Der Graf und sein Wirth entfernten sich von dem alten Leedri und seiner Tochter, begaben sich in den naheliegenden Garten, wanderten hier die sandigten Gänge, Arm in Arm, in wichtigen Gesprächen versenkt, einige Viertelstunden auf und nieder, giengen dann, um desto unbelauschter zu sein, in ein nettes, bequemes Gartenhäuschen, lagerten sich da auf ein Sofa, und sezten ihre Unterhaltung fort.
„Ich bedaure,“ sagte Aellmar lächelnd: „Ich bedaure, daß Sie sich durch den Schleier so verführen ließen, meine Frau für Ihre Durchlaucht die Prinzeßin Louise zu halten. Zudem, wie sollt ich zu der Ehre gelangen, eine fürstliche“ — —
Florentin. Aber wissen Sie gar nicht, wo sich die Prinzeßin befindet?
Aellmar. Wie sollt’ ich? so viel ist gewis, und das wird Ihnen ja besser, als mir bekannt sein, daß die Prinzeßin Louise, wegen ihrer Kränklichkeit, auf einem ihrer Landgüter lebte. Die Aerzte haben es ihr gerathen; Veränderung der Luft und des Aufenhalts soll sie bald wieder herstellen. Die Prinzeßin, um sich zu gleicher Zeit ein seltneres Vergnügen zu gewähren, macht inkognito, von wenigen Bedienten nur begleitet, kleine Reisen durchs Herzogthum, so daß niemand eigentlich weis, wo sie sich befindet.
Florentin. (rieb sich die Stirn.)
Aellmar. Dies ist alle Auskunft, die ich Ihnen geben kann, das heißt, ich sage, was man allenthalben spricht. — Doch lassen Sie uns davon abbrechen. Sie wollen nach Mungenwall reisen.
Florentin. Wie ich Ihnen gesagt habe.
Aellmar. Und wohin zielt von da Ihre Reise?
Florentin. Wohin mirs gelüstet. Des Herzogs Befehl bindet mich an keinen Ort und keine besondern Geschäfte.
Aellmar. So würd ich mich in Ihrer Stelle um Menschen, Länder, Politik und Volkskraft zu studieren, ohne Anstand nach Kanella begeben, wo jezt Volk und Fürst im Prozeß liegen, Komplote geschmiedet, Pläne entworfen und zerrissen, Kabalen gespielt und Gährungen erregt und gedämpft werden.
Florentin. (zerstreut) Ich fänd’ es selber nicht unangenehm.
Aellmar. Ich witterte diese Unruhen schon vor einigen Jahren, als ich mit Holdern nach Italien reisen mußte, und wir zwei Monate in Kanella hinbrachten.
Florentin. (aufmerksam) Mußte Holder nach Italien reisen.
Aellmar. Er mußte, und zwar in Geschäften der schwarzen Brüder.
Florentin. Und Sie begleiteten ihn?
Aellmar. In einer ähnlichen Angelegenheit.
Florentin. Darf ich um Holders Geschäfte in Italien wissen? Es intereßirt mich zu sehr, um so seltsamer mir damahls seine Entschwindung vorkam, als er — —
Aellmar. Ich erinnere es mich noch sehr gut. — Der Zwek der schwarzen Brüder ist Verbreitung des Guten, Unterdrükkung des menschlichen Elends. Wir waren es, welche die Jesuiten aus Italien vertrieben hatten, ohne daß diese eben so wenig, als die übrige ungeweihte Welt davon ahndeten. Unser Triumpf war groß. Die Zerstörung der jesuitischen Hierarchie war eine herrliche That unsers Bundes, lange schon beschlossen in unserm Rathe, und so meisterhaft ausgeführt, daß niemand dabei unsern Einfluß ahndete — Diese in Heiligenmasken verkappten Teufel aber schlichen sich bald wieder an einigen italiänischen Höfen ein; ihre Fortschritte machten uns besorgen zu frühzeitig triumfirt zu haben; sie hatten ihre Nezze so fein und so stark gewebt, daß es eben so leicht möglich war, sich in ihnen zu vergarnen, als unmöglich sich denselben wieder zu entwinden. Wir bekamen Wind davon. Der Plan, die Gespinnste des Jesuitismus ganz zu zerreißen, ward entworfen, ihn auszuführen bedurfte es einen Mannes mit dem schärfsten, alles umfassenden Blik, mit der feinsten Politik, mit einer ausserordentlichen Geistesgegenwart begabt. Alles beruhte auf diesen Mann allein und — Holder wurde erwählt.
Florentin. Sie sezzen mich in Erstaunen.
Aellmar. Holder lebte zu der Zeit auf dem Landgute ihres Oheims, wo er von allem, was geschah, schriftlich und mündlich Notiz erhielt. An 6 verschiedne Herrschaften Italiens wurden einige schwarze Brüder verschikt, die Jesuiten in der Nähe zu beobachten, Holder selber sollte sich dahin begeben, um die mannigfachen Pläne des Ordens der schwarzen Brüder, die an den verschiedenen Höfen realisirt werden sollten, harmonisch zu erhalten, Maasregeln, die aus der Uebersicht des Ganzen entspringen mußten, zu ertheilen, mit einem Worte alles zu dirigiren. Seine Abreise hing noch von der Einwilligung eines deutschen Fürsten in einen gewissen Vorschlag in Rüksicht der jesuitischgesinnten Italiäner ab. Alle hofften wir auf Entscheidung. Auch ich wurde bestimmt mit Holdern zu reisen, um seinen Befehlen zu gehorchen. Damahls lernt ich ihn kennen; ich sprach ihn zuweilen in der Nacht in der Nähe des Duurschen Landgutes, wann er mir und andern das Signal durch einen Büchsenschuß gab. Ich bewunderte schon in diesen seltnen nächtlichen Konversazionen den schlauen, weisen, ehrwürdigen Mann. Der deutsche Fürst lies uns lange hoffen, Holder wurde beinah ungeduldig, er liebte Ihre Fräulein Schwester und hätte sich gern mit ihr genauer verbunden, wenn nicht die Macht des Ordens auf eine Zeitlang dawider gestanden. Plözlich erhielten wir Befehl aufzubrechen, ohne Zeitverlust, ohne Schonung der Geldkosten, so schleunig, als möglich, weil von unsrer baldigen Ankunft in Italien alles dependirte. Wir gaben Holdern das Signal. Er erschien; unsre Nachricht dekontenanzirte ihn anfangs — allein, weil wir schon seit eingen Monaten Befehl hatten, uns in jeder Stunde zum schleunigsten Aufbruch bereit zu halten, so mußte er noch in eben der Nacht mit uns. Rastlos gieng die Reise durch Deutschland. Wir kamen nach Italien; zerstreuten uns, jeder an dem ihm vorbestimmten Posten. Holder zeigte sich hier, als Meister. Er kam zurük zu den Brüdern in Deutschland, die seine bewundernswürdige Thaten, seinen Eifer mit dem Stuhl des Regenten belohnten. Glauben Sie mir, Herr Graf, es leben eben so viel große Männer unbekannt, als bekannt! —
Florentin. Wahrlich ich bin stolz der schwarzen Brüder einer zu sein.
Der Graf sprach dies in der That, nicht als ein Compliment, sondern als Aeusserung derjenigen höhern Empfindung, welche aus dem süssen Bewußtsein quoll, du bist auch einer derselben, die, wie die Gottheit, ungesehn sichtbare herrliche Thaten üben. Wahr ists, das Schiksal hat mich eben so sehr über gewöhnliche Menschen emporgehoben, als es mich sinken lies unter denselben! —
„Und auch Sie, lieber Aellmar,“ fuhr der Graf nach einer Pause fort: „auch Sie haben schon an der allgemeinen Glükseligkeit des Menschengeschlechts gearbeitet — und ich — — —“
Aellmar. Graf, Sie thaten schon ein Gleiches in ihrem Vaterlande. Schon damahls waren Sie ein Werkzeug der schwarzen Brüder, schon damahls zur Aufnahme bestimmt. Erinnern Sie’s sich nicht mehr, wie sich die Unbekannten Ihnen schon lange bekannt machten? — Haben Sie die Ihnen zugesandten Briefe vergessen, welche — —
Florentin. Wie sollt’ ich!
Aellmar. So darf ich Ihnen nichts mehr erklären.
Florentin. Demungeachtet ist mir noch manche Aufklärung nöthig. Zum Beispiel, woher es kam, daß man um meine Geheimnisse wußte, wußte, was in meinem Herzen, und in meinen vest verwahrten Koffern und Schränken vorgieng!
Aellmar. Ein Räthsel welches leicht aufzulösen ist, wenn Sie wissen, wie ausgebreitet unser Orden ist, und daß der meisten Ihrer Bedienten und Vertraute, so wie die Aerzte am Hofe u. s. f. zur Zahl der schwarzen Brüder gehören.
Florentin. (bestürzt lächelnd) Ha!
Aellmar. Ich habe Ihnen nun so viel anvertraut, als ich darf, und Sie bedürfen. Jezt erlauben Sie, daß wir hievon schweigen.
Florentin. Werd’ ich nicht auch zu dieser Kenntnis alles dessen was im Orden vorgeht, und wie es geschieht, gelangen?
Aellmar. Nicht früher, als Sie sich dazu würdig gemacht haben; sodann gehört die Kenntnis des was und wie? zu Ihren Belohnungen.
Hier brach Aellmar das Gespräch ab, nöthigte den Grafen sich wieder zu zerstreuen und — heilige Verschwiegenheit zu beobachten.
Sie verließen das Gartenhaus.
Der Graf sonderte sich von seinem neuen Freunde ab, wankte tiefsinnig mit verschränkten Armen durch die Gänge des Gartens, und überdachte da die Worte Aellmars.
Es stiegen sonderbare Empfindungen in ihm auf. Ihm wars, als wäre er zu einer Klasse höherer Wesen gezählt — er fühlte sich in ihrer Mitte zu stehn, unwürdig und kleinlich, und wieder gros, wenn er der Thaten gedachte, zu welchen der Orden ihm Bahn bräche. Seine Fantasie begann lieblicher um ihn zu spielen; er warf sich halbträumend in den Schatten eines Kastanienbaums.
„O, werd’ ich einst ausgerungen haben, nennt mich die künftige Zeit gros, rauschet der kühlende Lorbeer um meine glühnde Schläfe — kehre ich heim aus dem Felde der Thaten und begrüsset mich die vaterländische Flur wieder, wo ich als Kind tändelte, als reifender Jüngling schwärmte, ruhe ich dann aus in den heimischen Thälern in der Stille des väterlichen Hains, o wie seelig wird dann mein Loos sein! — Nein, ich fordre nicht zur Vergeltung fürstliche Palläste, nicht die Freundschaft der Großen, nicht Anbetung vom Volke und Vergötterung, — nein ihr Gewaltigen, die ihr euren Arm in den Mantel der Nacht verberget, gebt mir, wenn ihr es geben könnet, Louisens Liebe in einem entlegnen Winkel der Erde, meinen Tod in Louisens Armen, an Louisens Busen!“
So träumte der gute Graf sich noch manchen angenehmen Traum, von wehmüthiger Sehnsucht nach Ruhe durchwebt; denn Ruhe bedurfte sein diefleidendes Herz, oder eine ungewöhnliche Zerstreuung.
Glüklich war Florentin in der Mitte dieser ihn umwallenden Bilder, welche die Fantasie erschuf; und so ist jeder glüklicher in der Rükerinnrung oder Hoffnung, als im Genuss selber!