Die Sonne war aufgegangen, den Triumf der Freiheit von Kanella zu verschönern. Licht und Leben ergoß sich durch die große Natur; Licht und Leben wohnten nach langen, düstern Zeiträumen endlich wieder im Busen der Kanelleser.
Berauscht von der Freude, nun am längst erseufzten Ziele dazustehn, schwärmte das Volk durch die Straßen, mit Jubelgeschrei. Entzükken glänzte aus jedem Angesicht; neugeboren wankten Greise und Mütter und Väter hervor sich, als freie Geschöpfe, am Strahl der Sonne zu erwärmen, zu jauchzen und zu hüpfen unter Kindern und Kindeskindern; Hohe und Niedre umarmten sich auf öffentlichen Pläzzen, uneingedenk des Ranges und der Würden, welche sie sonst unterschied; was sich sonst haßte, liebte sich jezt; was sich sonst nie gekannt, schlos jezt der Freundschaft heiligen Bund miteinander. Alles war vereint, alles fühlte sich groß, und gut und edel.
„Ich bin frei!“ lallten Greise verjüngt. „Ich bin frei!“ riefen die Kranken und genasen.
„Frei sind wir!“ jubelten Männer und Weiber, und die Kinder auf den Straßen.
Duur aber befand sich noch immer im Pallast des verunglükten Herzogs. Hier empfieng er von den schwarzen Brüdern aus dem ganzen Staate die frohsten Nachrichten; hier ertheilte er ihnen seine Befehle; hier gab er die ersten Gesezze zur Wiederherstellung der alten Ordnung; hier sezte er vor den Augen Piedros die Stadtobern in ihre ehmahligen Rechte ein.
Freilich erlaubte sich der Pöbel, vom Freiheitsrausche benebelt, tausend Ausschweifungen, lange noch nach diesem Tage dauerten dieselben fort, und jeder zitterte, daß sich Kanellas Bürger durch eine fürchterliche Anarchie in grösseres Elend stürzen würden, als dem sie so eben entronnen waren; — allein Florentin verzagte nicht. Er hatte es vorausgesehn, wie geschehn würde, was geschah, und daher befremdete ihn die Wuth und Raserei den trunknen Vollers nicht. Doch die höchste Gewalt in den Händen des Pöbels ist Jupiters Donner in den Händen eines spielenden Kindes. Hier mußten Vorkehrungen dagegen getroffen, mußten Schranken wieder aufgebauet werden, und sie wurden getroffen, und die Schranken wurden erbaut.
Die Sonne gieng unter. Ermüdet von den zahllosen Arbeiten begab sich der edle Graf in seine Wohnung heim; in seinen Mantel vermummt, durch die einbrechende Finsterniß gesichert, erkannten ihn die umherschwärmenden Haufen nicht, wiewohl sein Name in der Sprache des dankbaren Entzükkens von ihren Lippen oft erscholl. Er kam an, und Dulli war der erste, so ihm auf der Schwelle des Hauses entgegen trat.
Florentin. (freundlich) Guten Abend, lieber Dulli! nicht so, Kerl, die Nacht und der Tag spielen wohl in der Geschichte deines Lebens die glänzendsten Szenen?
Dulli. (bebend, sprachlos sich vor ihm auf die Knie niederlassend) Graf!
Florentin. (verwundert) Was ist dir?
Dulli. (gerührt) Gott, Ihr fühlt nicht, was ich gern bekennen mögte? — Graf, großer Graf! — —
Florentin. Ich verstehe dich nicht, Lieber. Warum auf den Knien?
Dulli. Ach laßt mich doch noch lange in dieser Stellung verbleiben — sie thut meinem Herzen so wohl! — — Graf, ich zolle Euch meinen Dank! —
Florentin. (lächelnd) Du bist ein freier Kanelleser worden und knieest dennoch?
Dulli. Ah, ich liege ja vor keinen Despoten — ich verehre den größten Menschen meiner Zeit! — Laßt mich so liegen; Dulli dankt dem Erlöser seines Vaterlandes! (eine Thräne tröpfelt aus seinen großen, emporgewandten Augen.)
Florentin. Du bist ein sonderbares Geschöpf; so rauh, und so weich! — Steh auf!
Dulli. Nein, nein, beim heilgen Petrus, nein, noch kann ichs nicht! — O laßt mich so, so ist mirs wohl! — Wenn ich nichts mehr sagen, nicht mehr danken kann, dann will ich aufstehn, dann führ ich Euch zu einem andern guten Freund.
Florentin. (neigt sich innig bewegt zu ihm herab, und küßt, ihn) Ich bin dir gut!
Dulli. O, das ist auch mein schönster Lohn; nach ihm hab ich geschmachtet. Ich sah Euch nur in der Nacht kämpfen; den ganzen Tag erwartete ich Euch vergebens. Wohl schlich ich von Stunde zu Stunde um das herzogliche Schloß Euch zu erblikken — aber ich sah Euch nicht. Und nun — nun bin ich glüklich, Ihr habt den armen Dulli geküßt. Und (indem er vorn das Wams aufreißt) seht hier meine Wunden! eins, zwei, drei, — fünf Wunden — und ein Kuß von Euch läßt mir ihren Schmerz nicht fühlbar werden. — (er steht auf.)
Florentin. Ist unser alter Badner auch daheim?
Dulli. Er ists. Er ist der gute Freund, zu dem ich Euch noch führen wollte.
Florentin. Ich bedarf der Ruhe; laß Badnern zu mir in mein Zimmer kommen;
Dulli. Nein, das kann der gute alte Mann nicht. Ihr müßt nun wohl zu ihm gehn.
Florentins Mienen schilderten seine Verwunderung über Dulli’s Worte; er gieng, wohin ihn Dulli führte; sein Herz weissagte nichts Angenehmes.
Er trat in Badners Stube, und fand den guten Greis auf dem Bette liegend. Badner schien durch das Hereinwandeln der beiden aus einem leichten Schlummer aufgestört zu, werden; durch Anstrengung all seiner Kräfte erhob er sich mit dem halben Leibe, den Grafen zu bewillkommen.
„Lieber Badner, was ist dir geschehn?“ fragte Florentin ängstlich, indem er sich dem Bette näherte.
Badner. (mit matter, oft abgebrochner Stimme) Mein Herr, — mein lieber Herr!
Florentin. Um Gotteswillen, wie siehst du so blaß, so elend aus!
Badner. Ach Gott, erinnert Ihrs Euch noch, was ich sprach, da wir über die deutschen Gränzen ritten?
Florentin. Nein, Badner, so arg ist es noch nicht. Wirst nicht in Kanella dein Begräbnis finden.
Badner. Ich werd es. — Ach, lieber — lieber Herr!
Florentin. (zu Dulli) Was ist ihm wiederfahren?
Dulli. Verwundet ist er in der Nacht, und wie ich glaube, gefährlich verwundet. Halbtod schleppte man ihn hieher.
Florentin. Ist kein Wundarzt gerufen worden?
Dulli. Mehr, als einer.
Florentin. Und?
Dulli. (zukt die Achseln)
Badner. Sterben werd’ ich, sagen sie. Oh, ich sterbe so gern! Hab ich Euch doch noch einmal gesehn in dieser Zeitlichkeit, nun bin ich herzlich zufrieden.
Florentin. (mit feuchten Augen) Nein, mein Badner, nein, du stirbst nicht.
Badner. Ich weis es, ich fühl es — ich muß scheiden von Euch. — Ich habe noch eine Bitte eine große Bitte an Euch.
Florentin. Was bittest du denn?
Badner. Laßt meine Gebeine in der deutschen Muttererde verscharren. — Wollt Ihr das?
Florentin. Ich will es. Aber — —
Badner. Nun — nun gute Nacht
Florentin. (sich mit Wehmuth über ihn hinbeugend) Mein einziger, lieber Leidensgefährte, mein treuer Freund, du willst gern von mir?
Badner. Ich muß, und darum — gern. Meine Liebe zu Euch nehme ich mit ins Grab, mit in jenes beßre Leben.
Florentin. Und willst deinen Gefährten allein da stehn lassen?
Badner. Ach, Lieber, Guter, Seelen, wie die Eurige, finden immer Verwandte hienieden und droben. — — Lieber Herr, ich muß Euch noch Dank sagen für Eure Freundschaft; o, wir haben wohl manche Noth, wohl manche frohe Stunde mit einander brüderlich getheilt.
Florentin. (fühlte den nahen großen Verlust seines Badners und er weinte.) Ich danke — danke auch dir für deine namenlose Treue.
Badner. Nun — Lieber — gute Nacht! — Wir haben nichts mehr mit einander. — Kommt Ihr jemahls heim ins deutsche Vaterland, so grüßet den braven Holder von seinem verstorbnen Freund. — Oh, oh! — Eins noch — Ihr — —
Florentin. Ruhe, Lieber, ruhe! das Sprechen schadet dir — —
Badner. (schwach) Wenn Ihr und Holder noch einst — über fünfhundert Jahren auf dieser Erde — so — so —
Wie ein öhlloses Lampenlicht verklimmt, wie der Hauch des Mundes verrinnt, wie ein leiser Ton verhallt — so verschwand Badners Lebenskraft. Er war hinübergeflohn in jene Welt, zu der wir alle hinüber wandeln werden.
Dulli’n schossen Thränen ins Auge; Duur warf sich schmerzvoll über die Leiche seines treuen Dieners, und küßte unzähligemahl’ die kalten Lippen des Entschlafenen.
„Auch er ist dahin!“ — seufzte er: „auch mein Badner ist dahin! — o, ich glaubte ruhen zu können nach überstandnen Gefahren und Leiden — aber, ach, Ruhe! für Florentin — nein sie scheint für mich bei der Unmöglichkeit zu wohnen! — Mein Badner, lebe wohl!“
Mit einemmahle scholl von der Straße auf ein feierlicher Gesang. Dulli flog ans Fenster; er sah die Gassen von tausend Fakkeln erleuchtet und eine zahllose Menge von Menschen um Florentins Hause versammelt. Der Gesang stieg langsam und rührend-feierlich empor; Trompeten und Pauken begleiteten ihn. — Ein Kanellesischer Dichter hatte ihn längst schon auf die wiederkehrende Freiheit angefertigt; er lautete so:
Heilig ist Gott und groß!
Heilig ist Gott und gnädig!
Heilig ist Gott und gerecht!
Hallelujah! Hallelujah!
Ach seufzete das Land,
Unter der Tyrannenwuth;
Greise flehten, Kinder flehten:
„Herr erbarme dich unser!“
Aber des lachten die Tyrannen,
Gott im Himmel und Tugend auf Erden
Waren ihres Spottes Ziel.
Blut floß an ihrem Schwerdte,
Blut trof von ihren Händen,
Und ihre Pfade waren Blut.
Da schrie in dumpfen Klagen
Die leidende Kreatur:
„Herr, erbarm dich unser!“
„Herr, erbarme dich unser!“
Doch Gottes Langmuth, Gottes Güte
Verzögerte der Frevler Tod.
Des jauchzten die Tyrannen;
Mit ungeweihten Händen;
Zerstörten sie der Menschheit Heiligthum!
Und ihrer Sünden Maas ward voll,
Und ihre Bosheit unbegränzt!
Da ächzte sterbend der Greis,
Da ächzte sterbend der Säugling:
„Herr, erbarme dich unser!“
„Herr, erbarme dich unser!“
„Herr, erbarme dich unser!“
Und unser erbarmte sich Gott,
Es rollte in Gewitterschnelle
Sein Strafgericht hervor;
Sie sahn’s, die Mörder und erbleichten
Und schaudernd stürzten sie nieder —
Das Sklavenland ward frei!
Hallelujah! Hallelujah!
Der Gesang schloß sich. Dulli weinte Freuden- und Jammerthränen vermischt; Florentin hörte nichts, er saß an Badners Bette: starrte schwermüthig den Leichnam seines Getreuen an und hielt die Hand seines Lieblings fest in der seinigen verschlossen.
Aber das Volk lärmte unaufhörlich fort, und wiederholte die Worte des Gesanges: „das Sklavenland ward frei!“ mit dem größten Enthusiasm. — „Ja, das Sklavenland ward frei!“ hörte man einige rufen: „und frei durch den Helden Fiorentino!“ —
„„Großer Fiorentino wir lieben dich!““
„„„Freiheitsbringer, lebe lange!“““
„„„„Fiorentino, lebe hoch!““““
So schrie man verwirrt durcheinander und Florentin — achtete des nicht. Am Lager des Verstorbnen sizzend, hatte sein Leben jeden Reiz verloren. Er war nun einmal wieder so arm an aller Freude, so arm an aller Hofnung, jemahls wieder froh werden zu können, als er es irgend schon einmahl war.
Freund, Blutsbruder, Vater — oder welcher Name heiliger ist — alles das war ihm der ehrliche Badner gewesen, und diesen sah er jezt für sich verloren. — Wer nun schon einen solchen Freund, Bruder und Vater verlor, der male sich des armen Florentins Schmerz. Indem sich die Augen eines einzigen Freundes auf ewig verschließen, schließen auch tausend Götterchen der Freuden die ihrigen zu.
„Hört Ihrs nicht, gnädiger Herr, wie das Volk Euern Namen ausruft“ sagte Dulli, indem er sich zum Grafen wandte; aber er vermogte es nicht ihn aus dem Strom seiner Empfindungen hervorzureißen.
„Die Kanelleser werden ungestüm, sie verlangen Euch zu sehn, Euch zu huldigen!“ fuhr Dulli nach einiger Zeit fort, inzwischen das Volk auf der Straße tobte und schrie.
„„O Kanelleser,““ erwiederte Florentin traurig: „„und legtet Ihr mir die herzogliche Krone zu Füssen — jezt hüb’ ich sie nicht auf. — Geh, Dulli, sage deinen Landesleuten, daß Sie auseinander gehn, und mich nicht stöhren sollen in meinem Schmerz!““
Dulli. (zum Fenster hinunter) Freie Kanelleser, stöhret den Grafen nicht, ihm ist sein Liebling ermordet für Eure Freiheit.
Stimmen von unten. Fiorentino! großer Fiorentino, die Bürger Kanella’s wünschen den Heiland ihres Staats zu sehn. Fiorentino tretet hervor!
Dulli. Fiorentino danket Euch für Eure Huld; aber erscheinen wird er nicht.
Stimmen des Volks. Fiorentino, erhöret uns!
Dulli. Gönnet ihm Ruhe, opfert ihm Eure Wünsche auf, da er seine Freuden für Euch hingab.
Stimmen. Fiorentino! Fiorentino!
Florentin erschien. Mit nassen Augen stand er da, auf den erhabnen Stufen, welche zum Eingang seines Pallastes führten. — Man sahe ihn, und wie die Erscheinung einen Gottes war die seinige; die Luft, vor einem Augenblik noch vom verworrendsten Geschrei zerrissen, wurde jezt durch einen leisen Odemzug erschüttert.
Fakkeln flogen herbei und umringten ihn; wie in einer himmlischen Verklärung stand er da vor den Augen des Volks: die ihm nächststehenden sanken nieder auf die Kniee um den entferntern Zuschauern den Anblik eines Halbvergötterten nicht zu rauben; alle entblößten ihre Häupter in stiller Ehrfurcht. —
Ruhig war die Nacht; sternenschwer der Himmel; der Mond stieg in dieser Minute hinter einem Gebirge schimmernder Wolken hervor, die Szene zu verherrlichen; kühl und leise hauchte der Nachtwind über die Menge des Volks hin und goß ein heiliges Schauern über sie aus.
Florentin von Wehmuth und Entzükken hingerissen, vermogte lange kein Wort zu reden. Endlich sprach er:
„Brüder, — meine Brüder, Ihr seid glüklich; aber ich bins nicht, kanns nicht sein. Ich weis es, daß Ihr mich liebet, aber, — was ich verlor, könnt Ihr mir nicht wiedergeben. Darum laßt mich trauern; laßt mich ungestört Mensch sein, und einem Freunde den lezten Zoll der Liebe — Thränen um seinen Verlust entrichten. Nur der Gedanke an ihn gewährt mir Trost. — — Gute Nacht, Freunde!“
„„Gute Nacht! unglüklicher Mann, gute Nacht!““ riefen ihm unzähliche Stimmen in eine verschmolzen nach. Mitleid und Liebe erpreßten manchem Auge Thränen, — ach und diese Thränen waren das Herrlichste in diesem nächtlichen Triumpfe Florentins von Duur!