Sechstes Kapitel. Die Eremitage.

Keiner war lustiger, als der ehrliche Badner, da er seinen Herrn wiederkommen sah.

„Wars mirs doch schon gewaltig bang’ um Sie!“ rief er ihm entgegen: „ich dachte, hohl’ mich, straf mich! unser gnädiger Herr hat ein unglükliches Abentheuer gehabt, siehst ihn gewis nicht vergnügt wieder!“

„„Du hast dich diesmahl unnöthig geängstet!““

„Hab ichs? nun, meiner Sixt! das freut mich.“

Der alte, gute Mann lief jezt Trepp an, Treppe nieder, seinem Grafen alle Wünsche zu erfüllen, die er nur aus dessen Blicken zu lesen glaubte. Nachdem sichs Florentin bequem gemacht, und Badner die Schokolate besorgt hatte, mußte sich der leztre zu ihm niedersezzen.

„Höre, Badner,“ Florentin: „bezahl’ unserm Wirthe die Rechnung, sorge für alles, was zu einer ziemlich langen Reise nothwendig ist, pakke ein, und halte alles bereit, damit wir Morgen in der Frühe Munchenwall verlassen können.“

Badner. Gehts wirklich schon fort? — scharmant! mir behagts auch meiner Treu in diesem Neste nicht mehr.

Florentin. Aber wirds dir auch dort behagen, wohin ich jezt reise, und wo ich wahrscheinlich mehr als ein Jahr zubringen werde?

Badner. Das ist —?

Florentin. In Kanella.

Badner. Hu, so weit vom deutschen Vaterlande?

Florentin. Meine Pflicht ruft mich dahin.

Badner. Gnädger Herr, Sie wissen doch daß es dort in jezzigen Tagen ein unsichers Leben ist?

Florentin. Ich weis es.

Badner. Der Herzog soll ja, wie die Zeitungen lauten, ein leibhaftiger Behemot sein!

Florentin. Eben deswegen.

Badner. Wie? Sie werden sich doch nicht in die Händel dort hineinmengen wollen?

Florentin. Vielleicht.

Badner. Ei! ei!

Florentin. Willst du mit mir? willst du da Glük und Unglük einige Jahre mit mir theilen?

Badner. (sich hinter den Ohren krauend) Wenns nur im heiligen deutschen Reiche wäre — aber, meiner Sixt, die Kanelleser sind heuer gar nicht aufgelegt, einem das Leben angenehm zu machen.

Florentin. Zwingen will ich dich nicht, mir zu folgen. Willst du bleiben im Vaterlande, so widerstehe ich dir nicht, ich bezahle dir meine Schuld, gebe dir Empfehlungen, so viel ich geben kann, und scheide von dir, als Freund.

Badner. (bieder) Nein, gnädiger Herr, ich folge; und wenn sie zu den Hottentotten gingen, ich folgte. Verlassen will und kann ich Sie nicht. — Wollen Sie mich behalten?

Florentin. Eine unnöthige Frage, lieber Badner!

Badner. Na, so bin ich der Ihrige mit Seel und Leib bis an mein seelges Ende. Ich gehe in Gottes Namen mit Ihnen aus Deutschland, — zurükbringen werden Sie mich wohl nicht wieder.

Florentin. Frag Gottholden, ob er Lust hat nach Kanella zu gehn, weigert er sich, so zahle ihm seinen vollen Lohn aus.

Badner. O, der bleibt bei uns! — na, allons, eingepakt, ’s geht risch nach Kanella!

Der Alte entfernte sich froh gelaunt; Florentin erbrach das Paket, welches er in der nächtlichen Versammlung der schwarzen Brüder empfangen hatte und las mit Begierde alles darin, was lesbar hies.

Was für uns beinahe nicht weniger Interesse darunter haben könnte, als für Florentin, theile ich mit. Erstlich ein Empfehlungsschreiben Sr. Herzogl. Durchlaucht, Adolfs, an den Hof zu Kanella. Dies hatten die schwarzen Brüder vom Herzog Adolf für den Grafen von Duur ausgewirkt. Florentin verwunderte sich bas ob dieser Erscheinung, denn dies schien offenbar zu verrathen, daß auch sein ehmaliger fürstlicher Freund unter die fürchterliche Anzahl der schwarzen Brüder gehöre. Und überdies war es an sich nichts Unmögliches, weil Adolfs politisches Interesse durch eine solche Verbindung schlechterdings Nuzzen gewann. Und warum hätten die Schwarzen nicht einen so guten Fürsten unter sich aufnehmen sollen, und können, da sie hier eine wichtige Stüzze erhielten, und es nicht grössere Mühe kostet einen Fürsten in ein gewisses Interesse zu verspinnen, als einen andern Menschen? Kurz, es war ungemein wahrscheinlich! — Das Empfehlungsschreiben mußte zu seiner Zeit die gewünschte Wirkung hervorbringen, um so mehr, da Adolf mit dem Geblüte Piedros weitläuftig verwandt war.

Ich könnte hier noch die besondern Instrukzionen des Ordens erwähnen, oder der Wechselbriefe, welche Florentinen im Fall der Noth zum Herrn ansehnlicher Summen machen konnten; aber ich schlüpfe über das alles stillschweigend hin, weil die Folgen der Instrukzion und Wechsel vielleicht künftig sichtbar werden werden, und gehe zu einem Briefe über, den Freund Holder aus Sorbenburg geschrieben, und mit zwei Miniaturgemälden, Holdern und Louisen vorstellend, beschwert.

Lieber Graf!

„Ich bin izt von einer kurzen Reise heimgekommen, setze mich sogleich hin und schreibe dir, weil ich wünsche, daß dich dieser Brief noch in Munchenwall antreffen mögte. — Du gehst also nach Kanella? Glük zu, Bruder! ich denke du wirst dort in deinem Elemente leben, denke, daß die Zerstreuungen daselbst dich von den melancholischen Anfällen des etwannigen Heimwehs heilen werden.“

„Die Rolle, welche du zum Spiel übernommen, ist gefahrvoller, als die gefährlichste bisher gespielte. Siehe, dich vor; bewache dein Leben, wenn du noch lüstern bist, mit mir nach einigen Jahrhunderten wiederum einmahl diese Erdenwelt zu bewandern — und nirgends steht dein Leben mehr dem Tode nahe, als zu Kanella. — Hüte dich!“ —

„Gott, wenn wir alle hier in Sorbenburg dich einst, als den Befreier Kanellas umarmen sollten! — kannst du dir mit der üppigsten Fantasie eine wollustvollere Szene vorträumen? — Geh, junger Mann, sei gros! mußt du gleich einen wichtigen Theil deiner schönsten Lebensfreuden einbüßen, mußt du gleich fern von einer angebeteten Fürstin, fern von dem guten Rikchen, fern von dem braven Onkel und deinem Holder wohnen, o so wird doch die Nachwelt, werden auch die Zeitgenossen dich seegnen, der du lieber selber ein Leidender warst, um die Leiden eines Volkes zu enden! —“

„Aellmar schrieb mir, daß du mein Bildnis zu besizzen wünschtest — ich schikke dirs, und noch ein andres, welches dir gewis tausendmahl angenehmer sein muß — Louisens Bild. Ich habe sie gesehn; Florentin, nein, du bist kein Sünder, daß du sie liebtest und liebst! Sie ist zurükgekehrt an den herzoglichen Hof und wieder, wie einst, die Seele, desselben geworden. Aber, wie mich dünkt, ists nicht mehr das feurige lachende Mädchen, — eine sanfte Schwermuth wohnt in ihrer Seele, strahlt aus ihren Blikken, aus ihren liebezeugenden Mienen hervor. Weißt du’s schon — doch wie solltest du nicht? — daß sie — daß sie von einem Knaben entbunden worden, dessen Vater du Ueberglüklicher bist? — Ich habe das Kind gesehn — Florentin, ich glaube dich in einen jungen Abkömmling der Menschheit verwandelt zu erblikken. Es ist dir ganz ähnlich, und blüht in voller Gesundheit. — Wenn du einst heimkehrst über Jahr und Tag, o Bruder, und der Knabe (Karl heißt er) dir entgegenspringt, und dein Onkel, und ich mit meinem Weibchen dich auf immer in unsre Mitte aufnehmen — wenn wir dann wieder da liegen auf dem bekannten Hügel, wo wir sonst den Sonnenaufgang und Untergang betrachteten, oder wir im Garten, wo du unter dem Fliederbaum so gern träumtest, umherwandeln, — — nein, Florentin, ich breche ab, — die Freude über deine noch so entfernte einstige Wiederkunft macht mich schwärmen. Leb wohl! — wir alle sind gesund hier, und glüklich, so sehr wir es ohne dich sein können. Noch einmahl, mein Bruder, leb wohl. Die Zeitungen und Journale werden mir wahrscheinlich bald von dir mehr sagen, als deine Briefe. — Nun, es lenke der Arm des Schiksals alles wohl, gedenke oft deines

Holder

Wie wär’ es möglich gewesen, daß Florentin diesen Brief hätte lesen können, ohne von den traurigsten und schmeichelhaftesten Empfindungen gequählt und entzükt zu werden? Mit heisser liebender Inbrunst drükte er wechselsweis Louisens und Holders Bildnisse an seine Lippen, er dachte sich nun alle Szenen zurük, welche ihm in der Gesellschaft dieser schönen Seelen verflossen waren, dachte hinaus in die Zukunft, wo er sie vielleicht nicht wieder genießen würde, und übermannt von Lust und Wehmuth entquollen seinen Augen ein paar sprechende Thränen.

Am folgenden Tage verließ der Graf mit seinen Getreuen das interessante Munchenwall. Ohne Verzug strich man quer durchs deutsche Land, und gesund langte man auf die äussersten Gränzen desselben an.

Badner hielt seinen Gaul an, schob sich den runden Hut von der Stirn, und nahm mit seinen Blikken rührenden Abschied von den geliebten vaterländischen Gegenden. Die Sonne sank unter; die Landschaft war romantisch schön. Dies bewog auch den Grafen still zu halten, abzusteigen, einen Felsen hinanzuklettern und da unter einer Fichte sich hinzulagern, in deren Wipfel feierlich der Abendwind säuselte. Badner that desgleichen, kroch zu seinem Herrn hinauf und legte sich neben ihm nieder. Gotthold blieb allein unten.

„Ade, ade! deutsches Mutterland; habs nicht geglaubt, daß ich noch hinaus wandern würde im Alter über deine Gränzen, — aber das Schiksal hat oft wunderliche Launen!“ rief Florentins Reisegesell, und murmelte noch einige Worte vor sich nieder.

Florentin. Sei ruhig, Badner, lacht nicht Gottes Sonne allenthalben schön? — Sieh doch hinaus, wie prachtvoll sich jene Gegenden vor uns hinlagern, jene Gegenden, in denen wir bald heimisch sein werden! Sieh dort die niedlichen Berggruppen, die schwarzen, buschreichen Thäler, und droben über den kühn himmelangethürmten Felsen das rothflammende Wolkengebürge schweben.

Badner. Ach, gnädiger Herr, ich bitte Sie, sehn Sie doch hinter sich die Straße hinab, welche wir daherzogen — das ist noch deutsches Land!

Florentin. Eine traurige, weitläuftige, die Augen ermüdende Ebne, sandigt und dürr — nirgends ein Wäldchen, nirgends ein Hügel, nirgends — —

Badner. Ja, ja, Sie haben recht! aber, dort hinten ragt ein einsames Gesträuch hervor, und da muß sichs doch schön drunter ruhen lassen; bei Gott, schöner als in jenen fremden, buschigten Thälern. Der angenehme deutsche Strauch würde mir angenehmere Kühlung verleihen, es würde mir drunter sein, wenn der Wind durch ihn spielte, als spräche er zu mir: ruh aus alter Badner, du bist ein Sohn meines Landes, schläfst hier sicher! — bei Gott, so würde mirs sein.

Florentin. Wir werden wieder heimkehren ins Vaterland.

Badner. Werden! — und wann?

Florentin. Zu seiner Zeit.

Badner. Zu seiner Zeit! (ernstvoll) zu seiner Zeit!

Indem sie noch mit einander dies und das plauderten, und sie einander ihre Seelen unwillkürlich trüber stimmten, wurden sie gewahr, daß Gotthold mit einem fremden Manne sprach. Sie sahen, daß Gotthold nach ihrem Felsen herauf zeigte, daß er heftig mit den Händen gestikulirte, drohte und mit dem Fremden in einem unangenehmen Wortwechsel verwikkelt sein müsse.

Jach sprangen Florentin und Badner auf; so eilend, als möglich stiegen sie hinab, nun flogen sie hin zu ihrem Reisegefährten.

„Was ist hier?“ schrie Florentin, indem er herbei kam.

Gotthold. Ein Räuber!

Fremder. (zugleich) Ein Bettler und Grobian!

Gotthold. (aufgebracht) Der Kerl macht Ansprüche auf unsre Mundprovisionen.

Fremder. Ich bat darum.

Gotthold. Wills uns mit Gewalt abnehmen.

Fremder. (trozzig) Wird und muß geschehn, wenn man mirs nicht giebt, was ich will.

Florentin. (mit Ernst) Mensch, was treibt dich uns auf der Landstraße anzugreifen?

Fremder. Herr, der Hunger.

Florentin. (zu Gotthold) Reich ihm von unserm Speise- und Weinvorrath. Hunger ist ein fürchterlicher Treiber. Wes Landes bist du?

Fremder. Kanella’s.

Florentin. Verstehst du kein andres Gewerbe, als Menschen anzufallen?

Fremder: (mit großer Eßlust die dargebotnen Speisen verschlingend) Ich habe Hunger.

Der Graf lächelte über die Sonderbarkeit des Menschen, welcher ihm seine unzeitigen Fragen so trokken verwies, lies ihn sich sättigen und fuhr in seiner Unterredung fort mit ihm.

„Ich war ehmahls,“ erzählte der Kanelleser: „ich war ehmals ein Bürger, in einer von den Vorstädten Kanellas ansässig, hatte mein Haus und Gut und ein herrliches Mädchen zur Braut. Die vielen und ewigen Abgaben brachten mich zurük, ich verlor dadurch einen ansehnlichen Theil meines Vermögens; ein Kammerdiener des Fürsten verführte meine Verlobte, — sie wurde schwanger, und ich bei der ersten Nachricht davon rasend. Der Schurke, welcher mir meine Ladda geschändet hatte, kam mir einst auf der Straße entgegen; jach fuhr ich mit der Hand in die Tasche, riß ein Messer hervor, und schnitt dem Buben den Anfangsbuchstaben, meiner Ladda ins Gesicht. Ich wurde gefänglich eingezogen, mein Vermögen verprocessirt, und ich nach jahrlangem Gefängnis, als ein Bettler, entlassen. So wollten mich meine Verwandte nicht mehr kennen, — was sollt ich thun, um nicht vor ihren Thüren betteln zu gehn? — ich verlies das heillose Kanella, siedelte mich hier in der Nachbarschaft an, wo ich nun vom Vogelfangen, Quirlschneiden und Korbmachen lebte. Ein kümmerliches Leben, — oft fehlt’ mirs trokne Brod, und dann bettl’ ich. Heut bettelte ich, bekam nichts, und um nicht Hunger zu sterben, mußt ich Gewalt drohen. Das ist meine Geschichte und mein Name Dulli.“ —

Der edle Duur mit seinen Dienern hörten mitleidig die Geschichte des Unglüklichen an; jeder von ihnen zog die Geldbörse hervor und jeder gab, so viel er geben konnte.

„Ho!“ rief Dulli: „was fehlt mir nun noch? womit soll ich danken?“

Florentin. Daß du uns den nächsten Weg zum bequemsten Wirthshause zeigest.

Dulli. Wenn Ihr nicht die Nacht hindurch traben wollet; so werdet Ihr ausser einigen elenden Dörfern 3 Meilen in der Runde nichts Gutes finden. Doch, still, behagts Euch, so nehmt bei mir Herberge in meiner Einsiedelei. Eßlust soll Euch da die Speisen würzen, Müdigkeit und eine weiche Streu Euern Schlaf. Für die Pferde ist Grasung noch vorhanden, und für Eure Unterhaltung meine Person und die lustige Thalgegend.

Florentin nahm nach einigem Bedenken das Anerbieten an; man sezte sich zu Pferde und folgte dem Eremiten zu seiner Eremitage nach, die in der That angenehm umgegnet war, wenn mir der Ausdruk erlaubt ist.

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