Siebentes Kapitel. Florentin in Kanella.

Der Abend war schön, die Landschaft begeisternd unterm Rosenscheine, — Florentins Seele hochgestimmt zu lieblichen Empfindungen; darum blieb er lange bis in die sinkende Nacht mit dem sonderbaren Dulli vor dessen Hütte sizzen.

Ihr Gespräch bezielte vornämlich die ewigen Unordnungen in Kanella; Florentin suchte vom Dulli den Geist der Kanelleser zu studieren; er lies sich Adel und Volk durch einzelne Anekdoten karakterisiren, und erfuhr aus alle dem so viel, daß jenen Unglüklichen, welche vom Druk einer ganzen Reihe Despoten schier zu allem Großen entnervt waren, nur ein schlauer, kalter Wagehals mangelte, um die Ketten zu sprengen, das Joch abzuwerfen, den Tyrannen zu stürzen.

Florentin. Dulli, begleite mich dahin.

Dulli. (ihn angaffend) Nach Kanella?

Florentin. Nach Kanella.

Dulli. Mag ich nicht. Habt Ihr denn noch nicht genug gehört, um Abscheu wider Kanella zu fassen?

Florentin. Nein, ich bin nur doppelt gereizt dahin zu eilen.

Dulli. Bei Gott, das versteh’ ich nicht.

Florentin. Kehr’ in meinem Gefolge nach deiner Vaterstadt zurük.

Dulli. Nein. Ich hasse die Stadt. Meine Ladda lebt noch!

Florentin. Desto besser.

Dulli. Desto schlimmer.

Florentin. Vielleicht bist du im Stande deinem seufzenden Vaterlande zu helfen.

Dulli. Helfen? — hi, hi! schaden würd’ ich, schaden! rächen würd’ ich mich, wo mir die Gelegenheit auch nur einen Finger, statt der Hand, böte.

Florentin. Desto besser, wenn du mit solchem Plan und solchem Muth nach Kanella kämest.

Dulli. Was?

Florentin. Mir scheints, als würd’ es bald zu großen Auftritten kommen, als werde bald Blut vergossen werden, um die alte Freiheit wieder zu erringen.

Dulli. Sagt lieber, um den Strik fester zu drehen, welchen man der Freiheit an den Hals legt.

Florentin. Ich stehe den Kanellesern wider ihre Tyrannen bei. — Ich sage dir, Dulli, komm mit mir!

Dulli. (lachend) Meint Ihr?

Florentin. Ein Mann deines Schlages fehlt mir.

Dulli. Nein, nein, schleppt mich nicht wieder zurük zu jener Schädelstatt Kanella!

Florentin. Aber wenn du nun hören wirst, wie sich der Staat frei gemacht hat, wie Piedro, wie Benedetto, wie Moriz und der ganze fürchterliche Anhang geschlagen worden sind — wenn du nun das hören wirst! — —

Dulli. Das sollte mich doch ärgern, wär ich nicht dabei gewesen.

Florentin. Hast du Muth?

Dulli. Gebt mir ein Messer und ich schlage mich wieder zwei, drei Degen.

Florentin. Bist du treu?

Dulli. Wie Euch Euer Schatten.

Florentin. (ihm auf die Achsel schlagend) Kanella wird frei! (steht auf)

Dulli. (aufspringend) Herr, ich gehe mit Euch.

Diese Worte sprach Dulli mit halben Jauchzen. Seine ganze Seele schilderte sich in seinen Tönen. Er sprang auf; lief in die Hütte; sammelte seine Kleinigkeiten; schnürte ein Bündel daraus; suchte sein verrostetes Jagdmesser hervor, schliff es blank auf einem Steine und konnte die ganze Nacht nicht ruhen.

Der Morgen brach endlich an. Florentin, Badner, Gotthold und Dulli, welchem man in dem ersten Dorfe ein Pferd erhandelte, sezten ihre Reise fort.

Ich halte mich nicht mit der Erzählung von tausend kleinen Merkwürdigkeiten auf, die abwärts vom Plan meiner Geschichte führen, sondern eile so sehr als möglich dem kühnen Grafen nach, der, unterstüzt durch seine schwarzen Bündner angeflammt durch die große wohlthätige Sache, es über sich nahm, einem Auslande Rettung und Freiheit zu verschaffen, das bis jezt noch nicht an sich selber im Stande war, ihm solche fürchterliche Verpflichtung aufzulegen. In der That, es ist noch nicht so gros gehandelt, wenn Patriotismus, Selbstrache, eignes Elend, und Elend seiner Vertrauten einen Mann zu dem Entschluß führt, solche Riesenthat in begehen, als wenn Ehre, Gefühl und Mitleid für die leidende Menschheit einen Fremdling dazu auffodert und wirken macht. — Verzweiflung ist gewöhnlich die Mutter aller Revolutionen, nur hier war sie’s nicht, sondern Florentins ungewöhnliche Geistesgröße und Empfindsamkeit für alles was Noth duldet, was den Stempel des Guten trägt.

Und doch zweifle ich sehr, ob je unser guter Graf sich je einer solchen gefährlichen Arbeit unterwunden hätte, wenn nicht seine Schiksale eben die dazu erforderliche Stimmung der Seele in ihm erschaffen, nicht mannichfache Gefahren ihn furchtlos vor denselben, nicht unzählige Leiden ihn zum wilden, schwärmerischen Starrkopf gebildet, nicht Erziehung und verlorner Genuß des allgemeinen Ruhmes ihn dürstiger nach demselben gemacht hätten.

Als er eines Tages mit seinem Gefolge eine Anhöhe erreicht hatte, von welcher man meilenweit umherschauen konnte; als Dulli plözlich und mit heilsamen Grausen ausrief: „dort! seht dort die Thürme von Kanella!“ — als alle bei diesen Worten standen, ihre Augen hinwandten nach der Gegend und: „Kanella!“ leise stammelten — da blizte ihm frohe Hoffnung durch die Seele, die Szenen der Zukunft gruppirten sich prophetisch vor ihm hin, und er fühlte sich stark genug für sie. Wer den Mann in diesem Augenblik gesehn hätte, wie er da stand Kanellas Schuzgott, der Freiheit herbeifliegender Genius, wie seine ganze Seele sich wiederspiegelte in seinen Mienen, wie die Sonne Glanz der Verklärung über ihn herabgoß, seine Haarlokken stürmisch im Winde rollten; — fürwahr der würde ihn mit einem Helden der Vorwelt verwechselt, für einen Scipio, oder Tell gehalten haben.

Sie schritten die Anhöhe jenseits hinunter und fanden am Fuße derselben einen Zug von Reisenden, die ihnen theils auf Pferden, theils in Wagen entgegen kamen, bald darauf, ohnweit einem Wirthshause an der Landstraße still hielt und sich da voneinander trennen zu wollen schien. Man sahe ein rührendes seltsames Schauspiel, indem sich Männer und Damen wechselseitig unter einander umarmten, einige laut weinten, andre wieder fluchten und die Degen zogen und hochschwangen. Ein junges Frauenzimmer sank ohnmächtig zwischen einem Greise und einem Jüngling nieder.

Florentin gab seinem Pferde den Sporn und flog dem Auftritt näher. Er grüßte die Personen, welche wir, meine Leser und Leserinnen, schon größtentheils einmal irgendwo gesehn haben, aber niemand erwiederte Florentins Gruß.

„Hilf Himmel!“ rief Dulli mit einemmale indem er sich einem jungen Manne nahte: „seh’ ich recht? Giovanni Borsellino!“

Der Jüngling drehte sich um; mit rothgeweinten Augen starrte er den Frager an.

„Kennt Ihr mich nicht mehr?“ fuhr Dulli fort.

„„Ah, wie sollt’ ich nicht, Dulli?““

„Ihr steht ja so verwildert da? was macht der alte Borsellino, Euer herrlicher Vater?“

„„Er schläft unter der Erde — Moriz hat ihn erschlagen, und die feigen Kanelleser sahen dem ruhig zu.““

„Und Ihr?“

„„Und ich und jene dort sind Landesverwiesene jezt.““

„Landesverwiesne!“

„„Wo willst du hin?““

„Nach Kanella.“

„„Und wer ist dein Herr dort?““

„Ein deutscher Graf, genannt Florentin von Duur, der Geschäfte am Hofe Piedros hat, werth ist Euer Freund zu sein und vielleicht Eure und Eures Vaters Schmach rächt.“

Borsellino und die übrigen hörten nicht sobald Piedros interessante Worte, als sie sich unserm Grafen näherten, ihn begrüßten, sich in Unterredung mit ihm einließen und ihn liebgewannen.

„Ich dächte,“ sagte der alte Eo: „wir träten auf ein paar Augenblikke in jenes Haus. Bei einem Glase Wein ließe sich so manches verhandeln, und Ihr, Graf Fiorentino, ob wir gleich mit Euerm Herzen noch gar wenig vertraut sind, Ihr dürftet es vielleicht nicht bereuen, uns kennen gelernt zu haben.“

Alle stimmten dem Landesverwiesnen Eo bei, und Florentin willigte ein.

Gewiß gereuete dem Grafen dieser Gang nicht, so wenig derselbe für ihn auch anfangs bedeutend schien; denn nicht genug, daß er hier eine kleine Anzahl merkwürdiger Männer kennen lernte, welche auch selber in ihrem Exil auf Kanella’s Wohl und Weh Einflus haben konnten; nicht genug, daß er die Lage dieses verunglükten Staats von ganz neuen Seiten zu betrachten Gelegenheit hatte; nicht genug, daß er schon das Volk zu einer großen Regimentsumwälzung vorbereitet fand, und daß allen Entwürfen zu derselben bisher nur feinere Politur, Reife, und Abwartung eines Zeitpunktes gemangelt hatte, um sie mit Glük auszuführen: so lernte er jezt auch einen für die Folge wichtigen Menschen kennen — nämlich einen adlichen Kanelleser, Borghemo.

Borghemo, welcher nicht selber Exulant war, sondern nur die verwiesnen Freunde begleitete, wußte durch sein Aeusseres einem jeden zu gefallen. Er war ein schöner, junger Mann; stark gebaut und nervigt, wie ein Herkules; war der Stolz des Kanellesischen Adels, der Liebling der meisten Damen. — Borghemo wäre vielleicht allein im Stande gewesen mit seinem Kopf eine Revoluzion zu bewirken, Piedros Minen wider ihn selber aufzusprengen, und den fürstlichen Bösewicht mitten unter seinen Schaarwachen zu züchtigen, hätte nicht dieses Halbmuster männlicher Vollkommenheit durch einen eben so vortreflichen als verhaßten Karakter sich selber und seinem Vaterlande geschadet. Stolz war der Grundzug desselben; nur diesem ein Opfer zu bringen, war er heut ein Engel, morgen ein Teufel; liebte er heute, haßte er morgen. Die sprödesten Vestalinnen waren das Ziel seiner Eroberungen, die Gefahr hieß seine Favorite, Tugend und Laster waren seine Bediente.

Sehr natürlich, daß dieser Mann unserm Grafen auffiel, daß er sich vorzüglich mit ihm unterredete, und um seine Freundschaft buhlte.

„Fiorentino!“ rief Borghemo und zog ihn mit sich zum Zimmer hinaus, durch den Hausgarten in ein dicht daran stoßendes Gebüsch.

„Fiorentino, seid wer Ihr wollt, treibt mit unserm Afterfürsten Geschäfte, welche Ihr wollt — Ihr seid ein Deutscher und das ist genug für mich. Ich kann mich unmöglich überreden, daß Ihr ein Schurke seid, nicht mein Freund werden werdet. Hört mich an! — Ihr habt jezt den wakkern Eo, den jungen Borsellino gesehn, und die andern, welche heut über die Gränze wandern werden. Sie zettelten, Kanella von einem Ungeheuer zu erlösen, eine Konspirazion unter sich an, die mehr ihrem unternehmenden Geiste, als ihrer Ueberlegung Ehre macht, denn sie wurden verrathen in einer ihrer Zusammenkünfte sämmtlich aufgehoben, als Staatsverräther und Rebellen angeklagt, und, weil sie hartnäkkig läugneten, aus lauter Gnaden von Piedro, Moriz und Konsorten nur aus dem Kanellesischen Gebiete verwiesen. — Aber, bei Gott, sie werden dort nicht müssig Piedros Tyranneien zuschaun, und ich nicht müssig in Kanella umherwandern. Ich — ich sezze das begonnene Werk fort! Sagts dem Piedro und seinen Orakeln wieder, ich stürze ihn, oder er mich! — Seid ihr mein Freund? — redet! redet, hat mich Euer Vaterland und Euer Gesicht belogen?“

„„Ich hoff es nicht!““ erwiederte Florentin.

Borghemo führte den Grafen in einen abgelegnen dunkeln Winkel, zog ein Blatt aus seiner Brieftasche, starrte seinen Mann an und schien eine wichtige Frage vorräthig zu haben.

„Fiorentino, hört mich — wenn — nein — doch es ist möglich! — könnt Ihr diese Zeilen lesen? Sie sind in einer abgestorbnen Sprache mit fremden Lettern geschrieben.“

Florentin nahm das Blättchen, las, erstaunte freudig und fuhr mit der flachen Hand plözlich gegen seine Stirn, Borghemo ward aufmerksam:

„Wahrhaftig, ein Schwarzer?“

„„Ein Schwarzer!““ antwortete Duur leise und zeichnete mit dem Stokke sieben verschiedne Züge in den Sand. —

Borghemo lag in Florentins Armen.

Das stille Entzükken der neugebornen Freundschaft durchwärmte sie, drängte ihre hochklopfenden Busen aneinander, lies ihre Arme sich in einander verschränken, glühende Lippen an glühenden Lippen sinken und ihre glänzenden von einer leichten Thräne gebrochnen Augen aufstarren in seeligen Taumel. Sie empfanden beide das süße Vorrecht zarter, gefühlreicher Seelen, den Kelch der Freude da ganz ausschlürfen zu können, wo andere nur nippen dürfen.

„Heilig, heilig ist das Band!“ rief Borghemo: „heilig das Band, welches uns zusammenführte und uns umschlang, ehe wir gegenseitige Ahndung von unserm Dasein in der Welt empfanden! Heilig ist der Bund der schwarzen Brüder!“

Sie drükten sich noch einmahl Brust an Brust, und kehrten wieder, Arm in Arm, zur Gesellschaft zurük. Hier herrschte eine traurige Stille; nur Giovanni Borsellino schien von allen Exulanten noch der zufriedenste zu sein, weil er an der Seite der geliebten Laura Eo Kanella verlassen konnte. Jezt bestieg man wieder Pferde und Wagen; die Trennung war schmerzhaft, die Verwiesnen zogen über die Gränzen des unglüklichen Vaterlandes; Borghemo mit seinen Freunden aber und Florentin mit Gotthold, Badner und Dulli trafen spät in der Nacht zu Kanella ein.

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