Zweites Kapitel. Mühvolle Jahre.

„Nur der Gedank’ an ihn gewährt ihm Trost?“ sprachen am folgenden Tage die Kanelleser: „Laßt uns den großen Mann trösten, er hat ja unsre Thränen abgetroknet!“

Nach einigen Monaten wurde Florentin lieblich überrascht. Eines Morgens lehnte er sich, nach seiner Gewohnheit, zum Fenster hinaus, und o! wie staunte er, da er seinem Hause gegen über eine in der vergangnen Nacht errichtete Statüe erblikte. Es war Badners Gestalt, Badners Miene; mit der rechten Hand winkte das Gebild zu ihm herauf, als riefe es leise: „komm’ zu mir!“ — Drunten standen in Goldschrift die Worte:

„Badner, Liebling des großen Fiorentino von Duur.“

Anfangs wollte der Graf seinen Augen nicht glauben; er rieb die Wimpern; starrte wieder dahin, und gewahrte abermals Badners Gestalt, wie sie winkend dastand.

„Dulli! Dulli!“ rief er wonnetrunken, und Dulli kam.

Florentin. (frohbebend) Ach, Dulli, sieh hinaus. Sage, was erblikst du?

Dulli. Beim heiligen Petrus, gnädiger Herr, Euern getreuen Badner, Gott hab’ ihn selig, wie er leibt und lebt!

Florentin. Nein, soviel hab’ ich nicht an Euch verdient, Kanelleser! — Sage mir, ist ers wirklich? täuscht sich mein Gesicht?

Dulli. Das Bildnis ist ja so gar weit nicht entfernt.

Florentin (ihn umhalsend) O Dulli!

Dulli. Gott, gnädiger Herr, wie Ihr nun da seid? Ihr habt Millionen verspendet und das dankbare Völklein beut euch dafür einen Heller; — Ihr sehet wenigstens, wie werth Ihr den Kanellesern seid.

Florentin. Ich seh’s, ich fühls, ich danke! — Ja, Badner hat’s verdient! —

Dulli. Bei Gott, das hat er.

Florentin. War’s noch nicht genug, daß man die Asche dieses Redlichen in feierlicher Prozeßion durch Stadt und Land seinem Grabe in Deutschland entgegenführte, mußte man ihm noch die Säule weihn?

Dulli. Gnädiger Herr, Ihr verdientet einen höhern Lohn, als einen geschnizten Marmor, darum errichtete man Euch keine Statüe — diese ist nur für Eure Freunde gut.

Kaum eine halbe Stunde war verflossen, als das Volk haufenweis herbeiströmte und neugierig die Bildsäule am Duurschen Pallast umringte. Das Spiel jener Nacht wurde wiederhohlt; wiederum der hehre Freiheitsgesang:

„Heilig ist Gott und groß! &c.“ angestimmt; wiederum Fiorentino’s Wohl ausgerufen und dergleichen mehr.

Angenehmer konnte kein Trost erfunden werden für des Grafen leidenden Seele; und kein Trost war auch für ihn von erwünschtern Folgen, als dieser.

Mit verdoppeltem Eifer bemühte sich Florentin, nebst den Großen von Kanella, den errungenen Freiheitskranz nun unentreisbar zu befestigen. Moriz sowohl als Benedetto, welche sich in der ersten Septembernacht der allgemeinen Verwirrung zu Nuzzen gemacht und die Flucht ergriffen hatten, arbeiteten freilich an verschiednen mächtigen Höfen, Piedro’n wieder auf den monarchischen Thron zu erhöhn, und die alte Staatsverfassung zu restauriren; suchten freilich die Kanelleser unter einander zu entzwein, und Contrerevoluzionen anzuspinnen, allein gleich einer unsichtbaren Gottheit widerstand ihnen der schwarzen Brüder heiliger Bund.

Vergebens fachten sie den Argwohn der ausländischen Potentaten an, daß die Freiheitssucht, durch der Kanellesen glükliches Beispiel vergrößert, um sich greifen und auch sie enthronen dürfte; vergebens streuten sie durch elende besoldete Broschürenschmierer den Saamen der Zwietracht unter den befreiten Bürgern aus — die schwarzen Brüder, selber verschiedene Staaten-Ruder regierend, löschten den aufglimmenden Funken des Argwohns im Busen der Fürsten aus, und zertraten allgewaltig den versäeten Saamen der Zwietracht, daß er nicht reifen konnte.

Aber es verflossen Jahre, ehe der Sturm ausgebrauset, die Gährungen sich aufgelöset, und die Bewohner Kanellas ein neues Staatssystem aufgeführt hatten. Doch die schwarzen Freunde des menschlichen Wohles wollten, und Kanella blieb frei! —

Und schon sank, die glänzende, hochgeschwungene Palme in seinen Händen, den Frieden herab über ein neugebornes Volk; schon erndteten die Kämpfer ihres Sieges Lohn ein; schon fühlten sich alt und jung, Hohe und Niedre selig auf Erden — da empfand Florentin, nun erst entlassen von den öffentlichen Geschäften der Republik, mächtiger, als jemahls den süssen Hang, heimzukehren ins geliebte Vaterland, auszuruhn im Arme der entfernten Blutsverwandten von seinen Thaten.

Zwar hatte Kanellas Dankbarkeit eine große lebenslange Pension ihm und seinen etwannigen Nachkommen ausgesezt; zwar hatte man ihm einen beinahe fürstlichen Hofstaat eingewilligt, ihm den geschmackvollsten Pallast in der Residenz geschenkt — aber die Sorbenburg, das ländliche Schloß seines Onkels lokte ihn mehr, als jede Herrlichkeit Kanellas. Ueberdies besaß er schon seit einiger Zeit mehrere Briefe vom Herzog Adolf, in welchen sein Exil gänzlich aufgehoben, förmliche Versöhnung angeboten war — wie konnte Duur, der weiche, zartfühlende Duur widerstreben?

Wir, meine Leer, begleiten ihn schon durch so viele Szenen, aber immer erkannten wir in ihm einen und eben denselben. Jezt war er nicht mehr Jüngling — er war Mann in voller Blüthe, oder vielmehr Reife des Lebens. Ausgebildet, groß, majestätisch an Körper und Geist stand er jezt da; aber sein Karakter war noch immer der stolze, schwankende, schwärmerische, welchen er den Kinderjahren abgeerbt hatte — Jezt sehnte er sich nach Ruhe. — Ruhe nach so mühvollen Jahren, auch zu ihr wollen wir ihn geleiten.

Vielleicht daß er sich nicht sobald entschlossen hätte den Kanellesischen Pallast mit dem vaterländischen Landgute zu vertauschen, wenn ihn nicht ein unerwartetes Schreiben — (nicht Holders, oder des Onkels oder Aellmars, denn diese schwiegen, als wären sie ausgestorben) nein, ein Schreiben Louisens, der herzoglichen Schwester, von Kanella hinweggetrieben hätte.

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