Erstes Kapitel. Kanella.

Unter andern sagte Aellmar zum Grafen Florentin von Duur, während der Anwesenheit des leztern im Dorfe Riedelsheim:

„Volk und Fürst liegen jezt zu Kanella mit einander im Prozesse. Um Menschen, Hofkreaturen, Politik und Volkskraft zu studieren, ist das für jezt die beste hohe Schule.“

Ich zweifle gar nicht, daß sich meine Leser dieser Worte so gut, als ich mich, zu erinnern wissen. — Die politischen Romane so wohl, als die politischen Schauspiele und Staatsakzionen sind ziemlich aus der Mode gekommen, ich finde auch kein Behagen sie wieder in den alten Flor zu bringen, aber so viel es zu der Erzählung unsrer Geschichte gehört, muß ich doch der Kanellesischen Unruhen erwähnen.

Piedro, Fürst von Kanella, war schön gewachsen, in den besten Lebensjahren, hatte ein niedliches Gesicht, viel Galanterie und hinreißende Swade. Dieß aber war die ganze Summe seiner Tugenden! er war der angenehmste Gesellschafter und der elendeste Regent. Wie man nach gewöhnlicher Art den Fürstenpöbel erzieht, war er erzogen; Stupidität, Wollust, Aberglaube, Prachtliebe, Bigotterie, und Selbstsucht gaben die Grundlinien seines Karakters an. Er regierte nicht, sondern diejenigen, welche seine Einfalt vergötterten, seine Leidenschaften küzzelten; und regierte er: so war er Despot.

Ein unglükseeliges Volk, welches ein solches Unhaupt zum Haupte hat!

Die Kanelleser fühlten Piedros eisernen Zepter und murrten; sein Prachtaufwand war groß, groß wie ihre Armuth — sie murrten lauter; ihr Gewissen selber wurde als dependent von der Laune des Fürsten erklärt, die Freiheit ihres Geistes in Fesseln geschlagen und dies war das Signal zu thätigen Erklärungen des Volks wider den Fürsten.

„Vergeuden will er mit seinen Konkubinen unser Hab und Gut!“ rief hier mit Thränen ein Bürger aus, der einen Theil seines Silbergeräths zu Gelde gemacht hatte, um die vielen Steuern und Abgaben zu entrichten: „mit Lekkerbissen und Weinen aus allen Welttheilen herbeigeführt, will er sich und seine Hofschranzen mästen, indeß wir seine Bürger mit unsern Weibern und Kindern an Brodrinden knauern und Quellwasser trinken sollen! Nein, Piedro, fürwahr du treibst es nicht lange so!“

„Ha, des fürchterlichen Schlaukopfs!“ schrie dort ein andrer: „wir sind ihm zu klug, er will uns umschaffen zu Dummköpfen, damit wir ruhiger seine Tükke dulden, seine Pläne nicht sobald durchschauen, und gewahren, wo uns die Ketten schaben. Darum verdammet er die Aufklärung, darum giebt er uns bigotte Religionslehrer, darum dürfen die Gelehrten auf der hohen Schule nicht mehr sprechen, wie sie wohl wollten, und die Schriftsteller nicht mehr schreiben, wie sie gern mögten. O Piedro, es wird dir doch nicht gelingen!“

So dachte man und sprach man leise und laut im ganzen Gebiete Kanellas; täglich erschienen Pasquille auf dem Fürsten, seine Lieblinge und Ministers, wöchentlich traten heimlich gedrukte Schriften über die Regierung ans Licht, welche dieselben vor den Augen des ganzen lesenden Volks in ihrer Blöße darstellten.

Piedros Aufwand überstieg beiweiten seine Einnahmen; alle Mittel wurden hervorgesucht, und waren es die abscheulichsten, um die zerrütteten Finanzen wiederherzustellen. Eine auswärtige große Macht, welche schon seit etlichen Jahren in einen schweren Krieg verwickelt war, verlangte vom Kanellesischen Hofe Truppen gegen Bezahlung einiger Millionen. Wem konnte dies Anerbieten willkommener geschehn, als dem Piedro? — die Regimenter wurden kompletirt, exercirt und in marschfertigen Stand gesezt. Die Kanelleser murmelten zwar manches von Unrecht, Widersezzen, Aufsagung des Gehorsams und dergleichen mehr, aber wer hörte auf sie? — Doch gab dies den ersten Anlaß zum öffentlichen Ausbruch des allgemeinen Misvergnügens.

Der Kardinal Benedetto, Piedros Favorit und Universalminister, hatte durch seine Spione manches erfahren, was allerdings für den Hof nicht allzugünstig ablaufen konnte, begab sich also zum Fürsten, und zwar am Tage vor dem Abmarsch der Regimenter.

Er fand den Landesvater in den Armen der schönen Gräfin Rosaffa, wollüstig in ihren schwarzen Haarlokken tändelnd. Der Kardinal wollte zurüktreten.

„Nicht doch, Herr Kardinal,“ rief ihm die Geliebte Piedros zu: „kommen sie herein, wir werden nicht gestört.“

Piedro. (lachend) Nein, nein, wir werden nicht gestört! ha, ha, ha!

Kardinal. Ich habe Ew. Durchlaucht nur ein Wort, aber ein wichtiges Wort zu sagen.

Piedro. So? reden Sie; Donna Rosaffa darfs ja wohl hören.

Rosaffa. (einen intressanten Blik auf den Kardinal werfend.) Ich bitte selber darum.

Kardinal. (sie anlächelnd) Ich muß gehorsamen.

Piedro. Was verlangen Sie denn?

Kardinal. Daß der Prinz Moriz nicht mit den Truppen Ew. herzogl. Durchlaucht abgehe — —

Piedro. Sondern?

Kardinal. Noch eine zeitlang in Kanella bleibe, weil das Volk unruhig geworden ist.

Piedro. (auffahrend) Unruhig?

Kardinal. Wegen des Abmarsches unsrer jungen Mannschaft.

Rosaffa. Die Burschen werden ihre Mädchen nicht verlassen wollen.

Piedro. Dem ersten, der da mukst eine Kugel vor den Kopf! — Was soll aber Moriz hier?

Kardinal. Er ist vom ganzen Volke gefürchtet; ich habe Proben davon erfahren, die unglaublich scheinen. Er wird am besten Ordnung zu erhalten wissen — befehlen Ew. Durchlaucht, daß er zurük bleibe.

Piedro. Meinethalben.

Rosaffa. Moriz ist ein fürchterlicher Mann; ich glaube seine trozzige Miene allein schon kann eine Armee in die Flucht jagen.

Piedro. Sind die Unruhen von Bedeutung?

Kardinal. Noch nicht, könntens aber werden. Alles die traurigen Folgen der Freigeisterei und eingerißnen Aufklärungssucht. Wehe, wehe dem Staate, wo diese herrschen! — doch ich denke ja mit der Hülfe des Himmels und Ew. Durchlaucht bald die Kezzereien auszurotten, und Ihre Unterthanen in ein sanftes, frommes, gottgefälliges Volk umzubilden. Ei, ei, ei, Dero Durchlauchte Vorfahren haben das Uebel schon zu tief — —

Piedro. Verbessern Sie, Herr Kardinal. Und, wie gesagt, jedem widerspenstigen Buben die Kugel oder den Galgen.

Rosaffa. Wenn marschieren die Soldaten aus?

Piedro. Wir sehen sie morgen vor unserm Pallast durchziehen. (er flüstert der Gräfin etwas ins Ohr.)

Rosaffa. (beleidigte Schaamhaftigkeit affektirend) Nicht doch!

Kardinal. (empfiehlt sich)

Prinz Moriz empfieng noch an selbigem Tage vom Hofe Befehl in Kanella zu bleiben, weil hier seine Anwesenheit vonnöthen sei. Zwar war ihm dies eine sehr ungelegne Ordre; doch einige Zeilen von Benedettos Hand beruhigten ihn, machten ihn sogar zufriedner mit seinem Heimbleiben, als seiner determinirten Abreise.

Ich darf den Karakter Morizens meinen Lesern nicht erst schildern; wahrscheinlich kennen Sie den Mann noch, nebst seinem getreuen Flimmer, aus seinen Händeln mit den schwarzen Brüdern und den Grafen Duur in Herzog Adolfs Residenz. Hier am Hofe zu Kanella wurde er, wie man sieht, ungemein geschäzt. Besonders bediente sich seiner Benedetto treflich, weil dieser schlaue Mönch durch ihn manches Plänchen zu realisiren wußte, welches nur durch einen so wilden, rauhen Moriz realisirt werden konnte; denn ausser diesem war das ganze Hofvolk ein Heer entnervter Wollüstlinge, Sodomitten und Tribaden.

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