Es war ein herrlicher Sonntagsmorgen, als unser Graf mit seinen Kumpanen ein niedliches Dorf unten im Thale vor sich erblikten. In angenehmer Verwirrung lagen die braunen Strohhütten da zerstreut, jede von krausem Gebüsche überwachsen und beschattet. Zur rechten und zur linken sahe man Gärten in todte und blühende Hekken eingefaßt, und zur rechten und zur linken tönte der süsse Gesang der Vögel fröhlich daher. In der Mitte des Dörfchens ragte über alles in prachtloser Einfalt die spizze Kuppel des Kirchenthurmes hervor, dessen hellschlagende Glokke mit silbernen Ton die frommen Christen zur Andacht in Tempel rief.
Florentin von dieser Gegend überrascht, hielt sein Pferd an, sein Auge länger noch an dem Reiz der vollkommenen Natur zu laben. Seine Seele klärte sich auf; die Stirn entfaltete sich und er wurde zum erstenmahle mit seinen Gefährten gesprächig, denn bisher hatte man aus seinem Munde nur kaum ein andres Wort, als das trockne: „Ja“ oder „Nein“ gehört.
„Wie heißt das Dörfchen da unten?“ fragte er ein vorübergehendes junges Bauermädchen und lächelte einmahl wieder seit langer Zeit freundlich.
„Gott grüß’ euch, meine Herrn,“ erwiederte die junge Bäuerin, ohne stehn zu bleiben: „Riedelsheim!“ —
„Wir wollen in die Kirche gehn, und Gott danken für den schönen Frühling!“ sagte der Graf und trottete den Bergweg hinab ins Thal; Gotthold und Badner ihm nach.
Leztere bestaunten den Einfall ihres Herrn, eine Dorfkirche zu besuchen; aber man hatte kaum im Wirthshause gefrühstükt, so sahe man, daß es dem Grafen Ernst sei.
Der Pfarrer zu Riedelsheim bestieg in eben dem Augenblik die Kanzel, als unser Graf in die Kirche trat. Er sezte sich in einen Winkel auf ein Bänkchen, um kein Aufsehn zu erregen; hörte andächtig dem lehrenden Greise zu, fühlte sich durch den herzlichen Vortrag desselben bis zum Weinen gerührt, und würde sehr erbaut von hinnen gegangen sein, wären seine Sinne und Gedanken nicht mit einem mahle von aller Andacht hinweg und auf einen andern Gegenstand — eine weibliche Gestalt gezogen worden.
Er sah hinter einem Gitter, dreißig Schritt ohngefähr von sich entfernt, ein Frauenzimmer sizzen, dessen Kleidung und Anstand dasselbe auffallend von Dorfbewohnerinnen unterschied. Der Anzug dieser Schönen war einförmig, aber doch mit Geschmack angeordnet; und so viel der obere Theil ihres Körpers verrieth, denn mehr konnte man nicht von ihr erblikken, mußte sie noch jung sein. Ihr Gesicht war leider verschleiert.
Ich weis selbst nicht, welcher Dämon Florentins Augen auf die Dame hinlenkte, da er doch seit der unglüklichen Liebe Louisens beinahe einer der ärgsten Misopyne geworden war, die nur je die Menschheit des weiblichen Geschlechts bezweifelten. 3 )
Unverwandt starrten seine Augen nach dem Gitterstuhle. Er zitterte, wenn die Dame sich bewegte, und rükte ungeduldig hin und her, wenn sie stille sas. — Er selber wußte sich seine Empfindungen nicht zu erklären; er wollte seinem Geiste die verlorne Andacht wiedergeben — umsonst, seine Augen glitschten immer von der Kanzel auf den Gitterstuhl zurük, von dem Munde des Predigers auf den Schleier der Dame.
Eine sonderbare Ahndung überflog ihn. Er glaubte in der Gestalt, in den Bewegungen der Dame im Gitterstuhle auffallende Gleichheiten mit Louisen zu entdekken. Seine Fantasie wurde lebhafter; die Möglichkeit stieg in ihm zur Gewisheit empor.
Plözlich schlug die Unbekannte mit ihrer schönen Hand den Flor vom Gesichte zurük — — o Himmel! und Florentin sah Louisen. Ihm wurd’ es dunkel vor den Augen; eine Ohnmacht schien sein ganzes Wesen aufzulösen — Noch einmahl sah er hin, und — ach! der Gitterstuhl war ledig, Louisens Bild verschwunden.
In einer süssen Betäubung sas er da. „Sie ists! sie ists!“ rief sein Geist in ihm; „dem Unglüklichen wird noch einmal das Glük die Geliebte zu sehn!“ —
Der Prediger prieß die Schönheiten der göttlichen Schöpfung; Duur zergliederte sich Louisens Reizze. — Amen scholl es von der Kanzel, und der Liebetrunkne stürzte zur Kirche hinaus. Er durchreiste das Dörfchen, suchte das verschleierte Gesicht und — fand es nirgends.
Hinter einer dichten Reihe hoher, breitlaubigter, finsterer Kastanienbäume entdekte er am Ende den Dorfes ein im neusten Geschmack errichtetes, zweistokhohes Gebäude, welches das ansehnlichste in Riedelsheim war. Er blieb stehn, und maaß das Haus mit neugierigen Blicken. Gern wär er hineingegangen, um auch da der geliebten Schwester des Herzogs nachzuspüren, wenn es ihm nicht die Etikette verboten hätte.
Was sollt er thun? — umkehren und Riedelsheim verlassen, ohne Sie zu sehn die geliebte Stifterin seines Unglüks? — sie jezt nicht wiedersehn, die er vielleicht dann nie, weder in diesem, oder jenem Leben wieder zu erblikken glüklich genug sein könnte! — Unmöglich, kein Liebender hätte dies an Florentins Stelle gethan, und Florentin thats auch nicht.
Als er noch unentschlossen da stand, mit einem Stökchen im Staube malend, zeigte sich seinen Augen ein junger, wohlgekleideter Mann, dessen Aeusseres viel gutes ahnden lies. Florentin machte sich sogleich an ihn und fragte nach dem Besizzer des weißen Hauses.
„Sie sehen ihn vor sich!“ antwortete jener und Florentinen ward seltsam zu Muthe durch diese Antwort, denn Mann und Stimme desselben waren ihm sehr wohl bekannt. Kurz gesagt, die Gestalt und der Ton gehörten in den Traum von den schwarzen Brüdern hin, und zwar dem Puppenspieler, der im Wirthshause die grausamliche Zerstörung Magdeburgs aufgeführt, und dessen Kasten unser Graf zertrümmert hatte. Daß Florentin durch die frappante Aehnlichkeit zweier so heterogener Personen etwas bestürzt gemacht wurde, läßt sich denken.
„Wen hab’ ich dass Glük zu sprechen?“ fragte er.
„„Ich hin der *** Prinzenerzieher Aellmar, lebe hier durch die Gnade meines Fürsten ein angenehmes Privatleben, und werde mich freuen, wenn Sie in meiner Wohnung mit einer ländlichen Bewirthung vorlieb nehmen wollen. Sie sind — —?““
„Der Graf von Duur.“
„„Ich kenne Sie schon näher, wie mich däucht.““
„Und mir ists, als hätte ich ebenfalls schon das Glük gehabt Ihre Person einmahl, aber Gott weis, wo und in welcher Verkappung, zu sehn. Ihre Gesichtszüge — ihre Stimme —“
„„Vielleicht haben Sie sich nicht geirrt.““
„Wär es möglich!“
„„Wie befindet sich Herr Holder von Sorbenburg? Wahrscheinlich haben Sie ihn noch — —?““
„So wahr ich lebe, Herr Aellmar, Sie und ein gewisser, schwarzer Puppenspieler“ — —
„„Ganz recht, Vinzenz!““
„Gott, ich bin glüklich.“
„„Still, wir plaudern nachher mehr. Haben Sie die Güte mein Gast zu sein.““
„Haben Sie Fremde?“
„„Sie werden niemanden ausser dem Prediger Leedri, meinen Schwiegervater, und seine Tochter, meine Agathe, antreffen.““
Wie gern folgte Florentin der willkommenen Einladung des metamorphosirten Puppenspielers! Hier hofte er gewis Aufschluß über das verschleierte Frauenzimmer in der Kirche zu empfangen. Er unterlies auch nicht beiläufig zu fragen, ehe sie das Haus erreicht hatten.
„Wahrscheinlich meine Frau!“ antwortete Aellmar und führte den halb unzufriednen Duur in ein Zimmer, worin sich der alte Pastor Leedri allein befand. Man wurde bald bekannt mit einander; sprach, von diesem und jenem; Aellmar entfernte sich seine Gemahlin herbeizuhohlen, und Florentin exegisirte über das „Wahrscheinlich“ des Aellmar.
„Wahrscheinlich ist doch nicht gewis; es läßt noch immer der Vermuthung Raum, daß der Schleier eben so gut der Prinzeßin, als der Madame Aellmar angehören konnte!“ dachte er bei sich.
Die Thür eröffnete sich nach einiger Zeit. Die verschleierte Schöne, in ihrem Anstande, ihrer Gestalt, ihrer Kleidung eben diejenige, welche im Gitterstuhle sas, trat herein, schlug den gewebten Nebel hinweg von ihrem Gesichte und machte dem Grafen ihr Kompliment. Florentin der anfangs in heftiger Bewegung da stand, ward noch verwirrter, als er hier eines der liebenswürdigsten, sanftesten Weiber — aber nicht das Idol seiner Seele sah.
So gut es sich thun lies, verbarg Florentin seinen Mismuth; er mußte es nun einmahl geschehn sein lassen, daß er sich getäuscht hatte. Eine freundliche, gewisse Unterhaltung bei Tische war die Würze der Speisen. Sobald man von der Tafel aufgestanden war, suchte unser Pilgram, der noch an eben dem Tage abreisen wollte, um zur rechten Zeit in Mungenwall einzutreffen, den gastfreundlichen Aellmar unter vier Augen zu sprechen.
Es gelang ihm.