Am folgenden Tage war es schon früh in den Straßen von Kanella lebhaft. Soldaten und Bürger, Männer und Weiber, Hohe und Niedrige rannten durcheinander, sagten sich das Lebewohl, wünschten sich das baldige Wiedersehn. Die Rosse schnoben, die Fahnen und Standarten wehten, die Waffen klirrten, die Trommeln wurden gerührt, man sties in die Trompeten, die Compagnien stellten sich, alles zog sich auf dem großen St. Dominikusplaz zusammen.
Es war ein rührendes Schauspiel anzusehn, wie sie da standen die Greise, Männer und Jünglinge unter ihren Waffen. Verzweiflung und Schmerz malte sich in ihren Mienen — ein gebrochnes Jammergetön durchdrang die Luft — keiner aber sprach. Die Männer, welche vorübergingen, riefen ihnen ein banges: „Gott mit euch!“ zu und verbargen die heimlichen Thränen, welche sich aus ihren Augen stahlen. Aber die Krieger verbissen ihren Schmerz — still lächelten sie und drükten einander wehmüthig die Hände.
Mit einemmahle sahe man einen langen Zug von Weibern dem Dominikusplaz entgegen wanken; jedes beinahe führte ein Kind an der Hand. Es waren die Weiber und Kinder der scheidenden Krieger. — Diese sahen sich, vom Anblik dieser Szene durchbohrt, an, jedem zitterte eine Thräne vom männlichen Auge und jeder nahm vom Weibe und Kinde den lezten Abschied. „Lebet wohl, mein Vater!“ riefen die unmündigen Kleinen. — „Lebet wohl!“ lallte ein weinender Greis und stämmte sich auf seine Flinte: „lebet wohl, ihr kleinen Engel!“
Die Weiber umschlangen ihre Gatten, stammelten ihnen tausend heiße Wünsche, und jeder Wunsch wurde von einer Flut von Thränen und Küssen erstikt.
„Gott ziehe mit dir, mein Einziger!“ rief ein junges Mädchen und sank ohnmächtig an den Hals des geliebten Jünglings, und der Jüngling erwiederte: „Tröste dich unser Gott, meine Traute, wenn ich nicht heimkomme! In der Ewigkeit sehn wir uns wieder!“
„Ja in der Ewigkeit sehen wir uns wieder und da soll Gott der Gerechte richten!“ heulten einige Weiber, und der Jammer ward allgemein.
Plözlich schwieg alles; Todesschauer faßte jeden und jede, denn es hieß: „Moriz kömmt! Moriz kömmt!“
Der Prinz kam wirklich von einigen seiner Offizieren begleitet zu Pferde herbeigesprengt.
„Allons, weg Weiber und Mezzen von den Soldaten; Memmen sinds ohnedem!“ rief er.
„Wären nicht Memmen!“ replizirte hierauf einer der Senatoren von Kanella, der unter dem Volke stand, so deutlich, daß es Moriz hören mußte, wenn er nicht im dem Augenblik mit Taubheit geschlagen gewesen: „nicht Memmen, sobald man sie wider die Feinde ihres Vaterlandes ausschikte!“
Moriz stuzte; sein Stolz der hier Angesichts des Volks beleidigt wurde, wiegelte seinen Zorn auf. Mit fürchterlichem Blik sah er um sich und fragte: „Wer spricht das?“
Der alte Senator trat aus dem Gedränge hervor und antwortete: „Borsellino, Prinz, ein edler Kanelleser.“
„„Elender Graukopf, hüte dich!““
„Vor wem? ich bin sicher.“
„„Ich will dir den Lohn deiner Kanellesischen Frechheit auszahlen lassen.““
„Prinz, ich bin ein Bürger Kanellas!“
„„He, Wache herbei!““
„Herr, ich bin der Senatoren einer!“
„„Wache!““
Das Volk stürzte zusammen; der Lärmen ward grösser, zwölf junge Edelleute, verwandt und unverwandt mit dem Hause Borsellinos, umringten den Greis, ihn gegen Gewaltthätigkeiten zu beschirmen.
Die Wache kam. Moriz befahl Borsellino’n zu ergreifen und wegzuführen. Die zwölf Kanellischen Edeln baten für ihn, umsonst. Sie drohten; Moriz wurde wüthend.
Der neugierige Pöbel sammelte sich näher; einige im Volle schrieen: „Borsellino darf nicht angetastet werden, er ist der Senatoren einer!“ und plötzlich riefen mehrere Stimmen: „Wehe, wehe dem, der den braven Bürger Kanellas mishandelt!“ und so grif der Tumult um sich, der Pöbel lärmte, alles schrie: „Bürgerrechte werden zertreten! steht Borsellino’n bei! wer thut ihm Gewalt?“
Moriz sas etliche Minuten durch dies ungewohnte Schauspiel versteinert da auf seinem Rosse; seine Lebensgeister waren entflohen, aber bald kehrten sie wieder bei ihm ein und wie es schien in Furien umgewandelt. Er rollte die Augen fürchterlich umher, knirschte laut mit den Zähnen, schäumte, sties gräsliche Flüche wider die Kanelleser aus und kommandirte das nächststehende Regiment die Gewehre scharf zu laden und auf seinen Wink unter das Volk zu feuern.
Beinahe der ganze Adel von Kanella, welcher ausser dem Hofe lebte, war jezt herbeigeeilt, Morizens Befehl wirkte anfangs allgemeine Bestürzung und Stille. Aber diese Stille verwandelte sich bald wieder in leises Flüstern und Murren, das Geflüster in lauteres Murmeln, das Murmeln wurde stärker und stärker und endlich das vorige Schreien und Toben.
Der alte Borsellino inzwischen glich einem Rasenden. Er hörte Morizens Kommando die Gewehre zu laden und Feuer zu geben; dies sezte ihn ausser sich, er war seiner nicht Mann, zog den Degen, und versuchte sich durch den Haufen der Edelleute zu drängen. „Ungeheuer!“ rief er mit glühendem Gesicht: „Ungeheuer! ists erhört, das Blut der Bürger von Kanella zu vergießen? — Ungeheuer, wag es, einen Schuß wage! He! will das unser Landesherr? — Ungeheuer, wird das Piedro wollen?“ —
Man bemühte sich den jähzornigen Borsellino zu überlärmen, zu besänftigen, aber er ruhte nicht. „Laßt mich hin zu ihm, laßt mich! Bürgerblut will er vergießen — hört ihrs denn nicht? Ists nicht genug, daß man uns zu Sklaven machen will, zum Viehe sollen wir noch herabgewürdigt werden, das man morden darf, nach Herzenslust! — Laßt mich, laßt mich! — Heda, verdammter Fremdling, mit dem Leben der Kanelleser willst du spielen? ho! ho! — Bürgerblut! Bürgerblut! — Männer von Kanella ihr schweigt? — ho! hindurch!“
Der Prinz sah den schnaubenden Borsellino, hörte seine Worte, hörte des Volkes verwirrtes Geschrei, aber fühlte nicht, daß er es gewesen sei, der den schlummernden Funken des allgemeinen Unwillens zur lodernden Flamme angeblasen hatte — und wurde ob dieser unerhörten Vermessenheit eines Kanellesischen von Adel dreimahl wilder, als zuvor. Sein Gefolge stämmte sich ihm entgegen, aber Zwang empört den Zorn, stillt ihn nicht.
Es war ein entsezlicher Anblik, die beiden Wüthenden gegen über, jeder von den seinigen umringt und zurükgehalten. Aber unmöglich konnte man Borsellino’n länger widerstehn, er, in dem die Wuth Riesenstärke und Feuer der Jugend ausgegossen hatte. Er stürmte hervor und sties blindlings das gezukte Schwerd bis an den Heft dem Rosse des Prinzen in den Leib, und in eben den Augenblik stürzte Morizens Klinge auf Borsellinos Schädel herab.
„Gebt Feuer!“ schrie der Prinz, indem sein Pferd unter ihm sank: „Feuer auf die Hunde!“ und von verschiedenen Seiten fielen — einzelne Schüsse.
Dies that Wirkung, wie sie Moriz hoffte. Der Pöbel flüchtete; alles wurde still. — —
Borsellino lag ohnmächtig, in eignen Blute sich badend, in den Armen seiner Freunde. Man trug ihn fort. Moriz gab eiligst Befehl zum Aufbruch der Soldaten. Es flogen die Rosse, die Fahnen und Standarten wehten, die Waffen klirrten, die Trommeln wurden gerührt, man sties in die Trompeten und so gieng der Marsch durch die Straßen von Kanella, an das herzogliche Palais vorüber.
Piedro, Rosaffa, Benedetto mit verschiedenen Herrn und Damen des Hofs standen auf den Gallerien und Altanen vertheilt, dem Zuge zuzuschaun.
Aber ehe die verkauften Landeskinder mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen herankamen, erschien in trauriger Prozeßion der blutende Borsellino, getragen von den Vornehmsten von Adel. Nicht ohne Absicht schleppte man den Verwundeten, der sich etwas erholt hatte, hier vorüber.
Der Fürst hatte den Lärmen und später nachher das Schießen gehört, und von einem Adjutanten aus Morizens Suite Nachricht darüber empfangen.
„Wer ist der, welchen Ihr da unten traget?“ fragte der Herzog mit Neugier und heimlichen Schaudern.
„„Der edle Borsellino!““ scholl die Antwort zurük.
Der Verwundete richtete sich mit dem Leibe empor, schlug die Augen auf, sammlete alle Kräfte und sprach mit matter Stimme: „Herzog Piedro, dein Landeskind! — Piedro dein Landeskind, erschlagen von dem Fremdling der nach dem Blute deiner guten Bürger dürstet! — Piedro, Rache und Recht, wenn du Landesvater bist!“
Piedro war erschüttert. — Rosaffa schrie hinunter: „Schaffet den abscheulichen Anblik aus unsern Augen!“ und Piedro das Echo seiner Rosaffa intonirte sogleich: „Schaft ihn fort!“
Borsellino seufzte; die ihm umgebenden Edelleute murmelten unwillig unter sich, und gehorchten der Mätresse ihres Herrn.
Die Truppen marschirten bald darauf vorbei.
„Es lebe Piedro! — es lebe Piedro, die Lust seines Volkes!“ schrien die Soldaten, wenn sie nahe am Schlosse waren, und wischten zu gleicher Zeit die Thränen vom Auge, und der Landesvater lächelte huldreich auf sie herab.