und Schürzen, die kleinen lärmten lustig an Florentins Seite, und Florentin — fühlte alles und nichts, stand da mit düstrer Stirn, sah umher durch die Menge der Zuschauer, als suchte er einen Mittelsmann, welcher ihn mit guter Art von diesem schönen Auftritte ablösen möchte.

Die erste traurige Spur von den Wirkungen seiner Schiksale auf sein Herz! Er war nicht mehr der herrliche, blühende Jüngling, voll Hochgefühl für der Natur erhabne Szenen; nicht mehr dürstend nach den Thränen des Dankes; nicht mehr ringend nach Unsterblichkeit seines Namens. Misgestimmt stand er da unter lieblich gestimmten Seelen, als verständ’ er die Sprache der Herzen nicht mehr. Das ehrerbietige Schweigen der Menge begeisterte ihn nicht; das schwimmende Nas in Männer- und Weiberaugen belohnte ihn nicht, das Lallen der Unmündigen war ihm keine Harmonie mehr. Er, ehmals mit dem lieblich schwankenden Karakter, der nach allem sich hinewigte, von einem Gefühl zum andern, von einer Leidenschaft zur andern überflog, hatte jezt eine melancholische Festigkeit gewonnen.

„Lebt wohl!“ rief er, ris sich los, schwang sich aufs Roß, sprengte die noch schlummernden Straßen hinunter, Gotthold und Badner ihm nach, und so zum Thor hinaus.

„Lebt wohl! lebt wohl!“ riefen ihm einige hundert Stimmen nach: „lebt wohl! Gott vergelts! glükliche Reise! Habt Dank! in der Ewigkeit wieder!“ — — —

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